Montag, 2. April 2012

Kairo, den 20.März 2012






Kairo morgens um sieben sieht ungefähr gleich aus wie das chinesische Wuhan morgens früh, die Luft grau und dunstverhangen. Oder ist das Smog? Oder Sand? Das immerhin, wäre hier ja auch möglich, der Wind ist stark, die Wüste nah, das habe ich bereits bei der Landung gestern Nachmittag bemerkt, wo das Flugzeug ganz unziemlich gebebt hat, so dass es sogar mir etwas bange wurde. Nach dem Flug über das Meer das dunkelgrüne Nildelta - erstaunlich grün war es bereits in Griechenland und erstaunlich viel Schnee dort auf den Bergen. Ein Sandstreifen, dann überschwemmte Felder – das muss Reis sein – dann dicht bebautes Land, mäandrierende Flussläufe und Kanäle, dicht besiedelt zusätzlich, eine fruchtbare Gegend muss das sein. Und schliesslich Kairo. Hinten glaube ich die Pyramiden zu sehen. Aus Milchigblass herauswachsend. Später stelle ich fest, dass hier ganz abrupt die Wüste beginnt. Jetzt erklärt der Pilot freudig, dass man heute die Pyramiden sehen kann – etwas, das nicht ganz alltäglich zu sein scheint - und wohl deshalb dreht er einen riesigen rumpeligen Kreis über der Stadt. Niedlich leuchten als silberne Punkte die Autos von den Strassen hinauf.

Beim Flughafen ist der Verkehr noch flüssig. Ich muss mich gegen viele Aufreisser wehren, die mir alle ein Taxi vermitteln wollen, das Flugzeug war nicht voll. Die meisten Fluggäste scheinen mir sowieso Geschäftsleute, die werden abgeholt, ich bin ein einsames Opfer. Die Stadt ist bereits hier draussen schön. Palmen und Grün und stattliche, aber etwas verlotterte Gebäude aus der Art Deco Zeit, Bauhaus ebenfalls. Entlang der Ausfallstrasse zum Flughafen zeigt sich keine Armut.
Irgendeinmal taucht das Taxi in einen Tunnel ein, hinab geht es, immer weiter hinab, das ist doch nicht möglich. 5 km meint der Taxifahrer, der vorgibt kein Englisch zu verstehen und grimmig dreinblickt, wir bleiben im Stau stecken. „Der Tunnel“ kommt mir in den Sinn, die Kurzgeschichte von Dürrenmatt, wo ein Zug immer tiefer direkt in die Hölle fährt. Irgendeinmal zum Glück wieder Licht, das Stadtzentrum, der Flughafen muss viel höher, auf einem sandigen Plateau liegen, Höhenunterschiede sind aus dem Flug schwer auszumachen.
Übrigens war in dem Flugzeug keine einzige Frau verschleiert. Dafür zogen zwei Koptische Mönche beim Aussteigen ein merkwürdiges schwarzes und besticktes Häubchen über den Kopf.

Nun bin ich in meinem Hotel, auf einer Nilinsel gelegen, Zamalek heisst das Quartier, sehr zentral und ruhig hat es in der Literatur geheissen. Ich selber denke, dass ich noch kaum einmal in solch einer lärmigen Stadt gewesen bin. Der Portier meint auf meine Bemerkung hin, das sei doch normal, 25 Millionen Einwohner, das müsse man hören. - Die Zahlen steigen immer. In China wurde mir noch gesagt, dass Chonqing mit etwa gleich vielen Einwohnern – dort wo gerade über den Bürgermeister diskutiert wird, bzw. der abgesetzt wurde wegen reaktionären Tendenzen, keine zweite Kulturrevolution, da sind wir doch froh – die grösste Stadt der Welt sei. Chonqing war zwar wesentlich düsterer, hier scheint die Sonne bereits etwas durch, doch der Strassenlärm in Kairo ist unübertroffen. Das Wichtigste an einem Auto ist hier die Hupe.
Im übrigen finde ich mich als Fussgängerin im Strassenverkehr bereits recht gut zurecht. Einerseits wohl, weil die Strassen weit weniger breit sind als in China. Andererseits ist der Verkehr trotz hupen derartig langsam, dass man recht gut zwischen den Autos hindurch die Strassen queren kann.

Dafür ist es kalt, ganz empfindlich kalt und auch windig, so dass ich gerade etwas Mühe habe mich aus den dicken Decken des Hotelbettes zu schälen. Tagsüber sollen die Temperaturen 20 Grad erreichen. Doch die Nächte sind empfindlich kühl und die Klimaanlage funktioniert nicht. Genützt hätte eine Heizung sowieso wenig, denn die Scheibenfront Richtung Nil ist nicht dicht. Dafür mit dicken Vorhängen verhangen. Als ich dem Angestellten sage, ich möchte ein Zimmer mit Aussicht, wie dies im Internet versprochen worden sei, versteht der mich nicht recht. Hier bleiben die Vorhänge sowieso immer zugezogen. Genau so ist das in Sansibar. Wozu die grossen Fensterfronten gut sind bleibt im Dunkeln. Zumal sie sowieso seit ihrem Ursprung wohl kaum einmal geputzt worden sind. Was Dunst ist und was Schmutz, das kann ich nur schwer abschätzen. Sonst hingegen ist das geräumige Zimmer sauber, da kann ich mich nicht beklagen.

Alkohol, meint der Angestellte am Empfang und schaut mich entsetzt an? Nein, er trinke keinen Alkohol. Das meine ich nicht, gebe ich zurück, ob man hier Alkohol kaufen könne? Das Entsetzen weicht nicht aus seinem Gesicht. Er wisse das nicht. – Immerhin logiere ich momentan in einem gehobenen Business Class Hotel mit internationalem Publikum. Da dürfte man doch solches erwarten. Dass Alkohol in Kairo kaum getrunken wird, ist mir schnell klar. Geraucht, das schon, Zigaretten und fruchtig duftende Wasserpfeifen überall. Ich möchte dem Mann im Empfang sagen, dass bei uns eben das Rauchen fast in allen Gebäuden verboten sei, weshalb ich mir dies aus praktischen Gründen abgewohnt habe. Der Alkohol hingegen nicht. – Als ich am Nachmittag zufällig an einem Laden vorbei gehe, der Alkohol verkauft, gehe ich trotzig – aber auch etwas verschämt, ich gebe es zu – hinein und kaufe mir zwei Bier für heute Abend. Denn darauf verzichten will ich nicht. Kommt doch Alis Flugzeug erst Morgen aus dem Oman an, da habe ich noch Zeit dafür. Und dass irgendeines dieser offensichtlich angesagten Strassenkaffees hier in Zamalek etwas anderes als Latte Macchiato, Cappuchino und weitere europäische Kaffee- oder Teespezialitäten zu sündhaft teuren Preisen anbieten würde, das glaube ich nicht mehr. In gegen die Strasse zu offenen einfachen Räumen mit Holzstühlen und Tischen wird Tee serviert, gespielt und Wasserpfeiffe geraucht – nur Männer das Publikum – hier habe ich es gar nicht erst versucht.

Irgendwo lese ich, dass es in Ägypten immer noch sehr wenig Kriminalität gäbe. Die Moral eben, die Religion beteuert der ägyptische Autor. Ich fühle mich in den Strassen auch erstaunlich sicher, mindestens hier in Zamalek, wo ich mich sogar auf die recht düsteren Küstenstrassen getraue. Nicht absichtlich. In der Hoffnung, die Quais seinen wie anderswo lauschige Orte, versuche ich dem Nil zu folgen. Allerdings säumen den Nil praktisch überall nur die Schnellstrassen. Unorte sind das häufig, insbesondere unter den Autobahnbrücken, so richtig wohl fühle ich mich nicht, ich gebe es zu. Doch was bleibt mir anderes übrig, einmal südwärts Richtung Cairo Tower aufgebrochen? Mauern säumen die Strasse landseits. - Sicher also Kairo, heisst es, immer noch. Und ich frage mich, ob die fast gänzliche Abstinenz da nicht doch auch mitspielt. Kürzlich habe ich einen Artikel über einem Jugendanwalt gelesen, der meinte, ohne den bei uns selbst für Jugendliche einfach erreichbaren Alkohol gäbe es einen grossen Teil der Jugendkriminalität gar nicht. Vielleicht überhaupt weniger Kriminalität.

Die Leute lieben es, selbst in der Nacht draussen zu sitzen. Obwohl es für mich empfindlich kalt ist. 13 Grad lese ich in der Zeitung und dann eben stellenweise dieser starke Wind. Auf dem Cairo Tower in der Dämmerung. Die Aussichtsplattform wird von tosenden Winden umstürmt, kaum kann man hier stehen. Doch erstaunlicherweise bin ich nicht schwindlig. Ist es die Konstruktion? Oder die Höhe, die bereits an eine Flughöhe erinnert und Vergleiche nicht mehr zulässt? Unter mir der Südteil der Nilinsel, verschiedene grosse Schwimmbäder – hinter hohen Mauern, die habe ich von der Strasse her nicht gesehen – und Sportfelder. Alles wirkt ausgestorben, vielleicht ist es die Zeit. Zeit der Dämmerung. Die Stadt verschwindet im Grauschwarz, erste Lichter. Gedämpft dringt der Lärm herauf, nebst Verkehrslärm auch Musik, die kommt wohl von den verankerten und hell erleuchteten Schiffen entlang des Nils. Restaurants oder Nightclubs müssen das sein.

Am Morgen bin ich auf der Insel nordwärts spaziert. Etwas an die Copacabana erinnert mich dieser Stadtteil. Hohe Gebäude aus den 20-er Jahren, dazwischen eingeklemmt erstaunlich viele Bäume. Topfpflanzen auch überall. Nur dass das Grün hier staubiger wirkt. Die alte europäische Architektur ist im allgemeinen schön, dazwischen moderne Hochhäuser, die sind es weniger. In den letzten 50 Jahren habe Ägypten keine gute Architektur mehr hervor gebracht, lese ich irgendwo, damit bin ich einverstanden. Auffällig entlang des Nils sind vor allem die riesigen Türme der Luxushotels, Hilton, Four Seasons, Hyatt, Marriott und wie sie alle heissen. Nein, das sind nun wirklich keine schönen Bauten. Das Ostufer des Nils sieht mir sowieso irgendwie schäbig aus, der Nil ist in diesem Arm breiter und verdreckt. Zwischendurch riecht es nach Fisch. Besser: Nach meiner Erinnerung an den Luganersee in meiner Kindheit. Das war wohl kaum Fisch, den ich damals roch.

Auch an China erinnert mich Kairo. Dadurch, dass es sich als günstiger erweist, die bereits stark genutzte Fahrbahn als Fussweg zu nutzen. Allerdings ist der Grund hier nicht derselbe. In China wurden die Trottoirs häufig zu privaten Zwecken genutzt. Die Küchen standen dort oder mindestens ein Spülbecken, Kinder wurden gebadet und alte Leute sassen auf ihren wackeligen Stühlen und starrten vor sich hin, die Wäsche hing zwischen den Bäumen. In den alten Quartieren in China sind Trottoirs erweiterter Wohnraum. - Nicht so in Kairo. Hier werden auf Trottoirs, oft sogar mehrzeilig und irgendwie und überall Autos parkiert. Oder es wird einmal ein Loch ausgehoben, eine Leitung gelegt, das ganze aber dann nicht mehr zugeschaufelt. Oder die Bäume, arg eingezwängt zwischen den Pflastersteinen, heben in ihrer Not den Asphalt zu Stolperstufen an.

Zwischen den Wohnblocks aus den 20-er Jahren und den Hochhaustürmen auch immer wieder niedrige kleine Villen eingequetscht. Dies wiederum erinnert mich an Lima. Vielleicht auch Biarrizz, doch dort waren die Villen meist verlottert und warteten – schien es – auf ihren Abriss. Hier nicht ganz. Eine zweistöckige Villa fällt mir vor allem durch ihren Blumenschmuck auf. Embassy of Myanmar ist hier angeschrieben. Eine andere, im Cottage Stil, ist die Brasilianische Botschaft. Ich logiere ja hier im Botschaftsquartier, im Kirchenfeld quasi.
Das ist natürlich keine schlechte Adresse. So bin ich auch erstaunt über die Sauberkeit der Strassen, viele Schulen, eine Musikschule, Sportclubs, hier ist kein Quartier der Armen. Einzig die Läden, viele kleine, Früchte, Kleider werden am Strassenrand gebügelt, von Männern hier, Schuhputzer gibt es ebenfalls. Und Männer und Frauen, die ihr Fladenbrot verkaufen. Das sieht eigentlich gluschtig aus, dunkel und schön gebacken, nur leider stellen sie die Brote, die auf einer Art Holzgerüst präsentiert werden, häufig direkt auf das Trottoir. Mit all den Abgasen und dem Staub scheint mir das wenig hygienisch.

Ich will das Keramikmuseum besuchen, doch leider ist das wegen Renovation geschlossen, wie mir ein mürrischer Wärter erklärt. Daneben ist aber auch noch ein Museum für moderne Kunst. Allerdings sind die Bilder hier enttäuschend. Ein dilettantischer Zeichner, der mit Filzstift in schwarz-weiss eine Art Comicbilder malt. Oder Gemälde in kubistischem Stil, Stadtlandschaften, Menschen, alles wirkt etwas veraltet und kitschig.
Zum Glück finde ich später eine Galerie mit tollen Bildern, der Künstler ist auch anwesend. Ganz offensichtlich von Dali inspiriert, die europäische Kultur ist hier allgegenwärtig. Doch seine Bilder sind besser als diejenigen von Dali, finde ich. Tuschzeichnungen in schwarz-weiss, in schönen Farben koloriert. Die Motive auch hier häufig nackte Frauen - Nacktheit ist bestimmt hier viel provozierender - doch sind die Körper zu Fabeldingen kombiniert, häufig Horus und andere Wesen aus der Ägyptischen Mythologie, die Bilder gefallen mir wirklich. Ein Bild ist verkauft. Ein Schweizer, meint der Künstler lachend, eine nackte Frau und daneben eine andere in schwarzer Robe mit Schleier, traditionell gekleidet. Was er damit meine, möchte ich wissen. Ohne Bildung – wie hier die meisten Leute, antwortet er – da könne man eben nicht beurteilen, auswählen, da lehne man Fremdes einfach ab. Und ja, er ist einverstanden, dass im Museum nichts Spannendes gezeigt werde. Die Künstler dort, die seien eben von der Regierung gewählt worden. Und da habe sich nicht viel geändert seit dem Sturz Mubaraks. Beziehungen zählten da, ein Filz, nicht ob jemand wirklich malen könne.

„Hotel Lonchamps“, sehe ich plötzlich, an der Nummer 21 Ismail Mohamed Street, an einer ruhigen, grünen Strasse in Zamalek. Das war im Internet gut beschrieben. Einzig aus Neugier gehe ich mit dem etwas altersschwachen Lift bis zuoberst in dieses Art Deco Gebäude, ich zügle ja morgen, wenn Ali ankommt, ins Islamische Viertel. Das Hotel in den obersten zwei Stockwerken des Gebäudes ist dann wirklich wunderschön, 20 Zimmer, individuell eingerichtet, mit Sicht in die Bäume der Strasse oder den grossen Hinterhof, eine wunderschöne Terrasse auch. Eine ideale Adresse in Kairo scheint mir, sogar etwas billiger als mein lärmiges Business Hotel mit zwar durchaus korrektem Standart. Und eben Blick auf den Nil.

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