Nein, das französische Ehepaar sei nicht hier, das komme morgen, meint man auf meine Frage im Hotel in Abu Simbel. Ich sei die einzige Touristin, die heute in den Ort gekommen sei. Wegen der Strassensperre. Vor dem Nachtessen bin ich, sobald die Hitze des Tages etwas nachgelassen hat, Richtung Tempel von Abu Simbel spaziert. Eine vierspurige Strasse, richtungsgetrennt, gesäumt von sorgfältig gewässertem Gebüsch, vor allem die in allen Farben üppig blühenden Bougainvilleas fallen mir auf, führt zu einem riesigen Parkplatz. Auch dort kein einziges Auto. Vollkommen überdimensioniert scheint mir diese touristische Anlage die zum Tempel führt. Und nein, die „light and sound show“, die finde heute nicht statt, morgen. Und ja, keine Sorge, bis am Abend sei die Strassensperre wieder weg, die Nubier seien freundliche Leute, man heisst mich überall willkommen. Etwas merkwürdig fühle ich mich schon in dieser Männergesellschaft, obwohl alle freundlich sind und nicht aufdringlich. Mich einfach anstarren, das schon.
Um 5 Uhr frühmorgens hat Ali den Zug Richtung Kairo bestiegen, und nun, nach rund 15 Stunden, müsste er eigentlich in der Hauptstadt angekommen sein. Und gerade jetzt gerate ich erstmals in eine Situation, die mir ein ungutes Gefühl gibt. Ich habe um 8 Uhr einen normalen Bus bestiegen, das hat alles bestens geklappt, obwohl man mir natürlich einen Platz in einem Touristenbus verkaufen wollte. Wenn ich darauf eingegangen wäre, dann wäre ich jetzt nicht hier, die wurden nämlich gestoppt. Mein Bus ebenfall. Doch weiter kam ich trotzdem.
Der Bus fuhr pünktlich ab und war auch noch ganz ordentlich, einzig die Klimaanlage funktionierte nicht und auch sonst fehlten ein paar Instrumente. Doch der Fahrer war kein Raser, die einsame Strasse durch die Wüste gefahrlos. Der Bus füllte sich fast ganz, ein westlich gekleideter Herr mittleren Alters setzte sich neben mich. Das betone ich, weil in dieser Gegend die meisten Männer in ihren hochgeschlossenen langen Wüstenröcken herumlaufen, meist in beige, manchmal dunkelbraun, häufig auch weiss, dann jedoch ziemlich verfleckt. Wüstenscheichs eben, diese Nubier. Vom Aussehen her sicher schwarzhäutiger, überhaupt ist der schwarzafrikanische Einfluss bei ihnen deutlich sichtbar, auch mein Nachbar hat eine kurze Stupsnase, keine lange arabische mehr.
Er spricht sehr gut Englisch und arbeitet für ein Elektrizitätswerk mitten in der Wüste rund 50 km vor Abu Simbel. Doch, ein gut bezahlter Job, 7 Tage arbeiten, 14 Tage Pause. Heute Sonntag ist Schichtwechsel, mehr als die Hälfte der Businsassen steigt bei der Elektrizitätszentrale aus. In Gizeh habe er auch ein Haus, Tourismusgeschäft. Und nein, im Sommer, wenn die Hitze hier über 50 Grad steige, dann gehe er nicht dorthin, sondern nach Alexandria oder sonst irgendwo ans Mittelmeer. Ja, richtig, die Frauen würden hier nicht so herumreisen, seine Frau schaue eben zu den Kindern. Fünf im ganzen, davon vier Knaben, das Jüngste erst 8. Einer der Söhne sei italienischsprachiger Reiseführer. Wo ich doch gestern dem Ali gesagt habe, einzig die Italiener würden fehlen in Ägypten. Hier gibt es nur dezent gekleidete Bildungstouristen. Insbesondere die Amerikanerinnen streifen sich sogar einen Schleier über den Kopf.
Mitten im Nichts eine Fabrik. Erdöl, frage ich? Nein, eine Zementfabrik. Die profitiert wohl hier vom billigen Strom, der seit dem Nasserstaudamm fliesst. Ein Wohnblock daneben, eine Tankstelle, kein Baum, nirgendwo Schatten. Auch hier kann man offensichtlich leben. - Erdöl, das gebe es nicht in der Gegend, erklärt mir mein Sitznachbar. Erdöl, das wichtigste Exportgut Ägyptens, komme vom Roten Meer. Ich frage mich, wie sich die berühmte Unterwasserwelt und die Erdölförderung zusammen vertragen.
Bei einem Zwischenstopp nach 2 Stunden, spendiert mir mein freundlicherer Nachbar einen Tee. Und stellt mir einen Freund vor, der auch in Abu Simbel wohne. Bei Problemen solle ich mich an ihn wenden, ihn in seinem nubischen Haus auf einen Tee besuchen. Über diese Begegnung werde ich bald danach schon froh sein.
Grüne Felder mitten in der Wüste. Die Farm eines reichen Mannes aus Saudi Arabien. Mit Wasser aus dem 50 km entfernten Nasserstausee bewässert. Eine zweite im gleichen Stil folgt, offensichtlich lieben es die Saudis in dieser Gegend in Landwirtschaft zu investieren. Als ob die bei sich zuhause nicht genug Wüsten hätten. Vielleicht fehlt es dort an Wasser. Angepflanzt werden Datteln und andere Fruchtbäume, ich nehme an, es sind Zitrusfrüchte, mein Nachbar weiss es nicht, Gemüse ebenfalls unter schattierenden Tüchern. Für den Konsum hier, doch auch für den Export. Ich erinnere mich, bereits grüne Bohnen aus Ägypten in unseren Gestellen angetroffen zu haben. Oder Spargeln aus Chile. Auch denen bin ich in wüstenartiger Umgebung begegnet.
Auch ohne Touristen bin ich hier keineswegs allein. Im Restaurant des Hotels, auf einer schönen Terrasse über grünen Pflanzungen, biologisch werde ich belehrt, kommen viele Einheimische essen. Manche wohl, weil es hier Alkohol zu trinken gibt. Andere Gäste kommen zusammen mit Frauen, hier ungewöhnlich, selbst wenn diese verschleiert sind. Vielleicht kommen sie auch wegen dem Besitzer, einem bekannten nubischen Musiker. Die nubische Sprache klingt weich zu mir hinüber, ganz anders als das bellende, immer aggressiv tönende Arabisch. Ur, uki und main, Haar, Ohr und Auge, das sind die ersten nubischen Wörte, die ich lerne. Alle wollen mir Wörter für Körperteile beibringen, Nase, Mund, Bein, Bauch, Arm, alles kann ich nicht behalten, das geht mir viel zu schnell. Doch meine Gastgeber sind über das wenige höchst erfreut. Der Körper muss für die Leute hier eine grosse Bedeutung haben. Oder weshalb sind dies ausgerechnet die Wörter, die sie mir lehren wollen? Statt Danke, bitte, Hallo? Danke scheint es hier gar nicht zu geben. Man überlegt lange auf meine Frage und antwortet mir dann mit einem ganzen Satz, den ich unmöglich behalten kann.
Der Licht-Spektakel findet heute nicht statt, nur wegen mir, das lohne sich nicht, morgen soll das klappen, verspricht man, keine Angst, morgen sei die Strassensperre weg. Dafür höre ich den Fröschen zu, die zu hunderten im Sumpf quacken. Und nubischer Musik, zwischendurch wird auch Klassik gespielt. Der Besitzer hat im Welschland gewohnt, wie er mir gestern am Telefon erklärt hat. Er kennt die Schweiz. So habe ich Schwierigkeiten, mit ihm über den Preis zu feilschen. 55 Euro pro Nacht sind hier gewaltig viel Geld. Doch verglichen mit der Schweiz? Das Hotel, in traditionell nubischem Stil erbaut, ist eine einfache, aber genial schöne Anlage. Wie man sie in Ägypten selten findet. Wenn schon teuer, dann schon pompös, scheint man hier zu meinen.
Irgendeinmal hält der Bus. Der Mann aus Abu Simbel, mit seiner Frau und seinem Sohn unterwegs, bedeutet mir aufzustehen und auszusteigen. Mitten im Nichts? Auch die übrigen Gäste verlassen den Bus. Weshalb, stelle ich erst draussen fest. Auf die Strasse wurden Felsblöcke gekippt und darauf sitzen grimmig aussehende Wüstenmänner mit dicken Pflöcken in der Hand. Glasscherben sehe ich am Boden, Windschutzscheiben müssen zu Bruche gegangen sein, eine Menschenmenge, laut gestikulierend, steht herum, erst jetzt stelle ich fest, dass dies eine Strassensperre ist. Der Mann aus Abu Simbel bedeutet mir mitzukommen, wir überqueren die Sperre, er flucht laut, ich habe Angst, er gerate mit den Protestierenden hier in handgreiflichen Streit, überhaupt ist mir gar nicht mehr wohl als ich die Situation begreife, der Mann wettert weiter und kriegt in gleichem Stil antwort, ich bin froh, als wir endlich auf der anderen Seite der Sperre sind und durch die Hitze weiter laufen. Recht rasch nimmt uns ein Auto mit, auch jetzt noch schimpft mein Begleiter. Das Auto setzt uns immer noch in schattenloser Landschaft in einem kleinen Dorf vor einem Haus ab. Sein Haus, das Haus der Familie. Ich werde eingeladen ins erstaunlich kühle Innere, die Familie hat ein paar Tage bei Verwandten in Assuan verbracht. Sofort macht die Frau Tee, ein Glas Wasser wird vor mich hingestellt, Gastfreundschaft eben, das scheint es in Ägypten doch noch zu geben, dann sitzt auch die Frau mit uns vor den Fernseher. Gespräche sind schwierig, das Englisch meiner Retter ist mangelhaft. Ein Wasserstreit, meint der Mann, wenn ich ihn recht verstehe. Darauf führt er mich in ein anderes Zimmer mit einem Computer, Klimaanlage hat es übrigens auch in dem Wüstenhaus, gekachelte Böden und Teppiche, so arm sind die Leute hier nicht. Nubische Musik wird mir vom Computer gespielt. Was er arbeite? Er versteht nicht. Ich gehe hinaus und mache eine Bewegung als ob ich die Erde hacken würde. Nein, nein, lacht er und führt mich wieder zum Computer. Und zeigt mir Fotos, wie er in schwindelerregender Höhe Strommasten montiert. Wohl deshalb kannte ihn mein Busnachbar. Das Paar hat einen kleinen Sohn, der fröhlich und munter aussieht. Obwohl im dauernd zäher weisser Schleim aus der Nase oder dem Mund fliesst. Die Frau ist beständig daran, ihn wieder rein zu wischen. Ich bin froh, dass das Kind etwas Angst vor mir hat und ich ihn so nicht berühren muss. Ob ich etwas schlafen wolle, essen? Nein, nein, wehre ich ab, der Mann fragt alles dreimal. Nach einer Weile bringt er mich im Taxi zum Hotel. Das liegt erst im nächsten Dorf, alleine wäre ich heute wohl kaum bis nach Abu Simbel gekommen.
Wieder einmal bin ich erfreut und auch überrascht darüber, wie einfach es ist, alleine zu reisen. Wäre Ali noch mit mir zusammen gewesen, dann wäre ich nicht mit meinem Sitznachbar in ein längeres Gespräch gekommen. Und hätte ich dies nicht getan, so befürchte ich, wäre auch ich, wie die übrigen Touristen, gestern nicht bis nach Abu Simbel gekommen.
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