Donnerstag, 12. April 2012

Abu Simbel, den 2.April 2012















Ganz alleine stehe ich heute im frühen Morgenlicht vor den vier sitzenden Riesenstatuen von Ramses II., dem Bauwerk wofür Abu Simbel am Nassersee berühmt ist. Eindrücklich sind sie wirklich, die Ruhe, die sie ausstrahlen. Der Blick leer – die grossen Augen haben keine Iris – in die Ferne, ins Jenseits gerichtet. Etwas weltlicher gesagt dienten sie dazu, die südliche Grenze des Pharaonenreichs zu markieren, denn hier begann das Reich der Nubier, mit denen häufig gekämpft wurde. Ich lese, dass der Reichtum der Pharaonen zu einem grossen Teil von deren Raubzügen in fremde Länder stammt. Die Nubier also mussten beeindruckt werden, die Szenen im Tempel drinnen zeigen häufig Kampfszenen, in denen Ramses II. seine Feinde niedersticht, seine Frau Nefertari oder einer der Götter schauen ihm dabei zu. Erstmals sehe ich hier auch Pferde und Kampfwagen, die mich an Wagen erinnern, die ich von den Römern her kenne. Auffallend ist vor allem, wie echt die Bewegungen, sowohl der Tiere, wie auch der Menschen, dargestellt sind. Die Demutshaltungen der Unterworfenen, aber auch die stolzen Haltungen der Pharaonen. Worte braucht es kaum, man kann die Handlungen bestens aus den Haltungen der Figuren ablesen. Mit Hieroglyphen, die sich äusserst gut in die Zeichnungen einfügen, werden Lesekundigen – das waren auch damals nur 1% der Leute - noch die historischen Daten dazu geliefert. Siegreicher Kampf gegen die Hethiter etwa. Auch das Innere dieses Tempels ist erstaunlich gut erhalten, die Farben der Malereien zum Teil mehr als nur erahnbar. Auffällig sind die durchwegs schlanken, schmalhüftigen und breitschultrigen Wesen, auch die Frauen und die Götter, letztere meist von Tierköpfen gekrönt. Zur Zeit der Pharaonen muss dies das Schönheitsideal gewesen sein. Hässliche Menschen gab es damals keine - oder wurden sie ganz einfach nicht abgebildet? Auch die Griechen litten ja unter einem Verschönerungswahn. Auffällig sind auch die durchsichtigen Kleider der Figuren, sowohl der Umriss der Kleider ist in den Fels gehauen - wenn gut erhalten, sehr plastisch - wie auch der Körper darunter, die Brüste der Frauen etwa, und immer dieser kragenartige riesige Halsschmuck.

Durchsichtige Röcke sind nicht nur bei den Pharaonen und Göttern auffällig. Die Frauen hier haben eine ganz spezielle Art, den schwarzen Frauenumhang zu tragen. Statt aus dichtem Stoff besteht das Gewebe aus Spitzen und lässt neckische Einblicke auf die bunten Gewänder darunter zu.

Auffällig bei den Zeichnungen der Pharaonen sind weiter die zärtlichen Haltungen zwischen den Ehepaaren. Es wird gestreichelt, umarmt. Dieses Körperliche, das findet man heute vor allem in der arabischen Kultur wieder, auch Muslime halten Händchen. Keine Küsse natürlich, trotzdem anders, als dies in der schwarzafrikanischen Kultur der Brauch ist. Ich frage mich nun, ob Zärtlichkeit zwischen den Menschen nicht auch zentral war bei der Entstehung der Hochkulturen. Bei der Entstehung von Kultur überhaupt.
Die Tempelanlage von Abu Simbel wurde in einer gigantischen Aktion von der Talsohle hier hinauf verpflanzt und neu in zwei Hügel eingesetzt, die künstlich erweitert werden mussten. Das ganze sieht erstaunlich natürlich aus.

Das Dorf Abu Simbel ist an vielen Stellen von Stützmauern umgeben. Liegt der Seespiegel wohl manchmal höher, so dass diese Mauern notwendig sind? Und ist dieses Dorf, das mit Strassen, mit Beleuchtung und Pärken so reich gesegnet ist, also sicherlich von der Regierung begünstigt wird, erst sehr jung, nämlich so rund 40 Jahre alt? Ein Umsiedlerprojekt, als der Nasserstausee im Jahre 1972 gänzlich gefüllt war? Die Gegend, eigentlich staubig-heiss, soll in ein grünes Paradies verwandelt werden. Etwas, das auch in den – scheint mir - so kargen Wüstenböden mit Wasser erreicht werden kann.
Beim Reisen kommt mir immer das Reisen in den Sinn. Vergleiche mit Ähnlichem, das ich bereits angetroffen habe, mit Düften, die ich bereits gerochen. Hier kommt mir die geflutete Gegend des Yangtse in China in den Sinn. Die neuen Dörfer weiter oben an den Hängen. Die Strassen, die dort häufig bereits die Hänge herunter gerutscht sind, denn die neuen Siedlungen liegen mitten im Steilhang. Hier ist alles etwas älter und die Gegend ist ein Wüstenplateau. Gleich bleibt, dass fruchtbare Schwemmböden gegen viel kargere eingetauscht werden mussten.

Die Jacke, die ich vorsichtshalber mitgenommen habe - die Erfahrung mit den kalten Nächten in Kairo, und in der Wüste, hört man, sollen die Nächte kalt sein - erweist sich hier als absolut nutzlos, auch die Nächte sind angenehm lau. Die Jacke hat einen guten Teil meines kleinen Rücksackes eingenommen, das Mückengift habe ich deshalb in Assuan gelassen und gerade dieses wäre hier mehr als nur nützlich. Das Hotel, in dem ich logiere, ist in traditionell nubischem Stil gebaut, Räume mit hohen Tonnengewölben aus ungebranntem Lehm mit Stroh vermischt, das würde in der Schweiz nicht lange stehen, diese Gebäude vertragen keinen Regen. – Dasselbe gilt übrigens für einen grossen Teil der altägyptischen Ruinen. Vieles ist aus Sandstein gebaut. Wie dies in unserem Klima altert, das wissen wir von der Altstadt von Bern. Doch in dieser Gegend regnet es kaum. Ein Glück, wären uns doch diese Schätze nie in solcher Art erhalten geblieben.

Zurück zu den nubischen Häusern. Ich liebe es in diesen Ländern den heissen Teil des Tages im Dämmerlicht und der Kühle der Räume zu verbringen. Und in der Ruhe hier. Die Zimmer haben beidseits oben im Gewölbe ein kleines Fenster, das die heisse Luft ausströmen lässt. Gegen den von Arkaden umsäumten Hof zu hat es ein Fenster und gegen aussen ein weiteres, gefüllt mit in Dreiecken gestellten Backsteinen, die es spitzenartig verschliessen und das Licht, nicht aber den Luftzug filtern.

Die Bootsfahrt auf dem Nassersee ist enttäuschend. Doch vielleicht bin ich ganz einfach kein Wüstenmensch. Und diese riesige Wasserfläche zwischen den schroffen Felszacken am Ostufer, das Gebirge ist hier höher, und den flachen Sandebenen im Westen - gespickt ab und zu mit einem Felskegel, mancher sieht einer Pyramide ähnlich, da muss man zweimal schauen - schafft es einfach nicht, auch nur entfernt natürlich zu wirken. Von den vielen Wasservögeln, wie ich im Führer lese, der See soll vor allem bei Zugvögeln beliebt sein, sehe ich wenig. Vielleicht stimmt die Jahreszeit nicht. Die Ufer sind im allgemeinen kahl, nichts Liebliches, da lobe ich mir die natürlich grünen Flussufer des Nils zwischen Luxor und Assuan. Die waren wirklich romantisch verträumt.
Der Bootsführer, ein stolzer Mann, sagt auf der ganzen Fahrt ein einziges Wort: „Sadat“, nochmals „Sadat“ und zeigt auf eine Villa am Ufer. Offensichtlich die Villa des ehemaligen Präsidenten. Den liebt man hier, seine Frau war Nubierin, er deshalb diesem Volke wohlgesinnt. Nasser hingegen, der den Nubiern ihr Land gestohlen hat, den liebt man nicht. Ebenso wenig wie Mubarak. In Abu Simbel gebe es rund 100 Nubier. Die meisten Nubier seinen nach Kom Ombo, etwas unterhalb von Assuan gezogen. Wieder an ein natürliches Nilufer. Ich verstehe das. Nubier gäbe es hier also nur wenige, meint ein Kellner des Hotels. Wo doch mein Nachbar im Bus gemeint hat, sie alle seien Nubier. Was ein Nubier ist und was nicht, darüber ist man sich offensichtlich nicht so ganz einig.

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