Sonntag, 20. Mai 2007

17.Mai 2007


17.Mai 2007

Es klopft an die Türe. „Hodi“ der Ruf, der soviel heisst, wie „kann ich hinein kommen“, ertönt. Ich ziehe mich geziemend an, meist ist man hier zu Hause nur leicht bekleidet, und gehe öffnen. Drei Männer, die ich noch nie gesehen habe, stehen vor der Türe und wollen sich gerade hinein schieben, schauen zu unserem Elektrizitätszähler. Ich stosse sie hinaus, sage etwas wie „sie sollten später nochmals kommen“ und schliesse die Eingangstüre. – Und bin nun etwas schockiert. Derartig misstrauisch bin ich bereits geworden.
Heute ist ein düster-grauer Tag. Seit dem stürmischen Sonntag der erst wenig Regen brachte, ist es nun unaufhörlich grau und regnet meistens, allerdings nur leicht. Wie in der Schweiz im November, nur viel wärmer. Deprimierendes Wetter, da sieht man die Sachen vielleicht auch düsterer. Die grosse, schön geschnitzte Türe am Eingang klemmt im Moment fürchterlich, das Holz ist von der Feuchtigkeit angeschwollen. Ich beginne mit der Wäsche zu sparen, denn im Moment ist das Kleider trocknen eine sehr langwierige Angelegenheit. Die Luftfeuchtigkeit ist zu hoch. Selbst trockene Kleider und die Bettwäsche fühlen sich klebrig-feucht an. Einzig meine Haut ist glücklich. Sie braucht keine pflegenden Cremes mehr. – Überhaupt solle man jetzt nicht schon wieder über den Regen klagen, meint Ali. Den brauche es auch, sonst würden die Pflanzen ja nicht wachsen und in ein paar Wochen eine reiche Ernte bringen. Natürlich hat er recht. Trotzdem.

Gestern schon wieder eine Hiobsbotschaft aus dem „Lukmaan“. Lucas, ein weiterer Koch, wird dabei ertappt, dass er Geld für 7 Kilogramm Fleisch holt, beim Metzger dann aber nur 5 Kilo mitnimmt. Die Differenz behält er für sich. Man habe ihn schon länger beobachtet, sowohl Alis Bruder an der Kasse, wie auch der Metzger hatten Unregelmässigkeiten bemerkt. Othmani entlässt ihn sofort. Nach dem Diebstahl des Generators ist man empfindlich geworden, möchte aufräumen mit der Betrügerei. Und auch enttäuscht. Ali meint, Geld korrumpiere fast alle Leute hier. Erst seien sie froh, um den doch recht gut bezahlten Job und die für hiesige Verhältnisse äusserst anständige Behandlung. Bald jedoch würden sich die Angestellten verändern. Versuchen, zu noch mehr Geld zu kommen. Ich verstehe die Enttäuschung, doch mache ich mir auch Sorgen darüber, wie es denn weiter gehen solle. Innerhalb von weniger als einer Woche, werden zwei der drei Köche entlassen. Heute bemerke ich aber noch nichts davon, dass der nun alleinige Koch nicht mit der Arbeit zurecht kommt. Allerdings macht das Regenwetter auch, dass weniger Gäste eintreffen. Viele Leute gehen gar nicht erst hinaus bei diesem Wetter.
Auch unser Maler, eigentlich unser „mkokoteni“, der Mann, der mit seinem Handwagen all unsere schweren Sachen transportiert, kommt heute nicht. Hier machen sehr viele Leute unterschiedlichste Sachen, um Geld zu verdienen. Bisher sind wir zufrieden mit der Malerei des „Transporteurs“, die stark vom Regenwasser verfärbte Decke sieht nach zwei Anstrichen bereits viel besser aus, er scheint etwas vom Malen zu verstehen. Nur fehlen jetzt einfach noch die zwei letzten Anstriche. Vielleicht Morgen...... Dann werde ich mich endlich hinter die Wände und den Boden machen. Decken malen ist äusserst mühsam. Und da unser Mann über die insgesamt 25.- Schweizer Franken für seine Arbeit froh ist, überlasse ich sie ihm gerne.

Ich versuche hier Stoff für die Erweiterung, beziehungsweise den Umbau des Moskitonetzes zu finden. Und habe vor drei Tagen auch sehr viel Glück gehabt: Im ersten Laden, in dem ich fragen gehe, gibt es genau das Material, das ich mir vorgestellt habe. Der Verkäufer gibt mir zu verstehen, dass ich warten solle und zückt sein Natel. Darauf kommt ein indisches Mädchen, die Tochter der Besitzerin von der darüber liegenden Wohnung herunter und meint in gutem Englisch, sie kenne den Preis auch nicht. Die Mutter sei weg, ich solle Morgen wieder kommen. Allerdings habe ich seither den Laden zu keiner Tageszeit mehr geöffnet angetroffen. - Manchmal frage ich mich schon, wovon die Leute hier eigentlich leben. Selten sind mehr als die Hälfte der kleinen Läden in der Basarstrasse offen.
Ich suche weiter. „Kitambaa cha chandarua“, Stoff für ein Moskitonetz. Alle wollen mir weiter helfen. Verweisen mich immer an den nächsten Laden. Der habe das, was ich suche. Doch leider finde ich keinen Laden mehr, der Moskitonetzgewebe in einer guten Qualität verkauft. „Kesho“, morgen, klappt das ja vielleicht.

Ich erzähle Ali die Geschichte mit den drei Männern, die an die Haustüre geklopft haben und die ich recht unsanft hinauskomplimentiert habe. Nur falls man sich bei ihm beklage über seine harsche Frau. Doch Ali ist besorgt, meint, ich solle besser nicht mehr öffnen, wenn ich nicht jemanden erwarte, besser oben vom Fenster hinunter rufen, wer denn da sei. Er habe niemanden her geschickt und könne sich überhaupt nicht vorstellen, wer denn das gewesen sein könnte. Und dann beim Regen, niemand draussen in der Gasse, normalerweise sitzt ja immer mindestens irgendeiner der Angestellten des Büros unter uns draussen auf der breiten Treppe. Oder die Nachbarn sitzen dort und geniessen den kühlen Wind vom Meer. Gerade bei Regen, wo die Geräusche kaum wahrnehmbar, denn Regen ist hier wegen den allgegenwärtigen Blechdächern eine sehr lärmige Angelegenheit, sei es besonders gefährlich. Die Leute hier hätten uns nun genügend beobachtet. Dass der „Lukmaan“ eine riesige Einnahmequelle sei, glaubten sowieso alle und dass wir ein Haus zu kaufen suchten, das sei mittlerweile natürlich auch bekannt. Die Leute hier hätten Zeit, zu beobachten, herumzuquatschen auch, alle wüssten alles. Und die in letzter Zeit häufigen Räuberbanden vom Festland, die sich auch nicht scheuen würden, Gewalt anzuwenden, die kriegten ihre Informationen von den Einheimischen hier. Die hätten immer Informanden, da würde nichts blindlings gemacht.

Die „Mainländer“, die Leute vom Festland sind schuld. Sie sind hier immer die Sündenböcke. Doch muss man verstehen, dass es nicht einfach ist für einen kleinen Inselstaat, derartig rasche und massive Einwanderung zu verdauen. Innerhalb weniger Jahre stammt rund ein Viertel der Bevölkerung vom Festland. Der Tourismus hat sie angelockt. Die im Verhältnis zum „Mainland“ besseren Arbeitsmöglichkeiten sind die Ursache. Die Einwanderer bringen eine ganz andere Kultur mit sich: Grösstenteils Christen, die Leute sind bereits an ihrer Kleidung, an ihrer Haartracht - auf amerikanische Art gestreckte und gefärbte Frauenhaare sind beliebt - leicht zu erkennen. Und dies nach einer starken Einwanderungswelle von der Schwesterninsel „Pemba“, die nach der Revolution von 1968 eine grosse Zahl sehr konservativer Muslime nach Sansibar gebracht hat.
Nach der Unabhängigkeit Sansibars 1964 gab es hier eine erste demokratisch gewählte Regierung in der Schwarze, Araber, Inder und Weisse vertreten waren. Die wurde jedoch rasch gewaltsam gestürzt, man hatte genug von Weissen, Arabern und Indern, die hier immer die Oberschicht gebildet haben. Man wollte endlich die ganze Macht und Geld. Pemba hingegen, wo traditionell sehr viele Araber lebten, wollte da nicht mitmachen, war gegen eine Revolution und auch dagegen, dass man sich mit dem ehemaligen Tanganika zusammen schliesse. Als Bestrafung für diese Weigerung, wurde Pemba darauf vernachlässigt. Auch heute gibt es dort kein vernünftiges Strassennetz, eine Infrastruktur ist praktisch inexistent. Einzig Schulen gibt es. Zum Beispiel die von Fidel Castro gesponserte Hochschule, die Ali besucht hat. Denn nun war ja Sansibar auch kommunistisch und die Interessen während des kalten Krieges führten zu Investitionen nicht nur aus dem Ostblock.
Pemba ist auch heute, 40 Jahre nach der Revolution, eine völlig unterentwickelte Insel, in der es ausser Fischerei und Landwirtschaft kaum Verdienstmöglichkeiten gibt. Entsprechend hoch ist jetzt noch die Auswanderung. Vor allem junge Männer suchen in Sansibar Arbeit.

Auch im „Lukmaan“ sind die Einwanderer gut vertreten. Vor den überstürzten Veränderungen der letzten Tage stammten vier, der fünfzehn Angestellten vom Festland. Tüchtige Leute, das findet auch Ali, häufig seien die „Mainländer“ flinker, wendiger, würden schneller lernen und gut arbeiten. Nur leider eben nicht vertrauenswürdig, was das Beispiel der beiden entlassenen Köche zeigt – und natürlich gleich auch die Vorurteile bestätigt. Der grösste Teil der übrigen Angestellten stammt ursprünglich aus Pemba, wie Ali ebenfalls, wobei sich meist bereits die Eltern in Sansibar niedergelassen haben.
Überhaupt treffe ich hier selten Leute, die mir sagen, sie stammten ursprünglich aus Sansibar. Viele sind stolz - obwohl seit Generationen hier lebend - aus Pakistan, aus Portugal, aus dem Oman, wer weiss auch immer woher zu stammen. Sansibar hat also bereits sehr viele Einwanderungswellen verdaut, selbst die hierher geschleppten Sklaven stammten ja aus verschiedensten Teilen Zentralafrikas, das war nie eine einheitliche Bevölkerung. Hoffentlich wird die Insel auch mit den Veränderungen der letzten fünfzig Jahre fertig.

Momentan jedoch sind die Sündenböcke eben die Leute vom Festland. Ich spreche mit Othmani über Jackson, den Koch, der im Verdacht steht, den Generatoren gestohlen zu haben und der nun inhaftiert ist. Er habe ihn im Gefängnis besucht. Jackson entschuldige sich und er, Othmani, wolle ihm helfen, frei zu kommen, er habe die Klage zurückgezogen. Die Polizei habe aber gemeint, das gehe nun nicht so einfach mit dem Freikommen, da müssten erst noch Abklärungen gemacht werden. Da müssten sie aufs Festland, nach Arusha auch, telefonieren, ob bereits etwas gegen diesen Mann vorliege. Und das koste natürlich Geld und die Polizei habe keines, meint Othmani. Das sei für Einheimische halt etwas einfacher, die hätten Verwandte hier, die zu der Polizei gehen könnten und den Preis der Telefonate übernehmen (und vermutlich auch gleich noch etwas mehr), dann gehe das alles viel schneller.
Trotzdem ist Othmani überzeugt, dass es hier in Tansania eine gewisse - wie er sich ausdrückt - Gerechtigkeit gebe. In Daresaalam sei momentan eine grosse Säuberungswelle im Gang. Korrupte Polizeiangestellte, selbst hohe, würden entlassen. Da würde sich doch niemand mehr für 20.- einfach bestechen lassen. Wenn er dabei riskiere, seinen Job zu verlieren. Da brauche es schon mehr. Und die Polizei hier warne eben, mit den Leuten vom Festland da müsse man vorsichtig sein, da seien viele Schlechte darunter, Banditen. Da müsse man genau nachschauen, weshalb sie nach Sansibar gekommen seien.

Noch vor einer Woche, erzählt Ali, da habe der Lucas, der zweite entlassene Koch geprahlt, wie gottesfürchtig er sei. Gott sehe alles, den könne man nicht betrügen. Denn gläubig sind hier alle, ob Christen oder Muslime, mindestens mit Worten und Ritualen. Das sei eben falsch gelaufen, meint Ali. Die Koranschulen würden ausschliesslich mit der Angst arbeiten. Was Liebe, Verantwortungsbewusstsein und Menschlichkeit betreffe, alles Sachen, die im Koran auch vorkommen würden, blieben unerwähnt. Einzig mit fürchterlichen Folgen werde gedroht, falls man etwas Schlechtes tue, nicht gehorche. Hölle und Leiden. Vor allem aus Angst seien die Leute hier gläubig.

Gestern Abend im „Lukmaan“ bemerke ich, dass die Gäste an einem Vierertisch unzufrieden sind, zu schimpfen beginnen. Sie beklagen sich darüber, dass die Angestellten die achtköpfige Gruppe von weissen Studenten bevorzugt hätten. Man habe sie warten lassen. Ali, der später dazu kommt, versucht zu besänftigen, die Angestellten seien halt immer sehr aufgeregt, wenn „Mzungus“ kommen würden, die Sprache auch, das sei keine böse Absicht gewesen. Doch die Leute, Gäste vom Festland, bleiben wütend über diese, wie sie finden, diskriminierende Behandlung.

Nochmals von der Verwechslung von Wünschen und Realität. Man brauche dringend einen weiteren Kühlschrank, um die gekochten Speisen kühl halten zu können, meint man im Restaurant. Der Getränkekühlschrank sei ja meistens höchstens halb gefüllt, werfe ich ein, da habe es doch wirklich genug Platz. Das reiche nicht aus, wenn der Getränkeschrank voll sei. - Nur ist der eben ganz selten voll. Meistens reicht das Geld nicht, um genügend einzukaufen. Trotzdem hat man das Gefühl, man müsse mehr Platz haben. Weil man eben gerne einen vollen Kühlschrank hätte. Mein Einwand, dass ein weiterer nur halb gefüllter Kühlschrank lediglich viel Elektrizität verbrauche, wird nicht erhört.



18.Mai 2007

Heute Morgen beim Erwachen erstmals wieder Sonnenflecken oben auf den Dächern der Häuser, erste tiefblaue Flecken zwischen Wolkenresten. Jetzt, eine Stunde später wölbt sich bereits ein strahlend blauer Himmel über der Stadt. Ich hänge die feuchten Kleider an die Sonne und nehme die Waschmaschine in Betrieb. Fertig mit dem Grau. Auch die düsteren Schatten, die schwarzen Gestalten der letzten Tage sind in meinen Gedanken bereits verschwunden.

12.Mai 2007


12.Mai 2007

Jeden Morgen zerstampfe ich mir in einem Mörser die Gewürze, die für einen sansibarischen Gewürztee benötigt werden: Kardamonkapseln, Zimtrinde, frischen Ingwer und manchmal auch etwas Vanille. Zusammen mit wenig Schwarztee und Milch ergibt das ein weit besseres Frühstücksgetränk als den hier gebräuchlichen Nescafee. Merkwürdig eigentlich, bereits in Guatemala, wo ebenfalls Kaffee angebaut wird, war davon nur ein sehr schlechtes Gebräu erhältlich. Entweder ein gänzlich wässeriger Filterkaffe oder dann Nescafee. Die Einheimischen trinken eben selber kaum Kaffee, das hat hier keine Tradition. In Sansibar wird zwar auf der Strasse ein sehr starker Kaffee aus Thermoskrügen verkauft, der ungesüsst genossen und in winzigen Portionen wie ein Ristretto angeboten wird. Doch auch mit diesem Getränk kann ich mich nicht anfreunden.

Wenn ich bei meiner Teezeremonie das Tetrapack Milch mit dem Messer aufschneide (obwohl das auch hier ein Quader ist, doch der Name hält sich hartnäckig) spritzt wie jedes Mal der Inhalt hinaus und läuft über meine Finger hinab. Ärgerlich. Und irgendwo in meiner Erinnerung kommt eine schöne schwarze Serviceangestellte hervor, die ganz ohne Hilfsmittel, allein mit den Händen ein solches Pack perfekt, ohne etwas auszuschütten, aufreisst. Ich erinnere mich, dass ich dies ungemein bewundert habe. Diese elegante Bewegung. Und frage mich, wo denn dieses Bild herstammen könnte. Ich gehe sehr selten in „Mzungu“-Restaurants. Überhaupt kaum anderswohin als in den „Lukmaan“. Wo könnte ich diese Frau auch gesehen haben? - Bis ich mich schliesslich erinnere: Eine Stewardess der „Kenyan Airways“. Die machte das in luftiger Höhe und auf wackeligem Fussboden perfekt ohne die gerade darunter sitzenden Passagiere zu bekleckern. - Merkwürdig, die Erinnerungsfetzen, die manchmal ungefragt einfach wieder heraufkommen. Bilder, Gerüche, Sehnsucht manchmal auch. Und nicht immer finde ich heraus, wo sie herkommen.

Gestern habe ich mit Othmani die neue, von mir vorgeschlagene Speisekarte besprochen. Das war eine komplizierte und langwierige Sache. Und ist mir in vielem nicht besonders Afrikanisch vorgekommen, denn solchem begegnet man auch häufig in der Schweiz. Othmani vertrug es sehr schlecht, dass ich die von ihm gestaltete Karte nicht gut fand. Ali meint, dass sei seine Sturheit, doch ich bin mir da nicht so sicher. Ich glaube eher, dass er zu den Männern (doch, natürlich, solche Frauen gibt es ebenfalls) gehört, die einfach keine Kritik vertragen. – Die afrikanische Seite nun: Othmani schrieb in seine Menukarte viele Speisen, die man im „Lukmaan“ gar nicht haben kann. Er fand eine sehr reichhaltige Speisekarte offensichtlich eindrücklicher. Und ich musste lange auf ihn einreden, bis er verstand, dass wir „Mzungus“ es eigentlich nicht besonders mögen, wenn wir sechs mal auswählen müssen, bis wir dann auf etwas stossen, das es auch wirlich zu essen gibt. Häufig meinte er, ja das gebe es nicht zu essen. Er habe jedoch im Sinne, das dann einmal anzubieten. Und hier liegt wohl der „Afrikanismus“: Die Wünsche, die Träume, was man eben gerne hätte oder irgendeinmal machen möchte sind ebenso real, haben den gleichen Stellenwert, wie die tatsächliche Realität. Und wir Weissen haben dann das Gefühl, dass man uns Geschichten erzählt, gar anlügt. Doch so darf man dieses Verhalten nicht deuten. - Ein weiteres Problem der Karte war ihre „Unorganisiertheit“, auch dies etwas, was mir typisch Afrikanisch scheint. Die Reihenfolge der Speisen folgte keiner strukturierten Ordnung und manchmal galt der Preis für ein ganzes Menu, Reis plus Fleisch, Fisch, was auch immer, manchmal jedoch war nur das Fleisch gemeint und der Reis wurde dann zusätzlich berechnet. Was natürlich denn Touristen bereits wieder suspekt vorkam. Warum denn die Preise hier immer wieder änderten, wurde manchmal bemerkt? Natürlich gefallen mir auch die Fotos von schön arrangierten Speisen auf der Karte nicht, denn so sieht hier ein Teller nun wirklich nicht aus. Aber auch hier: Othmani hätte eben gerne, dass es so aussehen würde, deshalb wählte er diese Fotos aus. Ich habe im Sinne, sie durch einfache, freche schwarz-weiss Illustrationen zu ersetzen. Mal sehen, wie das ankommt........

Freitag, 11. Mai 2007

11.Mai 2007




11.Mai 2007

Ich frage mich, wie weit ich mich bereits verändert habe. Ist es ein Zeichen meiner „Afrikanisierung“, dass ich den Tee, auf dem tote Ameisen schwimmen, durch ein Sieb giesse und dann trotzdem trinke? Oder dass ich einen Eimer unter das Küchenwaschbecken stelle, nachdem ich dreimal vergeblich versucht habe, den Ablauf zu entstopfen und das ganze dann wieder dicht zusammenzusetzen? Der Ablauf tropft immer noch, ich gebe auf.
Ali fragt mich, als ich bei einer Arbeit klage, ich hätte keine Lust das zu tun, weshalb ich es denn tue? Arbeiten müsse man erledigen, wenn man Lust dazu habe, nicht wenn es einem zuwider sei. Ich entgegne, dass so aber vieles unerledigt bleibe. Auf manche Arbeiten habe man einfach keine Lust. Niemand hätte Lust darauf und trotzdem müssten sie erledigt werden. Er sieht das nicht so. Und ich begreife langsam, wie das gemeint ist. Wenn er etwas zu erledigen versucht und das einfach nicht klappen will, dann hört er damit auf. Legt die Sache zu Seite. Oft denke ich, der wird das nun einfach vergessen. Das stimmt aber nicht. Ein paar Tage später ist er dann plötzlich wieder daran. Häufig klappt es nun, die Sache ist erledigt. Manchmal aber auch nicht. Dann braucht es einen weiteren Anlauf. Irgendeinmal aber wird das Geschäft befriedigend zu Ende geführt. Desgleichen verfährt er mit Problemen, die es zu lösen gilt. Das muss nicht wie bei mir sofort geschehen, häufig passiert es in Etappen.
Diese Weisheit fehlt mir. Wenn etwas nicht funktionieren will, dann verbeisse ich mich darin, kann nicht mehr aufhören, ärgere mich und wenn es bis am Schluss nicht geht, dann habe ich eine furchtbar schlechte Laune. Nicht so Ali, der ist viel gelassener.
Vielleicht kommt dieses Verhalten davon, dass hier sehr vieles nicht so läuft, wie man möchte und dass man das Geschehen häufig auch nicht beeinflussen kann. All die Bewilligungen und Papiere, die es hier braucht. Das ist wohl noch ein Erbe der kommunistischen Zeit. Oder ist das typisch Afrika? Die Bürokratie ist furchtbar und sehr langwierig. Ohne Geduld kommt man da nicht zum Ziel. Da nützt sich ärgern wenig. Desgleichen mit den Handwerkern. Häufig ist die erste Arbeit un- oder nur bedingt brauchbar, Modifizierungen müssen gemacht werden. So war ich zum Beispiel überhaupt nicht befriedigt von der Art wie unser Schreiner das Moskitofenster im Gästezimmer montierte. Er musste das am nächsten Tag nochmals bearbeiten. Heute jedoch, als ich unten mit „Wall filler“ die vielen Löcher in den Wänden ausspachtle - eine Arbeit die ich merkwürdigerweise sehr gerne mache - stelle ich fest, dass dieses Fenster meinen Ansprüchen immer noch nicht im geringsten genügt. Einen Eimer hinstellen nützt da nichts, doch ich weiss auch hier, dass ich meinen Perfektionismus aufgeben muss. Auch dies bereits „Afrikanisierung“?

Momentan ist eine fruchtlose Zeit. - Nicht eine unfruchtbare, ich meine fruchtlos hier ganz wörtlich. Auch wenn in den Tropen ganzjährig ein sehr ausgeglichenes Klima herrscht, gibt es Saisons für Früchte. Im Moment gibt es nur sehr wenige, und von schlechter Qualität. Einzig Bananen und Papayas sind ganzjährig erhältlich. Mangos und Ananas sind jetzt schwer zu finden und teuer. Und auch die übrigen Tropenfrüchte, die es bei uns nicht zu kaufen gibt, haben offensichtlich nicht Saison. Die pflaumenartigen Früchte, die es im November gab oder die birnenförmigen, weissen oder roten Früchte, die man noch vor Kurzem fand. Ich versuche sie alle, aus Neugier, und stelle fest, dass diejenigen Früchte, die auch nach Europa exportiert werden eindeutig die schmackhaftesten sind. Mit den übrigen kann ich nur wenig anfangen.

Dafür ist momentan eine sehr wüchsige Zeit. Der häufige Regen bringt vieles zum spriessen und die Bauern pflanzen Reis, Maniok und weitere Gemüse. Hier in der Stadt werden in den Grünanlagen neue Bäume eingepflanzt. Und auch bei mir im Hof spriesst es.
Ich stelle fest, dass sogar die Pflanzen sich durch dunkle Verfärbung vor „Sonnenbrand“ schützen. Die leuchtend purpurrot beblätterte Pflanze, von der mir Valérie in Paris einmal einen Steckling gab, hat sich hier gut entwickelt. Doch die roten Blätter sind fast schwarz gefärbt, einzig die Blattnerven zeigen noch ihre schöne Farbe. Noch einen weiteren „Franzosen“ pflege ich hier. Der Steckling stammt von meinem reich blühenden Hibiskus, den ich vor langer Zeit einmal in der Provence gekauft habe. Auch ihm scheint es hier zu gefallen.

Ali kommt mit der Idee nach Hause, dass es besser sei, wenn sie im Restaurant noch eine Tiefkühltruhe kaufen würden, damit sie Fisch und Geflügel für vier Tage im voraus en gros einkaufen könnten. Das komme günstiger, so könne man Geld sparen. Ich gebe zu bedenken, dass das schon gut sei, aber da müsse man dann eben auch genügend Geld im voraus haben, dass dies möglich sei. Er könne ja das Geld, das er für seine Wohnung kriegen wird, die er sich nun entschlossen hat weiter zu vermieten, da hinein stecken. Das finde ich auch gut. Nur frage ich mich, wie lange dieser Geldvorrat vorhanden bleiben wird und sich nicht irgendwie einfach wieder aufbraucht. Auch Ali hat nun Bedenken. Ein solcher Vorrat, das werde ja die Angestellten geradezu zum Stehlen animieren.

Es ist hier viel schwieriger eine gewisse Disziplin, einen Rhythmus zu behalten, oft fliessen meine Tage einfach so dahin. Ich bin mir ja gewohnt, selbständig zu arbeiten. Doch hier wache ich manchmal mit sehr vielen Ideen, was ich alles noch tun wollte oder sollte, auf, fange etwas an und verliere mich dann vollkommen darin. Vergesse, spazieren zu gehen und oft treibt mich der Hunger erst mitten am Nachmittag hinaus in die Stadt. Oder dann fange ich alles gleichzeitig an, kann mich für nichts entscheiden, habe keine Ausdauer und am Schluss das Gefühl, nichts Rechtes getan zu haben. Ich stelle fest, dass ich hier sehr selten auf die Uhr schaue. Ganz ohne Termine und Uhr zu leben hat aber auch seine Tücken. Einzig der fünfmal täglich ertönende Ruf des Muezzin gibt mir Orientierung in den Tagen.

10.Mai 2007



10.Mai 2007

Heute Morgen um halb sechs ein Telefon von Bugaloo, einem der Angestellten des „Lukmaan“. Jackson, einer der Männer, der auch im Restaurant übernachtet und als Koch gearbeitet hat, sei verschwunden. Mit ihm auch der Generator. Hier ein für ein Geschäft unabdingbares Gerät, denn die Stromausfälle sind häufig. Ali bleibt erstaunlich ruhig, das bewundere ich irgendwie, materielle Dinge, selbst wenn dringend benötigt, haben hier nie denselben Stellenwert wie bei uns. Gestern sei fast den ganzen Tag der Strom ausgefallen, der Generator vor dem Restaurant im Einsatz gewesen. Die hätten vielleicht vergessen, den am Abend herein zu holen. Später scheint klar, dass Jackson, aus Arusha stammend, mit dem Gerät verschwunden ist. Ein kleiner Generator kostet 170.- SFR, hier viel Geld. Am Nachmittag taucht dann Jackson doch wieder im Restaurant auf. Er bleibt aber der Hauptverdächtige, denn er ist in der Nacht ohne die anderen aufzuwecken hinausgegangen, so dass dann auch die Türe offen blieb, weil die nur von innen abgeschlossen werden kann. Ali meinte deshalb, man könne ihm nichts beweisen, da jedoch das Vertrauen nicht mehr vorhanden sei, wolle er nicht mehr, dass er für den „Lukmaan“ arbeite. Othmani, Alis Partner jedoch, war mit diesem Urteil nicht zufrieden und schleppte den Jungen zur Polizei. Die ihn dann auch gleich dort behielt. Wir finden das falsch, denn erstens wird auch die Polizei den Generator nicht zurückbringen können und zweitens haben wir überhaupt kein Vertrauen in die Polizei hier. Auch dies ein riesiges Problem, das wir Europäer in dieser Art nicht kennen: Wenn man nicht darauf vertrauen kann, dass in einem Land irgendetwas wie Gerechtigkeit gesprochen werden könnte.

Gestern konnte sich Othmani endlich dazu durchringen, dass fünf der fünfzehn Arbeiter des Restaurants entlassen werden müssen. Weil so einfach kein Gewinn zu erwirtschaften ist. Das hat lange gebraucht, Ali und ich fanden beide schon lange, dass soviel Personal nicht nötig sei und zuviel koste. Doch für mich ist dies hier schwierig beurteilen, die meisten Stellen, die bei uns von einem Arbeiter besetzt wären, sind es hier von zwei- bis dreien.
Ich mache Ali manchmal Vorwürfe, dass er sich Othmai gegenüber zu wenig durchsetze. Er hingegen meint, dass dieser ein äusserst eigensinniger Mensch sei. Wenn er da gleich reagiere, dann gebe es nur Streit und dann funktioniere überhaupt nichts mehr. Man müsse warten, bis er es selber einsehe. Mit Druck funktioniere das nicht, das brauche Zeit. Und komme dann von selbst.
So ist Ali. Zwar selbst ein sehr eigensinniger Mensch (wie ich ja dummerweise auch noch), aber dann doch wieder sehr weise einfach nachgebend. Vertrauend, das die Zeit das ihre dazu tut, die Einsicht kommt.

Eigentlich ist es dasselbe mit mir und dem Islam. Zwar haben wir uns darauf geeinigt, dass ich nun eben, statt eine nicht praktizierende Christin, eine nicht praktizierende Muslimin sei. Doch ich weiss, dass er eigentlich hofft, dass ich mich noch ändern werde. Weil er mich im Paradies wieder treffen möchte. Und ich dafür nicht nur ein gutes Leben führen müsse, sondern eben auch die islamischen Rituale annehmen. Obwohl das erstere doch das Wichtigste sei. Item, seine Wünsche sind mir klar. Doch bin ich froh, dass Ali auch hier nicht gedenkt, etwas zu erzwingen. Gerade Glauben kann man nicht erzwingen, das weiss er ganz genau.

Gestern Abend habe ich im „Lukmaan“ wieder einmal Mohamed, unseren Freund und Architekten vom „Stone Town Conservatory Office“ getroffen. Er tönt nun bereits viel desillusionierter als noch im Dezember, als wir das letzte mal lange zusammen gesprochen haben. Was ich auch verstehe. Mit der Geschichte des illegal abgerissenen Hauses ist ihm, allen Angestellten dort, klar geworden, dass sich selbst der Direktor mit Geld kaufen lässt. Wie könnte er da noch ein Vorbild bleiben oder gar seinen Angestellten verbieten, ebenfalls solches zu tun? - Im Dezember noch, wollte Mohamed nicht daran glauben, dass sein Chef korrupt sei. Nun merkt er langsam, dass er wohl der einzige integre Angestellte im ganzen Amt ist. Ich verstehe seine Enttäuschung. Und hoffe gleichzeitig, dass er nicht aufgibt.
1980, bevor er nach Europa gefahren sei, da hätte man aufräumen müssen mit der ganzen Korruption. Sansibar habe schon zu lange Zeit keinen guten Führer mehr gehabt. Aber statt Moral und Menschlichkeit zu predigen, habe man sich in den Moscheen und Koranschulen darauf beschränkt, vermehrt die schlechten Sitten anzuprangern. Die Männergesellschaft wieder verstärkt von der Frauengesellschaft zu trennen, auf Kleidungsvorschriften zu pochen und auch sonst den Islam in ganz falsch verstandener Weise zu predigen. Ich frage den Ali, wie er denn dazu stehe. Der Islam, der hier eine unglaubliche Macht hat, hätte die Gesellschaft doch einfach im guten Sinne beeinflussen können. Er meint, er habe sich dies auch schon oft gefragt. Die einzige Erklärung dafür sei eben, dass auch die geistigen Führer nicht frei von Korruption und egoistischer Raffgier seien. Wie könnten sie da glaubhaft anderes predigen?

1980 da sei es Sansibar noch relativ gut gegangen, meint Mohamed. Noch sei nicht das ganze Vermögen und Kulturgut, dass auf dieser Insel über Jahrhunderte angesammelt worden sei, verprasst gewesen. Doch inzwischen hätte sich die politische Elite immer hemmungsloser bereichert und das Land ausgeblutet. Ein Wechsel jetzt, wo auch das Bildungswesen gänzlich zusammengebrochen ist, sei ungleich viel schwieriger. Die gebildeten Leute seien alle ausgewandert. Und ein falsch verstandener Islam lähme die Bevölkerung immer mehr: Diese Hoffnung auf das Paradies danach! Mit der heutigen Jugend könne man nicht rechnen und die Leute seiner Generation seien eben alle entweder weg oder resigniert.

Freitag, 4. Mai 2007

3. Mai 2007


3.Mai 2007

Nsi, mbu, sisimisi. Klangvolle Wörter für lästige Insekten. Fliege, Mücke, Ameise. Diese drei begleiten einen hier überall, sind nicht wegzukriegen, noch wegzudenken aus dem Leben. Ameisen finden selbst kleinste Stäubchen von Esswaren, die ich nicht mehr gesehen habe, über den Kampf mit den Mücken muss ich nicht mehr berichten und die Fliegen seien der Hauptgrund, weshalb der „Lukmaan“ eine Klimaanlage gebraucht habe. Damit man die Türe schliessen könne. Es ist wahr, dass es jetzt, wo die Klimaanlage wieder läuft und die Glastüre geschlossen ist, viel weniger Fliegen hat. Die Innentemperatur ist zwar nun eher höher oder gleich der Draussen, aber immerhin keine Fliegen. Ich stelle gestern, an einem regnerischen Tag fest, dass dies sowohl für das klimatisierte Internetkaffee, wie auch für den Supermarkt gilt. Einzig im winzigen Internet des Inders bleibt die Innentemperatur spürbar kühler. Hier wenigstens, scheint das Klimagerät der Grösse des Raumes zu entsprechen. - Wenn eine Klimaanlage einmal nicht funktioniert – was recht häufig vorkommt – dann ist es in den geschlossenen Räumen sogar schwüler als Draussen.
Nsi, Mbu, sisimisi. Dann aber „buibui“, Spinne oder auch die Bezeichnung für den schwarzen Mantel, den die Frauen hier in der Stadt, der arabischen Mode folgend, gerne tragen. Doch, das hat etwas gemeinsam, schwarz gekleidete Frauen und Spinnen – die sind ja meistens auch schwarz.

Heute Morgen als ich erwache scheint bereits wieder die Sonne. Strahlend blauer Himmel und bereits um halb zehn Uhr morgens heiss. Als wäre nichts gewesen. Weit weg die Ängste und der Ärger, weil eben an zwei Stellen das Dach immer noch nicht dicht ist, eine neue Lösung gefunden werden muss. Hier ist alles so vergänglich. Sowohl das Materielle, wie eben auch die Gedanken.
Etwas scheint hier Feind der Dauerhaftigkeit zu sein. Die Wände im Restaurant sind bereits nach sechs Monaten so schmutzig, dass man sie herunter waschen müsste, vielleicht sogar neu streichen. An den Häusern gibt es immer wieder etwas zu reparieren, zu renovieren, die Abnützung ist extrem, das Klima unbarmherzig. Ich lese in der Studie, die vom „Aga Kahn trust for culture“ bezahlt und 1996 beendet wurde, über Probleme, Chancen und Lösungen der Stone Town. Besonders die Paläste an der Seefront müssten regelmässig renoviert werden. Die Fassaden leiden, Rost frisst sich in die mit Wellblech gedeckten Dächer.
Interessant auch: Die Häuser der Stone Town waren anfangs fast alle mit Flachdächern versehen und von burgartigen Zinnen gesäumt. Was sich im Wüstenklima der Arabischen Länder bestens bewährt hatte wurde von den Einwanderern als kulturelles Erbe mitgebracht. Die meisten und auch die ältesten Gebäude hier sind arabischen Ursprungs. Von aussen schmucklose, trutzige, quaderförmige Häuser und Paläste mit regelmässigen Fensterreihen, innen aber von schönen Proportionen und Volumen, Innenhöfe, die Räume bleiben von selbst angenehm kühl.
Die Flachdächer nun haben sich hier in Sansibar nicht bewährt, sie blieben bei den häufig sintflutartigen Regenfällen einfach nicht dicht. Und wurden so mit Wellblechdächern überdeckt. Doch auch diese wollen mit der Unvergänglichkeit nichts zu tun haben, die salzige Luft lässt sie nur allzu schnell durchrosten. Trotzdem scheinen sie sich durchgesetzt zu haben, über die meisten Flachdachzinnen wölben sich nun solche Dächer. Wenige Ziegeldächer ebenfalls, doch störten die mich eigentlich von Anfang an, schienen mir irgendwie unpassend. Nun weiss ich weshalb.
Nebst den Arabern haben hier vor allem auch die Inder ihre architektonischen Spuren hinterlassen. Ihrer Natur gemäss meist Handelshäuser, die Basarstrassen sind
indischen Ursprunges. Die Gebäude sind reicher geschmückt bis für mein Empfinden kitschig, häufig – wie unser Haus auch – mit fein ziselierten Holzbalkonen versehen. Oftmals wurden auch bestehende arabische Gebäude, dem indischen Geschmack entsprechend transformiert. Schliesslich finden sich europäische Elemente im Hausbau hier, denn auch die „mzungus“ hatten ihre Handelshäuser und Botschaften auf der Insel.

Was mich jedoch erstaunt hat, ist das Alter der Stadt. Kaum Gebäude vor 1830 sind erhalten, ein grosser Bauboom war erst um 1850 und hat dann bis ca. 1920 angehalten. Die Stadt ist überhaupt nicht so alt, wie ich mir das vorgestellt habe. Für afrikanische Verhältnisse sind zweihundert Jahre aber bereits alt.
Das Wissen über das wahre Alter der Gebäude hier hilft mir nun vieles besser zu verstehen. So habe ich mich über die manchmal eingesetzten Stahlträger gewundert, auch sie bewährten sich in der salzigen Luft hier nur mässig. Desgleichen dachte ich Europäischen Häuser, deren Fenster von eleganten dünnen Betondächern beschattet werden, seien sicherlich viel jünger, als die massiv mit fast meterdicken Mauern gebauten Arabischen Paläste. Das stimmt nun offensichtlich nicht. Neben der massiven Bauweise aus Korallenstein bestanden gleichzeitig eben auch schon moderne Bautechniken.


Eben gerade habe ich ein Unheil verhindern können. Der „seremala“, der Schreiner ist endlich mit der Moskitotüre gekommen, die unten im Gästezimmer montiert werden soll. Und wäre ich nicht noch hinunter gegangen, so würde sie sich nun auf die falsche Seite hin öffnen. Ganz unwahrscheinlich, was alles schief gehen kann beim Bauen – aber das habe ich ja eigentlich bereits an der Schützenstrasse gemerkt. Für mich ist etwas sonnenklar, doch der Handwerker sieht es anders.
Wir haben dem „seremala“ vor zehn Tagen 80.- gegeben, damit er Material für die grosse zweiflüglige Türe einkaufen konnte. Das ist hier normal. Mindestens die Hälfte des Betrages zahlt man im voraus, damit eingekauft werden kann. Denn auch die Handwerker haben natürlich keine Reserven, kein Geld im voraus. Das Risiko besteht allerdings, dass jemand soviel Geld gerade sehr dringend für etwas anderes braucht. Zum Beispiel, um die Schulden zu bezahlen, die sich angehäuft haben.
Unser Schreiner scheint darin Experte zu sein. Das letzte mal hat ihm der Hausbesitzer sein Atelier abgesperrt, weil er den Mietzins nicht bezahlen konnte. Nach einer Woche des Wartens, hat er uns dann gefragt, ob wir ihm die für den Zins geschuldeten 100.- nicht vorauszahlen könnten. Da er auch von uns bereits einen rechten Vorschuss gekriegt hatte, waren wir aber dazu nicht gewillt. Und irgendwie ist es dann doch gegangen. Die Arbeit wurde gemacht – mit gewaltiger Verspätung.

2. Mai 2007


2.Mai 2007

Anfangs Mai und eigentlich bald Ende der Regenzeit. Mindestens steht in den Reiseführern für Sansibar: grosse Regenzeit März und April. Doch manche Einheimischen haben mich gewarnt, als ich fand, bisher mache die „Masika“, die Regenzeit ihrem Namen wenig Ehre. Letzte Nacht nun ist erstmal ein Regen niedergegangen, den man gelten lassen kann. Nicht dass er viel heftiger gewesen wäre als andere, aber statt maximal 5 Minuten, hat diese Sturzflut fast eine Stunde gedauert und da kommen ganz unheimliche Wassermassen zusammen. Unser Hof, der zwar einen guten Abfluss hat, wurde trotzdem fast 10 cm hoch überflutet, das Wasser überstieg die Schwelle und floss zum Gang hinaus auf die Strasse. Natürlich musste man mit dem Besen nachhelfen, dass es den Weg fand, denn das Gefälle der Böden stimmt selten genau, häufig finden sich Becken, wo das Wasser stockt und dann eben zum Beispiel Richtung Wasserpumpe abbiegt und diese zu überfluten droht. - Immerhin liegt das neue Gästezimmer einen winzigen Absatz höher, was es vor Überflutung sichern sollte. Item, schlafen kann da niemand mehr. Und als dann für kurze Zeit auch noch der Strom ausfiel und die ganze Stadt finster wurde unter den pechschwarzen sich ausgiessenden Wolken, da kam schon kurz eine instinktive und unvernünftige Angst auf: Der Weltuntergang. Zum Glück ertasteten wir dann irgendwo im Dunkeln doch noch Kerzen und Feuerzeug. Das half aus dem erstickenden, vom lärmigen Trommeln des Regens erfüllten Schwarz hinaus und erleichterte sofort.

Am Morgen, Ali ist bereits arbeiten gegangen, kommt dann der zweite Guss mindestens ebenso heftig. Diesmal muss ich feststellen, dass unsere Dächer offensichtlich doch noch nicht ganz dicht sind. Im Gästezimmer läuft das Wasser an einer Stelle die Wand hinab und nun tröpfelt es auch in unserem grossen Zimmer in einer Ecke. - Man wird sich darum kümmern müssen.
Im Regen finde ich eine Frau die vor unserer Haustüre Schutz sucht und bitte sie herein. Sie spricht nur Swahili, trotzdem können wir uns irgendwie verständigen. Die Frage, die immer sofort kommt bei Frauen: Ob ich Kinder habe? Was keine?! Sie habe drei, alle schon in der Schule. „Pole sana“, ein Ausdruck des Bedauerns, da habe ich ja gar niemanden, der mir helfen könne, meint meine Regenbekanntschaft.

Kinder seien hier offensichtlich nur da, um den Müttern zu helfen, bemerke ich. Das sähe ich nicht ganz richtig, meint Ali; zu helfen, wenn man einmal alt sei. Hier gebe es keine Altersheime, wenige Leute hätten auch das Geld für solches, und überhaupt befinde der Glaube, dass man den Eltern zurückgeben müsse, was sie einem während der Kindheit gegeben hätten. Alte Leute hätten hier zwar sicherlich die schlechtere medizinische Pflege als in Europa, dafür aber würden sie noch geliebt, geachtet auch. – Im guten Falle, entgegne ich und erwähne das Beispiel von Othmani, Alis Partner. Er hat vier Schwestern und keinen Bruder. Alle vier Schwestern haben die Mutter bereits einmal bei sich aufgenommen und allen ist es verleidet, denn sie scheint eine sehr schwierige Frau zu sein. Nun ist Othmani selber dran, beziehungsweise seine Frau, denn Othmani würde man selbst in der Schweiz als „Workoholiker“ bezeichnen, er ist sicher selten zu Hause. Als ich ihn frage, ob denn das gehen könne mit seiner Frau, meint er einfach, das müsse, er habe da keine Wahl. Und zügelt aus seiner geliebten Wohnung in der Nähe des Hafens in eine grössere, damit alle Platz finden können.

Ali hat sich Gedanken gemacht, über die Lebenslängen. In Europa werden die Leute viel älter als hier in Afrika. Bessere gesundheitliche Versorgung natürlich, aber dann würden die Europäer eben auch viel mehr leisten für ihre Gesundheit. Fitness, gesunde Nahrung, das alles werde hier wenig beachtet. Die Europäer würden überhaupt viel mehr für das hiesige Leben aufwenden und nicht an das nächste denken. Die meisten wollten ja nicht einmal an ein Leben danach glauben. „Mungu“, Gott sehe das, und belohne es auch, denn gesund leben gehöre zu den Geboten des Islam, „Mungu“ wolle uns dankbar sehen für das, was wir von ihm erhalten hätten, darin würden seine Landsleute hier meist kläglich versagen. - In Sansibar hingegen, sei neben dem jetzigen Leben eben auch das nächste wichtig, da teile man sich die Zeit auf in Tätigkeiten für das hiesige und auch für das nächste Leben, das sowohl Paradies wie Hölle sein könne. Hier arbeite man weniger für das irdische, dafür aber gleichzeitig auch für das nächste Leben. Deshalb sei es nicht so schlimm, wenn das irdische Dasein kürzer sei als in Europa.
Jeder habe so schlussendlich, was er suche.

Zurück zum Regen. Im Moment ist es zwar trocken, doch immer noch sehr finster, und ich kann mir irgendwie vorstellen, dass es drei Regentage werden könnten, wie ich sie vor zwei Jahren einmal hier erlebt habe. Immer wieder heftigste Regengüsse, dazwischen schwacher Regen oder auch trocken, nie Sonne. Danach standen grosse Teile der Vororte unter Wasser. Nur zögerlich flossen die Fluten in den nächsten Tagen wieder ab. Sicherlich sind wir nicht die Einzigen, bei denen etwas Wasser hereingekommen ist, wenige Häuser blieben wohl gänzlich trocken. Und ich frage mich auch, ob unsere Häuser in der Schweiz, der unheimlichen Wucht dieser Wassermassen standhalten würden. Die Kanalisation würde bestimmt ebenfalls versagen. Das führt zu der paradoxen und unheilvollen Situation, dass die Naturgewalten hier den Häusern sehr viel mehr zusetzen als bei uns - umgekehrt aber die Handwerker sehr viel weniger sorgfältig arbeiten als in der Schweiz.

30.april 2007


30. April 2007

Ali hat mich immer vor Dieben gewarnt. Ich hingegen habe beim Verlassen des Hauses nur unwillig die vier Schlösser zwischen unserer Wohnung, dem Hof und dem Ausgang abgeschlossen. Da fühlt man sich ja wie in einem Gefängnis. Das widerstrebt mir auch in der Schweiz: Einen Schlüssel hervor suchen, bevor man seine Wohnung betreten kann. Seit wir das Untergeschoss renovieren, habe ich, wenn ich hier war, oft die Eingangstüre offen gelassen, weil von dort der angenehmste Wind vom Meer her durch das Haus streicht. Ali hat gemeint, dass ich das nur tun solle, wenn ich unten im Hof oder in der Küche sei, nicht aber oben in der Wohnung. Doch ich wollte einfach nicht glauben, dass ein Dieb am helllichten Tage einfach in das Haus hereinkomme. Und bin dann gestern, als ich zufällig hinunter ging, einem Mann begegnet, der mit dem Fernseher in den Armen der Türe zuging. Was er denn hier mache, fragte ich ihn. Er sei ein „fundi“ ein Handwerker, meinte der. Doch mir kam die Sache komisch vor. Ich rief dem Ali, der oben war und sagte dem Mann, er solle draussen warten und schloss die Eingangstüre ab. Ali meinte zuerst, dass wirklich jemand kommen sollte um das Fernsehkabel besser zu installieren. Doch als er hinunter kam, stellte er sofort fest, dass unsere Schuhe alle weg waren. Die Schuhe hingegen standen unten an der Treppe und um dorthin zu gelangen, musste man erst den Hof durchqueren. Der Mann wartete dann natürlich auch nicht vor der Eingangstüre.......

Ich muss also vorsichtiger sein. Erschreckt hat mich vor allem, dass der Typ den Hof durchqueren konnte und bis zum Treppenaufgang kam, ohne dass ich etwas davon bemerkte. Die recht abgelartschten, jedoch eben europäischen Schuhe – die hiesigen Schlarpen ebenso wie Alis alte Schuhe hat er stehen lassen – haben kaum mehr einen grossen Wert. Für mich jedoch einen riesigen, denn sie waren in der Hitze, die einzigen Schuhe, mit denen ich längere Strecken laufen konnte ohne blutige Füsse zu kriegen.
Der Fernseher schliesslich, ist ja nun gerettet. Nicht dass er mir derartig wichtig wäre. Da wir aber bereits den Kabelanschluss, sowie die Gebühren für drei Monate im voraus bezahlt haben, wäre das schon recht ärgerlich gewesen.
Und schon wieder der Zufall: Warum bin ich ausgerechnet in diesem Moment hinuntergegangen und habe den Dieb getroffen? Ich kann mich an keinen bestimmten Grund für diesen Gang erinnern. Wäre ich eine halbe Minute später gekommen, wäre der Mann und der Fernseher bereits weg gewesen.

Der materielle Schaden blieb also glücklicherweise gering, doch ein ungutes Gefühl bleibt. Derartige Dreistigkeit habe ich mir nicht vorstellen können. – Hätte ich „mwizi“, Dieb geschrieen, wären sofort alle Nachbarn herbei gelaufen, meint Ali. Mir kam das gar nicht in den Sinn. Und hätte auch böse Folgen haben können, meint er, häufig würden Diebe einfach von der Meute umgebracht. Selbstjustiz. Auch dies habe ich Mühe zu glauben. Doch ich muss vorsichtiger werden. Vieles, das ich mir einfach nicht vorstellen kann, stellt sich nachträglich als wahr heraus hier.

Letzte Woche ging ich in das Büro des Verbandes, der die Erhaltung der Stone Town fördern soll, weil ich mich dort als Mitglied einschreiben wollte. Die Schwedin, die normalerweise dort ist, war abwesend, so erklärte ich meinen Fall einem jungen Schwarzen. Doch, natürlich. Das Antragsformular bereits ausgefüllt? Dann würde ich noch zwei Passfotos brauchen (Fotos braucht man überall hier) und 2000.- tansanische Shilling, was etwa zwei Schweizer Franken entspricht. Ich versprach, mit dem Gewünschten zurück zu kommen. Ob ich denn nicht bezahlen wolle, meinte der Mann. Aus irgendeinem Grunde sagte ich nein, ich werde dann alles gleichzeitig erledigen. Geld, Antrag, Fotos. Und kam dann auch wenig später mit dem Gewünschten zurück. Jetzt sass die Schwedin dort. 1000.- TS koste das, meinte sie. Auf meine Bemerkung, vor einer Stunde habe das noch 2000.-TS gekostet, reagiert sie nicht.

Wenn man die Sache so sehe, meint Ali, und auch noch bedenke, dass der „sheikha“, der Vorsteher des Quartieres und der Chef des „Stone Town Conservatory Offices“ sich nicht genieren, Geld anzunehmen, damit Illegales möglich werden könne, dann sei das Treiben eines Diebes sicher nicht verwerflicher. - Dem kann ich nur zustimmen.

Auch sonst bin ich momentan etwas deprimiert. Vieles braucht viel mehr Zeit, als ich mir das wünsche. Vor allem das Erlernen der Sprache. Ohne Swahili, ist der Aufbau eines sozialen Lebens hier sehr schwierig. Doch meine Fortschritte sind langsam, auch wenn ich täglich mindestens eine Stunde lerne. Einfache Texte lesen und verstehen kann ich zwar mittlerweile, denn da habe ich Zeit. Bei Gesprächen kriege ich das Wichtigste mit. Selber sprechen bleibt jedoch sehr schwierig, zu fremd der Aufbau der Sprache, immer wieder muss ich über die Grammatik nachdenken und auch mein Vokabular bleibt noch sehr dürftig.

Übrigens sehe ich nun das Verhältnis des Swahili zu europäischen Sprachen nicht mehr genau gleich. Ein Wort aus dem Swahili, kann in Deutsch unzählige, für uns vom Sinne her nicht logisch zusammenhängende Bedeutungen haben. Umgekehrt jedoch muss ich feststellen, dass es selten ausreicht, dass ich für ein deutsches Wort ein einziges Swahiliwort erlerne. Auch hier ist es immer eine ganze Auswahl von Wörtern, die sich nur in Nuancen unterscheiden und auch abhängig vom Satzzusammenhang unterschiedlich eingesetzt werden. Nun reicht es leider nicht, wenn ich ein einziges Wort erlerne, damit ich mich ausdrücken kann, ich muss alle Wörter kennen um zu verstehen, denn die Leute verwenden sie alle. Abhängig scheint mir dies auch vom Sprecher. Manche Leute bevorzugen eben dieses Wort und andere jenes.
So glaube ich jetzt, dass die „Wortsinne“, die verschiedenen Bedeutungen eines deutschen Ausdruckes überhaupt nicht übereinstimmen mit jenen des Swahili. Die Begriffe werden anders abgegrenzt. Manchmal verständlich, logisch scheinend, häufig aber auch gänzlich undurchschaubar: „chombo“ zum Beispiel heisst Gefäss, Instrument Werkzeug oder Boot, „paa“ Dach oder Gazelle, „bado“ sowohl noch nicht wie auch nicht mehr. Umgekehrt kann das deutsche Wort „nehmen“ mit twaa, shikia, chukua übersetzt werden. Auch stelle ich fest, dass das Erlernen einer Fremdsprache über eine weitere Fremdsprache - bei mir hier Englisch - die Sache eindeutig verkompliziert. Erst jetzt, wo ich ein gutes Grammatikbuch habe, das die ungewohnte Grammatik mit der deutschen vergleicht, werden mir viele Konstruktionen des Swahili erst richtig klar.

Die DDR war ein wichtiger Sponsor des kommunistischen Tansanias unter Nyerere. Die DDR hat hier gewaltige, unterdessen bereits halb zerfallene Betonblöcke in den Vororten, teils auch in kleinen Ortschaften auf dem Land, hinterlassen. Doch offensichtlich hat sie auch sonst rege Beziehungen zu „ihrem Schützling“ gepflegt. Das Swahili Lernbuch stammt aus einem DDR Verlag. Und neben Sprache vermittelt es auch Politik, ja man könnte es richtiggehend als Werbeschrift für den Kommunismus bezeichnen. Dies wiederum ist schade, denn ein grosser Teil des Vokabulares, zum Beispiel Parteisekretär, Vollversammlung, Parteisitz und unendlich viele weitere interessieren mich nur mässig. Ich möchte die Wörter lernen, die ich hier wirklich gebrauche. Verweigere ich mich aber dem Erlernen von für mich unwichtigen Wörtern, so kann ich leider irgendeinmal den Übungen und Texten nicht mehr folgen, denn sie alle haben einen „erzieherischen Wert“.

Einen weiteren Lernversuch habe ich mit den schön bebilderten Schulbüchern für kleine Kinder unternommen. Doch auch hier habe ich rasch gemerkt, dass das Vokabular ein Spezielles, auf kleine Kinder Abgestimmtes ist und von mir nur beschränkt eingesetzt werden kann.