Sonntag, 22. April 2012

Marsa Alam, den 19. April 2012











In Marsa Alam hat Mohammed ein Hotelzimmer in einem Ressort für mich gebucht, ich möchte am letzten Tag vom Hotelzimmer aus direkt an ein Korallenriff gelangen. Die Hotelanlage ist neu, der Garten erst am entstehen, das ganze relativ klein, mein  Zimmer durchaus okay. Von der grossen Terrasse sehe ich direkt auf das geschwungene Schwimmbad, dahinter als schmaler Streifen das Meer. Ich werde mit „Ciao“ begrüsst, die Gäste sind hier ausschliesslich Italiener, ein Blatt mit Essenszeiten wird mir in die Hand gedrückt. Einerseits die ägyptischen Zeiten - die sind früh - andererseits etwas, das sie „Marevero Time“ nennen, eine Stunde später, und damit Sommerzeit in Europa. Auf dass sich die Gäste ja nicht umgewöhnen müssen in ihren Ferien. Ich nehme an, im italienischen „all inclusive Packet“ ist selbst die Flugzeit in „Marvero“ angegeben, ein durchschnittlicher Gast merkt wohl nicht einmal, das Ägypten eigentlich anderes tickt. Ausser dass die Gäste ihre Uhren nicht umstellen müssen, hat dies den Vorteil, dass die Sonne nicht vor fünf Uhr morgens aufgeht sondern erst um sechs und nicht vor sechs Uhr untergeht, sondern erst um sieben. Das passt uns Europäern doch viel besser.

Ich gehe den Strand entlang auf die Suche nach einem Korallenriff. Das gibt es hier nicht, gut einen Kilometer wate ich durch das Wasser, an einem weiteren Hotelkomplex vorbei, drei Hotels, ein gemeinsamer riesiger mit Italienern gefüllter Strand, dicht and dicht gepackt liegt man da. Die Bambinis spielen im Sand, graben die Quallen mit ihren violetten Gedärmen in künstliche Seen, offensichtlich wissen sie noch nicht, was die Jungen in Al-Quseir wussten. Die haben die Quallen mit einem Stein auf der Ufermauer zerschlagen, eine Art violette, stark färbende Tinte floss aus den Tieren heraus und hat das Meer pink eingefärbt. Auf meine Frage, warum sie dies täten, wussten sie keine Antwort. Meinten hingegen „I love you“. Auch dies bringt der Tourismus mit sich.
Korallen also keine, einfach ein Sandstrand, sauberes Wasser und Sonne. Das offensichtlich reicht den Touristen hier. Deswegen sitzen sie 4 Stunden in ein Flugzeug. Ich werde nie verstehen, weshalb gerade die Italiener, die selber wirklich genug Strände haben, rings um den Globus dasselbe suchen.

In der Nacht erwache ich, heftiger Wind streicht um die Gemäuer, Türen und Fenster beginnen zu zittern, schlagen in den Rahmen, so gut sind die Gebäude hier nicht gebaut. Ich stopfe WC-Papier in die Spalten, bis das Geklapper endlich aufhört. Und begreife erst jetzt, was mir in Shalatein noch als neckische Exzentrik vorkam. Dort steckten zwischen Fenster und Rahmen ein paar weisse Baumwollhandschuhe, in einem zerschlagenen Fenster eine Zeitung. Erschien mir dies damals noch wie eine merkwürdige Verzweiflungstat, so verstehe ich jetzt: Bei einem Sandsturm macht das Sinn.
Ein brauner Morgen erwacht, immer noch stürmischer Wind, der Himmel farblos düster, wie von Nebel verhangen, hoffentlich wird mein Flug deshalb nicht abgesagt. Hier möchte ich auch ohne Sandsturm nicht länger bleiben.

Marsa Alam, 18.April 2012









Ich bin früh aufgebrochen, Ägypter scheinen vorsichtige Leute zu sein, um halb sechs Uhr solle ich mich auf den Weg machen. Der Bus fährt schliesslich um sieben, wieder warte ich gut eine Stunde in der Station. Das Ticket wird im Bus verkauft, ich bezahle 30 Pfund, soviel habe ich vorher dem Taxifahrer gegeben - ohne dass er dies verlangt hätte, er war freundlich - schliesslich kam ich vom Mövenpick Ressort. Das verlangt andere Preise.
Der Billetverkäufer im Bus verkauft mir ein Ticket, das bestimmt schon dreimal verwendet worden ist und entsprechend viele Löcher und Einrisse hat. In den eigenen Sack geht der Verdienst, das ist hier normal, die Leute kennen keine Loyalität ihrem Arbeitgeber gegenüber. - Wie sollten sie auch, meistens ist ihr Lohn extrem gering, die versuchen, so viel wie möglich nebenher zu verdienen.
Ich frage mich, ob die Tatsache, dass Ägypten ein sehr altes Tourismusland ist - die Engländer sind schon vor 200 Jahren gerne hierher gereist, die Kunstschätze und die angenehmen Winter haben den Tourismus früh zur Blüte gebracht – zwangsläufig zu all diesen Auswüchsen führen musste. Dazu führen musste, dass man es normal findet, Fremden schamlos bis zum Zehnfachen des eigentlichen Preises abzuknöpfen. Dieses ewige Bedrängen der Gäste mit Angeboten, die sie gar nicht wollen, die oft aggressiv eingeforderten Trinkgelder. - Doch kann dies nicht der einzige Grund dafür sein, denn schliesslich ist auch die Schweiz ein sehr altes Tourismusland und bei uns kennt man das nicht.
In dieser Beziehung ist Ägypten ein mühsames Reiseland, ähnlich wie andere Länder Nordafrikas. Vielleicht liegt das an der arabischen Mentalität. Tourismus nimmt den Leuten überall ihre Unschuld. Doch selten in dem Ausmass, wie das hier geschah.
Umgekehrt – und das möchte ich betonen – ist Ägypten auch extrem angenehm zum Reisen. Gerade für Individualtouristen wie mich. Die Kriminalitätsrate ist sehr gering, mit Raubüberfallen muss man kaum rechnen. Und dies sogar jetzt, wo das Land immer noch keine funktionierende Regierung hat und eine wenig leistungsfähige Polizei. - Immerhin sei die Polizei seit der Revolution angenehmer geworden, meinte der Hotelangestellte in Luxor. Hätten die früher Bürger grundlos verhaftet und tagelang im Gefängnis behalten, so komme solches nun nicht mehr vor. Die Polizei sei vorsichtiger geworden, überlege sich gut, wie sie die Bürger behandle.

Die Busfahrt das Niltal hinunter dauert ewig. Wir fahren an wüst qualmenden Schornsteinen vorbei, das müsste Kom Ombo sein. Eine Zuckerfabrik, nehme ich an, Fuhrwerke mit eben geerntetem Zuckerrohr fahren in das Areal hinein. Nach gut einer Stunde bräuchte ich eine Toilette, Kaffee habe ich im Hotel noch gekriegt, auf der Bushaltestelle zwei Glas Karkade. Ich frage eine Frau nach einem „Hamam“, WC. Sie antwortet mir in gutem Englisch. Als ich ihre Sprachkenntnisse rühme, meint sie, sie sei Englischlehrerin und lacht stolz. Bei einem nächsten Stopp getraue ich mich nochmals aus dem Bus, der Hunger langsam, hier weiss ich nie, wann es weiter geht, die meisten Leute bleiben sitzen. Im Bus ist es um 9 Uhr morgens bereits unerträglich heiss. Ich schaue einem Mann zu, der seinen Vorplatz fegt und den Abfall etwa einen Meter weit auf die Strasse schiebt. Und bestelle einen Falafel. Gut ist er und kostet nur 2 Pfund. An Orten, wo selten Touristen vorbei kommen, bezahlt man keinen Spezialpreis.

Der Bus fährt an nubischen Siedlungen vorbei, das weiss ich nun, die Häuser immer blau gestrichen, verschiedene Blaus, das ist nicht wie bei den Griechen, häufig mit Malereien darüber. Zeichnungen aus dem Alltag. Am frühen Morgen werfen die Leute Wasser auf die Erde vor ihren Häusern, versuchen damit den Staub zu beruhigen - für eine gewisse Zeit. Ich überlege mir, wie viel anders doch das Leben in trockener Hitze ist als in tropischer. Viele Häuser sind nur ganz dürftig mit Wellblech oder Holzlatten oder Palmblättern oder Stofffetzen gedeckt, die müssen nicht dicht sein. Und Motorräder haben häufig schön geschmückte Stoffsessel mit Zotteln. Bei Regen wäre das nicht praktisch. Doch hier regnet es eigentlich nie.
Die Katzen und Hunde Ägyptens, wilde Hunde auch, vor allem an Touristenorten, sehen gesünder aus als anderswo. Hautkrankheiten scheinen hier weniger verbreitet zu sein, meist haben die Tiere ein schönes Fell. Bei Eseln und Kamelen fällt mir auf, dass sie oft geschoren sind, manchmal werden kunstvolle Muster ins Fell geschnitten. Doch auch nackte Streifen, die von Verletzungen her stammen müssen, teilweise Tätowierungen. Insbesondere Kamele werden oft „verziert“.

Auf dem Landstreifen zwischen Hauptstrasse und Bewässerungskanal wachsen zwischen dem Gras Tagetes, Bougainvilleas und manchmal junge Bäume. Zufällig sieht das erst aus, doch später sehe ich Arbeiter, die pflanzen und jäten und bewässern, entlang der Hauptstrasse soll eine Blumenpracht entstehen. – Strassen sind übrigens in Ägypten, genauso wie das Stromnetz, erstaunlich gut unterhalten. Die gut 200 km Wüste zwischen Niltal und Rotem Meer werden an verschiedenen Stellen von einer Strasse durchschnitten. An der kaum irgendeine Ortschaft liegt, die hätte erschlossen werden müssen.

Unterwegs durch die Wüste kommen wir an einem verlassenen Ort vorbei. Ruinen von Häusern. Wahrscheinlich eine ehemalige Goldgräberstation, Gold wird seit der Pharaonenzeit in dieser Gegend geschürft.
Goldgräberstimmung auch in Marsa Alam. In all diesen Orten die für den Tourismus neu aus der Erde gestampft wurden. Hier ist noch alles möglich, noch alles billig, hier kann man es versuchen. Diese Orte locken Leute aus dem ganzen Land an. Nicht immer die besten und erfolgreichsten, Abenteurer vor allem. Die soziale Kontrolle fehlt komplett. Häufig leben nur die Männer hier, die Frauen bleiben Zuhause. – Auch Mohammed will hier sein Glück versuchen und ein Beduinenzelt mit Veranstaltungen, Kaffee und Kräuterverkauf betreiben. Und fragt mich um einen Kredit. Doch dazu kenne ich ihn zu wenig. Und finde zusätzlich die Art von Tourismus, die hier an der Küste des Roten Meeres betrieben wird, vollkommen unnötig. Nicht für Ägypter, die Arbeit suchen. Aber für die Umwelt. 

Assuan, den 17. April 2012










Den Ausgang zum Dorf? Erst versteht der Mann an der Rezeption mich gar nicht. Dann meint er, den Gang entlang zur Rückseite, dann zum kleinen grünen Tor. Ein Wachmann öffnet mir. Schon bin ich auf einem Trampelpfad entlang des Nils, übersäht mit Ziegen- und Schafskot. Offensichtlich kein häufig begangener Weg. Ich gelange in ein erstes Nubisches Dorf, ein richtiges nun - nehme ich an - kaum mehr Häuser im traditionellen Stil. Dafür sind die Bewohner keine Touristenattraktion und empfangen mich eher feindlich. Um halb sieben frühmorgens treffe ich die kleinen Schüler in beigen Schuluniformen, ein paar wenige Frauen und viele Schafe, ein paar Ziegen auch, Männer nur wenige. Vom einen Dorf führt ein von Lehmziegelmauern gesäumter Weg zum nächsten. Beschattet von riesigen Mangobäumen. Nach dem zweiten Dorf kommt  „Abu“, die ursprüngliche Siedlung hier, bereits um 3000 v.Chr. bewohnt. Schicht um Schicht, ein Tempel über dem anderen, wird nun ausgegraben, sichtbar sind vor allem die Lehmmauerreste der römischen Zeit, die Pharaonischen Tempel sind schlecht erhalten. Spuren von Koptischer und Jüdischer Besiedlung auch. Ganz offensichtlich ein kaum besuchter Ort. Ein selbsternannter Tempelwächter knöpft mir 50 Pfund ab.

Assuan, 16.April 2012









Vom Wüstenhotel déclassé in Shalatein - gross zwar das Zimmer, doch rollte ich zum ersten Mal meinen Seidenschlafsack aus, ich mag nicht ohne Leintuch auf Wolldecken schlafen, das ganze sah auch recht schmuddelig aus, Wasser hatte es, doch kein warmes - zum 5-stern Hotel Mövenpick auf der Inseln Elephantine in Assuan. Schwarz und weiss, die Gegensätze könnten nicht grösser sein, das zieht mir den Boden unter den Füssen weg. Doch ich mag dieses Gefühl.  Ich schwebe, und weiss nicht genau, wo ich landen werde .

Am Nachmittag habe ich etwa eine Stunde geschlafen, das Zimmer ist kühl, der Lärm weg, wie in Watte gehüllt fühle ich mich, und durch eine riesige Fensterfront sehe ich Assuan auf der anderen Seite des Nils. Das hat gut getan, in der Hitze – fast 40 Grad tagsüber, der Wind ist unheimlich lau – könnte ich ohne Klimaanlage kaum schlafen, im Lärm von Assuan sowieso nicht. Dann besichtige ich den gediegenen Hotelkomplex. Im Schwimmbad tummeln sich vor allem reiche Ägypter und Leute aus Saudiarabien. In Kleidern natürlich die Frauen. Haben sie den Schleier getragen? ich könnte es nicht mehr sagen. Spezialgewebe werden im Schwimmbad verlangt, das sehe ich auf einem Plakat bei der Rezeption, Strassenkleidung ist nicht erlaubt.

Vom Turm des Mövenpick Hotels - von der Stadt her gesehen scheint er mir nun etwas weniger hässlich - ist der Blick auf Assuan und das westliche Nilufer überwältigend. Im Turmrestaurant hat es zur Zeit der Abenddämmerung vor allem Amerikaner und Engländer. Auch Schweizerdeutsch höre ich.
Draussen ein Trommeln, ist das jetzt das Pharaonenfest? Ich muss doch noch hinaus aus dem Palast. Heute Morgen hat mir ein Mann im Bazar erzählt, dass die Ägypter am Abend im Nil baden würden. In Gedenken an die Pharaonen. Mit Kleidern - natürlich normalen - und anschliessend gemeinsam picknicken und Fisch essen.

Um elf Uhr nachts fahre ich mit dem Fährboot von der Stadt zurück zur Insel Elephantine. Die übrigen Passagiere scheinen Hotelangestellte zu sein. Braucht solch ein Betrieb denn derartig viel Personal? Selbst in der Nacht? Die Lichter der Stadt spiegeln sich geheimnisvoll auf dem Nil. Gegensätze auch hier. Wüste und Wasser. So nahe beieinander und so verschieden. Ägypten.




Samstag, 21. April 2012

Shalatein, 15.April 2012











Ägypter sind definitiv das Volk, mit dem man am einfachsten in Kontakt kommt. Sonst kann ich mir das nur mit meinem Alter erklären, vielleicht wird es einfacher mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Oder vielleicht wird man beim Reisen auch geübter.

Gestern haben mir meine beiden Führer, Mohammed und Ahmed, einen Platz in einem Sammelbus gesichert, der direkt von Shalatein nach Assuan fuhr. Gegen zwei Uhr mittags gab es einen Minibus, der genügend Mitfahrer hatte, aber leider kein Benzin, denn der Benzinnotstand dauert an. Ein kleines Grüppchen von Mitfahrwilligen war bereits auf den Bodenmatten des Beduinenkaffees versammelt, trank Tee und rauchte Wasserpfeiffe. Mohammed meinte, das seien seriöse Leute, da müsse ich keine Angst haben, und machte mich mit einem älteren Mann bekannt, der mit seiner Frau zusammen reisen wollte. Die Frau war natürlich nicht da – ich hatte zu diesem Zeitpunkt immer noch keine Frau getroffen in Shalatein – sondern wartete Zuhause. Der Mann bot nun an, dass ich zu ihm nach Hause kommen könne und dort zusammen mit den Frauen auf das Fahrzeug warten. Das war ein tolles Angebot, war ich doch sowieso neugierig auf das Leben dieser stolzen hochgewachsenen Wüstenleute.
Wir fuhren zu einem eingeschossigen Haus am staubigen Rand von Shalatein. Wobei Shalatein - überhaupt die ganze Rotmeerküste - eigentlich immer und überall staubig ist. Eine schöne Türe, grün mit rot-weisser aufgemalter Lotosblume, überhaupt – werde ich rasch merken – wird in dem sehr einfachen Haus dekoriert und möglichst gemütlich gestaltet. Erst ein Hof, dann ein kleines Haus, ein Teil der Wände ist gemauert, der grösste Teil der Wände und das Dach bestehen aus dünnen Holzplatten. In dieser Gegend muss weder gegen Kälte noch vor Regen geschützt werden, einzig vor Sonne und dem manchmal sehr heftigen Wind. Zwei Betten stehen an einer Wand, ich werde gebeten, mich zu setzen, gegenüber ein Gaskochherd und ein Holzbüffet mit Glastüren, das Geschirr darin fein säuberlich aufgestellt. Offensichtlich der Stolz der Frau. Nachdem sie mir einen Kaffee gebraut hat, wäscht sie die Tasse sofort wieder ab und versorgt sie. Der Mann holt aus einem abgeschlossenen Raum – das muss das Schlafzimmer sein – einen Ventilator und baut ihn vor mich auf. Die beiden, sie mag um die 40 sein, er etwa 60, sind derartig süss zueinander und auch freundlich zu mir, dass ich sofort ein gutes Gefühl habe. Später werde ich in einen weiteren grossen Hof geführt und gegenüber auf den überdachten Sitzplatz, der mit einem Teppich ausgerüstet ist. Hier sind nochmals Frauen, viele, eine Frau mit arabischen Zügen und braunen etwas krausen, fast schon afrikanischen Haaren fällt mir auf. Das besondere ist ihr Blick. Wasserblaue eindrückliche Augen, ich kann den Blick kaum von ihr abwenden. Auch sie blickt mich interessiert an. Frauen und Kinder schwatzen, lachen viel, auch der Mann sitzt zu uns, spielt mit den Kindern. Mir scheinen hier alle - ausser den kleinen Knaben die sich gerade streiten - sehr zufrieden zu sein. Ich habe mir solch ein Harem etwas anders vorgestellt. Die Frau mit den wasserblauen Augen hat ein Kleinkind, das herum krabbelt, immer wieder von der Bodenmatte auf den staubigen Boden, zwischendurch packt sie es an einem Arm oder am Pullover, hebt es auf wie eine kleine Katze und zieht es zurück. Sie fragt mich, ob ich es wolle. Ich bedeute ihr, nein mitnehmen wolle ich das nicht. Sie lacht, hebt die Schultern, eine andere Frau übernimmt das weinende Mädchen. Irgendeinmal kommt dann noch eine jüngere Frau mit stark schwarzafrikanischen Zügen, Kraushaar ebenfalls, und setzt sich zu uns. Sie ist die einzige, die etwas Englisch spricht. Und keinen Schleier trägt. Wobei die übrigen Frauen das recht kokett tun, ihn manchmal wegnehmen, das scheint etwas ein Spielzeug. Sie sei die Tochter meines Gastgebers. Und nein, lacht sie und nun lachen alle, das seien nicht alles die Frauen des Vaters. Die schwarz gekleidete ältere Frau – immer noch eine schöne Frau, finde ich – sei die Mutter, nur zwei Frauen habe ihr Vater. So wie ich das verstehe,  hat die Frau, die nach Assuan mitkommt, keine Kinder. Einen sehr guten Mann habe sie gefunden, Allah sei dank, bedeutet sie mir.
Von den übrigen Frauen ist mein Gastgeber der Onkel  - oder der Vater - so genau verstehe ich das nicht, später kommen auch noch zwei junge Männer herein, die sich jedoch nicht zu uns setzen.
Die Sonne ist bereits am sinken, als der Bus uns endlich abholen kommt. Bis alle Passagiere irgendwo aufgeladen sind, wird sie untergegangen sein und als wir am Militärposten von Shalatein anhalten müssen - hier hat es sehr viele Kontrollstellen, offensichtlich ist man sich auch heute noch nicht einig über die Grenze zum Sudan - wird es bereits finster. Ich habe etwas Angst, dass das nochmals eine lange Sache wird, als man meinen Pass sehen will. Doch ein junger Soldat bringt ihn mir zurück und meint in bestem Englisch „always welcome to Egypt, come back“. In der Dämmerung sehe ich am Horizont die schroffen Bergzacken, die sich vor dem Abendhimmel noch lange abheben, wir fahren erst 140km nordwärts zum Militärflughafen Berenice, einem Sperrgebiet für Touristen. Kurz danach biegt die Strasse ins Landesinnere ein, jetzt ist es finster, die nächsten vier Stunden werden wir westwärts fahren. Der Sternenhimmel, die vielen Tausend Sterne, die man in der Wüste sieht, praktisch kein Mond heute. Ich döse etwas, Schlaglöcher zwischendurch, manchmal rumpelt es recht und weckt mich wieder auf. Dann, kurz nach einer Verzweigung, nordwärts Richtung Edfu, südwärts Richtung Assuan - das muss die Kreuzung sein, die mir beschrieben worden ist – halten wir im Finsteren, ich sehe ein Haus, ein Gasthaus muss das sein, keine Elektizität hier. Ich sage der Frau, dass ich auf die Toilette möchte, denn sonst, befürchte ich, wird sie sitzen bleiben, wie das Frauen normalerweise tun, und ich werde nicht in den Genuss des Sternenhimmels kommen.
Nach dem Toilettengang, sie begleitet mich, setze ich mich zu ihr in das Scheinwerferlicht des Autos. Der Mann bringt uns Frauen Tee und Bisquits. Zu den Männern gehen wir nicht.

Shalatein, 14.April 2012










Und plötzlich bin ich mitten in  der Wüste, weit weg von allem, in Shalatein nahe an der sudanesischen Grenze. Eigentlich wollte ich ja nur rund 60km südlich in ein Wadi, ein Wüstental, in dem man in Beduinenzelten hätte übernachten können und so das Wüstengefühl kurz erleben. Das Camp gibt es aber nicht mehr, der Tourismus ist eingebrochen, und meine Führer zieht es sowieso viel weiter in den Süden. Nach einem kurzen Exkurs ins Wasser - wieder wunderbare Korallen, doch heftigste Brandung und Wind, leider nichts für mich – landen wir in dem 280km südlich gelegenen Shalatein. Bekannt ist der Ort für seinen Kamelmarkt. Heute hatte es nur wenige Tiere auf dem staubigen Platz, doch morgen sollen selbst aus Saudiarabien noch Kamele kommen, überhaupt ist Shalatein ein Handelsknoten zwischen dem Sudan und Ägypten. Viele Lastwagenfahrer hat es hier, Touristen hingegen gelangen nur selten soweit und dann meist in Gruppen. Im Moment bin ich nicht nur die einzige Touristin, sondern – und vor allem – die einzige Frau in dem Ort. Nicht einmal in einem Fensterrahmen habe ich ein Gesicht hervorblitzen sehen. Das habe ich noch nirgendwo erlebt. Merkwürdigerweise haben diese Wüstenmänner mir gegenüber dennoch eine Würde, sind weder abweisend noch aufdringlich, ich fühle mich wohl hier. Gross gewachsene schlanke Figuren, verwitterte Gesichter, ein paar geniale Opfer zum Portraitieren finde ich auch. Etwa den melancholisch traurigen Kamelhändler, der an seiner Wasserpfeiffe saugt. Er habe einen Handel nicht abschliessen können, weil ihm 2000 Pfund fehlten, erklärt mir Mohammed. 2000 Pfund sind rund 380 Franken. Ein Kamel kostet etwa 1800 Franken, das finde ich einen stolzen Preis. In  Anbetracht dessen, dass die Männer 50 Kamele für mich geboten haben. Scherzeshalber. Doch das wären immerhin rund 90'000 Franken. Und ein Haus am Meer dazu.

Marsa Alam, 13.April 2012








Eigentlich wollte ich mir ja noch ein paar komfortable Tage in einem guten Hotel leisten. Doch irgendwie ergeben sich die Sachen anders. Jetzt sitze ich in einem zwar durchaus korrekten Hotelzimmer. Rücken gegen das Fenster - die Ägypter stellen die Betten gerne so, sie ziehen ja die Vorhänge sowieso nie auf - Blick Richtung Fernseher. Zu sehen gäbe es hier effektiv nur ein Gebäude im Rohbau vis-a-vis. Das ganze ist nochmals billiger geworden, ich zahle nur noch 17 Franken. Und bin nun wohl erstmals in einem wirklich ägyptischen Hotel abgestiegen, ich denke nicht, dass hier viele Ausländer vorbei kommen.

Die Fahrt 160km der Küste entlang südwärts empfand ich wieder einmal als gänzlich surreal. Die Wüste - immer noch eine Steinwüste - die bis zum Meer reicht. Alle Paar Kilometer ein Ressort, eingefriedete Städte eigentlich, Mauern um ein riesiges Geviert. Die Architektur manchmal kitschig, mit Dornröschentürmen und Aquaparks, im „Cinderella“ etwa, häufig aber von weitem gar nicht so schlecht, in nubischem Stil mit Kuppeln und Tonnengewölben. Doch selbst die Grasflächen wirken in ihrem satten Grün in dieser Gegend kitschig, die bunten Bougainvilleen und  Blumenrabatten ebenfalls. Am passendsten sind noch die Palmenalleen, die vielerorts bis zu den Eingangstoren führen. Ich kann mir absolut nicht vorstellen, wie man sich an solch einem Ort wohl fühlen kann, das ist alles vollkommen künstlich in dieser Mondlandschaft.

Doch, doch, wird Mohammed Solimann später sagen, für Leute, die einfach hierher kämen um sich zu erholen, gerade auch mit Kindern, da sei das ideal. Sonne das ganze Jahr über, er verstehe, dass die uns im Winter fehle. Immer gutes Klima, im Sommer meist ein erfrischender Wind, das könne schon ein Ort zum Entspannen sein, man müsse sich um nichts kümmern.

Nach knapp zwei Stunden Fahrt im Kollektivtaxi erreichen wir eine Ansammlung von Häusern, einen Kreisel, ich bitte, hier auszusteigen. Ich gehe der staubigen Strasse entlang südwärts, eine Toilette und einen Kaffee brauche ich, „Bakery“ ist rechts angeschrieben, ich folge dem holperigen Weg, mein Koffer springt über die Steine. Hinter dem Wasserturm steht ein erstaunlich gut gebautes Haus, doch wirkt alles verschlossen. Schliesslich finde ich eine offene Türe und gelange in einen angenehmen Raum und frage, ob ich hier frühstücken könne. Der einzige Gast meint in gutem Englisch ja, fragt mich, was ich denn wolle und bestellt beim Kellner auf Arabisch. Ich fühle mich in den Film „Out of Rosenheim“ versetzt.

Neskaffee mit Milch, Brot, eine Art Feta, Gurken, Tomaten und eingelegtes Gemüse kriege ich zum Frühstück, das passt mir bestens. Und Gespräche mit Mohammed, er arbeitet seit sechs Monaten hier, betreut Italienische Touristen, holt sie vom Flughafen ab und macht Touren mit ihnen. Mohammed spricht auch perfekt Deutsch, mit einem hübschen französischen Akzent. Wir sprechen den ganzen Morgen über Politik. Er sei schon immer politisch aktiv gewesen. Und nein, aus dem nichts sei diese Revolution nicht gekommen, das sei schon lange im Gange gewesen. Mit 20 habe er an der Uni eine junge Deutsche kennen gelernt und später geheiratet. Auch eine Weile in Deutschland gelebt, noch sehr jung sei er damals gewesen. Ein Kulturschock, ganz klar, doch er sei froh darum. Nein, dass die Muslimbrüder nun so stark seien, das gefalle ihm gar nicht. Er gehöre zu den 20 Prozent Liberalen. Dann gebe es noch 10% Kommunisten und 5% Leute in der Mitte. Doch klar, die Geistlichen seien nun in der Übermacht, das sei gar nicht in seinem Sinne. Am Fernseher laufen Bilder vom Trahir-Platz, eine riesige Menschenansammlung heute wieder. Man wehrt sich dagegen, dass ein Kandidat aus der ehemaligen Mubarak-Regierung vom Militär aufgestellt wird. Da hätte man ebenso gut den Mubarak behalten können, meint Mohammed.
Später kommt im Fernsehen die Übertragung des Freitagsgebetes aus der Al Aznar-Moschee. Der Polizist und die wenigen übrigen Männer, die im Kaffee waren, sind bereits zur Moschee gegangen. Ob er nie bete, habe ihn der Polizist gefragt, meint Mohammed. Nein, er sei nicht gut auf die Muslimbrüder zu sprechen.

In manchen Augenblicken ist man froh, wenn die Dunkelheit die Hässlichkeit verschluckt. Nachdem mir Al-Quseir karg vorgekommen ist nach dem Niltal, finde ich Marsa Alam schon fast schmerzhaft hässlich. Ein gänzlich neuer Ort in einer Strassenkreuzung in die Wüste geklotzt, kaum die Hälfte der Gebäude sind fertig gebaut, der grösste Teil steht noch im Rohbau. -  Mubarak, der habe in Sharm-el Sheik investiert und in Hurgada. Der habe die Entwicklung hier gebremst und als Konkurrenz empfunden, erklärt mir Mohammed. Deshalb sei man noch nicht weiter. Die Entwicklung ist also stecken geblieben, vermutlich nicht nur wegen Mubarak, jetzt, nach der Revolution, fehlt sowieso das Geld, zu wenige Touristen. Obwohl, meint Mohammed, es für Europäer immer noch interessant sei hier zu investieren. In Orten, wo die Entwicklung gefördert werden solle, bezahle man in Ägypten die ersten 5 Jahre keine Steuern. Laufe es nicht besonders gut, auch die nächsten 5 Jahre noch nicht. Geld nehme der Staat vor allem aus den Gebühren des Suez-Kanales ein, nicht aus den Steuern.
 
Ich spaziere durch diese Geisterstadt ans Meer hinunter. Abfall überall, den das Meer an den Strand geschwemmt hat. Der Wind ist immer noch sehr stark und kühl, ich kann mir unmöglich vorstellen, hier ins Wasser zu gehen. Zur falschen Zeit am falschen Ort.
Schliesslich macht der schon fast kitschig schöne Sonnenuntergang über der Wüste vieles wett und versöhnt mich etwas mit dem Ort. Und diesmal klingt der Ruf des Muezzins irgendwie tröstlich in die Nacht, so habe ich das vorher noch nie empfunden.

Al-Quseir, 12.April 2012









Man gewöhnt sich an Orte. Und Menschen. Das Hotel Quseir – obwohl etwas gar schäbig, im Gemeinschaftsbad ein Rinnsal, warmes Wasser habe ich noch nie gefunden, fleckige Polster. Doch die schlichten hohen Zimmer und der Ausblick aufs Meer machen das alles wett. Heute endlich, mit starkem Wind und Wellen, nimmt es die schönsten Blautöne an. Dunkelblau allerdings, nie türkisfarben, wie ich das von Sansibar her kenne. Wahrscheinlich wird das Wasser sofort sehr tief.
Nicht nur an das Hotel, auch den älteren Mann, der sich Dr.Badawy nennt, er habe diesen Ehrentitel bekommen, weil er schon viele Touristinnen mit seinen Massagen – bei einem Inder habe er das gelernt – geheilt habe, den vermisse ich. Heute ist er seine Frau in Hurghada besuchen gegangen. Ich habe es verpasst, mich von ihm zu verabschieden. Dabei war er wirklich immer sehr hilfreich und freundlich. Gilbert, der Westschweizer ist heute früh auch abgereist, ich fühle, dass auch für mich die Zeit gekommen ist.

An etwas werde ich mich wohl nie richtig gewöhnen, das sind die Fliegen. Wie Fliegen hat Mahmud immer gesagt, wie Fliegen seinen all diese fliegenden Händler, wir sollten sie einfach nicht beachten. Kein Gespräch mit ihnen beginnen. – Das ist wohl das Prinzip all dieser Ressorts hier an der Küste. Von hohen Mauern umgeben, Supermarkt, Bank, alles ist vorhanden. Und des Abends ein Ausflug in die Touristenshops.
Ich sitze neben der Strasse in einem kleinen Restaurant und esse Falafel. Und schaue den vielen Touristenbussen zu, die durch die Strassen kurven. Häufig sind die Vorhänge gezogen.

Fliegen sind hier sehr präsent und lästig. Ignorieren müsse ich die, meint Gilbert, ein bereits sehr ägyptengewohnter Mann. Je mehr man da herumschlage, sich wehre, desto mehr kämen die. Einfach stillhalten. Und das Kitzeln als angenehm, statt als Belästigung empfinden. - Es dauert wohl noch eine Weile, bis ich soweit bin.

Nächstens wird hier der Präsident gewählt. Das sieht man an den Wahlplakaten – hier allerdings immer demselben – einem älteren Herr mit Bart. Ein Auto mit Lautsprechern und hupendem Gefolge von Wagen und Motorrädern ist gestern mit diesem Plakat durch den Ort gekurvt. - Kaum der Kandidat von Dr.Badawi. Der ist für denjenigen vom Militär, der jetzt in der Übergangszeit regiert. In den hat er am meisten Vertrauen.
Heute hat es keine Kolonnen vor der Tankstelle. Offensichtlich hat es nun überhaupt kein Benzin mehr. Und die Autos rollen trotzdem weiter, selbst dieser Benzinnotstand bringt sie nicht zum Stillstand.