Montag, 2. Dezember 2013

27.November 2013, unterwegs


Am Anfang ist das Wort

Der Zug ist nur halbvoll, ich bin erstaunt, die Pendler sagen doch immer. Eine Frau mittleren Alters schminkt sich die Augen, in der linken Hand den Spiegel. Erstaunlich, wie sie das schafft mit dem Ruckeln des Zuges. Der Himmel zeigt sich hellgräulich hinter tiefschwarzen Tannenwipfeln, bei IKEA ein Streifen hellrot über dem Horizont, es wird ein schöner Tag werden. Der Mann vis-à-vis blickt nun zum ersten Mal auf, vorher war sein Kopf immer rechtwinklig abgekippt und auf sein Handy gerichtet, die Frau nebenan ist noch nicht fertig mit Schminken. Die Passagiere i-padden und –booken und ich stelle endlich mein i-phone an. - Doch, Gratiszeitungsleser gibt es noch. - In den Bürohäusern entlang der Geleise gehen die Lichter an, ich möchte wissen, was der Mann gegenüber genau macht oder liest, die Frau mit dem notebook surft im Internet, das sehe ich, diejenige mit dem i-pad ebenfalls, eine erste Wallung macht sich breit. Halbierte Weihnachtssterne an Masten in Rothrist, auch mein Gegenüber zieht sich nun aus, bei ihm muss das andere Gründe haben, mein knallgelber Kugelschreiber und der Notizblock haben hier seltenheitswert. Hoch oben auf dem Hügel eine Burgsilhouette, jetzt bereits vor hellerem Himmel, gleich darauf der Dampfpilz eines Atomkraftwerks. War das eben Olten? Die Rauchschwaden ziehen fast horizontal von den Kaminen Richtung Westen, Tobler steht angeschrieben, doch hier wird keine Schokolade hergestellt. Kopfhörer. Jetzt weiss ich wenigstens, was der Mann gegenüber macht. Und höre es auch. Misstrauisch schaut er mich an und schliesst dann die Augen. Die sich geschminkt habende Frau beschäftigt sich nun ebenfalls mit ihrem Handy, wahrscheinlich hat es einen Frost gegeben, Rockwell Automation. Gegen Osten nun eine Wolkenbank, darunter glüht der Himmel stumpf rot. Ein fröhliches Lachen weit entfernt im Abteil, erst jetzt fällt mir auf, wie ruhig es ist in dem Zug, Zuckermühle Rupperswil, LX292 um 9:25, der Burghügel von Lenzburg, Baukräne auch hier. Ein Raubvogel kreist langsam über einem Einfamilienhausquartier. Sauber und leer die Perrons in Killwangen-Spreitenbach, die Lagerhäuser Aarau sind in eine Art Alufolie gepackt, IKEA wieder, gelb auf blauem Grund, Güterwagen scheinen gute Ziele für Sprayer zu sein. Nasenartige Erker ragen aus Neubauten, Weihnachtsbeleuchtung, Zebra Box und Planzer und Julius Bär, Zürich, Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. Auch Stützwände sind bei Sprayern beliebt. Gähnend steht mein Gegenüber auf, bereits wird der Zug von frischen Passagieren geschwemmt, eine Nonne darunter, und die schwarzen Schuhe des neuen Nachbarn sind schmutzig. Weitere Flughafengänger mit Gepäck, eine Frau mit blonden langen Haaren spricht polnisch in ihr Natel, die ersten lauten Worte in diesem Zug, ihr Koffer ist prall gefüllt, Nationale Suisse. Auch die Frau, die sich geschminkt hat, parliert nun Osteuropäisch in ihr Dingsbums, das hätte ich nicht erwartet, mit den schwarzen Haaren und Augen sieht sie südländisch aus. Der Prime Tower ist kleiner als ich ihn mir vorgestellt habe, 2° in roter Leuchtschrift und die Sonne sticht grell durch das Gewölk.

Ich stehe beim Zoll dort an, wo die Beamtin mit einer Indischen Familie – oder sind es Tamilen? – freundschaftlich scherzt. „Schöne Ferien Frau Styner“, meint sie, die Nennung des Namens gibt das Gefühl besonders zu sein. In der Untergrundbahn wirft ein älterer Amerikaner seine Tasche heroisch zwischen die sich schliessenden Türen. Das könnte alles blockieren, befürchte ich, aber nein, die Türe öffnet sich wieder, seine Frau steigt auch ein, ich verliere den Faden, der Mann, der neben mir sitzt, meint penetrant „Tschuldigung“, nochmals „Tschuldigung“, das scheint mir zu gelten, „chönd sie nid ihri Täsche uf die anderi Syte nä“, die Amerikanerin umarmt ihren Mann, stolz und als Held steht er da. Lauter Baulärm irgendwo, Vogelgezwitscher und ein Juchzer aus der Konserve, nun bin ich bereits auf Gate E47.

Über Griechenland Richtung Ägypten, den Sudan, den westlichen Teil von Äthiopien, leichte Verspätung in Nairobi, 7h20min Flugzeit bis dort, wir müssen auf Gepäck von Anschlussflügen warten, dann nochmals enteisen, die Flügel sind eingefroren, meint der Kapitän. Boarding completed kurz darauf, heute werde ich eine Sitzbank für mich alleine haben. Italienisch und Swahili werden gesprochen, ich schlinge mein Kanga um die Schultern, stolz darauf, dass diejenigen, die draus kommen, nun merken, dass ich auch dazu gehöre.

10:08 beim Abflug, eine halbe Stunde Verspätung, ich habe heute noch nichts gegessen, der Hunger meldet sich. Ein sonniger Start, dann etwas mehr Wolken, die Landschaft wird weisser, starker Frost oder noch Schnee oder höher gelegen? Wunderschöne messerscharfe Schneezacken heben sich hell von ihren langen Winterschatten ab, wir sind über Österreich, die Wolken sind wieder weg und die Täler weiten sich Richtung Adria, werden breit und grün. Über Venedig endlich Apérogebäck, hungrig stürze ich mich darauf. Über der Lagunenstadt ein Wolkenmeer.
Pasta mit Pilz und Poulet mit Polenta, ich staune über Rhythmus und Klang und wähle die Hühnerbrust, sie ist erstaunlich gut gewürzt, einzig die süsslichen Rüebli fallen etwas ab. Ein Schwarzer mit tief in die Stirne gezogener Wintermütze ist auf dem Weg zur Toilette. Dunkel das Meer, hell leuchtend die schmale Strandlinie, bräunlich dunkelgrün das Land. Dünn besiedelte Berglandschaft, karg und verwundet von sich windenden Strassen und einem Windräderpark. Linzertorte und Kaffee über dem Meer.
Ein Kleinkind schreihalst die ganze Zeit laut durch das Flugzeug, ein paar k.o.-Tropfen wären da durchaus angebracht, ich versuche mich in Liegeposition zu bringen, Kreta vorüber, über dem Meer, Zeit für eine Siesta, doch möchte ich noch Kairo sehen. Das sehe ich dann aber nicht, laut den flight informations fliegen wir weiter westwärts, über die Libysche Grenze, dann wird auch mit dem Niltal nichts, dafür sehe ich schneeweisse Wölklein über merkwürdig rosarotem Wüstensand und dunklem Wolkenschatten, der den Boden zu einem gefleckten Raubtier macht.

Später merkwürdigen Risse und kreisrunde dunkelgrüne oder brauen Flächen im Sand, das sind moderne bewässerte Flächen, Strassen schnurgerade, bald fliegen wir über Abu Simbel und den dunkelblauen Nassersee, den kenne ich bereits von unten. Wellenförmige Strukturen noch später, das müssen Sanddünen sein, nächstens fliegen wir über Karthoum, ein dunkelbrauner Fluss hebt sich kaum vom verbrannten Land ab, wenig bewässertes Grün daneben, ist das hier der Nil? Geometrisch angeordnete Felder in unterschiedlichen Brauntönen und Ausrichtungen, immer schmal und lang und zu grösseren Einheiten zusammengefasst. Ich verstehe die Regel der Ausrichtungen nicht, einem abstrakten Gemälde gleich. Real italian hot snack, eine warme Spinatfüllung in Teig wird serviert, an Pizza erinnert das überhaupt nicht, ist aber gut, was es nicht alles gibt. Hier ragen die Wolkentürme weit über 12'000m hinauf, das Flugzeug rumpelt hindurch. Ali habe ich kaum verstanden an unserem letzten Telefon, derart trommelte der Regen zu Boden. Bis Ende November ist Regenzeit.

Im Sinkflug Richtung Nairobi bereits, es ist nun finstere Nacht, wir durchfliegen eine Wolkendecke, sehr sportlich, würden wir Gleitschirmflieger sagen, das Flugzeug zappelt durch die dichte Schicht. Als wir die Wolke verlassen, sind wir bereits tief über der Stadt. Wenige erleuchtete Strassen, weit zerstreut Lichter, afrikanische Städte sind extrem finster. Der Abflug nach Daresalaam dann praktisch leer, am meisten Leute noch in der business und first class, Geschäftsreisende, die bezahlen nicht selber, Touristen reisen in der Economy.

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