Montag, 9. Oktober 2017

2017.10.06, Sansibar


Salum will heute Bananen bei seiner Mutter abholen, die hat telefoniert, die seien reif. Ich nutze die Gelegenheit und fahre mit aufs Land. Mit Asfia, denn ich finde, dass die Kinder hier viel zu wenig hinaus kommen.
Safia meint Salums Mutter, nein, Asfia, korrigiere ich sie, und sie hartnäckig, ja, Safia. Ich glaube dem Geheimnis der afrikanischen Legasthenie auf die Spur gekommen zu sein, statt American, heisst es hier Marecano. Viele Wörter aus europäischen Sprachen lassen sich leicht buchstabenverdreht wieder erkennen. Eine Art Volkslegasthenie muss das sein, denke ich. - Salum erklärt mir später, nein, er habe seiner Mutter gesagt, Asfia heisse Safia, das sei für sie so einfacher. Safia, Sophie, sei ein verbreiteter Namen hier. Mgeni, die dem zweiten Kind den Namen habe geben können, die wolle immer so moderne Namen. Asfia, das habe er vorher noch nie gehört, das kenne man hier nicht. Stimmt nicht, entgegne ich, in der Stadt höre ich den Namen Asfia für Mädchen im Alter seiner Tochter recht häufig, Modenamen gibt es offensichtlich auch in Afrika.


Abassi, der Junge, den Salum zu sich in die Stadt nehmen will
Der kleine Junge, der interessiert mit der zu gut gekleideten Asfia spielt, es ist ein Junge von Salums verstorbenem Bruder, hat einen Bleistift. Ich frage ihn, ob er mir seinen Namen aufschreiben könne. Er schreibt Abssi, Abassi heisst er, da fehlt ein Buchstabe und der B ist spiegelverkehrt geschrieben. Speziell ist aber vor allem, dass er von links nach rechts schreibt. Wahrscheinlich beginnt er bereits auch die Arabische Schrift zu erlernen, denn die schreibt sich von links nach rechts.



Vorgestern habe ich Asfia auf ihr Drängen hin mit zu mir hinauf genommen. Wäsche waschen, das könnte etwas sein, das man mit einer Dreijährigen machen kann, denke ich. Ich fülle die grossen Wasserbecken auf der Terrasse und stampfe die Kleider mit den Füssen, denn so werden die gleich wieder sauber, die Einheimischen machen das nicht so. Asfia hilft mir dabei tatkräftig und beginnt vor Freude immer lauter zu quietschen. Dann sitzt sie gleich in das Becken und spritzt mit dem Wasser herum. Langsam wird mir das ganze unheimlich, das Kind ist vollkommen überdreht. Ich merke, dass ich keinerlei Kontrolle mehr habe, was mich zu  beunruhigen beginnt. Irgend einmal bleibt mir nichts mehr übrig, als Asfia aus dem Becken zu zerren und das tropfnasse und sich kräftig wehrende Kind die Treppe hinunter zu tragen. Nun schreit sie wütend und wehrt sich, die hat bereits unheimlich Kraft. Zum Glück kommt gerade Salum nach Hause und übernimmt seine Tochter. Nein, solches mache sie sonst nicht, eigentlich sei Asfia scheu, er wisse nicht, was sie mit mir habe.
Mich wühlt das ganze auf, was habe ich falsch gemacht? Kann man mit einem kleinen Kind nicht etwas aus der Erwachsenennormalität heraus springen, wird es dann zwangsläufig unkontrollierbar? - Ja, die Asfia mache ihm etwas Sorgen im Moment, meint Salum. Auch steige sie immer wieder auf die Balkongeländer, das habe er ihr doch bereits mehrmals verboten. Ob man ihr wohl einmal Schläge geben müsse? Das verneine ich und Salum gesteht etwas hilflos, eigentlich wisse er doch auch nicht, wie man ein Kind richtig erziehen solle, das lerne einem niemand.


Die afrikanischen Frauen sind da etwas anders. Erstaunlich sorglos. Auf dem Land ist ein zweijähriger Knabe unter den Blicken seiner Mutter mit einem grossen Messer herum gerannt. Kurze Zeit später sehe ich Asfia mit diesem Messer und gebe es Salums Mutter, sie solle das wegsperren. Niemand sonst scheint sich hier Sorgen darüber gemacht zu haben. Genauso wie ich Zuhause kaum zuschauen kann wie die Kinder mit den schweren Türen spielen, Finger und Füsse oft nahe bei dem sehr breiten Türspalt. Ich sehe da dauernd zerquetschte Glieder. Bin aber ausser Salum offenbar die einzige, die solches nicht toleriert

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