Sonntag, 29. Juni 2008

28. Juni 2008


Heute Morgen früh gehe ich wieder einmal an den Strand joggen. Ich finde das hart, eben erst aus dem Bett gestiegen, mit steifen Gliedern. Doch nach sieben Uhr kommt die Sonne, da wird es zu heiss. Auch die Flut kommt momentan am Morgen und bedeckt den ganzen Strand um die Shangani-Nase herum, nur Felsbrocken und zerbröckelnde Quaimauern säumen dann das Ufer.
Wie immer ist ein kleines Völkchen, viele Habitués, die ich vom Sehen her kenne, daran sich leiblich – und auch geistig, eine Inderin kommt immer des morgens hier meditieren – mit Angesicht zur Meerespracht und des sich erhebenden Tages zu ertüchtigen. Heute sitzt der junge Afrikaner der für seine Schwitzübungen, gleich wie die Strassenwischer in der Schweiz, merkwürdigerweise immer ein oranges synthetisches Gilet anzieht zusammen mit einer Schwarzen mit knappem Trägerleibchen und daraus hervorquellender Fülle im Sand. Eine Frau vom Festland offensichtlich. Es ist doch schon komisch: Da lebt ein Volk friedlich und nackt vor sich hin, bis die Missionare und islamischen Bekehrer kommen und es in keusche Kleidung zwängen. Und merkwürdigerweise akzeptiert es das. Lange Zeit mindestens, der islamische Teil der Bevölkerung bis heute. Aber eigentlich fühlen sich diese Menschen in ihrer Nacktheit wohl, sie entspricht ja auch bestens dem hiesigen Klima, das sehe ich der Frau an. Sie hat nichts kokettes an sich, das ist bei ihr ganz natürlich. – Nur bei der Polygamie mussten auch die islamischen Bekehrer nichts nachhelfen, das liegt in der Natur der Afrikanischen Männer. Vielleicht der Männer überhaupt - und wurde einfach wegzivilisiert.

Etwas nördlich vom Serena Hotel, dessen Strand die äusserste Spitze der Halbinsel einnimmt und von Sicherheitsmännern bewacht wird, ist die Badestelle der indischen Kolonie hier. Die Inder lieben es, des Morgens minutenlang im Meer herumzusitzen und zusammen zu schwatzen. Obwohl laut dem Instruktor auf Chumbwe Island die Stone Town kein Abwasserreinigungssystem mehr hat - das muss irgendeinmal versandet sein, ist ja normal am Strand - und deshalb die Hygienewerte des Wassers nicht zu einem Bade einladen können. Doch was tut das den Indern. Die baden ja auch im Ganges. Dieses Morgenbadschwatzritual mindestens scheint ihnen gut zu tun.

Weiteres zur Wasserqualität. Saada, die Frau des deutschen Exkonsuls meint zu mir, sie koche das Leitungswasser hier, dann filtere sie es. Sicherheitshalber. Auf meinen Hinweis, wir würden das Wasser ab Hahnen trinken, nicht gerade unser eigenes, denn dessen Fassung ist ganz offensichtlich zu nahe am Meer, das hat einen salzigen Geschmack, aber dasjenige vom Lukmaan, meint Saada, das gehe auch. Ihre Nachbarn würden das ebenso machen. Man müsse sich dann halt einfach halbjährig entwurmen. Was mich etwas erstaunt, eigentlich dachte ich immer, dass das Wasser, wenn es unser Verdauungssystem ohne offensichtlichen Schaden passiert hat, unserem Körper wohl genehm sei. An nachwirkende Schäden habe ich noch nie gedacht. Ist wohl ebenfalls eine dieser hiesigen Medizinweisheiten.

Gestern Abend schauen wir sansibarisches Fernsehen. Die Nachrichten sind langfädig – ich verstehe ja auch lange nicht alles - doch auch Ali langweilt sich. Die meiste Zeit werden irgendwelche Magistraten gezeigt, die ihre Reden von einem Blatt ablesen. Nicht unbedingt ein erfreuliches Bild und meistens kommentarlos gebracht. Danach kommt Werbung und dies ist, was mich eigentlich interessiert. Bin ich doch daran, diesen Spot für den Lukmaan zu drehen. Dass Othmans Wunsch ziemlich hoch gegriffen ist bemerke ich sofort. Eigentlich werben im Fernsehen nur die vielen verschiedenen Telefongesellschaften. Aufwändig und poppig, die verdienen ja auch happig. Und auch der Präsident bringt im Staatsfernsehen einen Werbespot für sich. Darin entdecke ich auch den Journalisten, dem ich letzte Woche mitfühlend meine Meinung zur Pressefreiheit in Sansibar mitgeteilt habe. Das war wohl wirklich nicht die richtige Adresse.......

25. Juni 2008


Ganz offensichtlich hat der Stromunterbruch mir Gesprächsstoff geliefert, der nun ausgegangen ist. Ein normales Leben wieder, fast wie in Europa. Auch wenn ja die Unterwasserkabel nur geflickt wurden, nicht ersetzt, die nächste Katastrophe jederzeit folgen kann. Man hat jetzt keine Lust mehr, darüber nachzudenken.
Statt zuerst Kerzen und Zündhölzer, etwa eine Woche später dann Petroleumlampen, verkaufen heute alle Strassenhändler beim Markt Milch. Eine gewisse Logik hat das schon. Auch ich kaufe Milch ein und Käse, der Kühlschrank läuft wieder, die Sachen können aufbewahrt werden. Einzig Jogurt ist auch jetzt, mehr als eine Woche nachdem es wieder Strom gibt, noch kaum erhältlich.

Malaria und Medizin. Gleich wie bei uns in der Schweiz alles was Tropfen, Niesen, Husten und Kopfschmerzen verursacht als Grippe abgestempelt und nicht simpel Erkältung genannt wird, ist hier die arme Malaria der Sündenbock für jegliches Unwohlsein schlechthin. Obwohl die Malaria statistisch gesehen seit dem amerikanischen Einsatz mit der Giftkeule vor anderthalb Jahren ganz eindeutig und drastisch abgenommen hat. Allerdings haben sich die Behandlungsmethoden jetzt geändert. Die Malariamedizin aus den Gesundheitsstationen, die sehr unangenehme Nebenwirkungen hat, Juck- und Brechreiz auslöst, wird jetzt nur noch selten eingesetzt. Hingegen wird wieder auf die Naturmedizin geschworen: Dreimal täglich der Saft einer Kokosnuss vermischt mit dem Saft zweier Limetten getrunken. Schaden tut das sicher nicht, ein äusserst vitaminreiches Gemisch, das mir persönlich ausgezeichnet schmeckt. Etwas merkwürdiger ist für mich, das die Leute überzeugt sind, dass körperliche Tätigkeiten - joggen und schwimmen vor allem - bei Unwohlsein heilsam seien. Ich mindestens, die ich mich diese Tage auch etwas kränkelnd und energielos fühle, es ist nun recht kühl in der Nacht, habe recht Mühe, mich zu diesen Tätigkeiten aufzuraffen.

In zwei Wochen beginnt hier das Filmfestival. Ich gehe nochmals im Büro der Organisation vorbei und erfahre, dass mein Film gezeigt werden wird. Und noch viel besser, nicht tagsüber, wo im allgemeinen eine Gästeschar von 10 – 20 angefressenen Filmfreaks den Vorführungen im „House of Wonders“ beiwohnt, sondern bestens platziert am Freitag Abend in der Vorstellung in der Arena. Das freut mich natürlich riesig und macht mich auch etwas nervös.

Donnerstag, 19. Juni 2008

18. Juni 2008


Es wurde Licht.
Nach 28 Tagen wurde der Strom heute wieder eingeschaltet. Geglaubt an die wiederholten und immer wieder verschobenen oder einfach nicht eingehaltenen Ankündigungen haben wir schon lange nicht mehr, eigentlich habe ich mich bereits damit abgefunden, dass ich vermutlich erst zurück in der Schweiz zum ersten Mal wieder einen Lichtschalter betätigen würde. Doch letzte Nacht haben alle Leute, die ein Abonnement bei Zantel, einer der hiesigen Telefongesellschaften haben, ein SMS gekriegt, heute um neun Uhr morgens werde der Strom eingeschaltet. Etwas aufgeräumt waren die Leute schon, als ich am Morgen durch die Stadt in den Lukmaan lief. Neun Uhr war bereits vorüber, noch kein Strom, man war sich nicht so sicher. Ich bin dann mit Evelyn, der deutschen Freundin vom Mohammad Richtung Nungwi aus der Stadt hinaus gefahren. Und auf dem Weg zur Nordküste haben wir die Nachricht erhalten, der Strom sei nun zurück. In Nungwi selbst machte etwa zwei Stunden später eine Frau einen Juchzer und kurzen Freudentanz, die Stereoanlage im Restaurant brachte laute Musik und erst jetzt begriff ich den Grund der Freude: Der Strom hatte nun offensichtlich auch Nungwi erreicht. Auch ich freue mich. Obwohl ich mir gleichzeitig sage, ist doch lächerlich, auch diese Festvorbereitungen, die Girlanden, die heute Morgen im Jaws Corner aufgehängt wurden. Eigentlich ist das doch ganz normal, dass der Staat für den Strom sorgt. Man hat doch das Recht zu schimpfen, wenn keiner da ist und muss nicht feiern, wenn etwas zurück kommt, was doch eigentlich ganz normal.......
Item, wir haben einen schönen Tag an der Nordküste verbracht. Etwas traurig gleichzeitig, jedes Mal, wenn ich dorthin fahre, ist die Küste schlimmer zubetoniert, der Ort verändert sich rasant, wenn das so weiter geht, wird es mir wohl einst ergehen wie dieser Frau, mit der ich einmal im Flugzeug nach Cancun Bekanntschaft gemacht habe. Die mir sagte, sie habe Cancun, den beliebten Touristenort in Mexiko, das letzte Mal vor 20 Jahren besucht. Das sei ein hübscher Fischerort gewesen. Wie enttäuscht musste sie über den heutigen Zustand der dortigen Küste gewesen sein.
Zurück in der Stone Town am Abend, bin ich doch etwas erstaunt, wie wenig sich geändert hat. Kein Generatorenlärm mehr, etwas mehr Licht in den Strassen und das Wort „umeme“, Strom, das schnappe ich bei den Gesprächen häufig auf. Zu Hause ist es dann schon ein erhebendes Gefühl, auf den Lichtschalter zu drücken und einfach Licht zu haben. Unheimlich hell erscheint mir unsere Wohnung.

17. Juni 2008


Beim Privatfernsehsender ITV verrechnet man die TV-Spots in 15 sec Schritten. Eine Minute sei zu lang, meint der Mann dort, wohl auch zu teuer, denke ich. Es habe anfangs Juni eine neue Preisliste gegeben und die sei noch nicht hier. Ich solle am nächsten Tag wieder kommen. Auch heute klappt das allerdings nicht, doch dafür kommen wir ins Gespräch. Er zeigt mir seinen Presseausweis. Nachrichtenredaktor heisst es da. Mitfühlend meine ich, das sei hier wohl keine einfache Aufgabe. Wie ich das meine? Zu Neuigkeiten zu kommen, das Recherchieren. Zum Beispiel diese Stromangelegenheit..... Nein, findet er, da sei sehr gut informiert worden. Und wendet sich seiner Zeitung zu. Ich vermute, dass ich den Mann in seinem Berufsstolz verletzt habe. Ali hingegen meint, ITV, der Pressekonzern mit acht Zeitungen, einer Radio- und einer Fernsehstation sei zwar privat, aber eben der Regierungspartei nahe stehend. Als Journalist könne man sonst gar nicht erfolgreich sein.
Wartend habe ich reichlich Zeit, mich im Büro umzusehen. Bücherberge, Papierstapel, Schulhefte, Tafelkreiden, alles wild durcheinander. Wie man hier nur effektiv arbeiten kann. Bei einer einzelnen Person geht das ja noch, kraft ihres Gedächtnisses wird sie sich in ihrer Unordnung zurechtfinden. Doch wie ergeht es einer Aushilfe oder Ablösung in solch einem Wirrwarr? - Dieses chaotische Aussehen der Orte fällt mir hier ganz allgemein auf, sei es beim Fernsehen, in irgend einem Regierungsbüro, wo auch immer. Und eigentlich denke ich, dass das unorganisierte, uneffektive Arbeiten eben bereits hier anfängt. Jeder bastelt etwas vor sich hin, das Wissen wird nicht geteilt, kann so gar nicht geteilt werden. Ich stelle mir vor, dass diese Papierstapel, einmal abgelegt ewig liegen bleiben und Staub ansetzen. Wohl deshalb hat es hier unheimlich viele Regierungsgebäude, unheimlich viele Ministerien. Die Endlagerung des ganzen Papierausstosses braucht eben Platz. Und ich phantasiere weiter, dass alle Angestellten, wenn sie einmal ihren Raum bis oben hinauf angefüllt haben mit Akten, einfach einen neuen Raum beziehen. Kafka lässt grüssen. War Kafka in Afrika?

Heute bin ich mit dem Motorrad nach Bweni hinaus gefahren, ins Büro des Chumbwe Island Coral Parkes und habe dort die Leiterin getroffen. Doch, natürlich sei man interessiert, wenn ich mich dieser Ausstellung annehmen wolle. Es wird vereinbart, dass ich am Freitag mit einer Schulklasse auf die Insel hinaus fahre und so auch Gelegenheit haben werde zu schauen, was für Programme sie mit den Kindern machen. Zeit auch, die Ausstellung anzuschauen und mir Gedanken darüber zu machen, was man verbessern könnte. Und Mittagessen mit den Hotelgästen ebenfalls. Darauf freue ich mich sehr. Die Küche des Marinen Schutzparkes ist eine der besten, die ich hier auf der Insel kenne. – Bezahlen könne man mich nicht gross, das sei eben eine gemeinnützige Angelegenheit, doch in Naturalien liege das drin. Da könne ich auch einmal mit meinem Mann oder sonst jemandem Übernachten gehen. Mal schauen, ob das den Ali reizt.

Jaribu ruft Ali einem der Kellner, dem Jungen, der aussieht, als wäre er noch ein Kind. Viele Sansibaris sind von sehr kleinem Körperwuchs und wirken so viel jünger. Jaribu, frage ich? Das heisse doch „Versuche es“. Ja meint Ali, das sei eben ein Name. Gleich wie Fadhili, der Name eines anderen Kellners, „derjenige, der jemandem eine Gunst erweist“ bedeute. Oder Mtumwa, der Sklave. „Sklave Gottes“, meint Ali auf meinem ungläubigen Blick hin, eine Ehre sei solch ein Name.

Gestern Abend treffe ich Othman beim Arabisch lernen. Das sei eben Pflicht für einen Muslim, Arabisch sei die Sprache des Buches, die sollte jeder Gläubige sprechen können. Nein, das Arabisch des Korans sei nicht anders als das heutige Arabisch, denn die Sprache habe sich ja immer am Koran orientiert, findet Othman. Ich bin etwas erstaunt über seinen plötzlichen Glaubenseifer, bisher habe ich kaum etwas davon bemerkt. Aber wahrscheinlich geht es ihm mit zunehmendem Alter gleich wie anderen. Wenn man nicht älter würde, nicht krank werden könnte und sterben, meint Ali, dann wäre das anders, da wäre man kaum derartig strikt im Glauben. Aber sterben müssten wir eben alle und da sei es besser vorzusorgen.

16. Juni 2008


Der Werbespot sei ein einziges Mal, am Samstagabend vor den Nachrichten gezeigt worden, meint Ahmed Talib, der freundliche Programmdirektor von Sansibar-TV. Dürfe aber jetzt nicht mehr ausgestrahlt werden, er habe am Sonntag ein Telefon diesbezüglich erhalten. Warum denn, frage ich unschuldig. Ich müsse verstehen, antwortet er, wir seien hier in Afrika, die Regierung möge Kritik nicht besonders und sie seien ein staatliches Fernsehen. Auch sie hätten in den Nachrichten fast dieselben Bilder gezeigt wie ich, laufende Generatoren, meint er weiter, nur eben anders herum. Wie denn dies zu verstehen sei, frage ich weiter. Da seien eben die Leistungen der Regierung hervorgehoben worden, nicht das Unschöne daran. Okay, ich habe verstanden. Und nehme es dem Herrn Talib auch nicht übel, der kann nichts dafür, Weisung von oben, was will man da in Afrika. Und meint noch, ich solle es doch bei einer privaten Fernsehstation versuchen. Was ich mir auch schon überlegt habe. Oder dann gleich bei TV-Tansania. Die werden das kaum zensurieren. Eher noch eine hämische Freude empfinden über diesen Seitenhieb. Weil man auf dem Festland auch nicht unbedingt glücklich ist über die Sansibarische Regierung. Doch nichts unternimmt, weil man noch mehr Angst hat vor einer anderen.

Am Eingang des Fernsehgebäudes standen heute übrigens zwei Wachmänner mit roten Berets und Maschinengewehren statt nur einem, plus einem zivil gekleideten, mich äusserst feindselig anstarrenden Mann, der aus einem Kriminalfilm hätte stammen können. Typ Geheimdienstler, das war mir sofort klar. Der wollte sehen, wer denn diese Frechheit gebracht habe, unser Rendezvous zwecks Abholung der Quittung war ja bekannt. Das Geld für die zwei weiteren Ausstrahlungen könne er mir leider nicht zurück erstatten, hat der Programmdirektor noch gemeint, denn die Quittung sei bereits geschrieben gewesen. Aber ich könne das dann beim Werbespot für das Restaurant einsetzen, den ich ihm bereits angekündigt habe.
Und den ich übrigens sehr gerne zu drehen beginnen würde. Nur kann man momentan ausser Filmen, in die das Generatorengeknatter passt, überhaupt nichts machen. So beginne ich, mit Ali und Othman über den Inhalt des Werbespots zu diskutieren. Was denn das Besondere sei am Lukmaan, was man hervorheben solle. Ich solle schreiben, hier gäbe es das beste Biriani, den besten Pilau und Tee, das seien die Sachen, die den Leuten am stärksten am Herzen liegen, meint Othman. Ali und ich finden das mit dem „am besten“ wenig originell und möchten eher hervorheben, dass der Lukmaan von morgens früh bis abends spät eine breite Wahl warmen Essens von guter Qualität anbiete. Das könne man nicht garantieren, dass am Abend noch warmes Essen vorhanden sei, wendet Othman ein, offensichtlich betupft über meine Kritik, das heute Abend bereits um acht Uhr nicht einmal mehr Reis erhältlich war, selbst der Tee war ausgegangen. Eigentlich wurde in den letzten zwei Stunden kaum mehr etwas verkauft, da so ziemlich alles ausverkauft war. Was ja auch schön ist. Und die Kritik von schlechter Planung, die hört man nicht gerne. Wenn das Biriani gut sei, dann sei es immer bereits am Nachmittag ausverkauft, meint Othman. Ich finde, da müsse man halt eben statt bisher fünf nun sechs oder sieben Kilos kochen, denn die Zubereitung dieses Gerichtes ist sehr aufwändig, das kann man nicht zweimal pro Tag machen. Othman will das nicht einsehen. Obwohl gerade er es ist, der immer behauptet, nur eine Steigerung der verkauften Essensmenge könne zu einem Gewinn führen. – Nach den bereits sehr aufwändigen Gesprächen um den Inhalt der Werbung entschliesse ich mich, die Sache alleine anzugehen, es ist ja mein Geschenk an den Lukmaan. Othman hat das immer gewünscht und jetzt weiss ich ja, dass Fernsehwerbung hier sehr günstig ist. Die günstigste in ganz Ostafrika, hat der Programmdirektor präzisiert, sie dürften eben nicht mehr verlangen, das sei staatlich vorgeschrieben. Und klagt gleichzeitig über die schlechte Finanzierung durch die Regierung. Zum Glück habe man Freunde, die Chinesen, die momentan die Digitalisierung des Fernsehens vorfinanzieren würden.

Überhaupt die Chinesen. Heute lese ich in der Zeitung „The Guardian“, dass die Zusammenarbeit mit dem Westen zu vergleichen sei mit Reiter und Pferd, wobei mit dem Pferd natürlich die Schwarzen gemeint seien, von Gleichberechtigung sei da keine Spur, die Verträge so gemacht, dass die Armen arm blieben und die Reichen reich. – Wie ganz anders sei da die Zusammenarbeit mit den Chinesen. Die langjährige - das hat ja bereits zu Tansanias kommunistischer Zeit unter Nyerere begonnen - Zusammenarbeit bringe beiden Seiten gleichermassen Gewinn. Und der Geber, also China, stelle beim Geben keine Bedingungen. Zwischen China und Afrika sei abgemacht, dass man sich gegenseitig nicht in die Innenpolitik einmische, auch nicht bestimmen wolle, wie die Hilfe genau eingesetzt werde. – Das kann ich gut verstehen, dass man sich in diesen Punkten prächtig versteht. Sowohl in China wie auch hier werden die Menschenrechte kaum beachtet, Pressefreiheit und so weiter. Das schadet nur der Stabilität des Staates.
Trotz teils berechtigter Kritik an der Zusammenarbeit mit dem Westen: Ich glaube, dass die Afrikaner doch recht blauäugig sind und nicht merken, dass das Interesse der Chinesen vor allem auf ihre Rohstoffe gerichtet ist. Und den riesigen Markt, den man mit Billigstware – so billig kann man im Westen nie produzieren – überschwemmt. Mit Ware, die innert kürzester Zeit nur noch Schrott. Und ein Entsorgungskonzept, hier dringend benötigt, das bringen die Chinesen wohl kaum mit. Das sponsert dann vielleicht irgend einmal die EU, wenn die Lage hier katastrophal genug geworden ist.

Seit ein paar Tagen bin ich stolze Besitzerin eines sansibarischen Motorrad- und Autofahrausweises. Und drehe nun auch täglich meine kleinen Übungsrunden in der Stadt und den Vororten herum. Was erstaunlich viel leichter geht, als ich mir das vorgestellt habe. Einmal im Verkehrsfluss, gleite ich einfach mit und die Verkehrsteilnehmer sind aufmerksamer, als ich mir das vorgestellt habe. Meine spürbare Unsicherheit wird nicht ausgenutzt, im Gegenteil habe ich das Gefühl, dass man mir etwas mehr Platz als anderen übrig lässt. Item, langsam fühle ich mich sicherer und habe sogar zwischendurch Zeit, kurz mit der Hand zu grüssen, wenn mich jemand beim Vorbeifahren erkennt und mir freudig zuruft. Was mich immer wieder erstaunt, habe ich doch das Gefühl, dass ich mit dem Helm auf dem Kopf, einer Tarnkappe gleich, wohl kaum mehr zu erkennen sei.
Zurück zum Verkehr. Hier sind die Regeln einfach, der Grössere ist der Stärkere, hat also Vortritt. Der Lastwagen kommt vor dem Range Rover, dieser vor einem kleineren Auto, dasjenige wiederum vor dem Motorrad, die nächst tiefere Stufe ist das Velo und ganz unten ist der Fussgänger. Respektiert man das, dann ist bereits viel gewonnen und im Prinzip vereinfacht dies das englische Linksfahrsystem gewaltig. - Komplexer zeigt sich das europäische, besser das schweizerische Verkehrssystem, wo das Fahrrad vor den Motorisierten kommt, der Fussgänger ebenfalls vor den Motorisierten, nicht aber vor dem Fahrrad, denn hier verdreht sich das Vortrittsprinzip des Schwächeren, die afrikanische Hackordnug des Stärkeren wird merkwürdigerweise von den schweizerischen Velofahrern ebenso praktiziert.

Bei meinen Motorradtouren stelle ich fest, dass es nun Winter geworden ist. Um fünf Uhr abends, die Sonne ist am sinken, fröstle ich bereits, als ich im T-shirt vom Motorrad steige und des Abends schliesse ich nun die Fenster gegen das Meer hin zu und lege ein zweites Leintuch über das Bett und die kalte Dusche am morgen braucht schon einige Überwindung.

15. Juni 2008


Die auffällig grauen Raben hier, mit schwarzen Flügeln und Köpfen, sind fremde Fötzel. Aus Indien eingeführt vor langer Zeit von den Parsi, einer religiösen Gemeinschaft, die es gewohnt ist, ihre Toten auf den Hausdächern den Vögeln zum Frass vorzulegen. Dies wurde ihnen zwar verboten, die muslimische Mehrheit der Bevölkerung hielt wenig von dem Brauch, doch die Raben waren da und vermehrten sich freudig und wurden zu der Plage, die sie heute sind. Ganz offensichtlich können sie auch ohne Leichenschmaus bestens überleben. - Was umgekehrt von den Parsi nicht gesagt werden kann. Bis auf eine einzige Familie sind sie hier ausgestorben. Vermutlich nicht wegen der mangelhaften Bestattungsmöglichkeiten.

Ali kauft sich auf dem Altkleidermarkt neue Hosen ein. Statt sie anzuprobieren, hält er den Hosenbund um seinen Hals. Einmal gefaltet ergibt dies seinen Halsumfang. Und behauptet, dies sei eine zuverlässige Methode. Halsumfang mal zwei gleich Hosenbundumfang. Das stimmt bei ihm dann merkwürdigerweise sogar. Dass da der Bauchumfang eine gewaltige Rolle spiele, das will er nicht gelten lassen.

In den raren ruhigen Stunden zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens werde ich von einem hässlich lauten Gezetter-Gequake-Geschnatter aufgeweckt. Ein Vogel, ein Frosch? so was habe ich noch nie gehört, merkwürdig rhythmisch das Ganze, Strophen gleich, immer dieselbe Melodie sich wiederholend. – Eine Komba sei das, meint Ali, ein Buschbaby, ein Halbaffe also. Die ernähren sich von Früchten und scheinen hier in der Stadt leichter Abfälle zu finden, als in den Bäumen auf dem Land Früchte, denn diese werden oft abgelesen, bevor sie wirklich reif sind. Ich kenne den Ruf der Kombas. Penetrant laut ist er immer, aber normalerweise eher etwas zwischen Katze-Baby-Vogel. Das sei eben ein Warnruf gewesen, meint Ali, das Buschbaby habe etwas Beängstigendes gesehen, eine Schlage oder so. Eine Schlage hier? Nicht besonders plausibel, ich bohre nach. Wie ich bereits vermute, denkt Ali an einen Dämonen. Die Tiere sähen die eben, wir Menschen nicht. Häufig passiere es, dass ein Esel, eine Kuh auch oder ein anderes Haustier an einer bestimmten Stelle einfach nicht mehr weiter gehen wolle. Dann hätten die eben einen Dämonen gesehen, das sei der Grund dafür.

Ich zeige Ali den TV-Spot zum Stromdebakel hier in Sansibar. Schöne Aufnahmen vom Sonnenuntergang, Touristen im Tembo Hotel und der Spruch „Sansibar island, the tropical paradise on the East African coast“. Dann langsam immer lärmiger, die Generatoren rücken stärker ins Bild, der Schnitt wird immer schneller, der Ton lauter, bis Ton und Bild abrupt abbrechen. Finster. Dann der Satz „Sansibar, a tropical paradise on the East Aftrican coast?“. Schluss. Ich möchte, dass Ali mir dies in Swahili übersetzt und auf den Clip spricht. Damit alle die Botschaft verstünden. Das gehe nicht, meint er jedoch, das könne man nicht übersetzen. Paradies, ein entsprechendes Wort existiere zwar, doch gemeint sei damit der Ort, wo man hinkomme nach dem Tod - wenn man Allah gefällig gelebt, und zusätzlich etwas Glück gehabt habe, denn bekanntlich gibt Allah wem er will. Dies mit einem erstrebenswerten Zustand im Diesseits zu verbinden, das sei für einen Sansibari nicht verständlich, in erster Linie denke der da an den Tod, nicht an etwas Angenehmes in diesem Leben.

Zur Abwechslung und Beobachtung der Konkurrenz gehe ich heute im „Mzuri Sana“, einem einheimischen Lokal essen. Der Hamburger mit Mayonnaise, frischer Gurke und Peperoni ist eine gewagte Wahl, schmeckt mir jedoch und schadet auch meiner Verdauung nicht. Das hätte anders ausgehen können, das Lokal ist erstaunlich schmutzig. Die Tische verklebt von Speisen und belagert von Fliegenschwärmen, in den rückwärtigen zwei Räumen stapelt sich der Abfall. Hier also kommt ein eher gediegen aussehender Schwarzer herein und stellt sich mir als Arzt aus Kenya vor. Er baue in Kiwengwa, dem gediegensten Touristenort an der Ostküste, ein Fünfsternspital auf, erklärt er mir stolz. Nun gibt es also selbst bei den Spitälern Sterne. Ich antworte ihm, dass ich es nützlicher fände, wenn das hiesige öffentliche Spital sich in einem weniger erbärmlichen Zustand befände. Und alsbald ist mein selbsterwählter Gesprächspartner nicht mehr an einer Unterhaltung interessiert.

14.Juni 2008


Eben war ich an der Ausstellung der Henna-Painter im wieder eröffneten Livingstone Restaurant. Und sah dort einen Weissen mit einem grossen Mac-Labtop, nahm deshalb an, der sei der DJ, doch weit gefehlt, er sprach mich an und meinte, ich sei doch die Frau aus der Schweiz. Er habe mich, beziehungsweise meinen Pass, vorgestern im Hafen gesehen, als ich daran gewesen sei, meine ersten Schritte auf dem Weg zu einem sansibarischen Fahrausweis zu machen. Ob ich den inzwischen erhalten habe? Ja - er ebenfalls. Und sei Biologe und Student und arbeite momentan für Chumbe Island, den Marinen Schutzpark. Ich finde das sehr interessant und denke auch langsam, dass alle Weissen hier offensichtlich problemlos Jobs in NGO’s finden, denke also, dass auch ich wohl etwas aktiv werden sollte. Und erzähle ihm, dass ich die Ausstellung im Ausbildungszentrum dort dilettantisch finde, dass man das viel spannender machen könnte. Da willigt er ein. Das sei eben alles von Freiwilligen gemacht worden. Oder schlecht bezahlten, wie ihm. Die würden alle nicht viel länger als zwei Monate bleiben und das reiche eben nicht aus. Wenn ich da Vorschläge habe, sei das willkommen. Der Mann gibt mir sein mail. Und ich habe im Sinne, mich nächste Woche zu melden. Obwohl ein Engagement meinerseits jetzt zu einem dummen Zeitpunkt kommt. Wo ich mich doch eigentlich entschlossen habe, meine Zelte hier abzubrechen und den Mietvertrag im November nicht nochmals zu erneuern. Weil sich die Geschichte mit dem Ali sonst nie auflösen wird. Er hindert mich daran – psychologisch nur – ein neues Leben anzufangen und ich desgleichen ihn. Ein Zusammenleben wiederum scheint definitiv nicht möglich, denn er beharrt darauf, dass ich nicht ehrlich gewesen sei bei der Hochzeit. Nicht wirklich an Gott und vor allem seinen Gesandten Mohammed glaube - worauf ich wenig entgegnen kann. Unsere Ehe sei deshalb gar nicht gültig. Es wäre deshalb eine Sünde, wenn er sich weiterhin wie mein Ehemann benehmen würde, wir Zärtlichkeiten austauschten, im selben Bett schliefen, Sex gar. All dies wäre Sünde. Weiterhin als Freunde zusammen leben, das gehe schon. Was wir nun tun - man ist ja vernünftig und sieht den Konflikt - und im allgemeinen gar nicht so schlecht. Nur kommt da zwischendurch doch immer wieder Frustration auf, ich spüre Eifersucht, unberechtigte zwar, und merke, dass diese Geschichte erst abgeschlossen ist, wenn wir uns nicht mehr nahe sind.

Und jetzt plötzliche fange ich an, mich hier heimisch zu fühlen. Ich lerne momentan viele Leute kennen, wichtige Steine im hiesigen Puzzle scheint mir. Ich kenne das, sobald man eine genügende Anzahl von Bekannten gemacht hat, dann geht das lawinenartig weiter, ist bald nicht mehr zu bremsen.......vielleicht träume ich. Doch seit ich vor rund einem Monat beschlossen habe, dass ich mein Leben hier nun alleine in die Hände nehmen muss, ist wahnsinnig viel ins Rollen gekommen. Die Bekanntschaft im Lukmaan mit dem Belgier, dieser Malnachmittag am Donnerstag und die Leute, die ich dort getroffen habe, mein Entschluss, nun doch einen Fahrausweis zu haben und selbständig mobil zu sein, die Idee mit dem Fernsehspot, die Leute vom ZIFF nun. Und immer mehr Menschen hier scheinen festgestellt zu haben, dass es mich gibt. Und sprechen mich an. Eine berauschende Phase im heimisch werden eigentlich.

13. Juni 2008


Mein Tag war äusserst erfolgreich. Bereits früh am Morgen, bin ich auf den Hügel von Kilimani, einen Vorort Richtung Flughafen, hinaufgelaufen, um dort meinen Tanzanischen Fahrausweis in Empfang zu nehmen. - Nein, sehe ich gerade, es ist doch nur ein Sansibarischer Ausweis, der vermutlich gleichzeitig erlaubt, in Tansania herumzufahren, sehen kann man das nicht. „The revolutionary governement of Zanzibar“ steht auf dem schicken, digital hergestellten Ausweis in Kreditkartenformat, nichts von Tansania. Die tun wirklich auch nach vierzig Jahren noch so, als ob sie ein unabhängiges Land wären.
Der Ausweis wird mir in dem modernen, bestens ausgerüsteten Gebäude der Steuerverwaltung ausgestellt. Der Reichtum hier ist offensichtlich, sowohl am Gebäude, wie auch bei der Ausstattung und schliesslich bei den Angestellten. Selten habe ich soviel Gold und teure Kleidung an Frauen gesehen. Man ist hier eben an der Geldquelle. Und manch einer – meint Ali – könne bei den Steuern recht gut verhandeln, wenn er da ab und zu einer Person vertraulich etwas zustecke. Das Gebäude der Steuerverwaltung hat erstaunlicherweise auch moderne und wirklich saubere Toiletten, einen Waschraum und für die Frauen auch noch einen angegliederten Gebetsraum. Es sei verboten dort zu schlafen ist etwas vom wenigen, das ich auf dem Anschlag an der Türe verstehen kann.

Beim Baobabbaum, auf dem kleinen Platz neben dem Lukmaan sammeln sich jeden Morgen die Orangenverkäufer. Schichten die Früchte kunstvoll pyramidenförmig auf ihre Handwagen, schälen sie ebenso kunstvoll und anders als wir und schneiden sie entzwei, denn Orangen werden hier nicht ganz in Schnitzen gegessen, sondern ausgesaugt. Was bei den hiesigen, kernen- und faserstoffreichen Orangen sicherlich von Vorteil ist. Hier sei das „Orange-headquarter“ meint Ali einmal. Heute sehe ich daneben eine Gruppe junger Männer, die geröstete Erdnüsschen in kleine Plastikbeutel abfüllt und verknotet und auf flache Körbe schichtet. Das „Peanuts-headquarter“ ist also auch beim Lukmaan. Mit ihrer Ware verschwinden die Händler dann irgendwo in der Stadt und hoffen, mit dem Verkauf ein paar Rappen zu verdienen - oder träumen davon, reich zu werden.

Des abends bemerke ich am Strand des Tembo Hotels ein paradoxes Ding. In den Bäumen hängen falsche, elektrifizierte Petroleumlampen mit nervös flackernden roten Flammen. Vom Generatoren betreiben natürlich. Der auch auf der Hotelterrasse einen Heidenlärm macht. Das Tembo Hotel gehört einer hiesigen indischen Familie. Dies erklärt, weshalb man hier wenig sensibel ist für das Lärmproblem. Die Familienangehörigen, wie das üblich ist, sitzen oft zusammen direkt vor dem Generatoren und hören Radio oder schwatzen. Der Lärm scheint sie nicht im geringsten zu stören. – Schon eher erstaunlich ist die Aussage des ehemaligen Partners vom hier legendären Emerson, beides Amerikaner, Hausaufkäufer und -renovierer der ersten Stunde, Hotelbesitzer und bekannterweise schwul, das sei erstaunlich, wie wenig sich die Touristen über den Lärm beklagen würden. Diejenigen, die dies jedoch täten, die würden dies dann meist sehr exzessiv.
Im Mercurys Restaurant ist man wenigstens konsequent. Da gab es auch vor dem Stromunterbruch echte Petroleumlampen auf den Tischen, da wurde nichts verändert. Bereits vorher durften die Gäste hier im romantischen Dämmerlicht speisen, das es gänzlich verhindert zu sehen, was man überhaupt isst, noch viel weniger, die Speisekarte lesen zu können oder das Wechselgeld nachzuzählen. Da hat sich durch den Stromausfall überhaupt nichts verändert.

11. Juni 2008

Es werde Licht.
Am Montag werden wir Elektrizität haben. Dies ist das neuste Gerücht. Saada, die Frau des Exkonsuls will es von einem südafrikanischen Techniker vernommen haben, Ali von einem Kunden, der es wiederum vom Präsidenten im Radio gehört haben will, der Superpower kommt mit dem Gerücht und auch der Programmleiter des lokalen Fernsehens sagt dies heute Morgen zu mir. On verra, ich bin da vorsichtig geworden. Mein TV-Spot mit dem Generatorenkonzert im tropischen Inselparadies ist nun fertig gestellt, ich bin ganz zufrieden damit und am Schluss gab es noch ein paar technische Details zu lösen, aber Morgen sollten wir es für eine Ausstrahlung schaffen - falls er nicht doch noch der Zensur zum Opfer fällt. Die Leute vom Sansibar-TV sind sehr freundlich, haben ja auch viel Zeit momentan. Nein, leider könnten sie den Film nicht direkt von meinem Stick übernehmen, denn sie hätten ja nur von sechs bis neun Uhr abends Strom. Um ihre Sendungen auszustrahlen, aber gleichzeitig auch, um ihre ganzen Computerarbeiten zu erledigen. Trotzdem kommt selbst die zuständige Computerspezialistin um elf Uhr Morgens an ihren Arbeitsplatz. Ich solle zum ZIFF gehen, meint sie, zum Organisationskomitee des Filmfestivals, die hätten Strom und geeignete Computer, das sei eine NGO, die hätten Geld, die könnten meine DVD schon brennen.

Alles ist also auf gutem Weg mit diesem Werbespot. Einzig der Wachmann am Eingang zum TV-Gelände scheint mir nicht wirklich wohl gesonnen zu sein. In Uniform und mit Maschinengewehr bewaffnet herrscht er mich beim Hinausgehen an, was ich denn hier mache. Jetzt sei ich schon zum zweiten Mal beim Fernsehen vorbeigekommen.

Mit dem Namen einer vertrauten Person im Sack, gehe ich in das Büro des ZIFF. Da wollte ich schon immer mal hinkommen, welch ein Zufall. Meine Referenzperson ist zwar heute nicht an ihrem Arbeitsplatz, trotzdem hilft man mir bereitwillig weiter. Auf engstem Raum arbeiten hier eine ganze Menge von Leuten an Computern, auch einige Weisse, ich erkenne eine Teilnehmerin des Malnachmittags. Die junge Österreicherin ist wohl bereits seit einer Weile mit einem Sansibari verheiratet, mindestens ist ihr Swahili perfekt, ich bin ganz neidisch. Sie arbeitet hier als Bürohilfe. Eine weitere Frau, häufig Gast im Lukmaan, sehe ich später, es ist eine junge Weisse, die mit Kopftuch herumläuft und meistens auch mit einem sehr arabisch aussehenden Mann. Es ist eben doch eine kleine Stadt. Die zwei DVD’s werden mir problemlos gebrannt, ich muss nur die Rohlinge besorgen, obwohl das Brennen einen der wenigen Macs mehr als eine halbe Stunde beansprucht. Und gratis ist es ebenfalls, ich solle dem Angestellten einfach ein Trinkgeld geben - das wäre im Büro des Solothurner Filmfestivals wohl kaum so gelaufen. Während der Wartezeit schaue ich mich im Büro um, auf dem nicht verwendeten Labtop neben mir flimmert der Spruch „Please handle this equipment with care“ als Bildschirmschoner. Etwas später rechnet ein Angestellter auf dem Computer eine Excel-Tabelle mit einem Taschenrechner nach. Es muss sich um ein Ausgabenblatt handeln. Schrauben, Bretter und so weiter, Stück, Stückpreis und Total. Eine Frau in meinem Alter, elegante Erscheinung mit schwarzem Mantel und Kopftuch scheint die Chefin zu sein, alle gehen zu ihrem Arbeitstisch, beraten sich mit ihr, Katalog des Festivals, Werbung, Sponsorengelder, das Festival ist nun im Endspurt.

Dienstag, 10. Juni 2008

7.Juni 2008


Die Birimbi führen mich in den Kwality supermarket. Birimbi sind grüne Früchte, die ähnlich wie Cornichons aussehen. Ihre Haut ist aber nicht warzig, sondern glatt und die Bäume stammen ganz sicher nicht aus der Familie der Gurkengewächse. Vielleicht ein Malvengewächs – oder eine tropische Familie, die ich nicht kenne. Aber so genau will ich es ja auch nicht mehr wissen. Interessant ist, das man die Birimbi der Länge nach vierteln kann, mit Pilipili, mit Pfefferschoten und Salz mischen, in ein Glas einfüllen und dann an die Sonne stellen. Gekocht werden muss das nicht, beteuert mir unser Nachbar Superpower, der mir einen Sack voll von den Früchtchen schenkt. Die Sonne allein konserviere das. Auch Ali kennt die Methode und bereits nach einem Tag gibt das ein geschmacklich äusserst interessantes, salzig-sauer-scharfes Pickelgemisch, das es mit meinen heissgeliebten Salzgurken in der Schweiz längst aufnehmen kann. Vielleicht noch etwas saurer. Ali meint, nach einem halben Jahr könne man die austretende Flüssigkeit als Essig benutzen, sie hat schon jetzt einen spannenden Geschmack.
Diese Pickelmacherei führt mich in den Kwality supermarket. Mit etwas Vorstellungskraft erkennt man in dem Wort leicht den Supermarkt und Kwality ist auch unschwer als Qualität zu entziffern. Der Kwality Supermarkt also ist eine Art Loeb in Sansibar. Für gehobenes Publikum, untergebracht in einem verschnörkelten Neubau, Stil Dubai- und Emirate-Wunschtraum. Also nicht meiner. Ebenso wenig wie der grösste Teil der dort zu kaufenden Waren. Mehr als die Hälfte des Ladens ist angefüllt mit Plastikschrott. Spielsachen zuhauf, kitschige und unnütze Plastik- und Keramikziergegenstände, neben manchmal brauchbarem Küchengerät und Putzmitteln. Auch die vielen künstlichen Blumen - lange nicht in einer, der Natur täuschend echt nachgeahmten, Qualität wie bei uns - erfreuen sich hier grosser Beliebtheit. Was uns zwischendurch in den Laden führt, ist das relativ europäische Angebot an Nahrungsmitteln und Kosmetika und heute eben die Einmachgläser. Denn nach denen sind wir bisher erfolglos auf der Pirsch.
Glas wurde hier alles durch Plastik ersetzt. Auch der Kwality supermarket kann uns da nicht weiter helfen. Im noch viel europäischeren und sauteuren Supermarkt Richtung Flughafen später, ist es auch heute frostig kalt, die haben einen guten Generatoren, auch die Kühltruhen laufen, das ist selten im Moment. Trotzdem kaufen wir keinen Käse oder sonst etwas Gluschtiges ein, denn unser Kühlschrank macht ja immer noch Pause. Auch hier finde ich kein Glas. So hoffe ich halt eben, dass meine Pickel auch in einem Plastikgefäss an der Sonne über längere Zeit haltbar bleiben.

Der Stromstopp hat mich träge gemacht, meinen ganzen Rhythmus auf den Kopf gestellt. Da ich nicht mehr kochen kann und auch keine Lust habe, dies mit Kohle oder Kerosen, Brennsprit wohl, zu lernen, nehme ich jetzt bereits das Frühstück im Lukmaan ein. Gewürztee mit Milch, etwas Spinatähnliches, da gibt es zwei verschiedene Sorten, eine in Kokosmilch gekocht, dazu meist Kartoffelkroketten oder indische Teigtaschen, Samosas. Die übrigen Gäste bestellen Chapatis, Teigfladen mit dicken Bohnen, Tintenfisch oder Hühnersuppe. Auch eine Art Getreidebrei mit Hühnerfleisch ist beliebt, über den die Leute gerne Zucker streuen. Salzig und süss wird hier nicht getrennt gegessen, alles durcheinander, Vorspeise, Hauptgang und Dessert. Jeder stellt sich ein Mahl nach seinem Geschmack zusammen. Am einheitlichsten ist noch die Mahlzeit am Abend. Die meisten Leute bevorzugen da Tee oder warme Milch und irgend ein Gebäck, ob süss oder brotartig. Eine Art Café complet ohne Butter, Konfitüre und Käse. Vor dem Frühstück gehe ich – falls Ebbe ist – am Strand joggen, neu wasche ich darauf Kleider, denn auch unsere Waschmaschine weigert sich, ohne Strom ihren Dienst zu tun. Nach dem Frühstück, oft sitze ich eine Weile herum, schaue den Gästen zu oder schwatze mit jemandem, mache ich einen Gang durch die Stadt auf der Suche nach irgendetwas, das gerade benötigt wird oder erledigt werden muss und meistens ist es bereits elf Uhr, bis ich wieder zu Hause ankomme. Um diese Zeit ist es nicht mehr ganz einfach, mit Arbeiten anzufangen, doch irgendwie schaffe ich das dann doch, so bis etwa zwei-, drei Uhr. Darauf Mittagessen im Lukmaan, nachher Ausfahrt mit Ali, irgendetwas muss immer erledigt werden oder dann fahren wir ans Meer, dann bereits Sonnenuntergang, ich gehe hinaus und versuche, die täglichen Weltwunder mit Skizzen einzufangen. Nicht immer mit Erfolg. Und neu, nach sieben Uhr ist es hier im Winter, also momentan, finster, ohne Strom gar unangenehm finster, flüchte ich ins Internet, wo es Strom und Licht hat, später in den Lukmaan wo es ebenfalls Licht und Leute gibt und bleibe dann dort bis etwa um zehn.
Aber etwas Merkwürdiges hat er schon, dieser Stromunterbruch. Nun, nach mehr als zwei Wochen Dauer und mit der Gewissheit, dass das ganze noch einen Monat so weiter gehen wird – das mindestens soll der Norwegische Experte gemeint haben – ergibt man sich plötzlich in die Situation, richtet sich ein. Auch ich. Kann mit dem Lärm besser umgehen, mein Gehirn scheint den langsam auszuschalten – genauso, wie es den Muezzin um fünf Uhr Morgens schon lange als etwas Normales eingestuft hat, mich deswegen nicht mehr weckt. Etwas Lethargisches kommt auf in mir. Wohl zwischendurch noch Revolte, das darf man nicht, diese Frechheit, doch häufig auch bereits, da kann man nichts machen. Die Mächtigen hier machen eh was ihnen beliebt und die etwas weniger Mächtigen profitieren auch davon, ein paar Brosamen fallen immer ab, auch die etwas weniger Mächtigen mögen gegen die Mächtigen nichts unternehmen und die noch etwas weniger Mächtigen haben mit den weniger Mächtigen dasselbe Problem. Und so ändert sich nie etwas. Und niemand begehrt auf, denn die, die überhaupt nichts haben, die haben andere Sorgen, das tägliche Brot, wo schlafen und so weiter.

Generatoren scheinen die neusten Lieblingsspielzeuge zu sein. Wohl gepflegt, oft mit einer Kette, einem Halsband gleich, irgendwo angekettet. Mit Karton überdeckt gegen die Sonne – ich frage mich ob dies nicht eher einen Hitzestau gibt - gediegener gar, sehe ich vor dem Sattlerladen neben dem Lukmaan einen neuen Sonnenschirm über dem frisch gekauften Generator. Die Angestellten polstern dort vor dem Laden in der Sonne die Fauteuils und Sofas aus. Bisher hat nie jemand daran gedacht, für sie ein Sonnendach zu schaffen.

Vor dem schlafen gehen kann ich es auch jetzt nicht lassen, noch kurz zu lesen, das gehört einfach zum Ritual. Jetzt mache ich das bei Kerzenschein und frage mich häufig, ob es wohl wahr ist, dass Kerzenlicht den Augen schadet, oder ob man uns das früher nur gesagt hat, damit wir nicht im Bett mit der Taschenlampe bis in alle Nacht hinein gelesen haben. - Dasselbe mit dem Zucker. Ob es wohl stimmt, dass man mit einem Stück Zucker einen Motor kaputt machen kann. Manchmal, nur manchmal jetzt noch, habe ich solch bösartige Gedanken, wenn mich der Generator unseres Nachbarn doch noch nervt.

Montag, 9. Juni 2008

6.Juni 2008


Er erinnere sich noch ganz genau, meint Othman, wie vor gut 30 Jahren die neuen Unterwasser-Stromkabel, von Dar es Salaam herkommend, auf der Insel eingeweiht worden seien. Sei das eine Freude gewesen, ein Festen. Und Ali ergänzt, die alten Generatoren in dem Vorort auf dem Hügel wo auch die zwei Wassertürme stehen, die seien plötzlich ausgeschaltet worden. Diese Ruhe dann, das ganze Quartier dort oben habe einem vorher von Weitem mit ohrenbetäubendem Brummen begrüsst. – Ein Teil der alten Generatoren ist auf die Schwesterinsel Pemba gebracht worden, der Rest wohl verrottet, von den Pumpen für die Wassertürme weiss ich es, die funktionieren bereits seit Jahren nicht mehr, deshalb auch kein Druck in den Leitungen und deshalb auch brauchen hier alle Haushalte Wasserpumpen um sich das Nass aus der Tiefe herauf zu holen. Nur jetzt ohne Strom, da helfen diese Pumpen nicht viel.

Heute treffe ich auch die Frau des Deutschen Exhonoarkonsuls von Sansibar an. Ihr Mann sei bereits ganz verzweifelt. Sie müsse ihm ein Flugticket zurück nach Europa kaufen. Der Lärm hier, kein Strom, ausser Lesen könne der nichts machen und dies auch nur, so lange es Tageslicht habe. Sie, als Sansibarifrau, sei sich das halt gewohnt. Mehr Arbeit zwar, mit Kerosen kochen, aber man habe ja Zeit. – Das ist eben glaube ich das Schlimme an unserem Kampf gegen den Lärm. Die Einheimischen stört das gar nicht wirklich. Deshalb sind es dann immer die Weissen, die ausrufen. Oder die Rückkehrer wie der Ali und der Mohammad. Die übrigen haben eine ganz unwahrscheinliche Toleranz.

Ich versuche wieder einmal, übers Internet zu Nachrichten zu kommen. „Electricity Zanzibar“, „elecricity troubles Zanziar“ gibt es schon gar nicht. Wie von früheren Versuchen bekannt, falle ich erst wieder seitenweise auf Ferienressorts, Hotels und Restaurants. Dann schliesslich doch: Tanzania News Online (12) - leider datiert mit 1/19/98, also nicht ganz aktuell. Irgendwo auch noch: "Under the British protectorate, Zanzibar was one of the first world cities to have electricity.“ Da haben wir es also: Sansibar war unter den Briten eine der ersten Städte weltweit mit Strom. Hat übrigens auch die erste Fernsehstation Ostafrikas, die das Farbfernsehen eingeführt hat. Momentan senden die allerdings nur 3 Stunden täglich, von 6 bis 9 Uhr abends, denn auch hier fehlt der Strom - ganz abgesehen davon, dass die meisten Zuschauer sowieso nicht fernsehen können momentan. Aus demselben Grunde. Schliesslich doch noch, vom FCO, vom Foreign Commonwealth Office:"Due to technical problems with an under-sea cable, there is at present no mains electricity on Unjuga (Zanzibar's main island). Many people are without running water, and key services including hospitals and clinics, are affected. Due to the lack of lighting, extra caution should be observed at night. It is not known when the situation will be corrected. Many tourist hotels have their own generators and are therefore functioning as normal; people planning holidays to Zanzibar in the next few weeks might wish to contact their hotels to ensure they have such a generator."
Das ist bereits alles, was ich finde. Den Touristen wird nicht von einem Besuch der Insel abgeraten. Das ist wahrscheinlich auch nicht nötig, in den Ferienressorts an der Küste merkt man womöglich gar nicht viel vom Debakel. Falls die Generatoren weit genug von den Gebäuden entfernt stehen. Und die Besucher der Altstadt, die bleiben eben weniger lange, wenn es ihnen zu bunt wird. - Riskant ist es momentan übrigens nicht nur während der Nacht. Heute Morgen, als ich über den Gemüsemarkt lief, ein von Touristengruppen sehr beliebter Ort, wurde ich, obwohl kein Gedränge war, plötzlich von hinten gestossen. Wütend drehte ich mich um, ein schlecht gekleideter Typ meinte „sorry“ und verschwand rasch im Metzgerladen daneben. Mehr stellte ich nicht fest. Bis mich etwa zehn Minuten später ein Mann darauf aufmerksam machte, dass ich einen Riss in der Tasche habe, die Sachen fast herausfielen, ich solle aufpassen. Sofort kommt mir der Typ auf dem Markt wieder in den Sinn. Ein Schnitt mit einer Rasierklinge, kein Riss ist das. Genau Gleiches ist mir vor Jahren in Marokko passiert. Verloren habe ich nichts dabei. Trotzdem, schon das ungute Gefühl, falls der Schnitt aus Versehen statt die Tasche meinen Bauch getroffen hätte. Die Hochsaison zieht eben hier auch immer Diebe an. Ich erzähle die Geschichte später der Frau Exhonorarkonsul. Genau dasselbe sei ihr vor ein paar Jahren auch passiert. Und wir stellen fest, sogar genau an derselben Stelle, nämlich am Eingang des Marktes, dort, wo es sehr eng ist. Nein, das treffe nicht nur Touristen, da litten die Einheimischen genau so darunter, sie sei schliesslich eine Sansibari. Und Mohammad erklärt später, dass er in zwei Wochen mit der Polizei einen Trainingstag mache. Denn die stünden einfach nie dort, wo man sie gebrauchen könne, die müsse man für solches sensibilisieren. Und ich frage mich – leise für mich nur – ob das wohl nicht eher daran liegt, dass das Kontrollieren von Autos auf Ausweise und Wagenpapiere nicht viel rentabler sei. Bei vielen stimmt da nicht ganz alles und statt eine Busse, kann man da oft noch verhandeln.......


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5.Juni 2008


Heute hängt ein grauer Himmel tief über der Insel und ich habe keine Energie für meinen Kampf, denke wieder einmal und immer häufiger, die sind doch selber schuld, was sollen wir denen ihre Probleme lösen, die sollen jetzt einmal ihre Hausaufgaben machen. Und ein Buch von Henning Mankell, dem schwedischen Krimiautoren und Vater von Inspektor Wallander, kommt mir in den Sinn. Auch er hat einen zweiten Wohnsitz in Afrika und nebst seinen Krimis schreibt er Romane, die auf dem Schwarzen Kontinent spielen. Eindrücklich ist das Buch "Das Auge des Leoparden", über einen jungen Mann, der nach Afrika kommt, irgendwie dann dort hängen bleibt, obwohl bereits der Anfang seines Aufenthaltes katastrophal, deprimierend, irgendwie trotzdem nicht weg kommt und schliesslich, mit etwas Zufall, Leiter einer grossen Hühnerfarm wird. Das koloniale Milieu betrachtet er erst sehr kritisch, je länger, desto mehr, fällt er jedoch auch da hinein. Obwohl er zuerst soziale Standarts auf seiner Farm einführt: Schulen für die Kinder, eine Gesundheitsstation. Doch als er einmal einen Monat abwesend ist, stellt er bei seiner Rückkehr fest, dass die Hühner offenbar während dieser Zeit keine Eier mehr gelegt haben, beziehungsweise die Vorsteher die auf eigene Kosten, beziehungsweise eigenen Gewinn, verkauft haben. Alles ist verschmutzt, die Hühner krank und die Angestellten gehorchen lieber einem Magier als ihm selber, beziehungsweise haben sie Angst vor dem. In der Nachbarschaft werden weisse Farmer auf die grässlichste Weise umgebracht - da ist er wieder ganz der Mankell, für mich schon fast pervers in der Ausschmückung von Gewalttaten - die Hauptperson deliriert unter Malariaschüben und immer weniger wissen wir, was Realität was Gespinst. Selbst seinen Freund, einen Journalisten, glaubt er plötzlich als einen Feind zu erkennen, der ihm ans Leben will,.......Nein, gerade so schlimm geht es nicht zu und her hier. Doch der Himmel hängt eben tief heute. Und vieles im Buch, die korrupten Beamten etwa, der Inder, der die Notsituation der Leute schamlos ausnützt, all dies ist hier gar nicht so viel anders.

3. Juni 2008


Gestern Abend soll der Präsident im hiesigen Fernsehen gesagt haben, am nächsten Tag gäbe es vermutlich Strom. Manche sind erleichtert, hoffen wieder, mir scheint das ganze nicht sehr wahrscheinlich. Weshalb soll denn nun plötzlich – nachdem am Tag zuvor verkündet wurde, die Norwegischen Experten seien nun da – plötzlich alles gelöst sein? Gestern gab es keinen Strom und heute auch nicht und inzwischen haben wir vernommen, dass der Präsident nach Italien abgereist sei. Wahrscheinlich zwecks Konsultation seiner Maffiafreunde. Und ich finde das doch etwas erstaunlich. Dass der nicht Angst hat, während seiner Abwesenheit gestürzt zu werden. – Das müsse der eben gar nicht, meint man, denn es gebe ja keine eigentliche Opposition. Die Oppositionsführer würden sich im Parlament ebenfalls fette Löhne ausbezahlen lassen und teure Autos anschaffen, woher denn – solle ich mich fragen – die ein Interesse daran haben sollten den Präsidenten zu stürzen? Man jage gemeinsam und teile sich die Beute. Wie Löwen eben.
Alle Gespräche hier werden nun rasch politisch, wütend und zugleich resigniert. Das werde noch Jahre gehen, meint Mohammad. Die Gesellschaft hier sei einfach nicht entwickelt, habe keine Ahnung von ihren Rechten, das sei ein weiter Weg.
Und erzählt das Beispiel von der Toilette an seinem Arbeitsort, im Stone Town Conservatory Office. Seit zwei Jahren kämpfe er für eine Renovation. Bis er die Toilette dann eines Tages plötzlich weiss geplättelt nach europäischem Standart angetroffen habe. Doch nun sei es noch weit schlimmer, jetzt könne er die Toilette überhaupt nicht mehr benutzen. Denn nun sehe man den Schmutz erst so richtig und das sei derartig etwas von unappetitlich. Und zeige ihm eben, dass er am falschen Ort gestossen habe, das Pferd am Schwanz aufgezäumt. Zuerst müsse die Bevölkerung erzogen werden, lernen, solche Toiletten auch zu benutzen. Erst dann mache die Installation von modernen Toiletten einen Sinn.

Auch der ehemalige deutsche Konsul ist zurück auf der Insel. Gut gelaunt habe ich ihn gestern auf seinem ersten Inselspaziergang angetroffen. Doch, er habe vom Stromdebakel gewusst. Seine Tochter, die in Namibia lebe, habe das dort in der Zeitung gelesen. Kein Strom und kein Wasser auf Sansibar und der Flughafen habe in den ersten Tagen auch nicht funktioniert. Letzteres haben wir gar nicht bemerkt und gesagt hat es uns natürlich auch niemand.
Jetzt hingegen kommen die Flieger wieder, die vielen grossen Flugzeuge seit letztem Wochenende sind auffällig. Auch die Touristengruppen in der Altstadt. Und die unzufriedenen Gesichter individuell reisender Traveller, die es einfach nicht schaffen, ihren selbst erwählten Führer ab zu schütteln. Den würden sie liebend gerne loswerden, doch einerseits sind manche extrem hartnäckig und andererseits auch nicht alle Touristen besonders begabt. Ich mindestens habe eine recht gute Methode entwickelt um lachend eine abwehrende Geste zu machen, wenn notwendig gefolgt von „ich brauche das nicht oder ich liebe es nicht“. – Obwohl ich da jetzt nicht mehr recht mitreden kann. Inzwischen bin ich in der Stadt bekannt. Viele Leute begrüssen mich mit „Mama Lukmaan“. Von Leuten, die dem Restaurant näher stehen, werde ich „Bi Hawa“ genannt. Nur noch ganz selten erkennt mich irgend so ein Touristenaufreisser nicht.

Montag, 2. Juni 2008

2. Juni 2008


Nun zählen wir die Tage gar nicht mehr. Und nach einer Zeit des Resignierens, des Gedankens an Flucht, kommt Wut in mir hoch und damit auch Energie. Ich gehe zum Sheika, zum Vorsteher unseres Quartieres. Denn jedes Quartier hat hier eine Amtsperson, zu der man gehen muss, wenn man hierher zieht, wenn jemand geboren oder gestorben, wenn man etwas an seinem Haus ändern will, einen Pass oder ein anderes Papier braucht, überhaupt ein Problem hat, der Sheika ist immer die erste Anlaufperson und sollte auf dem Laufenden sein über alles, was im Quartier vor sich geht. Die Sheikas werden vom Präsidenten selbst eingesetzt. Daneben gibt es aber noch die Consulars, die Leute, die vom Volk gewählt werden, mit einer ähnlichen Funktion. Die beiden arbeiten zusammen, oder sollten das wenigstens, wobei der Sheika dem Consular übergeordnet ist. Merkwürdigerweise sind hier in der Stone Town alle Sheikas von der Regierungspartei, während alle Consulars von der Opposition sind. Das zeigt bereits das hiesige Verständnis von Demokratie....... Ich gehe also zum Sheika und beschwere mich. Der Mann korrigiert erst meine Aussprache seines Titels – Scheha, nicht Schecha meint er - und als ich frage, ob er Englisch spreche, verneint er, deutet aber auf die junge Frau neben sich. Die Kommunikation klappt gut, ich verstehe, was sie übersetzt und auch das, was er in Swahili sagt, und nehme eigentlich auch an, dass er mein Englisch versteht. Ich beklage mich über den Wildwuchs der Generatoren, die nun überall aufgestellt worden seien, die Lärmemissionen, erwähne den Schaden, den das – gerade in unserem Quartier, Shangani, dem Touristenquartier – anrichte. Und frage ihn ebenfalls, weshalb denn der riesige Generator des Mazons Hotel mitten auf dem öffentlichen Platz stehe, ohne Mauer, ohne irgendwelchen Lärmschutz. Denn dass dieser Generator eigentlich auf öffentlichem Grund steht, das weiss ich vom Architekten Mohammad. Sehen würde man dies nicht, denn der Besitzer des Hotels hat um den Generatoren herum ein Gärtchen gebastelt, kitschig nach meinem Geschmack und sinnlos vor allem, mit dem Generatoren statt einer Skulptur im Zentrum. Und der Zaun darum herum lässt nicht mehr glauben, dass dies ein öffentlicher Grund und folglich auch betreten werden dürfe. - Ein weiteres Problem eben, meint Mohammad. Sehr häufig würden sich hier Private öffentlichen Boden einfach aneignen. Eigentlich müsste man da eingreifen, das sei auch geplant. – Zurück zum Sheika. Der hört mir regungslos zu, erst als ich von diesem Generatoren spreche, da scheine ich seine Zustimmung zu spüren. Ich weiss von Ali, dass der Sheika direkt neben dem Generatoren wohnt, also ebenso darunter leidet wie wir. Trotzdem, der Besitzer vom Mazons Hotel ist ein alteingesessener und sehr reicher Sansibari. Ob er sich mit dem anlegen will? Sein Gesicht bleibt unbestimmt, für mich nicht lesbar. Kesho, morgen solle ich wieder vorbei kommen, er müsse das diskutieren. Oder nein, er komme morgen um zehn Uhr bei uns vorbei. Daran glaube ich zwar nicht recht. Doch wenn nicht, denn werde ich ihn eben nochmals belästigen gehen.

Auch mit dem Angestellten des Büros unter uns spreche ich. Weshalb er sich denn nicht wenigstens am grossen Generatoren anschliesse, dann sei einer weniger, das gehe doch nicht, jeder schaue nur für sich. Das sei eben zu teuer, meint der, sein Chef wolle das nicht bezahlen. 20 Franken täglich verlangten die für den Strom, mit dem eigenen Generatoren koste das nur die Hälfte. Und versteht im übrigen meine Probleme. Auch das Risiko für den Tourismus. Im grossen Ressort Blue Ocean, an der Ostküste sei der Generator explodiert, Kurzschluss, da sei nichts mehr zu machen gewesen. Die Gäste hätten alle umquartiert werden müssen. Diese Generatoren sind eben nicht für den Dauerbetrieb konzipiert, das sage ich auch immer wieder im Lukmaan, dem Ding müsse man zwischendurch eine Pause gönnen. Und Ali unterstützt mich da. Vor allem, seit wir heute gesehen haben, das derselbe Generator, den wir vor einem Jahr für 250.- gekauft haben nun bereits 650.- kostet. Von Notsituationen profitieren immer einige.

Ich gehe mit Ali in Mlandege, im Handwerkershop-Quartier eine Kabelrolle kaufen. Wir wollen den Generatoren etwa 50m entfernt vom Restaurant in einem Hof platzieren, wo er weniger stört. Das sollte die Stimmung der Nachbarn etwas verbessern – und auch die Laune der Gäste. Man muss jetzt Lösungen suchen, niemand glaubt mehr an ein rasches Ende der Krise. Obwohl offensichtlich gestern im Radio verbreitet worden ist, dass nun die norwegischen Experten angekommen seien. Nach mehr als einer Woche. Da glaubt man doch eher, diese Mitteilung sei geboren, um die Bevölkerung noch etwas hinzuhalten. Ich finde, es sei nun Zeit für einen Wechsel. Praktisch die ganze Bevölkerung, auch die Leute, die vorher zu der Regierungspartei gestanden sind, schimpfen nun über solch eine unfähige Regierung. Trotzdem herrscht Angst. Man sei eben in Afrika, ich müsse verstehen. Zwar nicht eigentlich eine Militärdiktatur, doch das Militär sei mächtig und gefährlich, da habe man Erfahrung von den Wahlen. Immer seien dabei Leute umgekommen.

So mache ich eben alleine meine kleinen Aktionen. Gehe mich heute in die Schule neben dem Lukmaan bei der Vorsteherin beschweren, dass die Kinder hier einfach alles wegwerfen, die Strasse nach der Pause eine riesige Sauerei sei. Und merke zu meinem Erstaunen, dass ich den Leuten aus dem Herzen spreche. Da habe ich vollkommen recht, das sei gut, wenn jemand sich beschwere. Eigentlich habe man ja einen Abfallkübel, die Kinder wüssten es. Man müsse eben wieder mehr darauf schauen, ein Lehrer müsse das überwachen. Damit bin ich sehr zufrieden. Denn gelöst ist das Problem nicht dadurch, dass nach der Pause eine Angestellte der Schule die Strasse reinigt. Wenn diese Kinder das hier nicht lernen wollen, wo sollen sie es dann?

Bilder drängen sich in meinem Kopf. Ich sammle Videoaufnahmen von allen Generatoren der Stadt. Die Geräuschkulisse ist beeindruckend. Auch Aufnahmen von Abfallhalden, verrottenden Häusern sammle ich. Das Ganze will ich zu einem Werbeclip mischen. Romantische Sonnenuntergangsszene zuerst - da habe ich ja tonnenweise gutes Material – mischt und überblendet sich langsam mit Lärm und Abfall. Der Spruch: „Zanzibar island, the tropical paradise on the East African Coast“ – und dann am Schluss, als das Ganze ziemlich unappetlich und unerhört lärmig geworden ist: „Do you really want to live here?“ Übersetzt und gesprochen in Swahili. Denn adressiert ist es an die hiesige Bevölkerung. Ich möchte es als „Werbespot“ im hiesigen Fernsehen platzieren. Und hoffe sehr, ich schaffe es, diese Idee zu realisieren. Und weiter, dass es bei Werbung hier keine Zensur gibt – solange es nicht die Sitten betrifft. Mit den vielen Tonaufnahmen der Generatoren könnte ich auch gleich eine Art Rapp kreieren. Rhythmus, der einfährt bei den Jungen. Zuerst folgt der Ton den Bildern, trennt sich später davon, schwillt an und wird Rhythmus, bricht urplötzlich ab und dann die Stimme: Willst du wirklich hier leben?

Gestern Abend spreche ich mit einer Gruppe Jugendlicher am Strand. Sie sind politisch und sozial erstaunlich engagiert und sprechen gut Englisch. Haben eben gerade einen Kurs als Fremdenführer absolviert. Da meint einer, ein Christ, nehme ich an, sein Name deutet darauf hin: Gott, der habe die Weissen dafür geschaffen, dass sie die Schwarzen erziehen würden, ihnen den Weg zeigten. Eine unerwartete und überraschende Theorie, die mich verwirrt. Und die ich doch häufig hier spüre. Das Wort des Weissen viel gilt, der Weisse ist eben immer noch der Reiche, der Mächtige. Wahrscheinlich liegt dies auch daran, dass die Leute hier allgemein viel zu obrigkeitsgläubig sind, Autoritäten gelten noch etwas. Die sind unantastbar, geben Befehle, man gehorcht, stellt keine Fragen und sie sowieso nicht in Frage. Auch diese Haltung erschwert einen Wechsel. – Daneben aber heute auch erstmals im Marktquartier: „Mzungu go back home“, Weisser geh’ nach Hause. Das höre ich zum ersten Mal hier. Die Leute sind eben alle gereizt im Moment.

31. Mai 2008


Der zehnte Tag ohne Strom und ohne Nachricht, wie lange das ganze noch weiter gehen soll. Und jetzt erst, finde ich, wird es wirklich zur Hölle. Heute Samstag Morgen haben wieder eine ganze Reihe mehr Leute sich Generatoren beschafft, auch uralte wurden wieder in Betrieb genommen, es rattert und knattert überall in der Stadt ohrenbetäubend und als ich nach Hause komme, muss ich zu meinem Schrecken feststellen, dass auch vor unserem Haus ein unheimlich lärmender steht. Das benachbarte Büro hat sich nun also auch einen Generatoren angeschafft. Ich stürze entsetzt dort hinein, irgendeine Tourismusagentur, ich habe mich immer gefragt, was die tun, denn meistens sitzen die Angestellten bei uns auf der Treppe. In diesem Büro also bin ich nun zum ersten Mal, es ist besser eingerichtet als ich gedacht habe, die Computer meint man, ich müsse verstehen, auch sie müssten arbeiten und die Not sei ja in ganz Sansibar. Das stimmt, ich verstehe. Und werde doch langsam wahnsinnig von diesem Lärm, das wird unerträglich. Auch andere werden das, der Nachbar vom Lukmaan beschwert sich ebenfalls über den Generatoren des Restaurants, die nachbarschaftlichen Beziehungen überall werden immer mehr auf die Probe gestellt. Und keine Gesetzte, keine Regelung bezüglich Lärmemissionen hier. Das nehme ich zumindest an. Und wenn es so was gäbe, dann würde es sowieso nicht befolgt. Erstmals denke nun auch ich daran, irgendwohin zu reisen, das ganze wird unerträglich. Und halte mich gleichzeitig nicht recht dafür, denn auch die Einheimischen leiden, die meisten sogar noch viel mehr als wir. Haben Lärm, aber weder Strom noch Wasser.

Ich mache einen Spaziergang am Strand. Heute baden ganze Familien hier, Vater, Mutter und Kinder. Und ich stelle fest, dass dies wohl weniger mit neuen Sitten zu tun hat als mit der Notwendigkeit, doch einmal in der Woche, mindestens am Wochenende, sich zu waschen. Sehr wenige Leute haben jetzt noch Gelegenheit zu genügend Wasser zu kommen. Und dass die ganzen Familien samt den Kleidern ins Nass steigt hat auch seine Vorteile. Eine Kleiderwäsche erübrigt sich so. Mariam, eine Schwester Othmans, in wohlhabende Familie verheiratet, mit schmuckem Haus in einem Vorort, Fernseher, Video und Waschmaschine, Mariam also erzählt mir heute Morgen, sie würde jetzt aufs Land fahren. Einen Fluss suchen um Kleider zu waschen, das sei nun einfach nicht mehr zu vermeiden.