Montag, 2. Juni 2008

2. Juni 2008


Nun zählen wir die Tage gar nicht mehr. Und nach einer Zeit des Resignierens, des Gedankens an Flucht, kommt Wut in mir hoch und damit auch Energie. Ich gehe zum Sheika, zum Vorsteher unseres Quartieres. Denn jedes Quartier hat hier eine Amtsperson, zu der man gehen muss, wenn man hierher zieht, wenn jemand geboren oder gestorben, wenn man etwas an seinem Haus ändern will, einen Pass oder ein anderes Papier braucht, überhaupt ein Problem hat, der Sheika ist immer die erste Anlaufperson und sollte auf dem Laufenden sein über alles, was im Quartier vor sich geht. Die Sheikas werden vom Präsidenten selbst eingesetzt. Daneben gibt es aber noch die Consulars, die Leute, die vom Volk gewählt werden, mit einer ähnlichen Funktion. Die beiden arbeiten zusammen, oder sollten das wenigstens, wobei der Sheika dem Consular übergeordnet ist. Merkwürdigerweise sind hier in der Stone Town alle Sheikas von der Regierungspartei, während alle Consulars von der Opposition sind. Das zeigt bereits das hiesige Verständnis von Demokratie....... Ich gehe also zum Sheika und beschwere mich. Der Mann korrigiert erst meine Aussprache seines Titels – Scheha, nicht Schecha meint er - und als ich frage, ob er Englisch spreche, verneint er, deutet aber auf die junge Frau neben sich. Die Kommunikation klappt gut, ich verstehe, was sie übersetzt und auch das, was er in Swahili sagt, und nehme eigentlich auch an, dass er mein Englisch versteht. Ich beklage mich über den Wildwuchs der Generatoren, die nun überall aufgestellt worden seien, die Lärmemissionen, erwähne den Schaden, den das – gerade in unserem Quartier, Shangani, dem Touristenquartier – anrichte. Und frage ihn ebenfalls, weshalb denn der riesige Generator des Mazons Hotel mitten auf dem öffentlichen Platz stehe, ohne Mauer, ohne irgendwelchen Lärmschutz. Denn dass dieser Generator eigentlich auf öffentlichem Grund steht, das weiss ich vom Architekten Mohammad. Sehen würde man dies nicht, denn der Besitzer des Hotels hat um den Generatoren herum ein Gärtchen gebastelt, kitschig nach meinem Geschmack und sinnlos vor allem, mit dem Generatoren statt einer Skulptur im Zentrum. Und der Zaun darum herum lässt nicht mehr glauben, dass dies ein öffentlicher Grund und folglich auch betreten werden dürfe. - Ein weiteres Problem eben, meint Mohammad. Sehr häufig würden sich hier Private öffentlichen Boden einfach aneignen. Eigentlich müsste man da eingreifen, das sei auch geplant. – Zurück zum Sheika. Der hört mir regungslos zu, erst als ich von diesem Generatoren spreche, da scheine ich seine Zustimmung zu spüren. Ich weiss von Ali, dass der Sheika direkt neben dem Generatoren wohnt, also ebenso darunter leidet wie wir. Trotzdem, der Besitzer vom Mazons Hotel ist ein alteingesessener und sehr reicher Sansibari. Ob er sich mit dem anlegen will? Sein Gesicht bleibt unbestimmt, für mich nicht lesbar. Kesho, morgen solle ich wieder vorbei kommen, er müsse das diskutieren. Oder nein, er komme morgen um zehn Uhr bei uns vorbei. Daran glaube ich zwar nicht recht. Doch wenn nicht, denn werde ich ihn eben nochmals belästigen gehen.

Auch mit dem Angestellten des Büros unter uns spreche ich. Weshalb er sich denn nicht wenigstens am grossen Generatoren anschliesse, dann sei einer weniger, das gehe doch nicht, jeder schaue nur für sich. Das sei eben zu teuer, meint der, sein Chef wolle das nicht bezahlen. 20 Franken täglich verlangten die für den Strom, mit dem eigenen Generatoren koste das nur die Hälfte. Und versteht im übrigen meine Probleme. Auch das Risiko für den Tourismus. Im grossen Ressort Blue Ocean, an der Ostküste sei der Generator explodiert, Kurzschluss, da sei nichts mehr zu machen gewesen. Die Gäste hätten alle umquartiert werden müssen. Diese Generatoren sind eben nicht für den Dauerbetrieb konzipiert, das sage ich auch immer wieder im Lukmaan, dem Ding müsse man zwischendurch eine Pause gönnen. Und Ali unterstützt mich da. Vor allem, seit wir heute gesehen haben, das derselbe Generator, den wir vor einem Jahr für 250.- gekauft haben nun bereits 650.- kostet. Von Notsituationen profitieren immer einige.

Ich gehe mit Ali in Mlandege, im Handwerkershop-Quartier eine Kabelrolle kaufen. Wir wollen den Generatoren etwa 50m entfernt vom Restaurant in einem Hof platzieren, wo er weniger stört. Das sollte die Stimmung der Nachbarn etwas verbessern – und auch die Laune der Gäste. Man muss jetzt Lösungen suchen, niemand glaubt mehr an ein rasches Ende der Krise. Obwohl offensichtlich gestern im Radio verbreitet worden ist, dass nun die norwegischen Experten angekommen seien. Nach mehr als einer Woche. Da glaubt man doch eher, diese Mitteilung sei geboren, um die Bevölkerung noch etwas hinzuhalten. Ich finde, es sei nun Zeit für einen Wechsel. Praktisch die ganze Bevölkerung, auch die Leute, die vorher zu der Regierungspartei gestanden sind, schimpfen nun über solch eine unfähige Regierung. Trotzdem herrscht Angst. Man sei eben in Afrika, ich müsse verstehen. Zwar nicht eigentlich eine Militärdiktatur, doch das Militär sei mächtig und gefährlich, da habe man Erfahrung von den Wahlen. Immer seien dabei Leute umgekommen.

So mache ich eben alleine meine kleinen Aktionen. Gehe mich heute in die Schule neben dem Lukmaan bei der Vorsteherin beschweren, dass die Kinder hier einfach alles wegwerfen, die Strasse nach der Pause eine riesige Sauerei sei. Und merke zu meinem Erstaunen, dass ich den Leuten aus dem Herzen spreche. Da habe ich vollkommen recht, das sei gut, wenn jemand sich beschwere. Eigentlich habe man ja einen Abfallkübel, die Kinder wüssten es. Man müsse eben wieder mehr darauf schauen, ein Lehrer müsse das überwachen. Damit bin ich sehr zufrieden. Denn gelöst ist das Problem nicht dadurch, dass nach der Pause eine Angestellte der Schule die Strasse reinigt. Wenn diese Kinder das hier nicht lernen wollen, wo sollen sie es dann?

Bilder drängen sich in meinem Kopf. Ich sammle Videoaufnahmen von allen Generatoren der Stadt. Die Geräuschkulisse ist beeindruckend. Auch Aufnahmen von Abfallhalden, verrottenden Häusern sammle ich. Das Ganze will ich zu einem Werbeclip mischen. Romantische Sonnenuntergangsszene zuerst - da habe ich ja tonnenweise gutes Material – mischt und überblendet sich langsam mit Lärm und Abfall. Der Spruch: „Zanzibar island, the tropical paradise on the East African Coast“ – und dann am Schluss, als das Ganze ziemlich unappetlich und unerhört lärmig geworden ist: „Do you really want to live here?“ Übersetzt und gesprochen in Swahili. Denn adressiert ist es an die hiesige Bevölkerung. Ich möchte es als „Werbespot“ im hiesigen Fernsehen platzieren. Und hoffe sehr, ich schaffe es, diese Idee zu realisieren. Und weiter, dass es bei Werbung hier keine Zensur gibt – solange es nicht die Sitten betrifft. Mit den vielen Tonaufnahmen der Generatoren könnte ich auch gleich eine Art Rapp kreieren. Rhythmus, der einfährt bei den Jungen. Zuerst folgt der Ton den Bildern, trennt sich später davon, schwillt an und wird Rhythmus, bricht urplötzlich ab und dann die Stimme: Willst du wirklich hier leben?

Gestern Abend spreche ich mit einer Gruppe Jugendlicher am Strand. Sie sind politisch und sozial erstaunlich engagiert und sprechen gut Englisch. Haben eben gerade einen Kurs als Fremdenführer absolviert. Da meint einer, ein Christ, nehme ich an, sein Name deutet darauf hin: Gott, der habe die Weissen dafür geschaffen, dass sie die Schwarzen erziehen würden, ihnen den Weg zeigten. Eine unerwartete und überraschende Theorie, die mich verwirrt. Und die ich doch häufig hier spüre. Das Wort des Weissen viel gilt, der Weisse ist eben immer noch der Reiche, der Mächtige. Wahrscheinlich liegt dies auch daran, dass die Leute hier allgemein viel zu obrigkeitsgläubig sind, Autoritäten gelten noch etwas. Die sind unantastbar, geben Befehle, man gehorcht, stellt keine Fragen und sie sowieso nicht in Frage. Auch diese Haltung erschwert einen Wechsel. – Daneben aber heute auch erstmals im Marktquartier: „Mzungu go back home“, Weisser geh’ nach Hause. Das höre ich zum ersten Mal hier. Die Leute sind eben alle gereizt im Moment.

Keine Kommentare: