Freitag, 3. Februar 2017

2.2.2017, Doha

Wecker um 4:30, das wird ein langer Tag. Noch im Dunkeln fährt mich ein Inder - alle Taxichauffeure scheinen hier Inder zu sein - zum Flughafen, die Stadt ist fürstlich beleuchtet, da scheint ein Lichtkünstler am Werk gewesen zu sein, das habe ich bereits beim Landen gedacht.
Wenigstens hat der König - sie sprechen von "king", eigentlich der Emir von Qatar - einen guten Geschmack und lässt schöne Bauwerke erstellen, gerade fahren wir an seinem privaten Abflugterminal vorbei, ein Kunstwerk. Auch moderne Kunst fördert man in Qatar, gestern war ich im "Arabischen Museum für moderne Kunst". Der Weg dorthin führt kilometerweit durch Brachland hindurch, beziehungsweise steht da bereits eine mehrspurige richtungsgetrennte Strasse, daneben Gebäude in Konstruktion oder noch leere riesige Baufelder. Eigentlich existiert diese Stadt - oder mindestens ein Teil davon - noch gar nicht. Man hat Grosses im Sinn, hoffentlich geht das Geld nicht vorher aus. In der Umgebung des erstaunlich schlichten Museumneubaus entsteht das Universitätsgelände, mehrere spannend aussehende Neubauten sind am Entstehen.

Bilder aus der Sonderausstellung des Irakeers Dia al-Azzawi im Mathaf,
dem Arabischen Museum für Moderne Kunst

Und da meinte doch Muhammad, der Oberplaner von Sansibar, die Entwicklung gehe derartig rasch, da habe man keine Chance, sei immer zu spät. Auch Doha hat sich explosionsartig entwickelt. Mit viel Geld geht das geordnet. Oder liegt es doch auch am Charakter der Leute?
Rings um mein Hotel stand früher die Altstadt, wobei diese nicht wirklich alt war, die Gebäude von keinem grossen baulichen Wert, ausser vielleicht dem, natürlich gewachsen zu sein. Heute werden sie bereits wieder abgerissen.



Gestern Abend war ich im Souq Waqif und habe eine rechte Weile überlegt. Alt oder neu? Das Basarquartier ist erstaunlich gut nachgebaut. Dicke Mauern, nicht lächerlich dünne Fensterbrüstungen wie in der Stown Town, die sofort den Neubau verraten. Gewisse Unregelmässigkeiten, der Putz ist nicht immer gleich weiss, manchmal auch nur Rohputz, Abwechslung, Mauern aus rohem Naturstein, auch die Grundrisse nicht immer rechteckig, man muss wirklich zweimal schauen um sicher zu sein, dass das nicht alt ist. Und so finde ich das legitim, denn es sind Gebäude von Qualität, nicht billige Betonkulissen, wie man sie in Asien oder eben auch Sansibar sieht. Doha baut sich eine glorreiche Vergangenheit nach, die es nie hatte. Zusätzlich ist der Ort ein perfekter Touristenmagnet, das Gelände ist am Abend gerammelt voll. Die Restaurants sind extrem teuer, doch muss ich zugeben, dass ich schon lange nicht mehr so gut gegessen habe wie in dem Persischen Restaurant hier.

Im Flughafen stehe ich mit den vielen Asiatischen Gastarbeitern beim "Economy Cheque In" an, Inder, Pakistanis, Philippiner, die Frau an der Abfertigung kommt aus Thailand und spricht schlecht Englisch. Über 90 Prozent der Bevölkerung hier sind Gastarbeiter. In Englisch und Arabisch verständigt man sich mehr schlecht als recht.
In der Morgenfrühe fällt mir auf, dass mein Schweizer Pass extrem auffällig ist. Knallrot leuchtet er zwischen im allgemeinen schwarzen oder dezent dunkelrot, -blau, -grünen Ausweispapieren hervor. Erstaunlich eigentlich, diese Keckheit.

1.2.2017, Doha

In Doha bin ich im Hotel  "Kingsgate Tower", im 10. Stock, einquartiert, Ankunft nach 1 Uhr morgens. Sicht auf die Lichter der Altstadt, oder besser auf das, was davon übrig geblieben ist: Baufelder weit und breit und halb abgerissene Häuser. Dies nach einem nervigen Flug. Der Zwischenhalt in Kilimajaro wird zur langwierigen Angelegenheit, Flüge mit Zwischenstopp sind heute unbrauchbar geworden. Die Sicherheitsvorschriften sind derartig hoch, das Handgepäck von jedem Passagier muss verifiziert werden, man könnte ja eine Bombe in einer Tasche zurücklassen, das dauert und ist trotzdem nur als Beruhigung gedacht, denn so genau kann man ein Flugzeug samt Passagieren gar nicht durchsuchen. Gleichzeitig dringt die Putzmannschaft in das Flugzeug ein, denn heute wird nicht mehr halb leer herum geflogen, die freiwerdenden Plätze werden mit neuen Passagieren aufgefüllt. Das gibt ein nerviges Gedränge und Chaos im Flugzeug, man darf sich nicht bewegen, geschweige denn aussteigen. Zusätzlich wechseln die Nahöstlichen Fluggesellschaften in ihrem Heimathafen immer auf alte Flugzeuge und billigen Service für Flüge nach Afrika. Und bei der "immigration" in Doha verlangt man doch ein Visum, obwohl die Qatar Airlines visafreie Stopover in Doha anpreisen, damit ist nur das Flughafenareal gemeint. - Endlich im Hotel brauche ich dringend ein Bier, doch an der Rezeption erklärt man mir "no alcohol here". Da ist nichts zu machen, aufgekratzt und genervt ab ins Bett.



Am Morgen schaue ich durch den Dunst auf die Stadt hinunter, ich fühle mich etwas gerädert, ich beschliesse das "Museum für Arabische Kunst" direkt an der Corniche anschauen zu gehen. Ein moderner, von traditioneller Architektur inspirierter Bau, für meinen Geschmack etwas zu stark der Tradition verhaftet, man hätte auch mutiger sein können. Aus der riesigen Halle hat man einen Blick auf die Bucht, gegenüber eine Skyline mit Hochhäusern, es hat auch extravagante darunter - man konkurrenziert schliesslich mit Grossen - und auf dem Wasser schwappen anachronistisch alte Dahus, die werden also doch überleben, allerdings mit Motoren angetrieben, gesegelt wird keines, auch eine Gruppe Stehpaddler im Wasser, es scheinen Anfänger zu sein.


Die Arabische Kunst ist inspirierend und die Ausstellungen sind gut aufgebaut. Viel Ornamentales,  Pflanzenmotive und Tiere, Vereinfachung bis zur Abstraktion, Multiplizierung bis in die Unendlichkeit.  Dazu die Schrift als Dekorationselement wie ich lese, manchmal gänzlich dazu geworden, denn die Texte ergeben keinen Sinn. Auch die Abbildung von Menschen - dies glaube man fälschlicherweise verboten - sei im Islam erlaubt, einzig in religiösem Umfeld vermieden. Man gibt sich hier Mühe, den Islam nicht einfach als Religion darzustellen, sondern als Kulturraum. Und seine grosse Verbreitung systematisch gut aufbereitet zu zeigen. Spanien, die Afrikanische Nordküste, Ägypten, die Türkei und Syrien, der Iran, Indien, Pakistan und Afganistan, sogar Exponate aus China finden sich. Unterschiedlich beeinflusst, ein Austausch, doch immer als Islamische Kunst gut erkennbar.





Die Besucher sind zu einem grossen Teil aus dem Arabischen Raum, häufig kleine Gruppen von schwarz gekleideten Frauen mit einem Wüstenscheich, da denkt man sofort an ein Harem, an Houellebecq's "Unterwerfung" - doch vielleicht auch nur Reisegruppen. Familien sind auch häufig, Vater und Mutter und Kinder, manchmal auch westlich modern gekleidet, die Frau hingegen des öfteren traditioneller, Hidschabs werden meistens getragen. Häufig schiebt der Vater den Kinderwagen oder hält die Kinder an der Hand, irgendwie scheint mir im Verhältnis zwischen Mann und Frau doch etwas geändert zu haben. Selfies kann man übrigens auch mit Hidschab machen, vieles unterscheidet sich kaum, vielleicht höchstens, dass heute Mittwoch ist. Qataris scheinen wie die Bewohner der übrigen Ölemirate kaum zu arbeiten, das wird von den Ausländern gemacht. Sie haben wohl deshalb immer noch viele Kinder.



Die Männer in ihren wallend weissen Gewändern mit ihrem Wüstensohnkopfputz wirken auf mich häufig verkleidet, insbesondere sehr junge Männer, Frauen allein sind in diesem Alter selten und wenn ja, deutlich westlicher gekleidet. Die Haare der Erwachsenen sieht man so kaum, bei Männern und Frauen verhüllt, da ist es interessant die Kinder anzuschauen, oft haben sie afrikanisches Kraushaar. Die Araber sollen ja die Bastarde mit den afrikanischen Sklavinnen von der Sklaverei befreit haben und in die Gesellschaft integriert.
Ich komme mit einem jungen Mädchen in Jeans und mit buntem Kopftuch ins Gespräch. Aus Dubai sei sie und alleine hier, das habe schon etwas Überzeugungsarbeit gebraucht bei den Eltern. Aber Dubai sei ja nur eine Flugstunde entfernt, schliesslich habe man sie gehen lassen. Sie empfiehlt mir, den Souq Waqif anschauen zu gehen.


Nach rund drei Stunden verlasse ich das Museum zitternd, für mich ist es hier viel zu kalt, doch für verschleierte und in wallende Gewänder gehüllte Leute ist es so gerade richtig. Nur draussen, immer noch 26 Grad hier und Sonnenschein, die vielen an der Corniche angepflanzten Palmen sind schlechte Schattenspender, muss das recht unangenehm sein - wobei diese Leute sowieso sofort in eine wiederum tiefgekühlte wartende Limousine einsteigen.


Diese extrem tiefen Temperaturen seien hier beliebt, meint später der Syrer am Empfang des "Arabischen Museums für moderne Kunst". Ja, wegen dem Bürgerkrieg sei er hier, er habe in Syrien im Tourismus gearbeitet, viel Geld verdient, doch nun sei dort nichts mehr zu holen. Hier in Doha verdiene er viel weniger. Er wirkt sehr lebensfroh und überhaupt nicht kriegsgeschädigt und so frage ich ihn, ob er nicht Angst um seine Familie habe. Nein, nein, sein Vater sei noch dort, in vielen Gebieten sei das Leben unbedenklich, da merke man kaum etwas vom Krieg.