Dienstag, 17. April 2012

Luxor, den 8.April 2012










Mama Saadi begrüsst mich frühmorgens wie eine verlorene Tochter in den Feldern entlang des Nils. Oder wie ein Geschenk Gottes. Sie strahlt mich an, umarmt und küsst mich. Das muss diese Körperlichkeit, diese Zärtlichkeit sein, die mir hier in Ägypten so auffällt. Mama Saadi nimmt mich an der Hand und führt mich durch die Felder bis zu einem Unterstand aus Palmenwedeln, dreiseitig geschlossen, nur die Nordwand ist offen. Hier liegt ein Bündel Luzerne parat, der muss auf einen Esel, einen Büffel oder eine Kuh warten. Die Frau klaubt irgendwo en Stück Teppich hervor, legt diesen auf einen grossen Stein und deutet mir, mich zu setzen. Sofort beginnt sie die trockenen Reste von Zuckerrohr, von abgenagten Maiskolben und etwas Karton aufzuschichten und entzündet ein Feuer. Erstaunlich schnell – scheint mir, später merke ich, dass ich sicherlich zwei Stunden mit der Frau verbracht habe – kocht auch schon Wasser in einem kleinen Kännchen, das sie ins Feuer gestellt hat. Dann verschwindet sie auf dem kleinen Stück Land - in der Schweiz würde man dieses ein Vorzeigebeispiel in Sachen biologischen Landbaus nennen, alles wächst durcheinander. Auffällig sind im Moment die hohen Blütenrispen und Samen von Salat. Irgendwo zwischen den Pflanzen, die Frau sucht etwas, holt sie einen Plastiksack hervor und kommt damit zurück. Brot hat es darin und einen Feta ähnlichen Käse nur sehr viel saurer. Sie bietet mir davon an. Darauf verschwindet sie an einem anderen Ort im Gelände und kommt mit einem weiteren Plastiksack zurück. Hier drin hat sie zwei Gläser, Zucker, Teekraut und getrocknete Minze versteckt, bald ist der Tee fertig. Mama Saadi stöhnt und hebt ihren langen schwarzen Rock hoch. Ein erstaunlich jung scheinendes Bein kommt darunter hervor, schlank, keine Krampfadern, keine Cellulitis, ein schönes Bein, doch im Knie verdickt, sie klagt über Schmerzen. Mir will dieses jugendliche Bein unterhalb des schwarzen Rockes so überhaupt nicht zu den zerfurchten Händen und dem ebenfalls zerfurchten Gesicht passen. Wie alt ist diese Frau? Über ihre Ungeniertheit, sie hebt mehrmals den Rock bis zur Taille hinauf, bin ich etwas erstaunt, doch habe ich ja kaum Erfahrung mit Frauen hier, die sind im Allgemeinen eher abweisend - oder scheu. Junge Mädchen sagen keck „hello“, aber danach ist Schluss. Erstaunt bin ebenfalle darüber, wie gut Saadi und ich es schaffen uns zu verständigen, selbst wenn sie kaum Englisch und ich ebenso wenig Arabisch verstehe. Kinder hat sie, vier, wenn ich das richtig interpretiere. Ich nehme an, sie versteht auch, dass ich keine habe. Einen Mann hat sie nicht, der ist gestorben, sie wird ganz traurig. Wenn wir beide uns nicht ganz verstehen, helfen wir uns mit einem herzlichen Lachen, das bringt immer Verständigung. Die Frau hat goldene Zähne und einen goldenen Ohrring, jedoch wirkt sie sonst armselig, ist dies ihr Zuhause? Oder ist sie sonst leicht verrückt? Wie eine Obdachlose wirkt sie mir mit all ihren versteckten Plastiksäcken. Kein Geld, „ mafish flus“, höre ich bei einem weiteren Stöhnen, als ich ihr sage, sie müsse zu einem Doktor. Das Wort scheint Arabisch praktisch gleich zu klingen. Sie bittet mich nicht um Geld, doch ich möchte ihr etwas geben. Nur habe ich seit gestern kein Kleingeld mehr, nur eine 100 Pfundnote, dass sind etwas weniger als 20 Franken. Wenn ich mir so überlege, wie häufig ich hier übers Ohr gehauen wurde, dann macht es mir jetzt Freude, der Frau diesen Betrag zu schenken. Sie nimmt die Note dankend an und versorgt sie in ihrem Rock. Sie hat sie nicht geöffnet, ich denke nicht, dass sie eine Ahnung hat, wie viel Geld es ist. Ich will mich nun langsam verabschieden, doch das lässt sie nicht zu. Wieder verschwindet sie in ihrem „Garten“ und bückt sich bei irgendeinem Nachtschattengewächs, das ich als giftig bezeichnen würde. Sucht, erntet und kommt mit einer Handvoll schwarzer Beeren zurück, die unseren Heidelbeeren gar nicht unähnlich sehen und gar nicht so schlecht schmecken. Wieder verschwindet sie in der Pflanzung und bringt mir zwei Auberginen und eine Handvoll Tomaten. Dann holt sie Büschel eines Ruccola-ähnlichen Gewächses, noch mit den Wurzeln daran, die sehen wie kleine weisse Rettiche aus. Nicht genug, einen Maiskolben findet sie auch noch, der auf höchstens einem Viertel der Fläche Körner ausgebildet hat. Sie legt ihn in die Glut und nach kurzer Zeit sind die Körner dunkelbraun und wunderbar knackig. Jetzt nimmt mich die Frau wieder an der Hand und führt mich durch die Felder Richtung Dorf. Irgendwo bleiben wir aber vor einem Sumpf stecken, kein Durchkommen, das scheint sie auch nicht gewusst zu haben. Zurück in der Hütte kommt sie plötzlich mit einer Stange Zuckerrohr hervor. Mit den Zähnen schält sie die einzelnen Glieder und reicht mir die Stücke. Zum Glück bin ich nicht zimperlich, hier scheint man eh nicht viel von Hygiene zu halten. Die Wasserbehälter, die überall frei zugänglich herumstehen, haben immer einen Metallbecher daneben. Mit dem bedienen sich die Leute aus dem meist irdenen Krug, trinken und stellen den Becher wieder hin. Gewaschen wird der nie und macht mir so mehr Angst als das Wasser selber.

Zuckerrohr gibt mir Mama Saadi dann auch noch mit auf den Weg und fängt plötzlich an zu singen, und trommelt mit ihren Fingern äusserst rhythmisch auf einen umgekehrten Plastikeimer. Ist sie Nubierin, frage ich sie, diese Rhythmen und Gesänge kommen mir eher Afrikanisch vor? Unter dem schwarzen Schleier blicken ein paar gelockte Haare hervor, schwarzafrikanisches Blut wäre möglich. Obwohl das Profil doch eher arabisch ist. Und die Augen erstaunlich hell und unbestimmt in ihrer Farbe. Mama Saadi fordert mich auf zu tanzen lacht und kommt richtig in Fahrt, wir haben eine vergnügliche Zeit und ich denke, die Bauern in den umliegenden Feldern denken wohl, wir seien beide etwas verrückt. Die Frau ist in bester Laune, ich nehme an, sie fühlt sich einsam, küsst und umarmt mich immer wieder. Und irgendeinmal beginnt sie dann meine Brüste zu berühren, das scheint ihr zu gefallen. Ist die Frau lesbisch? Ich begreife das ganze nicht, keine Ahnung wie weit hier erlaubte Zärtlichkeit geht, doch ich schaffe es recht gut, ihr freundlich meine Grenzen zu zeigen. Und bin trotzdem verwirrt.
Mama Saadi begleitet mich dann ein Stück weit durch die Felder zurück und verabschiedet sich, als wir bei drei Bauern vorbeikommen. Denen, so habe ich das Gefühl, scheint sie mich anzubieten, denn sie hat begriffen, dass ich alleine bin. Ich mache lachend Gesten der Abwehr, auch die Männer lachen, ein Scherz, man versteht.

Ich spaziere zurück durch die Felder, hauptsächlich Luzerne und Weizen werden angebaut, seltener Auberginen und Tomaten, Zwiebeln und sogar Kohl. Tiere weiden an Pflöcke gebunden auf den erhöhten Grasstreifen, die das Wasser stauen und gleichzeitig als Grenze dienen. Bereits tauchen wieder Neubauten auf, die Betongerippe stehen schon. Oft sehen die Baustellen aufgegeben aus.

Im Hotel angekommen, stelle ich fest, dass sich heute zwei Spatzen durch die offene Balkontür ins Zimmer gewagt haben und nun erschreckt flüchten. Ich muss die Fenster am Tag schliessen, gestern war der Raum plötzlich voller Fliegen. In dem Nebenhof – einem der wenigen, der noch nicht durch ein Tourismusprojekt ersetzt worden ist, hausen ein Esel und eine Kuh. Das finde ich toll, doch bringt das eben auch Fliegen mit sich.

In der Nachmittagshitze besuche ich das Museum von Luxor. Ein sehr schönes modernes Gebäude mit gut präsentierter Sammlung – ganz im Gegensatz zum ägyptischen Museum in Kairo. Wieder fällt mir die Ruhe, die Gelassenheit, die Freude auch in den Gesichtern der abgebildeten Figuren auf. Ein Wächter ertappt mich dabei, wie ich mit meinem Sony Ericsson Fotos mache. Das ist verboten. Doch darum geht es dem Mann nicht, er will Baksish.

In der Abenddämmerung nehme ich eine Felukka und segle den Nil hoch. Ich habe einen guten Segler gefunden. Die Segelschiffe hier sind breiter als die sansibarischen Dahus. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass ihre Masten am Schluss nicht heruntergenommen werden und horizontal gestellt. Der Mann klettert geschickt auf den hohen Mast hinauf und verpackt das Segel. Eine riskante Arbeit, scheint mir.

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