Mittwoch, 1. April 2009

Sansibar, den 27. März 2009


Kann man vor Hitze sterben? Das habe ich mich gestern in Daresalaam im Taxi, das im Stau stecken blieb, gefragt. Die hinteren Fenster waren verklemmt, konnten nicht mehr geöffnet werden - darauf müsste man immer achten, bevor man hier in ein Taxi steigt - eine Klimaanlage hatte es auch nicht, das haben nur noch wenige, wahrscheinlich hat man bemerkt, dass diese Dinger unheimlich viel Benzin verbrauchen. Ali meint, wohl schon, aber weniger rasch, als von der Kälte. Von Hitzschlag habe ich schon gehört, doch wie fühlt sich das an? Unser Chauffeur, obwohl er behauptet hat, die Adresse des Restaurants „Chef’s Pride“ zu kennen, irrt im Schneckentempo in der Stadt herum und fragt sich durch. Irgendeinmal landen wir dann doch im Chief’s Pride, einer Oase in Daresalaam, mitten im Zentrum, keine fünf Fussminuten vom Fährhafen entfernt und trotzdem habe ich das vorher nie gesehen, für Touristen bleibt diese kurze, mit Pflanzen begrünte Strasse auf mysteriöse Weise verborgen. Dafür kennen das die reichen Einheimischen umso besser. Das Restaurant gehört einem Araber aus Sansibar und ist deshalb gerade unter den Inselbewohnern sehr beliebt. Doch nicht nur, und dies auch zu recht. Ein luftiges, offenes Gebäude mit vielen Pflanzen, selbst in der unerträglichen Hitze dieser Stadt kann man hier überleben. Das Essen ist auch erstklassig, doch für hiesige Verhältnisse natürlich teuer. Ein Biriani, Fleisch an würziger Sauce mit Reis, kostet hier ungefähr fünf Franken, das entspricht dam Tageslohn des bestbezahlten Arbeiters im Lukmaan. Die Kundschaft sind Geschäftsleute aus dem Banken und Büros der Umgebung. Die Banken hier haben kaum gelitten unter dem amerikanischen Hypothekencrash und auch die Wirtschaft werde sich in den nächsten sechs Monaten erholen, lese ich in der Zeitung. Und glaube es auch, mindestens teils, denn viel für den Export, vor allem den Export ausserhalb von Afrika, produziert Tansania ja nicht. Etwas Lebensmittel, doch die werden auch während den Krisen gebraucht. Und auch die Touristen – das ist eigentlich seltsam – scheinen nicht an die Krise zu glauben, immer noch reisen sehr viele.

Im Chief’s Pride hat es leider viele unsympathische Leute. Fette Männer, die mehrere Gerichte gleichzeitig bestellen und die Hälfte oder mehr im Teller liegen lassen. Unser Tischnachbar ist solch einer. Was mich dazu reizt, mit Ali über die, in der Zeitung angekündigte, Stromrationierung zu sprechen. 200 Millionen Dollar fehlen der TANESCO, dem tansanischen BKW. Nur dass TANESCO in Tansania das Monopol hat, beziehungsweise überhaupt die einzige Gesellschaft ist, die für den Strom sorgt. All dieses Geld wird benötigt, um das marode Leitungssystem zu erneuern, ein Viertel des Stromes geht auf dem Transport verloren. Es brauche neue Kraftwerke heisst es dann. Wir wissen natürlich, dass nicht nur ein Viertel des Stromes irgendwo einfach abfliesst, sondern mindestens auch ein Viertel des Geldes von TANESCO, so dass die Gesellschaft immer nahezu bankrott ist. Obwohl die Konsumenten über hohe Strompreise klagen und erst noch alle – mindestens wenn sie ein Geschäft haben – sich Generatoren beschaffen müssen und das Benzin dafür bezahlen, um die vielen Stromausfälle irgendwie zu überbrücken. – Unser Nachbar schaut mich böse an. Er scheint Englisch zu verstehen. Die meisten der wohlbeleibten Herren hier scheinen ihr Geld von, meiner Meinung nach, äusserst unmoralischen Quellen zu haben. Leider sehen das die Leute hier beschränkt so. Alle möchten gerne am fetten Kuchen knabbern, egal wie.

Es werden also wieder einmal Stromrationierungen angekündigt. Trotzdem kaufe ich mir eine neue Kochplatte, die alte war gänzlich durchgerostet. Und hoffe halt nun, dass der Strom nicht allzu häufig ausfallen wird.
Auch einen neuen Gymnastikball finde ich erstaunlich einfach, eigentlich habe ich nicht damit gerechnet. Doch der Indische Besitzer eines Küchenladens, in dem wir Teller für den Lukmaan einkaufen, kennt den Weg. Glück gehabt.

Gestern waren wir also in Daresalaam. Weil Ali die Leute der Organisation treffen wollte, die eine Zweigstelle für ihre NGO in Sansibar aufbauen will. Nachdem er nicht viel mehr als zwei Passfotos von sich und die Empfehlung eines Freundes eingebracht hatte, wurden bereits die Unterlagen und ein Ausweis dafür, dass er in Sansibar diese Organisation leite, zu uns gesandt. Das machte natürlich neugierig. Misstrauisch auch, ganz klar. Und als ich im Schiff die Unterlagen studiert hatte, die ein buntes Gemisch von irgendwelchen Statuten kommerzieller Betriebe waren, von Dividenden wurde da gesprochen und von Boni, gleichzeitig aber das ganze als Nonprofit-Organisation angepriesen, da wurde mein Misstrauen nur stärker. Und die viele hehren Vorsätze. Für Frauen, für Kinder, überhaupt für Arme, Bildung wolle man unterstützen, das Gesundheitssystem, Ökologie, die Landwirtschaft überhaupt, Mikrokredite vergeben, Studentenplätze vermitteln, nachhaltigen Tourismus ebenfalls,.....sehr breit und viel Schönes und ganz unbestritten alles notwendig. Doch vollkommen abstrakt das Ganze.

Wir sind dann mit dem Taxi nach Kariako, dem Ladenviertel von Daresalaam gefahren und wurden dort in einem winzigen Büro, vier Quadratmeter vielleicht, in dem bis am Schluss fünf Leute sassen - Büroeinrichtung gab es auch noch, recht spartanisch - unheimlich eng. Und stickig heiss, trotz schlecht funktionierender Klimaanlage, draussen ging gerade ein gewaltiger Regenguss nieder. Und nach gut zwei Stunden Palaver wurden meine Kopfschmerzen unerträglich.
Nicht dass die Frau, die von sich sagte, in Russland studiert zu haben, drei Jahre in England gelebt und auch in Südafrika und anderen afrikanischen Ländern bereits geschäftlich unterwegs gewesen zu sein, gut Englisch sprach und Energie zu haben schien, unsympathisch gewesen wäre. Das könnte ich nicht sagen. Und während dem ganzen Gespräch kamen dann immer wieder Leute herein, wurden vorgestellt, manche setzten sich zu uns oder verliessen den Raum nach dem Begrüssungsritual - etwas ganz Wichtigem in Afrika - auch wieder.
Ja doch, da habe ich recht, diese Statuten, das Papier, das mit Dividenden und Boni und auch Weiteres, das sei nicht richtig, dass habe man ihr auf der Wirtschaftsbehörde bereits gesagt und sie zu einer anderen Behörde weitergeleitet. Und nein, die umgerechnet 1000.- SFR, mit denen jedes Mitglied laut Statuten für Schulden der Gesellschaft hafte, etwas, auf das ich Ali hingewiesen habe, nein, das stimme auch nicht, das werde dann auch noch geändert. Und nein, Sponsoren habe man noch keine, die müsse man erst suchen. Nein, die Gesellschaft habe kein Geld, der Mietzins hier und alles sei teuer. Und ob ich denn Ideen habe, wie man das besser machen könnte? Sie habe bereits eine Computerschule hier in Daresalaam aufgebaut. Aber ganz alleine sei das zuviel gewesen, das habe nicht geklappt. Ganz billig für die Schüler sei es gewesen, nur Stromkosten und so. Und finanzieren könnte man ja das Projekt, indem man alte Computer aus Europa importiere und hier verkaufe. Nein, konkret eine Idee habe sie nicht. Sie möchte einfach wieder eine Schule aufbauen, Bildung sei wichtig und da sind wir uns einig. Um zu Geld zu kommen müsse man einen Projektbeschrieb machen, da gäbe es Leute, die das könnten, aber das koste eben auch bereits viel. Sie zeigt mir solch einen Projektbeschrieb, in dem sie Finanzen für eine Schule suchte. Sponsoren seien dann auch gefunden worden, doch ihre Partnerin – eine Ministerin übrigens damals – die habe das dann alles für sich eingesackt und sie sei dumm dagestanden und habe die Leute für ihre Mitarbeit nicht einmal bezahlen können.
Deshalb wolle sie das jetzt alleine machen, man könne niemandem trauen. Aber eben, sie habe gesehen, dass das auch schwierig sei, zuviel Arbeit, deshalb suche sie nun nach neuen Partnern. Jemanden in Libyen habe sie bereits, für den Schüleraustausch. Auch jemanden in Dubai, nur habe der noch nicht zugesagt,............all diese Geschichten. Mir schwirrt der Kopf. Und ich stelle fest, dass man hier offensichtlich weder konkrete Ideen, noch ein Konzept, noch Geldgeber hat. Sich jedoch auch ein Stück des Spendenkuchens abschneiden möchte. Denn die ganze Entwicklungshilfe ist weltweit ein wichtiger Wirtschaftszweig geworden. Auch Ali erhofft sich eine Anstellung. Doch, findet er, bezahlt müsse man schon werden, schliesslich müsse man ein Einkommen haben. Und hat damit natürlich recht, auch unsere Entwicklungshelfer in Europa werden bezahlt, das sind nicht einfach Gutmenschen. Nicht erstaunlich also, dass auch hier sich jedermann darum bemüht, an diese Geldquelle zu kommen. Bereits die Leute, die Projektbeschreibungen machen für Finanzierungshilfen, profitieren davon. Dann Leute, wie diese junge Frau, die vielleicht auch Gutes im Sinne hat, ich will ihr das nicht einfach absprechen. Doch sich vor allem ein Auskommen sucht. Verwerflich ist das noch nicht, solange nicht zuviel abgezweigt wird für persönliche Belange. Und das sei eben sehr schwierig, gibt Ali zu bedenken. All dieses Geld, das dann komme, und man habe es in der Hand. Dass da keine Begehrlichkeiten wüchsen, das sei nicht einfach.
Ali versteht auch anderes besser als ich, die findet, soweit, wie das Projekt nun fortgeschritten sei, da seien ja noch nicht einmal systematisch gesammelte und zusammengestellte Ideen da, da brauche man doch kein teures Büro zu mieten und Möbel anzuschaffen, das sei doch pure Verschwendung. Nein, meint Ali, er verstehe das. Ich sähe einfach nicht, wie eng aufeinander hier in Daresalaam, wo die Mietpreise horrend sind, die Leute zusammen leben müssten. Da habe kaum jemand ein eigenes Zimmer, wo er in Ruhe arbeiten könne, Küche und Toiletten, das teile man sich sowieso zu vielen und Wohnraum oder Garten, das gäbe es nicht. Unter solchen Bedingungen an irgendetwas konzentriert zu arbeiten, das sei schwierig. Und da hat er schon recht. Bereits dieses Gebäude. Das winzige Büro, das man sich auch noch teilt, im Eingangsbereich der Liegenschaft hat sich eine Schneiderwerkstatt eingerichtet, der Durchgang ist schwierig, unten dann all die Läden und auf der Strasse Leute, Autos, Lärm und unerträgliche Hitze und heute in Daresalaam bereits ein Stromausfall, die Generatoren knattern und stinken. Nein, ich könnte nie so leben, obwohl ich mich für einen anpassungsfähigen Menschen halte. Und ja, wir Mzungus, wir können uns eben sehr vieles gar nicht vorstellen. Afrika – und das will man mir in der Schweiz nie recht glauben, das fühle ich – Afrika ist eben noch viel schlimmer korrupt und kaputt und lärmig und chaotisch und in den Tag hinein lebend als all die Klischees, die wir davon haben. Wenn man wie ich, hier nicht einfach Tourist oder Botschafter oder Geschäftsfrau ist, dann merkt man das. Und beginnt, sich vollkommen klein und hilflos zu fühlen.

Mitten in Kariako, dem Markt- und Ladenviertel - ich kann mir gar nicht vorstellen, dass so viele Waren überhaupt gebraucht werden, meist billiges Zeug - sitze ich auf einen Treppenabsatz vor einem Laden, eine sehr praktische Einrichtung, überall hat es hier Stufen, auf die man sich setzen kann, und schaue erschöpft dem Treiben zu. Autos tasten sich vorsichtig durch die Kreuzung, einer braunen Wasserfläche über morastigem Boden, eben kam ein Wolkenbruch herunter. Jetzt, eine halbe Stunde später schon wieder stechende Sonne und dampfende Hitze. Ich sitze auf der Schattseite der Strasse, und zwischendurch, wenn jemand den eher teureren Laden betritt, umfächelt mich eisgekühlte Luft. Ali ist mit einem Freund Kleider einkaufen gegangen, ich mag nicht mit, mir ist es eindeutig zu heiss. Sitzen, zuschauen, dem afrikanischen Treiben hier. Leute, Autos, Lärm, Gestank. Gegenüber ist ein Lokal, das für die Gegend recht gepflegt wirkt, doch wenige Leute sind dort. Discomusik dröhnt aus den Läden, wir sind hier im Modeviertel. Weit hinten sehe ich das geschwungene Dach des eleganten modernen Betonbaus, der als Gemüse- und Früchtemarkt erstellt wurde. Die Hitze drückt, die Gedanken werden immer weniger, wohin schaue ich eigentlich, sehe ich überhaupt noch etwas, beziehungsweise nehme es wahr, irgendwie gleite ich weg, werde ruhig. Wohl das psychologische Phänomen, von dem ich einmal las, und das ich auch schon selber an Filmfestivals erfahren habe. Wenn zu viele Eindrücke auf einen einführen, dann schalte das Hirn einfach ab, Sicherung raus, was weiss ich, nicht totales Chaos, Überhitzung, nur noch Ruhe plötzlich, unerklärliche ergebene Ruhe.

Halb zehn bereits und ich entschliesse mich, an den Strand hinunter zu gehen. Normalerweise ist das viel zu spät, doch heute hat der Tag mit trommelndem Regen begonnen, wollte nur zögerlich anfangen, die Dämmerung kam erst nach sieben Uhr, zu schwer waren die Wolken. Mir war das recht, ich muss mich von den Strapazen von Daresalaam erholen und blieb deshalb gerne etwas länger liegen. Nun entdecke ich gerade den „Kipepeo“, den Schmetterling, den ich schon mehrmals bei uns im Hof herumfliegen sah. Keine tropische Schönheit ist er. Zwar recht gross, doch unscheinbar schwärzlich. Und scheint mir anzukünden, dass der Regen nun eine Weile aussetzen wird, immer noch schwarz sind die Wolken, doch das heisst hier nicht viel, ich werde meinen Strandspaziergang riskieren.
Und gehe barfuss zum Strand hinunter. Etwas, das Superpower, unser Nachbar, mit einem freundlichen Lachen quittiert, Einheimische sei ich nun. Und auch der Taxichauffeur an der Strasse vorne schaut lachend auf meine Füsse. Ob ich keine Schuhe habe? Eine Mzungu ohne Schuhwerk scheint für die Schwarzen etwas Exotisches zu sein.

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