Dienstag, 14. April 2009

11. April 2009







Zu einem nebelartigen Brei verschmelzen am Morgen früh die Silhouetten der Wolken. Um halb sieben, als ich an den Strand gehe, wäre hier an der Ostküste die Sonne schon hoch oben am Himmel, nicht wie bei uns im Westen, wo erst gegen sieben die höchsten Hausgiebel angeleuchtet werden und die Schiffe weit draussen im Meer. Heute ist es stark bewölkt, die Sonne als gelblicher Schein im Grau zu erahnen. Darüber eine schwarze Wolkenbank. Ich gehe dem Strand entlang Richtung Jambiani. Das Dorf endet hier rascher, als ich angenommen habe, schon bald nur noch Palmen und Bäume, die den Strand säumen. Wenige Leute nur. Der Wind wird stärker, die Wolken schwärzer und ich entscheide mich, umzukehren und erreiche das schützenden Hoteldach gerade noch vor dem Wolkenbruch. Ein kurzer nur, auch nicht besonders heftig. Gerade genug, alles nass zu machen. Eine halbe Stunde später sitze ich bereits am noch einsamen Strand und skizziere die Schirme und Liegestühle, versuche die Komposition meines Strandbildes zu finden und Details festzuhalten. Doch schon bald vertreibt mich eine stechende Sonne.

„Mama Lukmaan“. Im Superduka, dem Supermarkt nicht ganz nach schweizerischer Art, in dem ich heute Nachmittag solidarisch Getränke eingekauft habe - etwas Kühles war dringend notwendig - kennt man mich offensichtlich ebenfalls. Ja, auch aus der Stone Town, nur vorübergehend hier. Vis-a-vis vom TippuTipp Haus wohne ich doch und der Nachbar sei Asfara, der Superpower. Bekannt also auch ich. Oder die Insel eben wirklich klein.

CCM steht neben dem Hoteleingang, Chama cha Mapinduzi, Revolutionspartei die Übersetzung, die Partei, die seit der Revolution 1964 an der Macht ist. Sich an die Macht krallt. Mein Baumhaus Bungalow – in einen Baum ist es nicht wirklich gebaut, doch die gemütlich eingerichtete Aussichtsplattform, Sofas, Sessel, ein Tischchen auch mit Stuhl unter einem schattenspendenden Palmendach, da sitze ich nun an meinem Computer, trägt den Namen Abeid Karume. Den Namen des ersten Präsidenten. Die sehr hellhäutige Besitzerin des Hotels, edel sieht sie aus, ist Araberin – doch schon seit Generationen in Sansibar sesshaft meint sie – beklagt sich über hiesige Moral und Politik. Lange sprechen wir zusammen. Mir hat ihre Herberge auf den ersten Blick gefallen, schöner Garten, viele Pflanzen, geschmackvoll eingerichtet, ich habe nun sogar den besten Bungalow für mich ganz alleine gekriegt. Sehr belebt ist es ja nicht im Moment, ich bin der einzige Gast. Der Raum unten ist zwar nicht riesig, doch liebevoll eingerichtet, auch das Badezimmer. Und dass nicht so ganz alles mit den Wasserleitungen klappt, das übersehe ich diesmal grosszügig. Und verlange einen grossen Wassereimer. Ich sei mir dies gewohnt, kein Problem.
Bildung brauchten die Leute hier, meint die Besitzerin des Hotels mit Namen „Palm Beach“ in Bwejuu, und meint damit nicht nur Sprachen und Englisch und Religion, sondern dasselbe wie ich, nämlich Ethik. Nachlässigkeit, Unzuverlässigkeit, lügen, stehlen, korrumpieren, all dies zeuge davon, dass die Leute hier keine Erziehung hätten. Sie wolle in der Stone Town eine Kinderpension einrichten für all die Kinder vom Land. Denn höhere Schulen und eine Universität, das gebe es nur dort. Die Kinder vom Land kämen deshalb in der Stone Town zu Verwandten, die sich kaum um sie kümmerten, sie häufig auch als Dienstleute missbrauchten. So könne ein Kind kein Selbstbewusstsein entwickeln und dort fange das Übel bereits an. Sie habe hier an der Ostküste noch ein grosses Grundstück, 1.5 Millionen Dollar sei das wert, sie habe genug Geld, um so etwas aufzubauen. Und die Eltern, die würden das mit Naturalien bezahlen, mit Früchten Gemüsen, arbeiten auch für die Schule, zwischendurch einen Monat gratis dort kochen. Die Kinder an den Wochenenden in den Gärten arbeiten, so könnten auch sie etwas dazu beitragen und würden nicht auf der Strasse herumhängen. Und die Sibylle, die deutsche Gründerin der Chumbe Island, gerade gestern sei die hier gewesen, eine gute Bekannte von ihr. Wie klein ist doch Sansibar! - Eine Stunde später und einen halbstündigen Spaziergang nordwärts treffe ich dann auf eine Deutsche, die im Shangani-Quartier gleich um die Ecke wohnt. Beide können wir uns nicht erinnern, uns jemals begegnet zu sein. Und sind es ganz bestimmt. Sie habe die Musikschule aufgebaut, bis 2007 dort gearbeitet, sei dann für einige Zeit von Sansibar weggegangen. Sie wolle sich jetzt hier neu orientieren, wisse noch nicht was. Sansibar hat auch sie zurückgeholt.
Ich treffe die Frau in dem kleinen Ressort der Schweizerin Anne, die momentan geschlossen hat. Drei Monate Ferien, das Geschäft sei letztes Jahr gut gelaufen. Die Familie sei da, ich könne nicht dort wohnen, meint sie am Telefon. Vielleicht hereinschauen, das schon. Wir Schweizer mögen uns nicht wirklich im Ausland, weichen uns eher aus. Eigentlich kenne ich das ja selbst von Paris her.
Anne also, von den Leuten hier Doktor genannt wie ich merke, sie ist Krankenschwester und scheint hier nicht nur Leute zu verarzten, sondern auch Tiere, hat eine etwas andere Ansicht zu meiner Hotelbesitzerin, die Naila heisst. Ja die sei halt immer etwas neidisch, meint sie, als ich berichte, dass sie abschätzig über das Ostertreffen der CCM im benachbarten, recht verlotterten Dere Hotel gesprochen habe. Hier würden sich die Leute sowieso nichts gönnen. Das sei eine Krankheit hier. Naila sei übrigens eine bekannte Politikerin, im Jahre 2000 habe sie gar für die Präsidentschaft kandidiert, aussichtslos zwar. Und doch, zwar eine knallharte Businessfrau, aber eine aktive Frau sei das schon, was sie denn jetzt im Schilde führe?

Und eben gerade habe ich am Eingang des Hotels festgestellt, dass offensichtlich auch Naila der Regierungspartei angehört. Der gleichen, die im benachbarten Hotel ein Ostertreffen hat. Später kommt dann auch ein wohlhabend aussehendes Paar ins Hotel sie zu begrüssen. Ich entnehme dem Gespräch in Swahili, dass sie aus Arusha kommen und ebenfalls politisch aktiv sind. – Was soll ich nun glauben, wie mich fühlen? Habe ich doch heute Morgen gesagt, das Schlimmste hier in Afrika, das sei, dass bei einem Regierungswechsel überhaupt nichts ändere, denn die neuen Leute würden innert Kürze dieselben Untugenden annehmen, wie die vorherigen. Sich persönlich bereichern, das sei das Wichtigste. Und sie hat mir beigepflichtet. Nun bin ich plötzlich verunsichert. Wo liegt die Wahrheit? Wer täuscht mich? Oder auch sich selber?

Anne’s Schwester ist etwas erstaunt, als ich ihr erzähle, der Eddy, Anne’s Mann habe mir erzählt, er habe in der Schweiz in Herzogenbuchsee gewohnt. Habe er das? Was der alles erzähle. Ja, wenn sie in die Schweiz in die Ferien kämen, dann wohnten sie schon dort. Der erzähle eben auch nicht immer nur die Wahrheit. - Realität, Wünsche, Träume, Projekte, Vorhaben, all dies vermische sich bei den Afrikanern zu einem Brei, das lasse sich nicht sauber auftrennen, verteidige ich sie immer. Ali ist nicht meiner Meinung. Sehr wohl könnten sie Schwarzen das auch. Gelogen würde auch hier bewusst, das sähe ich so falsch. Ganz abgesehen davon, dass das keine Frage der Rasse sei. Dass sei eine Frage der Gesellschaft. Hier sei eben eine total kaputte Gesellschaft, die müsse sich verändern.

Heute Abend bietet mir die Besitzerin das Zimmer für Morgen bereits viel günstiger an. Ich lehne ab, das Auto, das habe ich nur ausgeliehen, ich wolle das nicht übertreiben. Aber vielleicht komme ich ja einmal mit meinem Mann vorbei, der sei auch stark an Erziehung interessiert. Doch leider möge er das Strandleben nicht besonders, halbnackte Frauen und so, er sei ein guter Muslim. Naila stutzt etwas. Um halb neun verabschiedet sie sich dann von mir. Sie müsse noch ihr letztes Gebet machen. Und dann liebe sie es, etwas zu lesen. Im Koran.

Wenn ich hier in Sansibar lebe, dann spüre ich immer ganz deutlich, dass mit unserer Lebensart in der Schweiz etwas nicht stimmt. Genau auf der gegenüberliegenden Seite des Spektrums als Afrika. Rational, rationell vor allem, ist unser Leben, Zeit knapp, die Tage durchgeplant. Viele Leute fühlen sich dabei nicht so ganz wohl. Doch nur wenige überlegen sich, was daran falsch sein könnte und noch weniger verändern es dann tatsächlich. Ich bin ja auch so in der Schweiz. Kann nicht anders, da muss man ja bereits ein schlechtes Gewissen haben, wenn man eine halbe Stunde lang nur den Mond, anstarrt. Das habe ich eben gerade getan oben in meinem Aussichtsturm. Der Mond jetzt schon hoch, Silber auf dem Wasser, von oben der Sandstreifen bereits wieder breit und hell leuchtend, die Ostküste hat ausserordentlich feinen und hellen Sand. Und auf dem Sandstreifen die undeutlichen, doch gut sichtbaren Schatten der Leute, die durch die Bucht spazieren. Belebt ist es heute Nacht. Gruppen von Kindern, Jugendliche, Mädchen sogar, wandern den Strand hinauf und hinab. Die vielen Abgeordneten der Regierung, die im Dere Hotel nebenan feiern, locken Neugierige an. Und kommen die dumpfen Bassstösse - auch hier leider - von dort oder von sehr viel weiter, von Paje her, über das Meer getragen vom Wind? Ich verstehe das einfach nicht, dass solches erlaubt ist. Kein ruhiger Ort mehr an der Küste, wo man einfach dem Rauschen des Windes oder den Wellen zuhören könnte.

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