Sonntag, 7. Oktober 2007

1.Oktober 2007


1. Oktober 2007

Ein wundervoller Flug über die Alpen, die Bergspitzen sind vom Neuschnee zugezuckert, ich sehe alles ganz klar und versuche, die Orientierung zu behalten. Dann ein Nebelmeer, einzelne Berggipfel ragen mit ihren Kreten wie krakelige Figuren aus dem weissen Schaum. An Bierschaum denke ich beim Anblick des Nebels. Und es dünkt mich, darunter müsse man ersticken. Ich verliere dann doch die Orientierung. Auf der rechten Seite nun eine Küstenlinie, ich nehme an, es sei Jugoslawien und bin erstaunt, dass die Reise derartig weit gegen Osten geht. Bis ich in den „Flight Informations“ feststelle, dass wir den italienischen Stiefel hinunter fliegen, der Thyrenischen Küste entlang. Stark verbaute Küstenebenen, dazwischen gefurchte Hügel, Wald, wo Steilkanten. Unverständlichen Schriftzeichen gleich die Muster, die diese Waldstreifen in die Landschaft zeichnen. Manchmal auch höhere Berge, die bewaldeten Gipfel sind braun gefärbt, die Kreten meist nackt. Das Ganze erinnert mich an einen von Schaben zernagten Pelz mit abgeschabten Kanten. - Über dem tiefblauen Meer nun. Merkwürdig matt ist die Farbe, kein Glitzern. Ab und zu zerfurchen Schiffe das Blau, eine kurze weisse Spur bleibt stehen. Schäfchenwolken in Zeilen oder Grüppchen über der Tiefe, die Küstenlinie ist tropisch türkisblau gefärbt. Land wieder, Messina, Erosionstäler graben sich tief in den ausgedörrten Boden, ein bewaldeter toter Vulkankegel - vorher, erinnere ich mich jetzt - mit kleinem See in der Mitte. Noch früher, in den Alpen, faszinieren mich die trotzig aufragenden, senkrecht gestellten geologischen Schichten, von der Witterung zerfresse Zahnreihen.

Mittagessen über dem Mittelmeer. Mein Sitznachbar, ein riesiger Kenianer, zwischen den Sitzen erbärmlich eingeklemmt, trinkt drei Fläschchen australischen Rotwein. Er ist in weisses Hemd, Anzug, Gilet und Kravatte gekleidet. Auch seine Tischmanieren sagen mir, dass es sich um einen wohlhabenden Afrikaner handeln muss. Das Pouletgschnätzlets mit Safranreis und gedämpften Karotten ist erstaunlich schmackhaft. – In der Sicherheitskontrolle in Zürich haben sie beim Röntgen meines Handgepäckes die sieben Äpfel gesehen, die ich für den Ali eingepackt habe. Das Eckige sei wahrscheinlich Käse, meint die Kontrolleuse. Es ist. Ganz offensichtlich kein Problem Schweizer Landwirtschaftsprodukte auszuführen.
Als die Küste des afrikanischen Kontinentes auftauchen sollte, bleibt unter uns alles milchig-beige, eine dichte Wolkenschicht hat sich unter das Flugzeug geschoben. Nach einer kurzen Siesta scheint mir keine Veränderung eingetreten zu sein. Doch dann stelle ich fest, dass das Blassbeige sich gegen oben kontinuierlich in Blassblau verwandelt und darüber sogar in ein intensives Blau. Und – mit der Brille sehe ich es ganz genau – die dunklen Flecken unten im Beige sind Felsinseln, die beige Fläche von einer akkurat gezogenen Strasse durchschnitten. - Mein Nachbar schläft immer noch und wird immer breiter. - Rötliche und weisse Schlieren unten in der Wüste. In den Flight Informations auf dem Bildschirm stelle ich fest, dass sich das Flugzeug nun der Grenze zwischen Lybien, Ägypten und dem Sudan nähert. Distanz bis zum Ziel 3120km, in New York ist es jetzt auch Tag geworden, Durchschnittsgeschwindigkeit 913 km/h, Aussentemperatur -49 Grad Celsius.
Die Tibesti-Mountains rechts unten. In der Tiefe sehe ich eine Art riesigen Krater mit weichen Rändern. Hellere Linien ziehen, parallel zueinander liegend, Richtung Süd-Westen durch den Sand. Dünen wohl? Kreisförmige schwarze Flecken übersähen das Beige wie Pickel. Merkwürdigerweise scheinen es mehr denn Erhebungen Vertiefungen, von einem Schattenhof umgeben. Zwischen den Darfur Mountains und Addis Abbeba im Osten sehe ich im Sand unten merkwürdige Strukturen, sie scheinen mir nicht natürlich zu sein. Wie eine riesige Wunde, ein Schlitz, von groben, unregelmässigen Stichen zugenäht. Als ob hier ein Riesenpflug am Werk gewesen wäre. Etwas später dann glänzende Rechtecke, ich deute sie als Wasserflächen, erste unregelmässig-eckige Strukturen in hellem Beige, zerstreut oder in kleinen Gruppen auf dem dunkelbraunbeigen Grund, es muss sich um Felder handeln. Dunklere Punkte. Bäume wohl? - Doch noch nirgendwo zeigt sich die Farbe Grün. Kleine Wasserflächen funkeln nun herauf, ausgetrocknete Flussläufe. Pisten zerschneiden das Land. Keine scharfen Ränder, gebündelte Spuren nur. – Und plötzlich zweifle ich über die Bedeutung des Gesehenen. Darfur Mountains. Könnten die schwarzen Löcher auch Bombenkrater gewesen sein? Und dann die merkwürdige „Wunde“ im Sand?

Ein Schwarzer in Rasta-Locken tänzelt im Gang herum. Auch ihm scheint der Rotwein zu munden. „Kunywa“, trink, ruft er einem Landsmann zu. Breite Riesenarme in dunklerem Farbton tauchen am Boden auf. Beim Überfliegen funkeln gewundene Bänder darin auf, Schlangen gleich. Ein Sumpfgebiet? Die Luft wird nun milchig. Fasten Seat Belts. Auf 11'500 m Höhe mitten im Nebel, eigentlich in einer Wolke, wird das Flugzeug heftig geschüttelt. Als ob in den dichten Wolken Masse wäre, an der sich der schlanke Flugzeugleib reibt. Dann plötzlich aus der Wolke hinaus ins grelle Sonnenlicht, abenteuerlich hohe Wolkentürme ragen zu uns herauf. Ungewohnt schneeweiss von der Sonne beschienen über dem in Dunkelheit liegenden Land. Erstmals seit Stunden sehe ich unten ein helles, kräftiges Grün, eine dicke, dicht gewundene Schlange in der Landschaft. Das beigebraune Würmlein mitten drin muss der Flusslauf sein. Dicht bewaldetes, zerfurchtes Hügelland später.
Ich stelle fest, dass viele Afrikaner im Flugzeug gewaltige Mengen Rotwein trinken. Gratis eben bei der „Swiss“, da muss man profitieren, die genieren sich nicht wie wir, nach dem zweiten Fläschen nochmals nach Alkohol zu fragen. Der tanzende Rasta-Typ beginnt nun die Schweizer zu beschimpfen. Rassisten, doch die Frauen seien gut, schön. Die Stewardessen bleiben erstaunlich gelassen, bringen weiterhin Alkohol, geschmeichelt wohl auch von den Komplimenten. - Und lassen dann trotzdem bei der Landung die Polizei kommen, weil sich der Typ weigert, abzusitzen und sich anzuschnallen bei der Landung. Hier sei er bei sich, das sei sein Land. Hier habe er das Sagen. - Trotzdem, die Polizei hätte ich nicht gerufen. Da müsste ich schon mehr Vertrauen in deren Gerechtigkeit haben.
Mein gut gekleideter Nachbar steigt auch in Nairobi aus. Zieht noch eine Flasche Rotwein aus dem Flugzeugsitz und verstaut sie in seinem Rucksack. Ein Geschenk der „Swiss“ eben.

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