Freitag, 20. Juli 2007

17. Juli 2007



17. Juli 2007

Heute ist mein letzter Tag hier in Sansibar. Ungewöhnlich fängt er an. Morgens um 6 Uhr beginnt es zu regnen, und auch jetzt, um neun Uhr ist es noch trüb. Ich habe meine Pflanzen in den sanften Regen gestellt, sie sind nun wieder rein gewaschen. Überhaupt hat der Regen den Staub, der sich während der trockenen Wochen ansammelte, herunter gewaschen. Trotzdem sind die Ilangilang Bäume, oder mindestens was ich so bezeichne - Ali nennt eine andere Art so – nun fast kahl, haben ihre Blätter verloren, und auch der Baobab zeigt durch das licht gewordene Laub seine grossen samtenen Früchte. Die Winterzeit ist hier eine Trockenzeit.

Othmani, Alis Partner schaut interessiert meine Karte von Sansibar an. „Unguja Ukuu“. Ja von hier komme er her, das kenne er. „Makunduchi“ im Süden ebenfalls, dort sei er einmal an einem Begräbnis gewesen. Auch in „Nungwi“ anlässlich eines Begräbnisses. In „Uroa“ aus dem selben Grunde. - Ich frage Othmani, ob er denn jemals seine Insel aus einem anderen Grunde als Begräbnissen bereist habe. Nein, meint er, Hochzeiten die würden ja meistens in der Stadt gefeiert, da gehe man nicht aufs Land. Und überhaupt wohne ja der grösste Teil seiner Familie in der Stadt, mindestens die Jungen, die sich verheirateten, das erleichtere die Sache. – Othmani hat ausserhalb der Stone Town bisher einige Jahre in Daresaalam gearbeitet. Sonst ist er noch nicht weit herum gekommen. Ganz bestimmt kennt er seine Insel schlechter als die meisten Touristen.

Josephine erklärt mir kürzlich die Wortkonstruktionen mit „piga“, wörtlich „schlagen“. „Piga msuaki“, Zähne putzen, oder „piga magoti“, knien. Spannend ist vor allem auch „piga miayo“, gähnen. Josephine erklärt mir, gähnen tue man, wenn man müde sei. Und auch wenn sehr hungrig. Auf mein ungläubiges Staunen erwidert sie, dann sei ich eben noch nie richtig hungrig gewesen. – Als ich die Geschichte dem Ali erzähle, meint der dann allerdings, das sei Josephine, das sei nicht Sansibarische Weisheit.

Mit Josephine lese und übersetze ich einen Artikel aus der Zeitung, in dem erklärt wird, weshalb Frauen den Kopf bedecken müssen, was sie, als Christin ebenfalls tut. Auf meine Frage, weshalb denn, erklärt sie fast etwas gereizt, die Nonnen, die würden dies ja auch machen, das sei nicht nur islamisch. - Obwohl ich eher denke, dass man sich als christliche Minderheit, mindestens zu ihrer Zeit, sie ist etwas älter als ich, halt einfach anpasste. Nicht auffallen wollte. Heute sind die Jungen anders. Obwohl mir auch Josephine erklärt, dass die Spannungen zwischen Muslimen und Christen in den letzten Jahren – seit dem 11. September – zugenommen haben. Wo doch vorher Muslime, Hindus und Christen hier friedlich zusammengelebt hätten.
Zurück zu dem Artikel. Die Haare also, die sollen gleichsam als Antennen wirken, die das Böse anziehen, böse Dämonen eben. Und gleichzeitig das Gute abwehren. Da die Frauen schwächer sind und sich weniger wehren können, müssen sie sich davor schützen. Auch bei den Männern gibt es Gelegenheiten, wo sie einen solchen Schutz brauchen, etwa an Begräbnissen, da muss der Kopf unbedingt bedeckt werden. Von Josephine lerne ich ebenfalls, dass auch in der Kirche die Häupter bedeckt sein sollten. In Europa halt eben mit Hüten. - Wo ich doch bisher immer geglaubt habe, in der Kirche müsse man seine Kopfbedeckung abziehen, das sei ein Akt des Respekts.

Vielfach sehen wir in Afrika nur ein Chaos, glauben so, dass gar keine Ordnung bestehe - wo es doch oft nur darum geht, dass wir die Ordnung nicht erkennen.
Zum Beispiel beim Schlange stehen. Ein Raum voller Leute, die herumstehen oder auch sitzen. Anfangs denke ich, dass wohl nur die den Schaltern am nächsten stehenden Leute - auch sie nicht in einer ordentlichen Zeile - dort wirklich etwas wollten, die übrigen Begleitung seien. Oder einfach an einem kühlen Ort mit Sitzgelegenheit etwas ausruhen und dösen möchten. Und werde dann höflich darauf aufmerksam gemacht, dass ich nicht an der Reihe sei. Beschämt versuchte ich fortan die vielen Leute, die bereits im Raum sind, wenn ich hereinkomme, alle im Kopf zu behalten. Ein sehr schwieriges Unterfangen. Ich erzähle Josephine von meinem Problem. Sie meint, das sei eben so, manche Leute, die würden stehen und andere, die könnten nicht stundelang herumstehen. Sie sieht mein Problem nicht recht. Das sei doch ganz einfach, nur eine einzige Person müsse ich mir merken, die letzte nämlich, die die gerade vor mir herein gekommen sei. Ich wende ein, das sei gerade das Problem, wenn ich hereinkomme, dann sei die ja bereits drinnen, wie solle ich da feststellen, wer das gewesen sei? „Nani wa mwisho“, meint sie, „wer ist der letzte“, müsse ich fragen, wenn ich hereinkomme, dann wisse ich, wer es sei.
Vieles hier in Afrika regelt sich eben mit Sprechen. Karten lesen, etwa, das tun nur wenige, haben auch keine Karten. Wenn man irgendwo hin gehen will, dann fragt man eben. Wobei ich da nicht immer gute Erfahrungen gemacht habe. Die Antwort: „ich weiss es auch nicht“, die kriegt man ganz selten. Viel eher wird man irgendwohin geschickt. Oder ein freundlicher Begleiter führt einen – gegen ein Entgelt natürlich – stundenlang fragend und weiterführend geduldig durch die Stadt.

18. Juli 2007

Im Flughafen Amsterdam höre ich erstmals wieder Berndeutsch sprechen. Eine hässliche Sprache finde ich. Das geht mir jedes Mal so, wenn ich von einem längeren Aufenthalt im Ausland zurück kehre. Irgendwie ungeschlacht, grob. Um neun Uhr abends steht die Sonne immer noch am Himmel. Auch dies fällt auf, die langen Tage. In Sansibar ging die Sonne um halb sieben Uhr unter.
Beim Aussteigen in Zürich erhasche ich den Duft von frischem Heu. Wunderbar scheint er mir. So viele Erinnerungen, diffuse Sehnsucht steigt in mir hoch .

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