Freitag, 19. Oktober 2007
11. Oktober 2007
„Speicherkarte voll“ ist die Mitteilung, die mir meine Kamera heute Morgen in der Nähe des Marktes gibt. Irgendwie bin ich erleichtert. Oft kam ich gar nicht mehr dazu, den Spaziergang richtig zu geniessen; immer auf der Lauer. - Später dann doch wieder schade: Genau dieses Bild hätte ich machen müssen. Die sanft rosagrau, blaugrau und gelblichen Farbtöne in den Wolken. Erste Sonnenstrahlen, die vereinzelt Schiffe streifen, während der Rest des Bildes noch im Schatten ruht.
Riesige Abfallberge rings um den Markt heute Morgen, auch deutlich geschäftiger bereits als die vorderen Tage, man wartet auf den Ansturm der kaufwütigen Festwilligen. Immer noch ist nicht klar, ob nun bereits heute der letzte Fastentag sei, oder erst Morgen. Manchmal hat ein Mondmonat nämlich 29, manchmal 30 Tage. Das scheint man, wird hier gesagt, nicht im voraus berechnen zu können, das gibt eine befugte islamische Stelle bekannt: Ob die Mondsichel bereits gesichtet worden sei. Sicher bin ich, dass der Mond die letzten beiden Nächte weg war. Bis heute Abend also herrscht Unklarheit, doch ich fühle eine Art Unruhe bei den Leuten. Und in den Moscheen sehe ich noch viele Männer herumsitzen nach dem Gebet, manche höre ich singen, das war die anderen Tage nicht so. Ich habe Lust, Fotos durch die Fenster ins Innere der Moscheen zu machen, die sitzenden, teil singenden Männer. Doch getraue ich mich nicht recht, habe das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun.
Mit dem Wissen, dass eben erst des Abends klar wird, wie lange nun der Ramadan noch dauert, wird mir klar, weshalb der erste Abend danach, ein normales Fastenbrechen ist, nichts Besonderes. Erst das Frühstück am nächsten Morgen ist dann ein sehr spezielles Mahl und zum Mittagessen gibt es Biriani oder Pilaui. Und die Kinder kriegen Geschenke.
Auch ich bin heute geschäftig. Morgen kommt meine Schwester mit Familie, ich muss noch das Haus vorbereiten, ein paar Sachen einkaufen, wir haben nur noch zwei Löffel. Seit dem Besuch von Alis Verwandten vom Land, die einen Angehörigen, der von einer Kokospalme herunterfiel, im Spital besuchen wollten, ist der Rest verschwunden. Und am Nachmittag ist ein Besuch bei anderen Verwandten angesagt, die mich in die Küche des Fastenbrechens einführen sollen.
Ab vier Uhr nachmittags sitze ich in dem winzigen Hof eines Hauses in den Vororten und schaue den Frauen beim Kochen zu. Helfen, das wollen sie mich nicht lassen. Der Hof ist zugleich Badezimmer und Küche, die Stelle eben, wo es Wasser gibt. Das in diesem Quartier nicht aus der Leitung fliesst, täglich in Fässern mit Lastwagen angeliefert wird und von den Frauen eimerweise auf dem Kopf herein getragen.
Um halb sieben ist das Fastenbrechen. Kurz vorher treffen noch drei weitere Frauen ein und ein Kind. Im Raum nun - der ist dicht abgeschlossen, die Fensterläden zu, der Fernseher läuft, ein Mann predigt auf dem Bildschirm, die normale Senderwahl hier in Sansibar, mindestens momentan - richten sich zwei der Frauen gegen Mekka aus und verrichten gut eingehüllt in ihre Schleier, denn auch vor Allah ist man ja nicht nackt, ihre Gebete. Zum Glück bleibt eine Frau mit dem Baby sitzen, hat wohl ihr Gebet bereits zu Hause verrichtet, ich bin froh, komme mir sonst immer sehr deplaziert vor. Jetzt treffen auch der Hausherr und sonst noch ein Mann ein, wir sind nun sechs Frauen, vier Kinder und zwei Männer in dem engen Raum auf dem Boden sitzend. Teller Mit Chapati, Maniok in Kokosnussauce, gebratenem Fisch und Fisch in Tomaten-Gemüse-Sauce, Roten Bohnen, unerwartet mit Zimt und Zucker gewürzt. Dazu gibt es einen Ingwer Tee. Kaum fangen die Leute an zu essen, man wünscht sich keinen guten Appetit, beginnt einfach, geht das Licht aus, Stromunterbruch. Stockdunkel ist es in dem abgeschlossenen Raum. Und erstmals begreife ich den wirklichen Nutzen der Natels. Sofort haben ein paar Leute ihr Telefon ergriffen, das liegt ja immer sehr nahe, und irgendeine Taste gedrückt: bläulich-weisse Lichter erglimmen. Das scheint hier in den Vororten, wo Stromunterbrüche weit häufiger sind als im Zentrum, ein eingeübter Handgriff zu sein. Eines der Telefone hat sogar eine kleine Taschenlampe eingebaut, genug Licht, um Kerzen und Gaslaternen zu holen.
Bei uns ist der Begriff „Patchworkfamilie“ momentan sehr modern. Doch erfunden wurde die Patchworkfamilie sicherlich hier in Afrika. Selten begreife ich genau, in welchem Bezug die einzelnen Hausbewohner zueinander stehen. Und auch, wie viele genau dort wohnen und wer nur auf Besuch ist. In diesem Haus ist das zwar noch ganz einfach: Die Frau mit Baby und Kleinkind, der Mann, die ledige Schwester des Mannes, die hier wohnen bleibt bis zu ihrer, hoffentlich baldigen, wie sie antönt, Hochzeit und ein anderes kleines Mädchen, das die Tochter der Schwägerin sei, welche wiederum in einem anderen Stadtteil wohne. Der zweite Mann heute Abend könnte der Vater des Mädchens sein, mindestens begrüsst er es sehr herzlich bei seiner Ankunft. Am Nachmittag ist das Kind im Hof dumpf vor seinem Teller Bohnen gehockt, hat mit den Händen darin herumgestochert, das ganze von Fliegen umschwärmt. Ein trauriges Bild. Für das Abendessen wurde es jedoch gebadet, schön eingekleidet und spielt jetzt freudig mit den anderen zwei Mädchen.
Die Männer gehen nach dem Essen rasch wieder, wir Frauen bleiben sitzen, es wird geschwatzt und ich schliesse mich um etwa neun Uhr Abends den drei Frauen an, die ebenfalls mit den Dalla Dalla, den klapprigen Minibussen zurück in die Stadt wollen. Immer noch kein Strom, das Quartier ist finster und ich fühle mich fast etwas nackt mit meinem entblössten Kopf rund um die nun wieder tief verschleierten Frauen.
Und wieder kommt auch Groll auf gegenüber Ali. Wie kann man nur in einer solchen Religion verwurzelt sein? Meine eifrige, mir selbst auferzwungene Lektüre des Korans bringt mich dieser Religion nicht näher – ganz im Gegenteil. Immer irdischer wird mir dieser Mohammed, ein Herrscher - ob gütiger Imperator oder Diktator, das kann ich nicht beurteilen - der eine Legitimation für seine, sicherlich von ihm als eine Sendung angesehene, das will ich nicht anzweifeln, Herrschaft sucht. Anfangs zu Verteidigungskriegen gegen die Feinde seiner Religion aufruft, dann aber mit dem Erfolg immer dreister auch angreift. Und den Gläubigen, oder Untertanen, wie man das nimmt, androht, dass sie in die Hölle kommen, wenn sie nicht mithelfen im Krieg und das ganze auch finanziell unterstützen. Den gehorsamen Kämpfern hingegen werden die Paradiesgärten mit fliessendem Wasser (das war wohl in den arabischen Wüsten wirklich etwas Besonderes) und Jungfrauen in Aussicht gestellt. Der Gläubige wird belohnt, der Ungläubige bestraft, dies immer wieder, die Botschaft des Korans. - In irgendeiner Sure schreibt Mohammed, oder besser legt er in Allahs Mund, dass die Plünderung der Stadt nach dem Krieg zwar schlecht gewesen sei, weil von Allah nicht erlaubt, dann aber nachträglich von diesem bewilligt worden sei, also verziehen. Und dem Propheten , also ihm, Mohammed selbst und seinen Verwandten, den Waisen, den Armen und dem Wanderer solle ein Fünftel der Beute zukommen.
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