Sonntag, 2. November 2008

Sansibar, den 30.November 2008


Ich besuche heute den wohl bekanntesten Maler Sansibars, John da Silva. Portugiese von Geburt, die Portugiesen waren vor langer Zeit die ersten Kolonisatoren hier, die Familie wanderte dann nach Goa, Indien, aus und kam zurück auf die Insel, als Da Silva zehn Jahre alt war. Nun ist er ein alter Mann, nach zwei Gehirnschlägen geschwächt, er sieht nur noch auf einem Auge, was das Malen sehr erschwere, wie er bedauernd, jedoch nicht wehleidig, meint. Doch noch immer versuche er regelmässig draussen skizzieren zu gehen. Drinnen, am Schreibtisch, das sei nichts, er müsse vor Ort sein. Und damit verstehen wir uns bereits bestens. Am Vorabend sprach er mich beim Afrikahouse an, ich war daran, bei Sonnenuntergang zu skizzieren, und lud mich in sein Atelier ein. Riesig ist sein Lebenswerk, luftige Aquarelle, eigentlich mehr Illustrationen, mit Filzstift sehr frei und fein vorgezeichnet, er benutzt den Stift wie in einer Radierung, nur spärlicher, doch trotzdem mit Strichen etwas schattierend. Die Farbe wird anschliessend recht unabhängig vom Sujet in bunten, fein aufeinander abgestimmten Farbflächen aufgesetzt, viel Fläche bleibt dabei weiss. Und heute, beim Betrachten der meist verfleckten Altstadtmauern, die unterschiedliche Farbschichten hervorblicken lassen, scheint mir sein eigenwilliges Farbkonzept logisch. Er sei Autodidakt meint er noch, habe sich die Aquarelltechnik selber beigebracht.

Neben den vielen Aquarellen und Zeichnungen sammelt Da Silva auch alte Fotografien und Postkarten, sogar Briefmarken über Sansibar. Er hat damit ein sehr wertvolles Archiv geschaffen von der Stone Town, der Altstadt, die – wie wir beide bedauernd feststellen – in letzter Zeit systematisch zerstört wird durch den Umbau in Hotels. Die Häuser werden dabei meist um ein- bis zwei Stockwerke erhöht, die Stadt verliert immer mehr ihren ursprünglichen Charakter - nachdem sie jahrelang vernachlässigt wurde und viele Gebäude während der langen Zeit, in der Da Silva hier gemalt hat, bereits zusammengebrochen sind, gar nicht mehr existieren. Was mich an diesem alten Mann, der trotzdem irgendwie jung wirkt, vor allem fasziniert ist, dass er es schafft, nicht verbittert über all die Veränderungen auf der Insel zu sein. So frage ich ihn bei Fotografien von leicht bekleideten Frauen im Stile der 50iger Jahre, ob dies denn wirklich in Sansibar gewesen sei? Natürlich meint er, Sansibar sei vor der Revolution gänzlich anders gewesen. Eine blühende Stadt, kulturell hoch stehend, wohlhabend, den letzten Sultan habe er auch noch gekannt, auch der sei dem Vergnügen nicht abgeneigt gewesen. Erst nach der Revolution habe das dann geändert. Ob er nicht daran gedacht habe, wie andere Weisse, Araber und Inder, von hier wegzuziehen? Nein, man sei ja nicht ausgewiesen worden. Die Leute hätten einfach keine Perspektiven mehr gesehen im neuen System und seien gegangen. Für ihn jedoch, der nichts besessen habe, sei das kein Problem gewesen, man habe ihm auch nichts wegnehmen können. Und ausserdem sei er neugierig gewesen auf dieses neue System, den Kommunismus, das habe ihn damals interessiert. Obwohl er dann später, vor rund 20 Jahren, mit dabei gewesen sei von der Regierung einen Wechsel zurück in die Marktwirtschaft zu fordern. Doch damals, da habe er das begrüsst. Sei eben immer neugierig gewesen auf die Menschen, auf Veränderungen. Wohl deshalb ist es ihm gelungen, all die grossen Umwälzungen hier als Chronist, als Beobachter überhaupt nicht verbittert zu dokumentieren und kommentieren. Ich sollte mir diesen weisen Mann zum Vorbild nehmen. Wahrscheinlich ist es auch dies, was denn gesundheitlich gschwächten Mann irgendwie jung erscheinen lässt: Sein Interesse an den Menschen, seine Neugier.

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