Jedes Mal im Flughafen treffe ich auf Ordensschwestern. Nonnen scheinen viel in der Welt herum zu fliegen. Vor allem nach Afrika. Wenigstens ist der Zürcher Flughafen diesmal nicht voller orthodox gekleideter Juden wie sonst eigentlich immer. Dieses demonstrative Zurschaustellen der Religion macht mir jedes Mal Mühe. Genau wie der Schleier der muslimischen Frauen in Europa - aber eigentlich ist ja die Uniform der Nonnen dasselbe. - Die Gläubigen reisen viel, wäre die Schlussfolgerung. Fliegen viel, da ist man Gott etwas näher. - Oder fallen mir vielleicht auch nur mehr auf in letzter Zeit.
Zwei Männer, es könnten Palästinenser sein, Nordafrikaner auf alle Fälle, dunkel, Arabertyp, diskutieren in einer Sprache, die ich nicht kenne über die 100ml-Grenze für Flüssigkeiten. Das schliesse ich daraus, dass sie auf das Plakat vor dem Sicherheitscheque zeigen und unruhig palavern. Beide haben grosses Handgepäck, Gastarbeiter vermutlich, zu viel Parfum vielleicht, die Geschenke, das kann Schwierigkeiten geben. Vor allem, wenn man so aussieht wie sie.
Abflug bei schönstem Wetter, der Schatten des Flugzeuges verfolgt uns unscharf über die Landschaft. Nebelschwaden kriechen von Norden her durch die flachen offenen Täler und wo sie aufhören, werden sie durch den Siedlungsbrei abgelöst, Verstädterung allüberall. Eine Wolkendecke schiebt sich unter das Flugzeug, die plötzlich wieder aufreisst und den erstaunlich blauen Zürchersee hervorschauen lässt. Dann bereits Berge, verzuckerte zackige Gipfel, der erste Schnee. Die Schatten in den Tälern sind noch riesengross um zehn Uhr Morgens, die Sonne steht bereits wieder tief. Dort wo der Schnee grossflächig klebt müssen die hohen Gipfel sein, sehen kann man die Höhe der Gebirge vom Flugzeug aus überhaupt nicht, weniger noch als auf einer Landkarte. Wie blassfarben und kahl doch die Berge sind, schroff und eindrücklich jedes Mal. Im Süden der Alpen wird es dunstiger und sehr hell, wir scheinen diesmal weit ostwärts zu fliegen. Richtung Triest türmen sich schroff gezackte Bergsilhouetten im Dunst, erinnern mich an Aquarelle, die ich kürzlich gesehen habe, an chinesische Tuschzeichungen auch, das müssen die Dolomiten sein. Immer heller wird es, die Landschaft zerfliesst zu gleissendem Weiss. Irgendeinmal ganz unscharf, glaube ich unter dem Weiss die Lagunen Venedigs zu erkennen. Das Apero dann - ich begnüge mich mit Tomatensaft, habe in den letzten Tagen genug gesündigt - ringsherum wird vom freien Alkoholangebot profitiert, Wein, Whisky-Cola, alles gratis, man greift zu. Die Chefstewardess scheint mir immer dieselbe zu sein auf diesem Flug. Nicht mehr ganz jung, blond, spricht perfekt Swahili.
Der Dunst hat sich über dem Mittelmeer zu Wolkenbänken verdichtet, mit schafwollen zerkräuselter Oberfläche. Nach dem schemenhaft unter den Wolken auftauchenden Brindisi, biegt das Flugzeug gegen Osten ab, Richtung Griechenland, dann Ägypten. Nicht mehr über Libyen wie früher meistens - wohl kaum ein Zufall. Die Wolkenbänke haben sich zu locker vereinzelten Schäfchenwolken aufgelöst, das Essen ist gegessen, nicht besonders gut diesmal, finde ich, der Flug ist voll ausgebucht, das hätte ich nicht gedacht, war doch mein Ticket vor einem Monat noch sehr billig. Kleine Schiffe, grosse Schiffe, erstaunlich gut sichtbar im tiefen Blau des Mittelmeeres, selbst aus 10'000 m Höhe. Die griechischen Inseln jetzt, die Ufer meist steil, gestochen scharfe Umrisse, farblos blass die Abhänge. Viele Afrikaner hat es diesmal im Flugzeug. Ausgemergelte grosse Männer, apathisch in Decken gehüllt oder dicken Winterjacken. Unglücklich sehen sie aus. Einwanderer aus Somalia? Oder falsche, die zurückgeschickt wurden?
Psycho-Test in der „Elle“, die ich gratis am Flugzeugeingang mitgenommen habe. Dass man für so etwas Geld bezahlen kann, ist doch fast nur noch Werbung drin. Und merkwürdigerweise sieht das, was nicht Werbung ist häufig noch sehr ähnlich aus, das kann man kaum mehr unterscheiden. Psycho-Test also, man muss die Zeit vertreiben. Ich schaue die Resultate mehrerer Charaktere an, da ich das ganze nicht schriftlich machen will und so nur abschätze, was zutreffen könnte. Bei jeder Variante fühle ich mich geschmeichelt, finde das passe gut zu mir. – Blödsinn, dieser Test, der schmeichelt wohl jedermann, macht alle glücklich und bedeutet überhaupt nichts. Enttäuschender Hochglanz. Auch die Artikel in dieser Zeitschrift sind zwar meist süffig geschrieben, aber absolut belanglos.
Jedes Mal, glaube ich, fliegt das Flugzeug eine andere Strecke. Diesmal erscheint mir die Wüste nicht sehr lang. Ich döse meinen Verdauungsschlaf - der Rotwein wirkt auf dieser Höhe und um die Mittagszeit beträchtlich - und wache erst über einem langgestreckt sich dehnenden Wasserband. „Lake Nasser“ stelle ich auf dem Bildschirm fest. Ist das wohl der Assuan-Staudamm? Sieht etwas wie ein Fjord aus, die verästelten Ufer. Aber alles im blassen Wüstensand, hier bin ich noch nie darüber geflogen. Dann wieder Wüste, es wird sehr dunstig. Sandblass zu unterst, verschiedene Rosatöne dann bis zum Horizot – vom Dunst gebildet wohl – der als dunkelgraue Linie hervortritt. Darüber ist es weiss, dann in hellblau übergehend und schliesslich hoch im Himmel oben tiefblau. Recht rasch wieder, über dem Sudan sind wir bereits, inselartig kleine Felder in den Wüstensand gestreut, die langsam grösser werden. Sowohl die bepflanzten Flächen als auch die einzelnen Felder, bis sie den Sand fast ganz verdrängen. Und später von tiefen Wolkenbänken abgelöst werden. Darunter dunkel und bläulich das Land, das jetzt im Schatten liegt. Der Himmel verändert sich nochmals: Zuoberst nun Dunkelgrau das gegen unten langsam in Blassblau übergeht. Helle Wolkentürme ragen vom Dunkel der Landschaft bis zu unserem Flugzeug hinauf, das leicht zittert bei deren Durchqueren.
Swiss Garden Hotel. Man kennt sich bereits – und doch wieder nicht. Neue Angestellte, auch kann ich mir die Gesichter hier noch schlechter merken als in der Schweiz. Item, den schweizer Boss - Pfister, nicht Zürcher heisst er vernehme ich eben - lässt sich nur noch selten blicken. Er habe jetzt auch ein Unternehmen für Klinikmaterial, erklärt mir Abel, der sich als Manager vorstellt, er sei nicht mehr immer hier. Da hatte er ja die richtigen Gäste, Entwicklungshelfer zumeist. Die konnten ihm bestimmt sagen, was die Spitäler hier am dringendsten brauchen. Man merkt das Fehlen des Chefs etwas, finde ich. Die Qualität im Hotel hat nachgelassen. Obwohl die Angestellten sehr höflich sind. Etwas langsam und ungeschickt halt, für mein Sandwich mit Käse und Tomaten braucht es gut 20 Minuten. Und dann ist es sehr dick geschnitten und komisch unförmig. Messer und Gabel werden auch dazu serviert und gegessen haben es die Angestellten wohl kaum je selber, wie sollten die also wissen, wie sich so was isst? Der Stacheldraht oberhalb der Grundstückmauer fällt mir erst heute auf. War der schon immer dort, oder sind das neue Sicherheitsmassnahmen? Und der Kühlschrank bei der Bar dröhnt und die Grillen zirpen gleichförmig und mir fällt die ungewohnte Nähe wieder auf. Die Leute, die im Zimmer nebenan zusammen sprechen, die Fenster sind ja alle offen. Man lebt in Afrika viel dichter aufeinander. Die erste Nacht wieder in Afrika. Gestern habe ich mich sehr gefreut. Auch auf den Ali. Unsinnigerweise. Heute bin ich müde. Man wird morgen weiter sehen.
Als ich um halb zehn in mein Zimmer hinüber gehe, bin ich die letzte, die das Restaurant verlässt. Alles ist ruhig, ich noch nicht ganz, schliesslich wäre jetzt in der Schweiz erst halb neun. Vor dem Badezimmerfenster höre ich es schnarchen, das muss der Nachtwächter sein. Am Morgen um fünf Uhr geht es dann bereits wieder los, meine Nachbarn stehen auf. Geräuschvoll scheint mir, aber das sind eben die überall offenen Fenster. Ich nehme das im Halbschlaf wahr. Diese merkwürdig wunderbar schwebende Art, mit der ich hier am Anfang immer schlafe. Das Flugzeug, das dicht über dem Hotel fliegt dringt kurz in meine Träume ein, der Hahn, der penetrant laut und früh kräht, Afrika eben. Aber nicht eigentlich die Geräusche einer Riesenstadt. Eine Oase in Daresalaam, dieses Hotel.
Sonntag, 2. November 2008
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen