Unterwegs
Die Wolken kleben tief in dichten Bänken dem Jurafuss entlang, trutzige Burgen in den steilen Hängen darüber, wir passieren Olten, dem Flughafen zu. Geschlafen habe ich wie immer, wenn eine Abreise bevorsteht, schlecht. Vielleicht diesmal noch etwas schlechter. Viel gelesen dafür, die letzten Nächte habe ich mit der Bibel verbracht. Da liest man nicht einfach weiter, weil es spannend ist, diese Versuchung besteht nicht. Immer noch das alte Testament. Eigentlich ein Geschichtsbuch über das jüdische Volk, seine Könige, Propheten, Priester. Erstaunlich genau und dadurch etwas verwirrend: Historische Daten neben Wunderwesen. Und natürlich die Legenden von Abraham, Jakob, Moses, David und Salomon. Dasselbe wie im Koran, nur präziser, anschaulicher auch. Aber diese Wiederholungen. Gleich wie der Koran hätte die Bibel nach heutigem Befinden eine Redigierung dringend nötig. – Der Zug überfährt eine tiefe Schlucht. Smaragdgrünes Wasser setzt sich apart vom hellen Grün der spriessenden Blätter ab. Schön, dieses Jahr etwas mehr vom Frühling in der Schweiz gehabt zu haben. Solches Erwachen gibt es in den Tropen nicht. Ein leichtes Dösen das ganze Jahr über. Selbst die Natur.
Ich teste mein neues Notizbuch und stelle fest, dass das Papier gut ist, die gelbe Farbe aber etwas gewöhnungsbedürftig.
Auch der Mini-Bar-Wagen ist nun bereits mit Computertechnik ausgerüstet. Ich trinke Coca Cola. Gut für den Magen, der etwas nervös tut. Ein Frauengrüppchen bespricht den anstehenden Kurzurlaub, es ist heute Auffahrt, viele Leute machen eine Brücke. Sie sprechen von Schäreninseln – viel von Einkaufen auch – das lässt mich vermuten, dass sie Stockholm besuchen wollen. Am Zürcher Flughafen erstaunt die grosse Menge von Passagieren. Viele haben sich offenbar einen Städteflug über Auffahrt gebucht. Etwas ganz Normales heutzutage. Das „Moleskin-Notizbuch“ ist wirklich gut, stelle ich fest. Einziger Mangel: den Schreibstift müsste man irgendwo deponieren können. Ich mache einen Knoten in die Seitenanzeiger-Schnur und befestige meinen Kugelschreiber daran. Das scheint zu funktionieren.
Im Flugzeug dann wird Russisch gesprochen. Mafiosi, denke ich, als ich die jungen, chic sein wollenden Russen sehe. Ferienreise nach Kenia. Oder Waffenschiebereien à la Darwin’s nightmare. – Doch ich bin böse. Wenn dem so wäre, dann würden diese Russen sicherlich nicht Economy fliegen. Das Flugzeug wird kaum halb voll, für mich ja günstig, ich habe meinen Fensterplatz und Sitz frei nebenan. Trotzdem: zu viele Flugzeuge sinnlos in der Luft. Lärm, Abgase und begrenzte Erdölreserven. All dies scheint immer noch nicht wichtig genug.
Ich bin erstaunt, wie lange das Flugzeug über der Region Zürich kreist um Höhe zu gewinnen. Die Deutschen Forderungen wohl. Rasch durchstechen wir die tiefe Wolkenschicht, nur zwischendurch blitzt ein Stück Boden auf zwischen den Wolkenfetzen. Knütschgrün die Wiesen, dazwischen frisch geackertes, tiefbraunes Land. Die Stewardess spricht perfekt Swahili und ich bin beruhigt, einen rechten Teil ihrer Ansage zu verstehen. Habe ich mich doch drei Monate überhaupt nicht mir dieser Sprache beschäftigt. Viel Schnee jetzt in den Wolkenlücken. Tiefschwarz heben sich Felswände und -bänder der Alpen ab. Sie bilden den einzig wirklichen Kontrast, Schnee und Wolken verschmelzen zu einer Einheit, ein neues Bild entsteht. Der Wolken werden immer mehr und deren hell strahlende Oberfläche blendet meine Augen.
Der Pilot gibt die Flugroute bekannt. Nicht wie gewohnt und erwartet den italienischen Stiefel hinunter über Sizilien. Diesmal Split, Dubrovnic, Albanien, Athen, Kreta,.....direkt über den Sudan, meint der Pilot. Sehe ich wohl die merkwürdigen Kraterwunden wieder? Momentan sehe ich überhaupt nichts. Geschlossene Wolkendecke leider. Die Stewardess ist sehr nett, schenkt mir einen riesigen Gin Tonic ein, hat Zeit, es hat wenig Passagiere. Ich hoffe auf besseres Wetter, bzw. bessere Sicht und denke plötzlich an Ela: Schreiben solle ich, meinte sie. Meine Reisen kommentieren. Obwohl ich mich gerade jetzt über den Sinn dessen frage. Interessiert das denn jemanden? Ich bin bereits beschwipst. Der Gin Tonic auf fast 12'000 m Höhe tut seine Wirkung. Ich mache mir keine Sorgen mehr darüber, wie ich morgen einen Flug kriegen werde nach Sansibar, jetzt, wo mein gewohnter Taxifahrer nicht mehr organisiert. Letztes Mal hatte er plötzlich ein gänzlich ramponiertes Fahrzeug, nur mit Glück kamen wir rechtzeitig an den Flughafen, diesmal antwortet er schon gar nicht mehr auf mein mail. Etwas ist wohl schief gelaufen.
Merkwürdige Stille in diesem Flugzeug. Oder besser: Das Brummen der Motoren ist so laut, dass daneben Stimmen kaum mehr zu hören sind. „Chicken oder Pasta?“ Der Steward weiss auch nicht, weshalb wir über Griechenland fliegen. Meine Wangen sind gerötet, stelle ich auf der Toilette fest, der Gin Tonic. Die Russen trinken Wein, natürlich. Die blonde Russin ist verschwunden. Mysteriös.
Die Wolken lichten sich, die Jugoslawische Küste wird sichtbar, später die Albanische. Auch sie recht überbauen, kleine Felder, Häuser, doch sobald die Berge aufsteigen wird es einsamer, Wälder wohl, dunkle Farben meist. Jetzt sind wir bereits über griechischem Festland, es wird noch einsamer, kahle braune Berggipfel, etwas Schnee immer noch, wenig Siedlungsspuren. Ein riesiger See nun, ein zweiter sogar, Meer kann es nicht sein, von Landmassen, Bergen gar, umgeben. Erneut dicht strukturierte Ebenen in welche die Bergrücken wie Schiffsbuge hineinfahren. Korfu, sehe ich auf der Karte. Braun-beige Abhänge, dunkle Waldflächen und feuerrote rechteckige Ackerflächen dazwischen. Kastoria-Kosani, lese ich. Der Himmel wolkenlos nun. Die Strassen dick leuchtende helle Bänder in der Landschaft. Mit ihren Zackenlinien das von oben kaum wahrnehmbare Relief verstärkend. Am Horizont nun ein schneebedeckter, wolkenumhangener Bergspitz, sich von der ebenmässig gebogenen Horizontlinie abhebend. Ein Flickenteppich dieses Griechenland. Flughäfen sind die modernen Wahrzeichen unseres Planeten. Als riesige geometrische Muster durchschneiden sie auffällig die Landschaft. Geschwungene Küstenlinien, fingerartige Landzipfel zeigen ins Meer hinaus. Immer mehr Wasser und immer weniger Land, wir überfliegen Delphi. Auch Markus Werner’s Zündel, diesmal meine Reiselektüre, wollte eigentlich nach Griechenland reisen. Strassen, die nirgendwohin führen, zickzackförmig gegen einen Berggipfel zu. Dann plötzliches Ende. Marathon links unten. Genau unter uns eine riesige Stadt. Athen wohl? Ich verliere den Boden aus der Sicht, eine Rechtskurve, Abbiegung Richtung Afrika. Hell leuchten zerfranste Inseln im dunklen Meer. Trocken muss es sein hier in Griechenland. – Warum wohl fliegen die Flugzeuge meist den Küsten entlang? Wohl kaum, um die wenigen hinunterschauenden Passagiere zu erfreuen. Kreta sollte nächstens aus dem Meeresblau auftauchen, da war ich bereits zweimal. Auch Griechenland ist schön. -63 Grad Celsius draussen, feine Eiskristalle am Fenster. Und die Gerüche im Flugzeug. Mal Körperschweiss, mal Sehnsucht weckende Düfte. Ähnlich dem Duft von Früchten des Feuerbusches, sehr angenehm. Parfümiert wohl die Klimaanlage das Flugzeug dezent? Auch tagsüber verteilen sie nun Wolldecken. Ich hülle mich ein, wie viele andere Passagiere auch. Sparen kühlere Temperaturen im Flugraum Energie? Trüb-grau-dunkelblaues Meer nun unter uns. Ich beschliesse, eine Siesta zu machen.
........ - Ägypten – Sudan – ..... meldet der Pilot. Als ich aus meinem Dösen aufschrecke, sehe ich akkurat gerade gezogene grossflächige Feldstrukturen. Das sieht nicht nach traditioneller Landwirtschaft aus. Beim nächsten Aufschrecken heller Wüstensand, schwarze gerundete Felsbuckel dazwischen, diesmal erinnert mich nichts an den Krieg. Bis weit nach Kenia hinein ist alles wüstenhaft einsam und beige gebrannt. Ab und zu mäandert jetzt ein Flusslauf mit grüneren Ufern, ausgetrocknet wohl meist. In der Ferne glaube ich eine Küstenlinie zu erkennen, doch das ist kaum möglich. Diese Einsamkeit, keine Strassen, keine Häuser, keine Felder. Erst kurz vor Nairobi sind erste menschliche Spuren in der Landschaft sichtbar. Dunkelrote Ackererde leuchtet herauf, dunkle Wälder, einzelne Bäume, nicht viele, und die Sonne scheint die ab und zu aufragenden Wolkentürme bereits tief stehend von der Seite her gespenstisch schön an. Keine scharfe Trennlinie zwischen Wald und Feld, die Wälder fransen aus, mehr Bäume jetzt allgemein, im tief stehenden Abendlicht Schatten werfend.
Nairobi nun. Die Dächer sind bunter als wir uns gewohnt. Viel Blau neben Rottönen und Aluminiumweiss. Blechdächer eben. Einmal gelandet, holt uns die Abenddämmerung sehr rasch ein. Die Tage werden nun wieder kürzer sein als in der Schweiz.
Freitag, 16. Mai 2008
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1 Kommentar:
Sicher ist es interessant, Griechenland von "oben" zu betrachten. Doch das Land zu Fuß, per Motorrad oder Auto zu erkunden, ist doch wesentlich aufregender. Trotzdem hat mir Dein Bericht sehr gut gefallen. Solltest Du außer an Kreta, noch Interesse an anderen Orten haben, schau mal ins Griechenland-Lexikon.
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