Sonntag, 23. November 2008

Sansibar, den 9. November 2008


Heute ankern ganze fünf Jachten vor der Stone Town. Die drei, die bereits seit Tagen im Hafen sind plus zwei neue Segeljachten. Die Destination scheint sich unter Weltenbummlern herumgesprochen zu haben. Ich sitze mit Mody im „Tembo Hotel“ und versuche die Farben, die Stimmungen des Sonnenunterganges im Gehirn festzubrennen. Für mein Ölbild, das ich Zuhause am malen bin. Ein Strandbild, Sonnenuntergang vor Sansibar, alles andere als eine leichte Aufgabe. Das Risiko, dass es ein total kitschiges Ding wird ist riesig. Ich riskiere es trotzdem. Und die Übung, alles nur mit Skizzen festhalten, kein Foto, mit Absicht nicht, diese Herausforderung gefällt mir. Weil man nur so wirklich ein Bild kreieren kann. Eine Landschaft, Menschen, Stimmungen im Kopf oben zusammengesetzt mit Elementen der Realität, quasi ein Erschaffen einer imaginären, aber möglich scheinenden Szenerie. Durch die Methode des Malens verfremdet. Kompliziert wohl, meine Gedanken, auch das Malen alles andere als eine einfache Sache. Doch mir gefallen Herausforderungen. Und die Tatsache, das es hier sehr schwierig ist, draussen Menschen zu malen, rasche Skizzen müssen genügen, hilft mir dabei, dies endlich zu versuchen.

Ich beginne einen Vorteil der Kleinstadt zu geniessen. Der Hauptort von Sansibar, dessen Zentrum die Stone Town ist, hat rund 200'000 Einwohner, also etwa gleich viele, wie Bern. Doch im Zentrum leben viel weniger Leute. Dazu kommen noch diejenigen, die täglich von den Vororten herkommen, doch das bleibt eine übersichtliche Masse. Wenn ich das Haus verlasse, kommt es kaum jemals vor, dass ich nicht auf Bekannte treffe, mit denen ich nicht ein paar Worte wechseln könnte, etwas trinken gehen, was weiss ich, man hat hier meistens Zeit. - Und ist hartnäckig, eine weit verbreitete Eigenschaft. So muss ich einen Jüngling, der zu mir in den Durchgang hinein kommt, weil ich beim Malen wegen dem Licht, aber auch wegen der Dämpfe des Terpentinöls das Tor offen lasse, nach einer Viertelstunde Blabla, während der ich versuche, ihm klar zu machen, dass ich beim Malen keine Gesellschaft wünsche, fast gewalttätig wieder hinausweisen. Auch sind viele Leute, die etwas verkaufen wollen, extrem klebrig. Und auch Mody ist hartnäckig in seiner beständigen Frage, ob wir nicht wieder einmal zusammen ins Hotel gehen könnten, ein vergnüglicher Nachmittag und so. Ob ich denn alles vergessen habe? - Ob er denn kein schlechtes Gewissen seiner Frau gegenüber habe? – Nein, warum denn, meint er. Immer wieder.

Heute stellt mir Sarah, die Jüdin mit schweizer Pass und Schweizerdeutsch sprechend, einen weiteren Landsgenossen vor, Christoph mit Namen, glaube ich. Er ist Lehrer, sein Sabbatical geniessend, sechs Monate weg vom Berufsalltag, da fand er es spannend, für einen Kollegen einzuspringen, der hier in Sansibar ein Hilfsprojekt auf die Beine gestellt hat. Dieser Lehrerkollege also sammelte in der Schweiz Spendengelder um irgendwo im Osten der Insel, in einem kleinen Dorf, eine neue Dorfschule zu erstellen. Er leitete dies ein, verhandelte mit den zuständigen Behörden und beauftragte einen Architekten, die Sache zu übernehmen, richtete ein Bankkonto hier ein, reiste zurück in die Schweiz, hat in mehreren Tranchen bereits 120'000 Dollar nach Sansibar überwiesen und war erstaunt, dass die Sache etwas ins Stocken geraten war. Und schickte so seinen Kollegen aus, um danach zu schauen. Der beauftragte Unternehmer hier meinte, das brauche noch mehr Geld, 246'000 Dollar genau, er habe da bereits 20'000 zusätzlich vorschiessen müssen. Das wurde nun langsam suspekt, die Baustelle musste besichtigt werden. Christoph und Sarah und ein Architekt und weitere Leute gingen so das Projekt einmal anschauen. Das Resultat: Der zuständige hiesige Projektleiter hat ein neues Motorrad und neue Kleider, die Schulgebäude werden vom beigezogenen Fachmann auf höchstens einen Fünftel des Wertes geschätzt, die Gebäudequalität als miserabel bezeichnet, die Dachbalken aus völlig ungeeignetem Holz, das Fundament ungenügend, die Mauern zu dünn, alles in allem ein Gebäude, in dem es gefährlich sei, Kinder zu unterrichten, weil akute Einsturzgefahr bestehe, länger als fünf Jahre stehe das kaum, meinte der Fachmann. Das Geld wurde regelmässig bei Eingang vom eingerichteten Konto abgehoben, wo es jetzt ist wissen die Götter, jedoch sicher nicht in dieser Schule.

Er werde diese Typen vor Gericht ziehen, meint Christoph. Das sei Betrug, Diebstahl gar, eine grössere Sache, das bringe er in die Zeitung. Wo denn, frage ich, hier interessiere solches doch niemanden. Niemand finde das etwas Besonderes. Denke höchstens, diese dummen Mzungus, kaum zu glauben, solche Leichtgläubigkeit. Eine moralische Verurteilung, das könne er hier nur von ganz wenigen erwarten, das sei gewiss. In der Schweiz müsse man solches in die Zeitungen bringen, damit all diese gutmeinenden, leichtgläubigen Helfernaturen dort endlich etwas realistisch würden, geheilt. Und merkten, dass es nicht damit getan sei, Geld hierher zu senden. Nicht Geld brauchen die Leute hier, Bildung brauchen sie. Anleitung zum selber kritisch Denken einerseits, aber gleichzeitig moralische Grundsätze. Nur frage ich mich, ob man unsere Moral exportieren kann. Obwohl es doch eigentlich genau dieselbe ist, wie die hiesige. Die Gesetzestafeln von Moses kommen auch im Koran vor, die moralischen Richtlinien sind gleich. Nicht töten, nicht lügen, nicht stehlen, nicht bestechen und weiteres und – das gebe ich zu, auch dies in beiden Büchern genau gleich – nicht die Frau eines anderen begehren. Keine ausserehelichen Beziehungen. In beiden Büchern genau gleich stark gewichtet. Trotzdem scheinen hier in Sansibar auch nicht die geringsten moralischen Grundsätze auch wirklich breit praktiziert zu werden. Für Christoph, den Schweizer, ein Kulturschock und eine Katastrophe. Doch gleichzeitig merke ich, dass auch ihn wohl der Sansibarvirus bereits ergriffen hat. Wie ein Trip sei es hier, die Bilder, die Farben, wie Opium, wie dauernd verladen fühle er sich hier. Diese Schönheit – auch wenn er seit diesem Desaster kaum mehr schlafen könne.

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