Sonntag, 20. Mai 2007

17.Mai 2007


17.Mai 2007

Es klopft an die Türe. „Hodi“ der Ruf, der soviel heisst, wie „kann ich hinein kommen“, ertönt. Ich ziehe mich geziemend an, meist ist man hier zu Hause nur leicht bekleidet, und gehe öffnen. Drei Männer, die ich noch nie gesehen habe, stehen vor der Türe und wollen sich gerade hinein schieben, schauen zu unserem Elektrizitätszähler. Ich stosse sie hinaus, sage etwas wie „sie sollten später nochmals kommen“ und schliesse die Eingangstüre. – Und bin nun etwas schockiert. Derartig misstrauisch bin ich bereits geworden.
Heute ist ein düster-grauer Tag. Seit dem stürmischen Sonntag der erst wenig Regen brachte, ist es nun unaufhörlich grau und regnet meistens, allerdings nur leicht. Wie in der Schweiz im November, nur viel wärmer. Deprimierendes Wetter, da sieht man die Sachen vielleicht auch düsterer. Die grosse, schön geschnitzte Türe am Eingang klemmt im Moment fürchterlich, das Holz ist von der Feuchtigkeit angeschwollen. Ich beginne mit der Wäsche zu sparen, denn im Moment ist das Kleider trocknen eine sehr langwierige Angelegenheit. Die Luftfeuchtigkeit ist zu hoch. Selbst trockene Kleider und die Bettwäsche fühlen sich klebrig-feucht an. Einzig meine Haut ist glücklich. Sie braucht keine pflegenden Cremes mehr. – Überhaupt solle man jetzt nicht schon wieder über den Regen klagen, meint Ali. Den brauche es auch, sonst würden die Pflanzen ja nicht wachsen und in ein paar Wochen eine reiche Ernte bringen. Natürlich hat er recht. Trotzdem.

Gestern schon wieder eine Hiobsbotschaft aus dem „Lukmaan“. Lucas, ein weiterer Koch, wird dabei ertappt, dass er Geld für 7 Kilogramm Fleisch holt, beim Metzger dann aber nur 5 Kilo mitnimmt. Die Differenz behält er für sich. Man habe ihn schon länger beobachtet, sowohl Alis Bruder an der Kasse, wie auch der Metzger hatten Unregelmässigkeiten bemerkt. Othmani entlässt ihn sofort. Nach dem Diebstahl des Generators ist man empfindlich geworden, möchte aufräumen mit der Betrügerei. Und auch enttäuscht. Ali meint, Geld korrumpiere fast alle Leute hier. Erst seien sie froh, um den doch recht gut bezahlten Job und die für hiesige Verhältnisse äusserst anständige Behandlung. Bald jedoch würden sich die Angestellten verändern. Versuchen, zu noch mehr Geld zu kommen. Ich verstehe die Enttäuschung, doch mache ich mir auch Sorgen darüber, wie es denn weiter gehen solle. Innerhalb von weniger als einer Woche, werden zwei der drei Köche entlassen. Heute bemerke ich aber noch nichts davon, dass der nun alleinige Koch nicht mit der Arbeit zurecht kommt. Allerdings macht das Regenwetter auch, dass weniger Gäste eintreffen. Viele Leute gehen gar nicht erst hinaus bei diesem Wetter.
Auch unser Maler, eigentlich unser „mkokoteni“, der Mann, der mit seinem Handwagen all unsere schweren Sachen transportiert, kommt heute nicht. Hier machen sehr viele Leute unterschiedlichste Sachen, um Geld zu verdienen. Bisher sind wir zufrieden mit der Malerei des „Transporteurs“, die stark vom Regenwasser verfärbte Decke sieht nach zwei Anstrichen bereits viel besser aus, er scheint etwas vom Malen zu verstehen. Nur fehlen jetzt einfach noch die zwei letzten Anstriche. Vielleicht Morgen...... Dann werde ich mich endlich hinter die Wände und den Boden machen. Decken malen ist äusserst mühsam. Und da unser Mann über die insgesamt 25.- Schweizer Franken für seine Arbeit froh ist, überlasse ich sie ihm gerne.

Ich versuche hier Stoff für die Erweiterung, beziehungsweise den Umbau des Moskitonetzes zu finden. Und habe vor drei Tagen auch sehr viel Glück gehabt: Im ersten Laden, in dem ich fragen gehe, gibt es genau das Material, das ich mir vorgestellt habe. Der Verkäufer gibt mir zu verstehen, dass ich warten solle und zückt sein Natel. Darauf kommt ein indisches Mädchen, die Tochter der Besitzerin von der darüber liegenden Wohnung herunter und meint in gutem Englisch, sie kenne den Preis auch nicht. Die Mutter sei weg, ich solle Morgen wieder kommen. Allerdings habe ich seither den Laden zu keiner Tageszeit mehr geöffnet angetroffen. - Manchmal frage ich mich schon, wovon die Leute hier eigentlich leben. Selten sind mehr als die Hälfte der kleinen Läden in der Basarstrasse offen.
Ich suche weiter. „Kitambaa cha chandarua“, Stoff für ein Moskitonetz. Alle wollen mir weiter helfen. Verweisen mich immer an den nächsten Laden. Der habe das, was ich suche. Doch leider finde ich keinen Laden mehr, der Moskitonetzgewebe in einer guten Qualität verkauft. „Kesho“, morgen, klappt das ja vielleicht.

Ich erzähle Ali die Geschichte mit den drei Männern, die an die Haustüre geklopft haben und die ich recht unsanft hinauskomplimentiert habe. Nur falls man sich bei ihm beklage über seine harsche Frau. Doch Ali ist besorgt, meint, ich solle besser nicht mehr öffnen, wenn ich nicht jemanden erwarte, besser oben vom Fenster hinunter rufen, wer denn da sei. Er habe niemanden her geschickt und könne sich überhaupt nicht vorstellen, wer denn das gewesen sein könnte. Und dann beim Regen, niemand draussen in der Gasse, normalerweise sitzt ja immer mindestens irgendeiner der Angestellten des Büros unter uns draussen auf der breiten Treppe. Oder die Nachbarn sitzen dort und geniessen den kühlen Wind vom Meer. Gerade bei Regen, wo die Geräusche kaum wahrnehmbar, denn Regen ist hier wegen den allgegenwärtigen Blechdächern eine sehr lärmige Angelegenheit, sei es besonders gefährlich. Die Leute hier hätten uns nun genügend beobachtet. Dass der „Lukmaan“ eine riesige Einnahmequelle sei, glaubten sowieso alle und dass wir ein Haus zu kaufen suchten, das sei mittlerweile natürlich auch bekannt. Die Leute hier hätten Zeit, zu beobachten, herumzuquatschen auch, alle wüssten alles. Und die in letzter Zeit häufigen Räuberbanden vom Festland, die sich auch nicht scheuen würden, Gewalt anzuwenden, die kriegten ihre Informationen von den Einheimischen hier. Die hätten immer Informanden, da würde nichts blindlings gemacht.

Die „Mainländer“, die Leute vom Festland sind schuld. Sie sind hier immer die Sündenböcke. Doch muss man verstehen, dass es nicht einfach ist für einen kleinen Inselstaat, derartig rasche und massive Einwanderung zu verdauen. Innerhalb weniger Jahre stammt rund ein Viertel der Bevölkerung vom Festland. Der Tourismus hat sie angelockt. Die im Verhältnis zum „Mainland“ besseren Arbeitsmöglichkeiten sind die Ursache. Die Einwanderer bringen eine ganz andere Kultur mit sich: Grösstenteils Christen, die Leute sind bereits an ihrer Kleidung, an ihrer Haartracht - auf amerikanische Art gestreckte und gefärbte Frauenhaare sind beliebt - leicht zu erkennen. Und dies nach einer starken Einwanderungswelle von der Schwesterninsel „Pemba“, die nach der Revolution von 1968 eine grosse Zahl sehr konservativer Muslime nach Sansibar gebracht hat.
Nach der Unabhängigkeit Sansibars 1964 gab es hier eine erste demokratisch gewählte Regierung in der Schwarze, Araber, Inder und Weisse vertreten waren. Die wurde jedoch rasch gewaltsam gestürzt, man hatte genug von Weissen, Arabern und Indern, die hier immer die Oberschicht gebildet haben. Man wollte endlich die ganze Macht und Geld. Pemba hingegen, wo traditionell sehr viele Araber lebten, wollte da nicht mitmachen, war gegen eine Revolution und auch dagegen, dass man sich mit dem ehemaligen Tanganika zusammen schliesse. Als Bestrafung für diese Weigerung, wurde Pemba darauf vernachlässigt. Auch heute gibt es dort kein vernünftiges Strassennetz, eine Infrastruktur ist praktisch inexistent. Einzig Schulen gibt es. Zum Beispiel die von Fidel Castro gesponserte Hochschule, die Ali besucht hat. Denn nun war ja Sansibar auch kommunistisch und die Interessen während des kalten Krieges führten zu Investitionen nicht nur aus dem Ostblock.
Pemba ist auch heute, 40 Jahre nach der Revolution, eine völlig unterentwickelte Insel, in der es ausser Fischerei und Landwirtschaft kaum Verdienstmöglichkeiten gibt. Entsprechend hoch ist jetzt noch die Auswanderung. Vor allem junge Männer suchen in Sansibar Arbeit.

Auch im „Lukmaan“ sind die Einwanderer gut vertreten. Vor den überstürzten Veränderungen der letzten Tage stammten vier, der fünfzehn Angestellten vom Festland. Tüchtige Leute, das findet auch Ali, häufig seien die „Mainländer“ flinker, wendiger, würden schneller lernen und gut arbeiten. Nur leider eben nicht vertrauenswürdig, was das Beispiel der beiden entlassenen Köche zeigt – und natürlich gleich auch die Vorurteile bestätigt. Der grösste Teil der übrigen Angestellten stammt ursprünglich aus Pemba, wie Ali ebenfalls, wobei sich meist bereits die Eltern in Sansibar niedergelassen haben.
Überhaupt treffe ich hier selten Leute, die mir sagen, sie stammten ursprünglich aus Sansibar. Viele sind stolz - obwohl seit Generationen hier lebend - aus Pakistan, aus Portugal, aus dem Oman, wer weiss auch immer woher zu stammen. Sansibar hat also bereits sehr viele Einwanderungswellen verdaut, selbst die hierher geschleppten Sklaven stammten ja aus verschiedensten Teilen Zentralafrikas, das war nie eine einheitliche Bevölkerung. Hoffentlich wird die Insel auch mit den Veränderungen der letzten fünfzig Jahre fertig.

Momentan jedoch sind die Sündenböcke eben die Leute vom Festland. Ich spreche mit Othmani über Jackson, den Koch, der im Verdacht steht, den Generatoren gestohlen zu haben und der nun inhaftiert ist. Er habe ihn im Gefängnis besucht. Jackson entschuldige sich und er, Othmani, wolle ihm helfen, frei zu kommen, er habe die Klage zurückgezogen. Die Polizei habe aber gemeint, das gehe nun nicht so einfach mit dem Freikommen, da müssten erst noch Abklärungen gemacht werden. Da müssten sie aufs Festland, nach Arusha auch, telefonieren, ob bereits etwas gegen diesen Mann vorliege. Und das koste natürlich Geld und die Polizei habe keines, meint Othmani. Das sei für Einheimische halt etwas einfacher, die hätten Verwandte hier, die zu der Polizei gehen könnten und den Preis der Telefonate übernehmen (und vermutlich auch gleich noch etwas mehr), dann gehe das alles viel schneller.
Trotzdem ist Othmani überzeugt, dass es hier in Tansania eine gewisse - wie er sich ausdrückt - Gerechtigkeit gebe. In Daresaalam sei momentan eine grosse Säuberungswelle im Gang. Korrupte Polizeiangestellte, selbst hohe, würden entlassen. Da würde sich doch niemand mehr für 20.- einfach bestechen lassen. Wenn er dabei riskiere, seinen Job zu verlieren. Da brauche es schon mehr. Und die Polizei hier warne eben, mit den Leuten vom Festland da müsse man vorsichtig sein, da seien viele Schlechte darunter, Banditen. Da müsse man genau nachschauen, weshalb sie nach Sansibar gekommen seien.

Noch vor einer Woche, erzählt Ali, da habe der Lucas, der zweite entlassene Koch geprahlt, wie gottesfürchtig er sei. Gott sehe alles, den könne man nicht betrügen. Denn gläubig sind hier alle, ob Christen oder Muslime, mindestens mit Worten und Ritualen. Das sei eben falsch gelaufen, meint Ali. Die Koranschulen würden ausschliesslich mit der Angst arbeiten. Was Liebe, Verantwortungsbewusstsein und Menschlichkeit betreffe, alles Sachen, die im Koran auch vorkommen würden, blieben unerwähnt. Einzig mit fürchterlichen Folgen werde gedroht, falls man etwas Schlechtes tue, nicht gehorche. Hölle und Leiden. Vor allem aus Angst seien die Leute hier gläubig.

Gestern Abend im „Lukmaan“ bemerke ich, dass die Gäste an einem Vierertisch unzufrieden sind, zu schimpfen beginnen. Sie beklagen sich darüber, dass die Angestellten die achtköpfige Gruppe von weissen Studenten bevorzugt hätten. Man habe sie warten lassen. Ali, der später dazu kommt, versucht zu besänftigen, die Angestellten seien halt immer sehr aufgeregt, wenn „Mzungus“ kommen würden, die Sprache auch, das sei keine böse Absicht gewesen. Doch die Leute, Gäste vom Festland, bleiben wütend über diese, wie sie finden, diskriminierende Behandlung.

Nochmals von der Verwechslung von Wünschen und Realität. Man brauche dringend einen weiteren Kühlschrank, um die gekochten Speisen kühl halten zu können, meint man im Restaurant. Der Getränkekühlschrank sei ja meistens höchstens halb gefüllt, werfe ich ein, da habe es doch wirklich genug Platz. Das reiche nicht aus, wenn der Getränkeschrank voll sei. - Nur ist der eben ganz selten voll. Meistens reicht das Geld nicht, um genügend einzukaufen. Trotzdem hat man das Gefühl, man müsse mehr Platz haben. Weil man eben gerne einen vollen Kühlschrank hätte. Mein Einwand, dass ein weiterer nur halb gefüllter Kühlschrank lediglich viel Elektrizität verbrauche, wird nicht erhört.



18.Mai 2007

Heute Morgen beim Erwachen erstmals wieder Sonnenflecken oben auf den Dächern der Häuser, erste tiefblaue Flecken zwischen Wolkenresten. Jetzt, eine Stunde später wölbt sich bereits ein strahlend blauer Himmel über der Stadt. Ich hänge die feuchten Kleider an die Sonne und nehme die Waschmaschine in Betrieb. Fertig mit dem Grau. Auch die düsteren Schatten, die schwarzen Gestalten der letzten Tage sind in meinen Gedanken bereits verschwunden.

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