Mittwoch, 20. Juni 2007

15. Juni 2007


15.Juni 2007

Ich habe Josephine, meiner Swahili Lehrerin den Film „Darwin’s nightmare“ ausgeliehen, weil ich es spanned finde, mit Afrikanern über diesen preisgekrönten Dokumentarfilm zu diskutieren: Im Viktoriasee, dem grössten Binnengewässer Afrikas wird in den 60iger Jahren ein Fisch ausgesetzt, der Flussbarsch oder „Tilapia“, wie er abgepackt bei uns in den Läden heisst. Der frisst nun alle übrigen Fische auf und stört das ökologische Gleichgewicht des Gewässers. Bringt aber kurzfristig Profit, weil die schmackhaften Fischfilets nach Europa exportiert werden können.

Hier in Tanzania ist der Film „Darwin’s nightmare“ erst letztes Jahr herausgekommen und wurde nur sehr beschränkt gezeigt. Der Präsident war gar nicht zufrieden damit. Josephine weiss vom Film nur über die Medienberichte.

Und ist erstaunlicherweise darüber genauso schockiert wie ich. Sie schäme sich auch, meint sie. Sie habe nicht geglaubt, dass es solche Situationen auch hier in Tanzania gebe. Strassenkinder - doch davon höre man - aber hier in Sansibar gebe es das nicht wirklich. - Aidswaisen, wie im Film gezeigt. Aber häufig seien das eben auch Kinder, die aus sehr armen Familien kämen. Schlechte Familienbedingungen auch, die würden geschlagen, manche Eltern hier könnten sehr grausam sein. Und würden dann einfach davonlaufen. Viele dieser jungen Mädchen kämen auch nach Sansibar, würden als Haushaltshilfen ausgebeutet. Diese Mädchen seien beliebt. Mehr als Mädchen aus Sansibar. Denn hiesige Mädchen, die hätten ja dann eben auch noch eine Familie hier und dann sei die Mutter krank, der Onkel gestorben, der Vater habe ein Problem, die Schwester heirate, und bei all diesen Begebenheiten müsse das Mädchen dann nach Hause gehen, falle als Arbeitskraft aus. Da seien diese Mädchen vom Festland eben viel praktischer.
Entsetzt habe den Präsidenten vor allem, dass im Film gesagt werde, dass die Einheimischen nur die Fischköpfe essen könnten, der Rest sei viel zu teuer für sie - während die sauber abgetrennten Filets nach Europa geflogen würden. Wir beide finden das eigentlich nicht so schlimm. Der Nilbarsch hat einen grossen Kopf und Fischköpfe werden hier sehr oft gegessen. Sogar die Augen. - Schockierend sei hingegen der Schmutz, die schlechten Bedingungen, unter denen die Fischreste gesammelt und getrocknet würden. Überhaupt all dieser Schmutz....
Ich wende ein, dass Tanzania hier sicher nur ein Beispiel sei, das hätte genauso gut anderswo in Afrika gefilmt werden können. Josephine meint, ja sicher, aber sie habe eben geglaubt, in Tanzania sei es besser. Obwohl eben die Regierung. Das sei doch nicht normal. Die vielen armen Leute und dann die wenigen Reichen, die sich von den Armen bereichern würden. Sicherlich würden die Leute auch in diesen Fischverarbeitungsfabriken ausgenutzt. Streiks seien in allen Fabriken hier sehr häufig. Auch dieser importierte, dieser das ökologische Gleichgewicht zerstörenden Nilbarsch, der bringe doch nur wenigen Leuten Nutzen. Die meisten hätten jetzt kaum etwas davon – und dann das Nachsehen, wenn das Gleichgewicht des Sees einmal gänzlich gestört, überhaupt keine Fische mehr dort gefangen werden könnten.
Wir sprechen auch über die im Film gezeigte Prostitution, das Aids-Problem. Josephine, eine Katholikin, verteidigt den Priester. Nein, der könne den Leuten nicht empfehlen, Kondome zu benutzen. Damit würde er ja gleichzeitig die Untreue propagieren und dies sei in der Religion verboten. Das könne der einfach nicht – obwohl natürlich auch Katholiken durchaus Kondome benutzen würden. - Ich denke mir, ja, gewiss, jedoch gerade die armen, ungebildeten Leute, die begreifen das ganze ja gar nicht, die müsste man trotzdem aufklären.

Ich bin nicht ganz sicher, wie weit Josephine meinem Einwand, im Film seien ja nicht nur die Afrikaner von einer schlechten Seite gezeigt, aufnimmt. Auch die russischen Piloten, die Waffen in die Krisengebiete von Afrika fliegen würden, eigentlich sei doch überhaupt alles schief, nirgendwo Moral vorhanden. Ich denke, Josephine ist zu sehr damit beschäftigt, dass solches, Dinge die sie sich einfach nicht vorstellen konnte, auch in Tanzania geschehe.

Wir fragen uns schliesslich, ob wohl der Präsident darüber ärgerlich gewesen sei, dass solches in seinem Land passiere – oder vielleicht nicht doch eher, dass es von einem ausländischen Filmemacher aufgenommen und überall in der Welt gezeigt wird. Eine Schande für Tanzania.
Auch diesmal, mit Josephine zusammen, finden wir keine Lösung. Wie man das ganze hier verändern, verbessern könnte. Mehr Gerechtigkeit, ein Ende der Korruption. Meistens enden solche Gespräche in einer deprimierenden Stimmung.

Zum Glück ist Josephine sonst eine sehr muntere und fröhliche Frau. Wir lachen viel in den Sprachlektionen – obwohl ich immer noch frustriert darüber bin, wie schwer mir das Erlernen des Swahili fällt. Und jedes Mal neidisch hinüberblicke, wenn ich wieder irgendeinen „Mzungu“, einen Weissen, perfekt Swahili sprechen höre. Doch was weiss ich. Schliesslich gibt es auch in Ostafrika geborene Weisse. Portugiesen, viele Engländer, Italiener,......

Halb acht Uhr abends. Seit einer Stunde bereits ist es finster. Ich komme von meinem Abendspaziergang in den Forodhani Gardens zurück. Ich sitze sehr gerne bei Sonnenuntergang dort, trinke den Saft einer jungen Kokosnuss, beobachte den meist von Wolken malerisch verhängten Sonnenuntergang, das Auslaufen der Fischerboote . Und auch die Leute. Bin Zuschauer. So viele Geschichten kann man sich dabei vorstellen. Die Forodhani Gardens mit ihren Essständen am Abend sind sehr beliebt bei den Einheimischen. Ganze Familien treffen sich hier, häufig aber auch nur Frauen mit ihren Kindern. Oder junge Paare im Schutze der Dunkelheit. Essen gegrillten Fisch und anderes Meeresgetier oder auch Sansibari Pizza, Frites, hier Chipsi genannt, oder trinken etwas. Daneben getrauen sich aber auch erstaunlich viele Touristen, hier eine billige Mahlzeit einzunehmen. Da staune ich immer wieder. Dass die keine Angst haben, hier etwas Verdorbenes zu essen. Ich mindestens wäre bei all dem Meeresgetier sehr vorsichtig. Neben mir sitzen heute schwarz-weisse Pärchen. Auf der einen Seite eine junge asiatische Touristin mit sehr kurzem Minirock, die krampfhaft eine grosse bunte Handtasche auf ihre nackten Oberschenkel drückt, zusammen mit einem traditionell in Kanzu, dem weiten weissen Männerkleid, und Kufia, der typisch sansibarischen Kopfbedeckung, gekleideten Einheimischen. Er sieht wie ein traditioneller Muslim aus, überhaupt nicht der Typ Beachboy. Ein eher ungewöhnliches Paar. Auf der anderen Seite ein etwas älteres Paar, er bereits mit einem Ansatz von Bauch und ergrauenden Haaren, was auf schwarzer Haut ganz besonders aussieht. Ich stelle mir vor, dass die beiden bereits seit längerem zusammen leben, in Europa wohnen und hier in den Ferien sind. Aber vielleicht ist das ja auch ganz anders........
Auch den Popcorn Verkäufer beobachte ich. Er verdient seinen Lebensunterhalt mit dieser einzigen, doch recht einfachen Maschine. In einem Glasbehälter hängt eine Pfanne, aus der die Popcorns hervorquellen. Geschickt füllt er diese in sehr enge, schlauchartige Plastiksäcke die er durch ein rasches Berühren der heissen Pfanne verschweisst. Keine Kosten für einen Laden. Einzig die Maschine und der Glasbehälter müssen jeden Abend von einem „Mkokoteni“, einem Transporteur mit Handwagen hierher und dann auch zurück gebracht werden.

Zu Hause angekommen, wasche ich meine Hände gründlich. Momentan leiden viele Leute unter einer ansteckenden Augenentzündung. Das soll sehr schmerzhaft, aber dann in etwa drei Tagen wieder vorbei sein. Trotzdem, mir graut vor diesen blutroten Augen. Und blass kommt die Erinnerung an ein Buch hoch, in dem die Leute plötzlich alle erblinden. Auch diese Krankheit (eine erfundene?) ist ansteckend. Nachdem die ersten Erkrankten noch liebevoll gepflegt werden, versinkt die Welt immer mehr in einem Chaos, Erkrankte werden sofort ausgesondert, niemand kümmert sich mehr um sie. Gänzlich verloren sind sie in ihrer Dunkelheit. Von wem war wohl dieses Buch? Es war sehr beklemmend geschildert. Ich habe es nicht zu Ende gelesen.

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