Samstag, 30. Juni 2007
2007-06-27
23. Juni 2007-06-27
Zwei Geistesgestörte werden im „Lukmaan“ regelmässig verpflegt. Ehemalige Krigesveteranen aus dem Uganda-Krieg sollen es sein, jetzt sind sie verlumpte Bettler. Ich finde das schön, in einem Land, wo der Staat seine Pflicht nicht wahrnimmt, da müssen eben alle etwas schauen und dies gebietet ihnen ja auch der Islam. Einer der Geistesgestörten ist sehr mürrisch und unangenehm, würde sich nie bedanken und wird zum Essen meistens hinausgeschickt, da er die übrigen Gäste belästigt. Der andere ist unbeständiger. Manchmal sehr unterwürfig freundlich, scheu auch, will vor niemandes Augen essen, verkriecht sich in eine Ecke, Rücken zum Raum, oder geht hinaus. Heute ist er merkwürdig aggressiv, streitlustig. Setzt sich an den Tisch von zwei weissen Trampern und beginnt zu schimpfen. Wie meistens, hat keiner der Angestellten Lust, sich mit ihm anzulegen. Das scheint mir ebenfalls typisch afrikanisch: Die Leute schauen bei Spannungen einfach weg, wollen sich nicht einmischen, versuchen das Problem zu übersehen. Endlich geht Ali an den Tisch und spricht mit dem Verrückten. Doch der Mann lässt sich nicht beruhigen. Ist mit seiner Essensration, die er heute abgepackt zum Draussen essen kriegt, nicht zufrieden. Steht schliesslich auf, geht zum Ausgang und wirft die Glastüre heftig zu und stemmt sich dann von draussen dagegen. Ali gelingt es nach einer Weile, die Türe zu öffnen, er verschwindet ebenfalls. Ich nehme an, er versuche den Mann doch noch zu besänftigen.
Inzwischen wird hier drinnen wild durcheinander von Gästen und Personal palavriert und gestikuliert, die Treppe draussen mit Wasser gewaschen. Ich vermute, dass der Irre dort irgendetwas Schmutziges hingeworfen oder gemacht habe. Als Ali dann sehr lange wegbleibt beginne ich mich zu sorgen und frage. Ali habe den Finger zwischen Tür und Rahmen gehabt, der sei zerquetscht und er zu der Krankenstation am Ende der Strasse gegangen.
Ich bin irritiert ob Alis Kaltblütigkeit. Keinen Ton hat er von sich gegeben. Den Finger mit Papierservietten umwickelt und dem Personal Anweisung gegeben, das Blut wegzuwischen. Denn Blut ist im Islam etwas sehr Unangenehmes, etwas, das man nicht sehen sollte. – Später finde ich Ali in der Krankenstation, wo ihm eine Krankenschwester den Nagel des kleinen Fingers entfernt hat und versucht, mit Verbänden das Blut zu stoppen, das aus der halb abgeschnittenen Fingerkuppe fliesst. Ich schaue in den Abfalleimer davor und sehe lauter blutdurchtränkter Gazen. Mir wird schwindlig, ich muss mich hinlegen. Das ist mir schon lange nicht mehr passiert. Im besten Spital Sansibars wird Alis kleiner Finger später genäht, er kriegt eine Tethanusimpfung und einen anständigen Verband. Für 25.-SFR. Die Krankenstation hat nur 3.50 gekostet.
Ich finde, das sei ungerecht. Er, der doch immer zu diesen Leuten schaue, Gratisessen und alles und nun passiere das gerade ihm. Ali findet, das sei Schicksal. Es gebe eben zwei Sorten von Schicksal. Unfälle oder Krankheiten, die man selbst verursache, indem man unachtsam sei oder gesundheitsschädigende Sachen mache, zum Beispiel rauche. Andere würden von Allah gesendet. Um einem selbst zu testen. Die Geduld die man habe. Oder dann die umgebenden Personen, wie aufmerksam die Angehörigen sich um den Kranken kümmerten, ihn pflegten. Das sei dann wie ein Test, der bestanden werden müsse.
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