Mittwoch, 25. April 2007
15.April 2007
15. April 2007
Ein Bild bleibt mir in der Erinnerung haften: Alis Mutter, wie sie, eine stattliche, irgendwie würdevolle Frau, zwischen Zementsteinen und Sand im unvollendeten Teil des Hauses sitzt. Zufrieden scheint sie. Meint, das sei besser hier. Auf dem Land, wo sie zusammen mit ihrem fünften Mann und der ganzen Familie - da sind auch noch Töchter, Ehemänner, Kinder, eine normale afrikanische Familie eben – in einfachen, Blätterbedeckten Lehmhüttchen lebte, da habe es immer hineingeregnet. Das Leben auf dem Land sei zu hart, auch die Feldarbeit. Nun wohnt sie meistens in dem unvollendeten Haus, das Ali während der Zeit, in der er in der Schweiz arbeiten konnte, zusammengespart hat. Ein einfaches Haus in einem Vorort der Stone Town, die Häuser stehen dicht, kein Grün, doch mindestens hat das Haus einen winzigen Innenhof. Mit den 8000.- Franken aus der Schweiz konnte der Halbbruder hier ein angefangenes Haus kaufen. Mit seiner Familie wohnt er im vollendeten Teil. Der andere Teil ist seit Jahren eine Baustellen. Wände und Dach, der Rest wartet auf seine Vollendung. Doch das ist hier ganz normal, mindestens scheint sich Alis Mutter nicht im geringsten daran zu stören. Sie sitze hier auf den Zementsteinen, weil auf dieser Seite des Hauses ein angenehmer Wind wehe um die Mittagszeit. Wir unterhalten uns in meinem spärlichen Swahili, sie spricht kein Englisch. Doch ich verstehe recht viel. Auch die Frage, weshalb ich und Ali denn nicht auch hier wohnen wollten? Im unvollendeten Teil gibt es ja zwei weitere Schlafräume und einen Wohnraum, eine weitere Küche und eine Toilette. Weshalb wir denn in der „Mji Mkongwe“, der Altstadt wohnen wollten? Ich erkläre, dass es mir dort gefalle, weil das Meer ganz nah sei und die Luft besser, frischer. Und hoffe damit, eine nicht beleidigende Erklärung gefunden zu haben. Ich kann ja nicht sagen, dass ich mir nicht vorstellen könne, in diesem dicht bebauten, schwülen, von Mücken verseuchten Vorort weit weg vom Zentrum - zu Fuss läuft man sicher zehn Minuten durch abfallübersätes Brachland, bis man irgendwo ein Dalladalla, einen Gemeinschaftsbus finden kann – zu leben.
Im Untergeschoss das regelmässige Klopfen der Handwerker. Bevor neu verputzt werden kann, muss erst der modernde Putz weg. Die „fundis“ arbeiten hier für 10.- pro Tag, was kostet, ist vor allem das Material. Für rund 500.- SFR, nehme ich an, wird das Gästezimmer renoviert sein. Inklusive der Toilette, die eigentlich noch ganz gut ist, braucht nur einen neuen Spülkasten. Das gibt hier etwas Arbeit, ist gut für das alte Haus und – hoffe ich – wird auch einmal von Gästen genutzt werden. Da wir das Haus für anderthalb Jahre im voraus gemietet haben - statt Mietzins zu bezahlen, haben wir die Dächer für 1500.- neu gedeckt - scheint mir diese Investition wert.
Ali erzählt mir von seiner Anfangszeit in der Schweiz. Zuerst seien sie in Militärbaracken gebracht worden. Dort habe man ihnen gelernt, in der Schweiz zu leben. Das sei sehr wichtig und gut gewesen. Was man mit dem Abfall mache, das man den auftrenne und keineswegs einfach auf die Strasse schmeisse, wie man in einer Wohnung lebe, bzw. eine solche behandle, all dies wüssten ja die Leute, aus einfachen Hütten kaum ohne Einrichtung stammend, gar nicht. Da wäre sofort alles kaputt. Wann man ruhig sein müsse, weil die Schweizer sich nicht gewohnt seien, mitten in der Nacht Lärm zu hören. Auch wie man einen Kochherd und eine Waschmaschine bediene. – Letzteres kann er nun bestimmt genauso gut wie ich. Mindestens mit unserer Occasionswaschmaschine kommt er viel besser zurecht als ich. Bei mir springt sie häufig nicht an, oder dann kann ich die Türe am Schluss nicht öffnen. All die Bedienungsknöpfe sind eben bereits etwas abgenutzt.
Wenn man dann diese erste Zeit in den einfachen Baracken durchlebt habe, dann wisse man bereits etwas und werde in Asylantenheime transferiert. Und wenn man sich dort auch gut verhalte, dann könne man irgendeinmal frei in Mansarden wohnen, wie er dies habe tun können.
All diese Erziehung fehle hier in Sansibar. Weder Eltern, noch Lehrer, noch geistige Führer, noch Politiker wären da Vorbilder. Da fehle es an vielem. – Saidi, ein Sansibari aus Bern, der auch bereits seit sieben Jahren in der Schweiz lebt und nun mit einer Schweizerin verheiratet ist, kommt für drei Wochen auf Besuch. Auch ihn stören Schmutz und Abfall hier. Sieben Jahre scheinen zu genügen, um das Empfinden, das Verhalten der Leute zu verändern. Sechs Wochen, wie beim Mody, offensichtlich nicht. Zurück in Sansibar, hat er all meine erzieherischen Bemühungen bereits nach drei Monaten wieder vergessen.
Ali kommt jeden Tag mit neuen Plänen, neuen Ideen und Wünschen. Anfangs hat mich dies sehr verwirrt, weil ich sofort begann, über deren Konsequenzen nachzudenken, das ganze im Kopf oben durchzuspielen. – Inzwischen bringt es mich nicht mehr aus der Ruhe, wenn er an einem Tag meint, wir sollten aus seiner kleinen Wohnung, die nun leer steht und die ich eigentlich gerne an Studenten vermieten würde, einen kleinen Lebensmittelladen machen. Zur Unterstützung des Restaurants. So könnten sie dann die Sachen günstig einkaufen, müssten nicht noch Geld jemand anderem abtreten. Ich wende ein, dass dies zwar ein guter Gedanke sei, doch dass man erst überprüfen müsse, ob denn ein solcher Laden im Quartier auch rentiere. Es gebe bereits derartig viele kleine Läden. Man müsse wissen, ob denn dieser Laden die 60.-SFR Mietzins monatlich, recht viel hier, überhaupt je einbringen könne. – Am nächsten Tag meint Ali, dass er wohl besser versuche, drei Monate in England Schwarzarbeit zu finden, England sei gut und hier verdiene er mit dem Restaurant viel zu wenig, er wolle nicht beständig abhängig sein von mir. Einen Lebensstandart wie die Leute hier, das könne er mir schon garantieren. Aber wir hier würden ja wie „Mzungus“ leben, das sei etwas anderes. Er meint, er könnte schon auch wieder leben wie die Menschen hier. Ich weiss, dass ich das nicht kann und auch nicht will. Und bin auch nicht ganz sicher, ob dem Ali dies nach der langen Zeit in der Schweiz noch gelingen würde. Mindestens hat er bereits bevor ich nach Sansibar kam entschieden, dass er nicht in seinem Haus in den Vororten leben wolle, und sich eine Wohnung in der Altstadt gemietet. So einfach wäre es auch für ihn nicht.
Nach dem Nachmittagsgebet kommt Ali ganz aufgeregt zurück in den „Lukmaan“. Es sei etwas Ungutes im tun. Und führt mich zu unserem Turm-Traum-Häuschen, das nur wenige Schritte hinter dem Restaurant in einer Seitengasse liegt. Ein Quartier, das eigentlich sehr gut gepflegt wird, die meisten Häuser haben neue Dächer und neu gestrichene Fassaden, mit ein Grund, weshalb wir von dem Haus überzeugt sind. Es ist kein Quartier in dem die Leute ihre Häuser verlottern lassen und nur darauf warten, sie möglichst teuer zu verkaufen. So waren wir nicht erstaunt, dass beim Nachbarhaus das Dach abgedeckt wurde. Wir dachten, es kriege ein Neues. Nun jedoch stellen wir fest, dass bereits das halbe Haus niedergerissen wurde. Obwohl in der UNESCO-geschützten Altstadt keine Häuser abgerissen werden dürfen, die noch erhalten werden können und das Haus alles andere als eine Ruine war. Die gut laufende Privatschule dahinter, die einer sehr vermögenden indisch-arabischen Familie gehört, brauche mehr Platz, müsse vergrössert werden. Die Schule ist ein kitschig verschnörkeltes Gebäude von 1998, das nicht den heute geltenden Vorschriften entspricht, denn es hat vier Stockwerke, wo doch eigentlich nur drei erlaubt sind. Ali telefoniert der Frau im Stone Town Conservatory Office, die für dieses Quartier zuständig ist. Ja, es gebe eine Baubewilligung für dieses Gebäude. Aber von Abriss stehe da nirgendwo etwas, lediglich von Renovation des Hauses zwecks Erweiterung der Schule. Diese Angelegenheit werde aber vom Chef persönlich bearbeitet, da habe sie keinen genauen Einblick. Sofort wird auch unser Freund Mohamed, der ebenfalls dort arbeitet, benachrichtigt. Er regt sich fürchterlich auf. Von einem Abriss sei nie die Rede gewesen, kein altes Haus hier dürfe abgerissen werden um einem Neubau zu weichen. Wir sind alle empört, mit ansehen zu müssen, dass etwas passiert, dass ganz bestimmt nicht legal ist. Wie viel man ausrichten kann, wenn der Chef persönlich sich Schmiergeld bezahlen lässt und die Leute so die Bewilligungen umgehen können, das weiss ich nicht. Ich habe aber Blut gerochen, besonders auch, weil wir das Nachbarhaus kaufen wollten. Und ob das dann immer noch attraktiv ist, wenn daneben ein viel höherer hässlicher Neubau steht, das frage ich mich. Morgen wollen wir gemeinsam etwas unternehmen. Mohamed vom Stone Town Office erhofft sich Hilfe von den „Mzungus“, Ali wird ja irgendwie nun auch dazu gerechnet, und ich bin sehr froh, dass er mitmachen will. Er hätte ja auch Angst haben können um seinen Job. Aber deswegen ist er wohl nicht von Frankreich nach Sansibar zurückgekehrt, auch er möchte hier etwas verändern. - Ali ist nun wieder ins Quartier vom Lukmaan zurückgegangen um in die Moschee zu gehen. Ich habe das Gefühl, dass dort nebst Beten, noch ganz anderes verhandelt wird. Man ist auf dem Laufenden, was im Quartier vor sich geht. Der „Sheikha“ dort - jedes Quartier hat solch einen Mann, der über alles, was im Quartier vorgeht unterrichtet werden muss - steckt bestimmt mit dem Chef des Stone Town Offices unter einer Decke. Ali hat ihm bereits vorher nicht über den Weg getraut. Pikanterweise arbeitet dieser Mann auch für die NGO, die hier eine Entwicklung im Sinne des UNESCO Weltkulturerbes fördern und unterstützen soll. Alles mächtige Leute, wir werden uns keine Freunde machen. Doch glaube ich, dass die Zeit langsam reif ist. Auch die Leute im Quartier, mit denen wir sprechen, regen sich alle über solches Treiben auf.
Kürzlich sind wir nach einem Abendspaziergang in der Bucht recht spät erst zurück in die Stone Town gekommen, es war bereits finster. Irgendwo muss man dann vom Strand weg durchs Gebüsch und an Häusern vorbei zur Strasse laufen. Kaum hatten wir den Strand verlassen, wurden wir von einer schneidenden Stimme aufgefordert, stehen zu bleiben. Ein Militärangehöriger mit einem Gewehr redete wütend auf Ali ein. Weitere Militärs kamen hinzu, meinten, dies hier sei Gelände der Marine und verboten zu betreten. Da half es nichts, dass Ali meinte, das stehe aber nirgendwo geschrieben und bis vor zwei Wochen seien wir hier nie angehalten worden. Nach langem aufgeregtem Palaver gehen wir zurück an den Strand und dann erst später auf die Strasse. – Ich erzähle diesen Vorfall heute Othmani, Alis Partner im Restaurant. Nach Einbruch der Dunkelheit sei das gewesen. Und dann Ali mit seinem Bart und seiner Kufia, der Sansibari Kopfbedeckung. Die Soldaten hier, alles Leute aus Tanzania, seien eben nervös, sähen in jedem Bärtigen gleich einen Oppositionellen, einen Terroristen. - Ähnlich ist das bei uns ebenfalls, doch hier hätte ich dies nicht erwartet.
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