Dienstag, 29. Juli 2008

21. Juli 2008


Alles ist dann plötzlich sehr schnell gegangen. Nach der Vorführung meines Filmes realisiere ich erst richtig, dass in fünf Tagen bereits mein Rückflug ist, so vieles ist noch am Fliessen, nicht beendet, ich muss mich überall verabschieden – für immer, denke ich jetzt, doch den Leuten sage ich im allgemeinen nur, ich wisse nicht genau, wann ich zurückkehren würde, manchen sogar sage ich im Oktober, was will ich. Man kann das nicht sagen: Für immer. Den Leuten von Chumbe Island muss ich berichten, dass die Zeit für ein weiteres Treffen nicht mehr reicht, denn das Festival geht ja noch bis Sonntag weiter und ich möchte davon profitieren und schliesslich auch noch einen Tag haben, um mit Ali etwas zu unternehmen, wir haben diesmal sehr wenig Zeit gemeinsam verbracht. - Und jetzt sitze ich bereits im Flughafen von Dar es Salaam und warte auf meinen Weiterflug in die Schweiz. Bin merkwürdigerweise sogar hungrig und bestelle mir ein Sandwich mit Frites.

Zurück zu der Vorführung meines Filmes. Alis Absage in letzter Minute, er wolle nicht an die Vorstellung kommen, vielleicht sei er doch zu hart umgesprungen mit seinen Landsleuten, alle arbeiteten ja im Moment intensiv daran, dass Sansibar eine Touristendestination werde. Und dann berichte er über die Korruption hier, zeige die hässlichen Seiten auf. Auch die Behörden, mein TV-Spot zum Stromunterbruch sei ja bereits nach einer Vorführung verboten worden. Die Film-Arena sei jetzt kein guter Ort für ihn. Allein dann im Scheinwerferlicht mache ich die Ansage des Filmes, ich habe nicht gewusst, wie einsam man sich auf einer grossen Bühne fühlt, geblendet vom Licht, ich sehe und höre nichts vom Publikum und weiss auch nicht, ob meine Stimme gut in den Lautsprechern vernehmbar ist, denn ich selbst auf der Bühne höre davon nichts. Ein verunsicherndes Gefühl.

Unheimlich langwierig scheinen mir heute die unzähligen Sicherheitskontrollen im Flughafen. Ich muss ein Formular ausfüllen, das scheint mir neu, normalerweise war dies nur bei der Einreise der Fall. Und alles wird peinlich genau durchgeschaut. Auch dies haben die Afrikaner von uns gelernt und bis zur Perversion verfeinert: die Bürokratie. Nicht nur in Sansibar scheint der Staat der grösste Arbeitgeber zu sein. Religion und Bürokratie haben wir den Afrikanern aufgedrängt. Jetzt scheinen sie mit weit gewaltigerem Eifer als wir sich an uns rächen zu wollen für diese Geschenke. - Irgendeinmal habe ich es dann trotzdem geschafft, eingecheckt, wieder einmal sitze ich im einzigen, muffeligen auf MacDonald getrimmten Flughafenrestaurant. Und habe, wie des Öfteren in letzter Zeit, das Gefühl, dass man sich an mich erinnert, mir freundlicher als normal zulächelt. Ich erinnere mich natürlich nicht. Wie immer.

Zurück zu der Vorführung meines Filmes. Der Ton war furchtbar am Anfang, die Lautsprecher scheppern und ich rannte schleunigst zum Mann am Mischpult, den ich bereits am Vortag bei einem Gespräch mit seiner Freundin stören musste, denn der Ton des Filmes war kaum zu hören - was den Mann allerdings nicht im geringsten zu stören schien. Heute bringe ich ihn mit Mühe dazu, etwas an seinem Mischpult herumzuhebeln und nach etwa zehn Minuten Geschepper schaffen wir es doch noch, einen ordentlichen Ton zu haben. Sogar einen erstaunlich Guten, die zwei Tage im Tonstudio, die ich mir am Schluss noch geleistet habe, haben ganz offensichtlich etwas gebracht. Die Bildqualität ist von der Schärfe her ordentlich, das Bild aber häufig düsterer, als ich mir dies von kleineren Projektionen her gewohnt bin und die Farben blasser. Trotzdem, eigentlich erstaunlich gut für meine kleine Hobby Panasonic-Kamera. Der Handlung kann ich heute kaum folgen, habe das Gefühl von Längen, das Publikum ist ruhig, ist ja auch kein Film, der zum Lachern oder zu Zwischenrufen animiert, ich habe das Gefühl, dass er wohl niemanden interessiert und bin dann sehr erstaunt über den Schlussapplaus, der grösser ist als meistens. Hat also doch gefallen. Viele Leute kommen mir gratulieren, Mzungus vor allem, doch auch einige Einheimische finden, das sei ein sehr schöner, sehr feiner Film, auch die Bilder gefallen. Erleichterung. Ali erlebt dann das Ganze zum Glück in den nächsten Tagen auch positiv, viele Leute sprechen ihn an, gratulieren ihm zu diesem Film, seiner Offenheit auch, ich fühle, dass ihn das stolz macht. Das Restaurant spürt das ganze ebenfalls, habe ich doch gleich auch organisiert, dass den Touristen am Ende der Vorführung Flyers mit Adresse und Werbung für den Lukmaan in die Hand gedrückt wurden. Viele Leute scheinen das genutzt zu haben, mindestens drückt sich auch Othman äusserst positiv über den Geschäftsgang der letzten Tage aus. Nur reisen natürlich diese Festivalbesucher auch irgendeinmal wieder ab. Trotzdem waren auch heute noch die Mehrzahl der Gäste im Restaurant Touristen. Und die würden auch etwas mehr für die Speisen bezahlen. Mindestens diejenigen, mit denen ich diskutiert habe und denen ich die Sorgen mit dem Restaurant erklärt habe. Alle finden, dass man sehr wohl den Touristen, mit einer Bemerkung in der Speisekarte, dass die Einheimischen hier kaum einen Zehntel dessen verdienen, was ein Europäer selbst unter schlechtesten Bedingungen verdient, etwas mehr verlangen könnte. Aber wahrscheinlich sind Ali und Othman noch nicht so weit.

Umgekehrt: Ich spreche auch ausgiebig mit der Gründerin von Chumbe Island, ebenfalls einer regelmässigen Festivalbesucherin. Was, die würden immer noch keinen Profit machen mit dem Restaurant? Das solle ich doch gerade mal vergessen und meine Investitionen zurückverlangen. Natürlich würden die Geld verdienen, mir nur sagen, das gebe keinen Profit. Als Weisse sei man immer die Dumme, die betrogen werden dürfe. Nach 50ig Jahren Entwicklungsarbeit in Afrika könne sie mir dies sagen. Selbst die besten ihrer langjährigen schwarzen Freunde hätten sie irgendeinmal enttäuscht und betrogen. Das müsse man akzeptieren, mit dem müsse man leben können, Vertrauen sei hier fehl am Platz. Überhaupt scheint „Misses Chumbe“, genau gleich wie der deutsche Exkonsul, nach vielen Jahren Entwicklungsarbeit in Afrika doch recht zynisch geworden zu sein. Erzählt mir von ihrer Arbeit, erst als Vertreterin für Regierungen, da sei es etwas besser gewesen mit der Korruption, ein gewisser Respekt vorhanden. Dafür enttäuschend, was die ausgeführten Projekte betreffe. Nun, bei ihrem privat aufgezogenen Marinen Schutzreservat, da seien die Behörden ja schamlos. Selbst die Lehrer müssten bezahlt werden, damit sie auf einen gratis Erziehungsausflug auf Chumbe Island kämen mit ihren Schulklassen. Ohne Bezahlung käme da niemand. Und das Schlimmste: Dafür dass sie jährlich ungefähr 50 Schulklassen gratis auf ihre Insel nähmen und sie unterrichteten in Umweltanliegen, also etwas täten, das eigentlich der Staat machen müsste, dafür müssten sie auch noch Steuern bezahlen. Weil im Gesetz stehe, dass auch Steuern bezahlt werden müssten, wenn Gäste gratis ins Hotel kämen. Meinen Einwand, dass dies ja vielleicht sei, damit nicht alle als Gratisgäste deklariert würden, lässt sie nicht gelten. Agenten, die müsse man gratis einladen, sonst gehe das Geschäft gar nicht, das sei normal. Überhaupt sei doch das ganze nur dazu da, den Behörden erneut Gelegenheit zu geben extra Geld in die eigenen Taschen zu wirtschaften.

Auch am Filmfestival werden wir also die Probleme nicht los, die verfolgen einen hier. Und Ali meinte gestern gar, als ich ihm sagte, dass ich nicht mehr zurück komme, weil mir unsere Geschichte ausweglos erscheine, das könne ich nicht. Ich sei nun ein Teil der „matatizo“, der Probleme, ich könne da nicht mehr hinaus.
Und einfach ist das wirklich nicht. Gestern noch haben wir gemeinsam einen Ausflug an die Ostküste gemacht. Das erste und einzige Mal diesmal, sonst haben wir nie Zeit dazu gefunden, denn Ali arbeitete jetzt ernsthaft und es schien mir nicht logisch, dies einerseits zu fordern und andererseits ihm dann Vorwürfe zu machen, er habe keine Zeit. Trotzdem finde ich, dass er sich eine Vertrauensperson suchen muss, die ihn ersetzen kann. Sieben Tage die Woche arbeiten, das geht nicht über längere Zeit, das hält niemand aus.
Wir beide geniessen den gestrigen Ausflug nach Matemwe. Ein noch recht unverdorbener Küstenstreifen im Nordosten. Kleine und luxuriöse Ressorts, Privatvillen, kilometerlanger Strand, wilde Felszacken zwischendurch, meist feinster Sand. Palmblatt gedeckte luftige Häuser, die nicht im geringsten einer hier heimischen ursprünglichen Siedlungsart entsprechen. Tropentraum der Europäer eben. Doch das funktioniert auch bei mir. Die Siedlungen fügen sich gut in schönste Gartenanlagen ein. Viel besser, als die Betonsiedlungen mit Klimaanlagen, die sich auch auf Sansibar langsam ausbreiten. Und Ali meint, dass der Tourismus doch irgendeinmal wieder zusammenbreche. Die wahnsinnigen Abgaben, die die hiesigen Behörden einforderten. Da habe schon manch einer aufgeben müssen. Wie ein unvernünftiger Parasit eben, der seinen Wirt derartig schädige, dass er zugrunde gehe. Effektiv sieht man an der Küste auch ab und zu Hotelruinen, die bereits wieder von der Natur zurückerobert werden.

Im Flugzeug jetzt. Fiebrige Erregung wie immer. Ich bin gerne unterwegs. Im Lautsprecher wird gemeldet, dass eine schwarze Damenjacke im Warteraum liegen gelassen wurde und man sie abholen könne. Ich habe bereits beim ersten Sicherheitscheck meinen Pass liegen gelassen und dies dann beim nächsten mit Schrecken bemerkt. Langsam geht das zu weit. So wie ich innerhalb einer Woche zweimal meinen Schlüsselbund verloren habe – Ali hat den mit stoischer Ruhe zweimal ersetzt, da ist er wirklich bewundernswert, kein Tadel, keine Vorwürfe, die mache ich mir selber. Auch meinen Memory Stick verliere ich diesmal endgültig und das Seltsamste, auch das kleine Gartenschäufelchen lässt sich partout nicht mehr finden. Langsam fange auch ich an, an Übersinnliches zu glauben. Sachen verschwinden einfach und der Vorhang zum Vorratsraum hat sich gestern aufgebläht, das sah ich genau, obwohl dort drinnen gar kein Fenster ist und auch kein Windhauch geweht hat. Erschrecken tut mich solches nicht, erstaunen schon, ich bemerke es. Und weiss, dass ich vollkommen nüchtern und klar bin. Die Geisterwelt. Im Koran, wohl auch in der Bibel beschrieben, soweit bin ich mit Lesen noch nicht gekommen.
Und ich sage dem Ali, dass seine Art, mir den Glauben schmackhaft zu machen, nie funktionieren könne. Nicht mit dem Verstand könne ich glauben. Eine wissenschaftliche Erklärung der Religion - viele Muslime, vor allem bei „Peace TV“, versuchen sich darin – nütze mir nichts, eher versperre es mir den Zugang zum Glauben. Das sei wie bei der chinesischen Medizin. Wenn ich die mit meinem Verstand begreifen wolle, dann funktioniere es nicht mehr. Als ausgebildete Biologin mit westlicher Logik könne ich sie wissenschaftlich analysierend nur Humbug nennen. Verstehen wollen sei da eben falsch. Funktionieren könne das bei mir nur wenn ich den Verstand beiseite lasse. Und ebenso ergehe es mir mit der Religion. Wissenschaftliches Analysieren entferne mich nur davon.


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