Dienstag, 29. Juli 2008

13. Juli 2008



Vor zwei Tagen hat das Filmfestival hier begonnen und nun komme ich definitiv nicht mehr zum Schreiben, Alltägliches, Gesten, Stimmungen und Worte zu beobachten, aufzunehmen und einem Fotoapparat gleich festzuhalten. Momentaufnahmen, die in den Gehirnwindungen eingebrannt bleiben, Bilder, die darauf warten, sich in Worte – oder auch wieder Bilder, umgesetzte Bilder, gemalte, zu verwandeln. Diese Musse fehlt mir gleich doppelt. Einerseits fehlt die Zeit zu verarbeiten, andererseits scheint mit der fehlenden Gelassenheit bereits die Gabe des Beobachtens nicht mehr in gleichem Masse vorhanden zu sein, zu viele Eindrücke stürzen auf das Gehirn ein, das ja – wie uns Gehirnspezialisten lehren - sowieso nur einen kleinen Teil des Wahrgenommenen auswerten kann. Und im allgemeinen selektiv den richtigen, den wichtigen Teil auszuwerten scheint und den Rest in den tiefen Taschen des Unterbewusstens ablegt. Meistens wohl auf Nimmerwiedersehen. Gedankenballast, der nicht abgeworfen werden kann. - Oder vielleicht doch das verborgene Fundament unseres Seins? Auch bei Häusern bleibt das Fundament verborgen und ist trotzdem der Teil, ohne den jegliches Bauen in die Höhe unmöglich wäre.

Das Festival wurde mit einer Feier am Freitag Abend eröffnet. Traditioneller Tanz, dann eine Männergruppe mit modernem Pop aus den Komoren, nicht ganz mein Geschmack, und vier Luftballons mit Kerzen im Lastenkorb entschweben poethisch Richtung Meer. Pathetisch wird schliesslich das symbolische Segel gehisst, denn das ganze nennt sich ja „Festival of the Dhow Countries“, was die Länder Ostafrikas, der Arabischen Welt bis hinüber nach Indien und Pakistan einschliesst. Die Handelspartner aus alten Zeiten, als das Dahu, das traditionelle Segelschiff, das wichtigste Transportmittel war. Als Ehrengast ist die Ministerin für Tourismus und Gewerbe eingeladen. Ihre Rede fällt entsprechend nüchtern aus, die Betonung liegt auf dem wirtschaftlichen Gewinn, den solch eine Veranstaltung Sansibar bringe. - Ich hätte mir eigentlich eher eine Kulturministerin an dieser Stelle gewünscht.

Der Eröffnungsfilm war ein Spielfilm über das Schicksal der Kindersoldaten in Sierra Leone. Ein erschüttender Film, von „Arte“ finanziert, doch mit guten Bildern gedreht. Zwar kamen zwangsläufig Grausamkeiten vor, doch die Kamera blieb nie darauf stecken. Das meiste spielte sich in der Nacht bei spärlicher Beleuchtung ab, die Handlung wurde mehr durch Stimmen und Schreie übermittelt als durch Sichtbares, jedermann konnte sich so die Bilder ausmalen, die für ihn noch erträglich. Erstaunlich gut waren auch die Schauspieler, das ist bei afrikanischen Spielfilmen sonst oft ein Schwachpunkt. Häufig wird für meinen Geschmack stark überspielt. Theaterstil von anno dazumal, das wirkt bei Nahaufnahmen mit der Kamera oft etwas lächerlich – mindestens jedoch unglaubwürdig. Nicht ganz befriedigend war die Story, der konnte man in den Details kaum folgen. Viel zu viele Vor- und Rückblenden, das Kriegstribunal, das versucht Dunkel in die Geschehnisse zu bringen, dann wieder Erlebnisse, die sich im Leben des kleinen Jungen abspielten, Familie, Freunde und schliesslich auch noch die Kämpferin, die zur Frau des jungen Hauptdarstellers wird und, bereits schwanger, in einem Kampf umkommt. Diese Friedenstribunale - das Thema kam heute auch in einem Dokumentarfilm über die Bewältigung des Mordens in Ruanda vor – verunsichern mich etwas. Ob dies eine sinnvolle Lösung ist? Zu schlimm scheint mir für viele Beteiligten das Vergangene, sich wieder an die Grausamkeiten zurück zu erinnern verweigern sie, mindestens innerlich, man spürt das sehr gut. Viele behaupten, sich nicht mehr erinnern zu können, Mörder nicht gekannt zu haben – obwohl erwiesen ist, dass sie mit denen befreundet oder gar verwandt waren. Ich bin da eigentlich für das Vergessen. Aber das geht wohl auch nicht, da nicht alle Leute einfach vergessen können und ihre Rachegedanken ablegen. Wie dem auch sei, irgendwie scheint mir das chaotische der Handlung des Filmes „Ezra“, des Kindersoldaten, irgendwodurch gar nicht so schlecht zu passen zu der seelischen Verfassung der Leute, die solche Extremsituationen durchlebt haben.

Gestern dann im „House of Wonders“ ein Film über die Kaste der „Dalits“, der Unberührbaren in Indien. Erschreckend, wie stark dieses für mich absolut unmenschliche Kastendenken dort immer noch verankert scheint. Ein guter Dokumentarfilm, der die Klassentrennung innerhalb der verschiedenen Religionen in Indien untersucht. Das Kastendenken kommt offensichtlich aus dem Hinduismus, der das auch rechtfertigt, schliesslich ist jedermann für sein Karma selber verantwortlich, nur gute Leute, werden in einem höheren Zustand wiedergeboren. Folglich kann man so rechtfertigen, dass die Dalits ihr Los verdienen, da sie eben in den früheren Leben zu wenig an sich gearbeitet haben. Erschreckend auch, wie diese Diskriminierten selber ihr Los akzeptieren. Akzeptieren, dass bereits ihre Kinder auf ihre gesellschaftliche Rolle vorbereitet werden, vom Lehrer in die hinterste Ecke des Klassenzimmers verbannt und dort übersehen, dafür aber im Turnus das Schulgelände und die Toiletten reinigen müssen. Damit sie sich bereits von Anfang an ihrer Bestimmung bewusst werden. Und die Bilder, wo ein Angehöriger dieser niedrigsten Bevölkerungsgruppe seine Schuhe auszieht als er durch das Quartier einer höheren Kaste marschiert, oder wie einer im Restaurant sein Glas, ein Glas aus dem nur die unterste Kaste trinken kann, denn die macht das unrein, zuletzt noch selber spülen muss, denn der höher platzierte Restaurantbesitzer will sich nicht verschmutzen. Oder die Kinder höherer Kasten, die erzählen, dass sie sich zu Hause sofort waschen müssen, wenn sie versehentlich ein Kind der niedrigsten Kaste berührt haben - all dies empört mich zutiefst. Und der fette Brahmane mit nacktem behaartem Oberkörper, der uns erklärt, dies alles sei gottgewollt, schon immer so gewesen. Wenn man als Pfau geboren worden sei, dann bleibe man ein Pfau, wenn als Ratte, bleibe man Ratte, weshalb also wir Westler nicht begreifen wollten, dass man an diesem Schicksal nichts ändern könne? Das sei so vorbestimmt, wir sollten uns gefälligst nicht in ihre Kultur einmischen. - Ganz offensichtlich eine Religion, die von der herrschenden Klasse gemacht wurde. Das Merkwürdigste am ganzen: Dieses in den religiösen Schriften der Hindus gerechtfertigte vererbte Klassensystem wurde von den Angehörigen anderer Religionen einfach übernommen. Sowohl von Buddhisten, wie Christen und Muslimen. Obwohl mindestens Christentum und Islam - den Buddhismus kenne ich zu wenig - doch Gleichheit predigen und in ihren Schriften und Ursprüngen eigentlich für ihr damaliges Umfeld extrem sozial waren, gar als Revolutionäre verschrien. Doch in Indien benutzen die Christen unterschiedlicher Kasten auch unterschiedliche Kirchen und die Muslime, die glaubten, durch einen Religionswechsel dem Kastensystem entfliehen zu können dürfen zwar im allgemeinen in derselben Moschee beten, die Friedhöfe hingegen und das ganze übrige Leben sind auch hier strickt nach Kasten getrennt.

Gestern Abend ein Spielfilm von einem Tansanier, der in Amerika lebt. Eine Komödie über einen Rückkehrer aus Amerika der Mühe hat, sich in Dar es Salaam, „Bongoland“ im Slang, wieder zurechtzufinden. Recht gut gemacht finde ich, die Hauptfigur, ein Manager, kämpft mit der Arbeitsmoral seiner Landsgenossen. Auch mit dem Familienclan, all den Leuten, die um Geld bitten. Etwas überspitzt alles, sicherlich, doch trotzdem nicht unrealistisch.
Heute Morgen dann ein amerikanischer Film über den Aga Kahn. Teuer produziert, Stil CNN-Dokumentarfilm, für meinen Geschmack schlecht gemacht. Im Filmischen, aber auch in der Information. Ich weiss jetzt nicht mehr als vorher über diesen in Sansibar sehr wichtigen, aber auch umstrittenen Mann, er verschenkt und investiert hier viel Geld. Eher ein Propagandafilm für die Ismaeliten, eine Rechtfertigung des Islam nach den Ereignissen des 11.Septembers.
Anschliessend ein Film über die Präsidentin von Liberia. „The Iron Ladies from Liberia“ begleitet die Präsidentin in ihrer ersten Regierungszeit. Ein schönes Portrait einer Frau, die ich bewundere. Ein Land, das 40 Jahre im Bürgerkrieg stand, zu leiten ist keine Aufgabe, die ich übernehmen möchte. Ellen Johnson-Sirleaf umgibt sich mit viel weiblichem Personal, selbst die rabiate Polizeipräsidentin ist eine Frau.

Insgesamt denke ich, dass das Filmfestival wohl ähnlich wie Fribourg in der Schweiz, vor allem Filme zeigt die bewegen, politisch wachrütteln. Häufig sind die Themen derartig stark, dass man daneben ganz vergisst, gross über die Machart der Filme nachzudenken, das Künstlerische tritt ganz natürlich in den Hintergrund. Klar will ich möglichst viele Filme aus Tansania sehen, schliesslich interessiert mich mein Gastland. Daneben sind es aber vor allem die Themen, die mich dazu veranlassen, einen Film anschauen zu gehen, denn schliesslich sind mir eigentlich alle Filmemacher hier unbekannt, nach Regisseuren also wähle ich nicht.

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