Samstag, 28. März 2009

Sansibar, den 21. März 2009


Heute Morgen, beim Aufstehen, sind meine Waden ganz furchtbar verkatert. Nicht dass ich viel mehr herumlaufe als in der Schweiz. Es ist das Gehen im Sand. Das Einsinken der Füsse - ähnlich wie im Schnee - bringt eine ganz andere Bewegung mit sich.
Der Sand. Der Strand. Das hat geändert. Noch nie habe ich hier soviel Sand gesehen. Jetzt ist der Strand praktisch den ganzen Tag über passierbar, immer liegt ein Streifen vor den verrotteten Mauern oder auch Felsabsätzchen trocken für ein Durchkommen. Mindestens bin ich die drei Tage noch nie an den Strand gegangen und musste umkehren, weil die Mauern vom Meer umspült waren. Das ist schon gewaltig, dieses ewige Umschichten des Sandes. Wie beim Wasser, scheint mir, hat man es hier immer wieder mit neuen Sandkörnern zu tun – obwohl das ganze immer gleich oder eben ähnlich aussieht. Etwas, das eine Binnenlandbewohnerin wie mich faszinieren muss. Diese Gestaltungskraft des Meeres. Viel schneller geht dies als bei den Flüssen im Gebirge.
Der breite Strandsteifen im Moment – ich weiss nun, dass das nichts Bleibendes ist - deckt momentan alle Abwasserleitungen, die ins Meer hinausführen, gnädig zu, selbst die schwarzen flachen und algenbewachsenen Felsplatten südlich der Landspitze. Und aus dem Sand heraus ragt der Rest eines Holzschiffes, Rückgrat und Rippen, jeden Tag ist etwas weniger davon da, wird wohl als Brennholz verwendet oder vom Meer fort getragen.

Neu sind auch die zwei Frauengruppen am Strand vor dem „Serena Hotel“, bisher habe ich Frauen nur weiter südlich, am Fischerstrand gesehen. Frühmorgens, dann, wenn alle Männer hier Fitness besessen, scheint mir, am Strand ihre Übungen machen, kommen nun auch ein bis zwei Frauengruppen und machen Gymnastik. Und Baden anschliessend, beziehungsweise sitzen palavernd ins Wasser. Oder versuchen sich gegenseitig das Schwimmen beizubringen. Natürlich in Kleidern, doch immerhin ohne Schleier, das ist schon etwas, ein kleiner subversiver Fortschritt, das darf man nicht übersehen. Und macht die Tatsache wett, dass man eigentlich hier in der Altstadt trotz Sandstränden nicht baden sollte, denn die Wasserqualität ist, wegen der dauernd verstopften und sowieso ihren Inhalt nur weiter ins Meer hinaus entleerenden Kanalisation, nicht mehr empfehlenswert. Was soll’s, all die kleinen Knaben, die jugendlichen Fussballer und ein Teil der frühmorgendlichen Fitnesser tun es ja auch. Und überleben. Ich persönlich begnüge mich damit, im Wasser herumzuwaten, nicht höher als bis zu den Knien.
Eine kleine Anmerkung dazu: eines frühen Morgens beobachte ich zwei ältere Nonnen, mit durch die Hauben verdeckten Haaren natürlich auch sie, am Strand die Frauen beobachtend und mit dem Fotoapparat knipsend. Erfreut oder entsetzt? Ich frage sie nicht.

Wenig Glück habe ich mit den „Forodhani Gardens“, hoffte ich doch, nach gut einem Jahr Bauzeit seien die wieder eröffnet. Ich klettere deshalb kühn vom Strand her auf die Mauern hinauf und betrete den immer noch von Bauzäunen umgebenen Garten und schaue mich etwas um. Schön bepflanzt ist er bereits und die Pflanzen stehen in erhöht gemauerten Beeten, sollten also jetzt besser vor Vandalismus, hier besser Achtlosigkeit, was ist das schon eine Pflanze, da ist kein böser Wille dabei, geschützt sein. Viel Kinderspielzeug aus Holz ebenfalls, Rutschen, Schaukeln und ein Pferd sehe ich. Wo ich doch vorige Woche am Naturgartentag gerade erfahren habe, dass Kinder eigentlich kaum etwas brauchten. Altholz, Baumstämme, Dreck und Wasser, Pflanzen auch, das sei das beste. Das rege zu Kreativität an und verleide am wenigsten rasch. - Doch seien wir zufrieden, die erste Welt kümmert sich offensichtlich um die armen Kinder in Afrika. Und ich bin neugierig zu sehen, was mit diesem Ort passieren wird. Wie und ob der von Kindern in Besitz genommen wird. Denn einen kleinen Platz mit Spielzeug gibt es bereits ganz in der Nähe. Allerdings nicht sehr einladend, von Mauern umgeben, kein Grün. Sicherlich auch von irgendeiner Hilfsorganisation gestiftet. Ich habe dort noch nie ein Kind spielen sehen.

Apropos Hilfsorganisationen. Ali erzählt mir empört, dass sich die Regierung eben gerade wieder 80 schwarze Offroader gekauft habe, mit getönten Scheiben versteht sich. Denn hier braucht natürlich jeder Minister – und achtzig Minister hat die halbautonome Region Zanzibar bestimmt – seinen Wagen. Obwohl bereits recht viele Offroader im Umlauf sind, da kann man offensichtlich nie genug davon bekommen. Und die Steuern auf den Fahrzeugen, meint Ali, seien ganz unverschämt teuer geworden. Unklar bleibt, ob Regierungsangestellte die auch bezahlen müssen. Immerhin, die Freude der einflussreichen Leute an Autos hat dazu geführt, dass das Strassennetz in den letzten Jahren doch erstaunlich gut ausgebaut worden ist. - Und selbst für die Flugpassagiere wurde etwas getan, das bemerke ich ganz zuerst, bei meiner Ankunft auf der Insel. Dem viel zu kleinen Flughafen wurde nun ein grosses neues Aluminiumdach vorgelagert, so dass die Fluggäste nicht mehr unter heissester Sonne oder einem Platzregen einchecken müssen. Immerhin, finde ich.

Und was hat das ganze mit Hilfsorganisationen zu tun? Gestern sprachen wir im Lukmaan mit einem Mann. Aus Mombassa komme er, Psychologieprofessor nennt er sich, er arbeite mit deutschen Studenten und versuche hier eine Station für Drogensüchtige aufzubauen. Eine lobenswerte Aufgabe und leider auch hier notwendig. Süchtige Kinder würden von den Familien verstossen und die Stasse, das sei keine Lösung. Der Professor regt sich darüber auf, dass die Regierung schlecht kooperiere beim Aufbau dieses Zentrums. Denn selbst privat gespendet, braucht solches natürlich eine Bewilligung der Regierung. Doch die erhält man nur, wenn man dem dafür zuständigen Beamten etwas bezahlt. – Deshalb also mein Gedanke an die 80 schwarzen Autos. So oder ähnlich - wahrscheinlich mit einem viel grösseren Fall - wurden die bestimmt finanziert.
Auch Ali denkt daran, für eine Hilfsorganisation zu arbeiten. Ein Schulkollege von ihm hat Kontakt zu Leuten, die in Daresalaam etwas aufbauen wollen und einen Ableger in Sansibar gründen möchten. Das Ziel der NGO ist noch völlig unklar. Sansibaris, die in Amerika lebten, hätten das ganze initiiert. Und natürlich geht es um Geld. Auch Ali hofft auf eine Anstellung. Und meint auch, die Versuchung sei natürlich riesig, wenn dann das Geld fliesse, da könnten viele nicht widerstehen und zögen es eben vor, sich ein schönes Auto zu kaufen statt das Geld für Bedürftige einzusetzen.

Zum Abschluss ein kleines Alltagsproblem. Ich will dem Ali ein paar Hosen kürzen, denn er mag sie knielang. Die Hosen sind grau und ich kenne genau zwei Orte hinter dem Markt, wo Nähfaden verkauft wird. Bei der Frau, in der Hauptgasse und mit grösserem Angebot, ist um vier Uhr Nachmittags geschlossen. Zweimal durchquere ich die Gasse, die Hälfte der Rollläden sind zu, da muss auch der Gesuchte darunter sein. In der Seitengasse verkauft ein Mann in einem winzigen Laden ebenfalls Faden. Der hat zwar offen, aber leider nur himmelblauen Faden. Das heisst, natürlich auch noch ein paar andere Farben, doch Himmelblau kommt meinem Grau am nächsten, weshalb er mir diese Spule anbietet. - So werde ich eben Morgen nochmals hierher pilgern in der Hoffnung, dass die Frau diesmal offen hat. Und vielleicht sogar den passenen Faden.

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