Freitag, 20. Juli 2007
17. Juli 2007
17. Juli 2007
Heute ist mein letzter Tag hier in Sansibar. Ungewöhnlich fängt er an. Morgens um 6 Uhr beginnt es zu regnen, und auch jetzt, um neun Uhr ist es noch trüb. Ich habe meine Pflanzen in den sanften Regen gestellt, sie sind nun wieder rein gewaschen. Überhaupt hat der Regen den Staub, der sich während der trockenen Wochen ansammelte, herunter gewaschen. Trotzdem sind die Ilangilang Bäume, oder mindestens was ich so bezeichne - Ali nennt eine andere Art so – nun fast kahl, haben ihre Blätter verloren, und auch der Baobab zeigt durch das licht gewordene Laub seine grossen samtenen Früchte. Die Winterzeit ist hier eine Trockenzeit.
Othmani, Alis Partner schaut interessiert meine Karte von Sansibar an. „Unguja Ukuu“. Ja von hier komme er her, das kenne er. „Makunduchi“ im Süden ebenfalls, dort sei er einmal an einem Begräbnis gewesen. Auch in „Nungwi“ anlässlich eines Begräbnisses. In „Uroa“ aus dem selben Grunde. - Ich frage Othmani, ob er denn jemals seine Insel aus einem anderen Grunde als Begräbnissen bereist habe. Nein, meint er, Hochzeiten die würden ja meistens in der Stadt gefeiert, da gehe man nicht aufs Land. Und überhaupt wohne ja der grösste Teil seiner Familie in der Stadt, mindestens die Jungen, die sich verheirateten, das erleichtere die Sache. – Othmani hat ausserhalb der Stone Town bisher einige Jahre in Daresaalam gearbeitet. Sonst ist er noch nicht weit herum gekommen. Ganz bestimmt kennt er seine Insel schlechter als die meisten Touristen.
Josephine erklärt mir kürzlich die Wortkonstruktionen mit „piga“, wörtlich „schlagen“. „Piga msuaki“, Zähne putzen, oder „piga magoti“, knien. Spannend ist vor allem auch „piga miayo“, gähnen. Josephine erklärt mir, gähnen tue man, wenn man müde sei. Und auch wenn sehr hungrig. Auf mein ungläubiges Staunen erwidert sie, dann sei ich eben noch nie richtig hungrig gewesen. – Als ich die Geschichte dem Ali erzähle, meint der dann allerdings, das sei Josephine, das sei nicht Sansibarische Weisheit.
Mit Josephine lese und übersetze ich einen Artikel aus der Zeitung, in dem erklärt wird, weshalb Frauen den Kopf bedecken müssen, was sie, als Christin ebenfalls tut. Auf meine Frage, weshalb denn, erklärt sie fast etwas gereizt, die Nonnen, die würden dies ja auch machen, das sei nicht nur islamisch. - Obwohl ich eher denke, dass man sich als christliche Minderheit, mindestens zu ihrer Zeit, sie ist etwas älter als ich, halt einfach anpasste. Nicht auffallen wollte. Heute sind die Jungen anders. Obwohl mir auch Josephine erklärt, dass die Spannungen zwischen Muslimen und Christen in den letzten Jahren – seit dem 11. September – zugenommen haben. Wo doch vorher Muslime, Hindus und Christen hier friedlich zusammengelebt hätten.
Zurück zu dem Artikel. Die Haare also, die sollen gleichsam als Antennen wirken, die das Böse anziehen, böse Dämonen eben. Und gleichzeitig das Gute abwehren. Da die Frauen schwächer sind und sich weniger wehren können, müssen sie sich davor schützen. Auch bei den Männern gibt es Gelegenheiten, wo sie einen solchen Schutz brauchen, etwa an Begräbnissen, da muss der Kopf unbedingt bedeckt werden. Von Josephine lerne ich ebenfalls, dass auch in der Kirche die Häupter bedeckt sein sollten. In Europa halt eben mit Hüten. - Wo ich doch bisher immer geglaubt habe, in der Kirche müsse man seine Kopfbedeckung abziehen, das sei ein Akt des Respekts.
Vielfach sehen wir in Afrika nur ein Chaos, glauben so, dass gar keine Ordnung bestehe - wo es doch oft nur darum geht, dass wir die Ordnung nicht erkennen.
Zum Beispiel beim Schlange stehen. Ein Raum voller Leute, die herumstehen oder auch sitzen. Anfangs denke ich, dass wohl nur die den Schaltern am nächsten stehenden Leute - auch sie nicht in einer ordentlichen Zeile - dort wirklich etwas wollten, die übrigen Begleitung seien. Oder einfach an einem kühlen Ort mit Sitzgelegenheit etwas ausruhen und dösen möchten. Und werde dann höflich darauf aufmerksam gemacht, dass ich nicht an der Reihe sei. Beschämt versuchte ich fortan die vielen Leute, die bereits im Raum sind, wenn ich hereinkomme, alle im Kopf zu behalten. Ein sehr schwieriges Unterfangen. Ich erzähle Josephine von meinem Problem. Sie meint, das sei eben so, manche Leute, die würden stehen und andere, die könnten nicht stundelang herumstehen. Sie sieht mein Problem nicht recht. Das sei doch ganz einfach, nur eine einzige Person müsse ich mir merken, die letzte nämlich, die die gerade vor mir herein gekommen sei. Ich wende ein, das sei gerade das Problem, wenn ich hereinkomme, dann sei die ja bereits drinnen, wie solle ich da feststellen, wer das gewesen sei? „Nani wa mwisho“, meint sie, „wer ist der letzte“, müsse ich fragen, wenn ich hereinkomme, dann wisse ich, wer es sei.
Vieles hier in Afrika regelt sich eben mit Sprechen. Karten lesen, etwa, das tun nur wenige, haben auch keine Karten. Wenn man irgendwo hin gehen will, dann fragt man eben. Wobei ich da nicht immer gute Erfahrungen gemacht habe. Die Antwort: „ich weiss es auch nicht“, die kriegt man ganz selten. Viel eher wird man irgendwohin geschickt. Oder ein freundlicher Begleiter führt einen – gegen ein Entgelt natürlich – stundenlang fragend und weiterführend geduldig durch die Stadt.
18. Juli 2007
Im Flughafen Amsterdam höre ich erstmals wieder Berndeutsch sprechen. Eine hässliche Sprache finde ich. Das geht mir jedes Mal so, wenn ich von einem längeren Aufenthalt im Ausland zurück kehre. Irgendwie ungeschlacht, grob. Um neun Uhr abends steht die Sonne immer noch am Himmel. Auch dies fällt auf, die langen Tage. In Sansibar ging die Sonne um halb sieben Uhr unter.
Beim Aussteigen in Zürich erhasche ich den Duft von frischem Heu. Wunderbar scheint er mir. So viele Erinnerungen, diffuse Sehnsucht steigt in mir hoch .
Mittwoch, 11. Juli 2007
2007-7-9
9. Juli 2007
„Malaika“ heisst Engel, Körperbehaarung und auch Kleinkind. Wobei mir Kleinkind noch einigermassen logisch scheint. Schliesslich werden Bebes oft als Engel bezeichnet. Oder umgekehrt mollige Kleinkinder nackt in alten Gemälden als Engel eingesetzt. - Hingegen habe ich mir Engel immer ohne Körperbehaarung vorgestellt. Wie dem auch immer, Swahili eben.
Die Mütter hier. Mohamed habe auf die Frage, was am wichtigsten im Leben sei, geantwortet, die Mutter. Auch an zweiter und dritter Stelle kam nochmals die Mutter. An vierter Stelle dann der Vater. Das sage man nie, wenn man darüber klage, im Islam würden die Frauen unterdrückt. Dabei seien die Mütter hier das Allerwichtigste. Und einer Mutter widerspreche man nicht, der gehorche man.
Eine sansibarische Angelegenheit: Eine Cousine von Ali macht zusammen mit ihrer Freundin - beide wohnen gemeinsam in einem Haus und sind mit zwei Brüdern verheiratet - Chapatis für das Restaurant, was ihnen einen nicht schlechten Verdienst einbringt. Nun ging sich einer der Ehemänner bei Alis Mutter beklagen, die Frauen hätten nicht mehr genug Zeit, ihren Haushalt zu erledigen, das gehe so nicht weiter, sie, die Ehemänner, würden vernachlässigt. Sofort lässt die Mutter Ali zu sich kommen und erzählt ihm die Geschichte. Man wolle schliesslich Frieden in der Familie. Ali frägt nun den Ehemann direkt, was los sei, doch der weicht aus, das sei nicht schlimm, nein, er werde nicht vernachlässigt. - Die Mutter ist damit nicht zufrieden. Gemeinsam mit einer anderen Verwandten ist sie der Meinung, dass die Ehemänner wohl eifersüchtig seien, dass Ali zweimal pro Tag dort vorbeifahre um die frischen Chapatis abzuholen. Denn eigentlich müssten sowohl Chapatis, wie Haushalt für die beiden jungen Frauen, die nur ein einziges kleines Kind haben, zu erledigen sein. Das müsse einen anderen Grund haben. So übernimmt es die Mutter, der Cousine zu erklären, dass nun fertig sei mit dem Nebenverdienst, denn der stifte Unfrieden. Die zwei Frauen wiederum sind damit gar nicht zufrieden und gehen sich beim Vater der Ehemänner beklagen. Dieser seinerseits ruft Ali herbei und schlägt vor, dass die Frauen halt nicht mehr – wie bisher – 100 Chapatis pro Tag zu backen hätten, sondern nur noch deren 60. Damit müsste ihnen wirklich genug Zeit bleiben, sich richtig um den Haushalt zu kümmern. Ali wiederum findet diese salomonische Lösung gut, muss aber das ganze zuerst mit seiner Mutter besprechen. Diese schliesslich befindet, das bringe überhaupt nichts. 60 Chapatis oder 100, das komme doch gar nicht darauf an. Wenn die beiden Brüder eifersüchtig seien, könne man das Problem so nicht lösen. Sie übernimmt es, den Frauen mitzuteilen, dass nun Schluss mit diesem Nebenverdienst sei, denn der sei schlecht für den Zusammenhalt der Familie. Worauf die Sache endlich erledigt ist, denn das Urteil der Mutter respektieren alle. – Die ganzen Verhandlungen haben viel Zeit und Energie gekostet. Und ich frage mich, weshalb sich denn die Ehemänner nicht direkt bei den Frauen beklagen konnten. Und umgekehrt auch die Frauen nicht direkt mit ihren Männern sprachen. Aber das ist eben der afrikanische Weg.
Gestern ist das zehntägige Filmfestival von Sansibar zu Ende gegangen. Ab dem dritten Tag gab es dann auch ein Programmheft zu kaufen, das ich aufmerksam durchgelesen habe und mir Filme herausgestrichen, die ich sehen wollte. Ein grosser Teil der Filme waren Dokumentarfilme, einige Musikfilme und wenige Spielfilme. – Leider habe ich nur teilweise das gesehen, was ich auch sehen wollte, denn häufig hat der Programmablauf nicht mit dem Programmheft übereingestimmt. Nun war es überhaupt nicht so – wie man dies hier vielleicht erwarten würde – dass alles verspätet war. Nein, im Gegenteil war die Technik erstaunlich gut, keine Pannen und wo der Ton schlecht war, da war er dies bestimmt bereits im Film, daran lag es nicht. Häufig jedoch waren die Filme, die ich sehen wollte, bereits am Laufen, oder zu Ende. Denn konnte ein Film aus irgendeinem Grunde nicht gezeigt werden, dann fügte man lückenlos den nächsten an. Was dazu führte, dass das Filmprogramm eigentlich immer früher fertig war als geplant. - Nach drei Tagen habe ich mich daran gewöhnt früher zu gehen und so im allgemeinen auch gesehen was geplant. Zumal das ganze ja auch wirklich billig war, einen Franken für das ganze Tagesprogramm und 1.50 am Abend – allerdings nur für Einheimische, ich habe ja nun eine Aufenthaltsbewilligung.
Die wichtigsten Themen waren dieses Jahr die Sklaverei, Aids natürlich, dann aber auch das Leben der Migranten in Europa. Mein Lieblingsfilm war „Juju factory“, eine Tragikkommödie über das Leben von Kongolesischen Einwanderern in einem Quartier Brüssels, das fast ausschliesslich schwarz sein soll. Der Film war witzig gemacht und zeigte sehr viel typisch Afrikanisches. Ein Beispiel: der Bruder einer der Protagonistinnen kommt nach Belgien studieren. Sie holt ihn am Flughafen ab und er kauft sich zu ihrem Erstauen Schuhe für 450 Euros - um sie anschliessend um 5 Euros zu bitten, denn er habe kein Geld mehr für die Zugfahrt zur Uni. Worauf sie wütend meint, dann solle er eben die 30km mit seinen neuen Schuhen zu Fuss zurücklegen. Oder der Schriftsteller - der erst am Ende des Filmes zu seinem verdienten Erfolg kommt - und eben von den Pfändungsbeamten heimgesucht wurde. In seiner Wohnung bei Kerzenschein lesend, weil der Strom abgestellt wurde, erhält er ein Telefon aus Afrika: Ob er nicht rasch 100 Dollar senden könne.....
Die Filme tagsüber wurden in einem Saal im zweiten Stock des „House of wonders“ gezeigt. Ein etwas mühsamer Aufstieg jedes Mal, denn die Stockwerke dieses Palastes sind sicherlich zwei- bis dreimal so hoch wie normale. Und der Lift, der erste in ganz Sansibar, der dem Gebäude auch seinen Namen gab, ist seit langem ausser Betrieb.
Belohnt wurde man dafür in den Pausen mit der prachtvollen Aussicht, die man von der Dachterrasse des Gebäudes auf Stadt, Hafen und Meer hat. Das Gras in den Forodhani Gardens, dem Park, der gleich darunter liegt, ist nach drei praktisch regenlosen Wochen bereits gänzlich gelb gebrannt und staubig. Im Norden fallen mir die knallgrünen Dächer einer Dachterrasse auf, die sich weit über die übrigen Gebäude erhebt, das „Emerson“ Restaurant und Hotel, das nun nach der berühmten Sansibari Sängerin Bi Kidude auf „Kidude“ umgetauft worden ist. Ein Film war übrigens auch dieser über hundert jährigen Legende gewidmet, die noch letztes Jahr auf Tournee in Europa war. Bi Kidude soll mit mehreren Tausend Franken aus Europa zurückgekehrt sein. Die sie innerhalb von zehn Tagen an ihre Familie, Freunde, Nachbarn losgeworden sei. Kranke Mutter, Schulgeld nicht bezahlen können, was auch immer, es gibt der Gründe deren viele hier. Bi Kidude lebt sehr einfach. Geld sei ihr nicht mehr wichtig. Die Sansibaris haben ein zwiespältiges Verhältnis zu ihr, eine viel zu unabhängige Frau. Raucht und trinkt und steht in den Filmen dazu. Auf die Frage, wie sie so gesund ihr hohes Alter erreicht habe, was denn ihr Geheimnis sei, meint sie: barfuss herumgehen. Eine schlagfertige witzige Frau bei der man nie so ganz sicher ist, wo sie etwas ernst meint und wo sie einem auf den Arm nimmt.
Ich nehme mir vor, vor meiner Abreise noch einmal auf die Terrasse des Emerson Hotels hinaufzusteigen. Traumhaft muss von dort die Aussicht sein. Obwohl ich eigentlich dagegen bin, dass hier alle beim Renovieren gleich noch ein bis zwei Stockwerke darauf setzen. Am Schluss werden in der Stone Town Hochhäuser stehen, denn wenn der Nachbar aufstockt um eine bessere Aussicht zu haben, dann ist meine Aussicht verdorben, also muss ich auch aufstocken, worauf der nächste nicht mehr bis zum Meer sieht und aufstocken muss,.......
Mittwoch, 4. Juli 2007
1. Juli 2007
1. Juli 2007
Hapana, siyo, la: Drei Swahili Wörter, die „nein“ bedeuten. Daneben gibt es aber auch das etwas meckernd gesprochene „ä-ä“ (das kann man gar nicht richtig in Buchstaben umsetzen), das für einen Berner leicht zu verstehen ist. Einzig die Aussprache unterscheidet sich etwas.
Eine negative Antwort erhalte ich auch gestern, als ich am zweiten Tag des Filmfestivals, das als grösstes von ganz Ostafrika angepriesen wird, nach einem Katalog mit den Beschreibungen der Filme frage. Der sei noch nicht fertig gedruckt. Vielleicht Morgen. So gehe ich auf gut Glück zwei Filme anschauen. Beides sind Dokumentarfilme, von Europäern gedreht. Bedingung ist ja, dass entweder der Filmemacher aus Afrika kommt, oder das Thema mit Afrika zu tun hat. Beide Filme enttäuschen mich etwas. Der eine vom Inhalt her, der andere von Inhalt und Form. Obwohl mich das Thema des zweiten Filmes sehr interessiert hätte: Moderne Architektur in Daresaalam. Doch der holländische Filmemacher vermischt Architektur und Politik. Die Zeit nach der Unabhängigkeit Tansanias soll illustriert werden. Weder Architektur noch Politik werden dabei richtig gezeichnet.
Etwas Positives will ich nun doch noch über die Afrikaner schreiben, nachdem ich das Gefühl habe, sehr viel Negatives gesagt zu haben. Die Hilfsbereitschaft der Leute hier. Als Saidi, ein Freund Alis, der immer noch in der Schweiz lebt, hier auf einen Besuch kommt, ist es für Ali selbstverständlich, dass er auf einen Anruf hin sofort zum Flughafen fährt und den Freund abholt. Ich finde, der Saidi hätte das ja auch etwas vorher ankündigen können, der wusste doch im voraus, wann er in Sansibar landen werde. Ali stellt ihm seine alte Wohnung zur Verfügung, das ist ganz selbstverständlich, weil dieser, nach sieben Jahren Schweiz, nicht in den einfachen Verhältnissen, in denen seine Familie weit draussen in den Vororten lebt, übernachten will. Selbstverständlich ist für Ali auch, dass er den Saidi jeden Morgen mit dem Motorrad dort hinausbringt und am Abend wieder zurück in die Stadt holt. Ich bin etwas erstaunt darüber, da sich ja die Beziehung der beiden merklich abgekühlt hat, nachdem Saidi eine Schweizerin geheiratet hat, mit der sich Ali überhaupt nicht versteht.
Doch dann umgekehrt. Wir sind in Daresaalam und beschäftigen uns mit dem überbordenen Papierkrieg. Die meisten Papiere stellt die sich für autonom haltende „Revolutionäre Regierung Sansibars“ zwar immer noch selbst aus und lässt sie sich auch bezahlen. Doch werden diese im Ausland nirgendwo mehr akzeptiert, denn ein Land „Sansibar“ gibt es seit mehr als 40 Jahren gar nicht mehr. Deshalb müssen wir versuchen, die nötigen Dokumente in Daresaalam zu beschaffen. Hier kennt sich der Ali aber nicht aus. Telefoniert einem Bruder von Saidi, der ein erfolgreicher Geschäftsmann ist. Eine halbe Stunde später treffen wir diesen im Marktquartier „Kariakoo“. Mit einem Taxi führt er uns in der Stadt herum. Das Büro hat leider gezügelt, die erste Adresse stimmt nicht mehr. Unterwegs erledigt der Bruder noch seine Bankgeschäfte, kommt aber nach kurzer Zeit zurück und die Fahrt geht weiter. Endet in einem Büro, in dem bereits sehr viele Leute warten, der Bruder bleibt mit uns gut zwei Stunden dort, bis er die Gelegenheit hat, mit einem der Beamten zu sprechen, den er von früher her kennt. Er legt ihm unser Anliegen vor und der Beamte verspricht, die Papiere zu beschaffen. Gegen ein Entgeld von 50.-SFR, schliesslich übernimmt er Arbeiten, die uns für einige Tage in Daresaalam festgehalten hätten. – Ich überlege mir nun, welcher Schweizer einfach kurzfristig seine Arbeit für drei Stunden hätte liegen lassen, um einem Freund seines Bruders, den er vorher ein einziges Mal gesehen hat, zu helfen. Das ist doch unvorstellbar. Und hier einfach normal. Nimmt den Leuten ganz klar viel Arbeitszeit weg, doch wenn es eben alle tun, dann geht die Sache auch irgendwie auf. - Obwohl mir Ali bestätigt, dass diese Hilfe wirklich normal sei, bedanke ich mich bei dem Bruder herzlich. Und stelle fest, dass ihm dies Freude macht. Sich bedanken wiederum, ist nämlich nicht die Stärke der Afrikaner. Gegenseitige Hilfe ist normal, was soll man da gross Worte verlieren.
Auch Majid, ein anderer Freund Alis, der in der Schweiz alte Kühlschränke, Waschmaschinen und weiteres Elektronikgerät einkaufte und dann nach Sansibar spedierte, fand es absolut normal, in seinem Container etwas Platz für meine Sachen frei zu halten. Unmöglich, ihm etwas dafür zu bezahlen, obwohl ihn der Versand des Containers auch 4000.- gekostet hat. Einzig für ein Mittagessen lässt er sich einladen. – Als wir die Waren hier in Sansibar bei seinem Vater in Empfang nehme, möchte ich diesem etwas geben, doch Ali hält mich zurück. Das sei beleidigend, ein anderes Mal könnten ja vielleicht wir etwas für den Vater oder Majid tun, das müsse man so sehen.
Seit gut einem Monat nun ist Majid in der Schweiz im Gefängnis. Niemand weiss genau unter welcher Begründung. Ich nehme an, das sei die von Blocher eingeführte Beugehaft, Majid war illegal in der Schweiz und hätte seit langem ausreisen sollen. Sein Vater ist ein gebrochener Mann. Der Sohn, der in der Schweiz einkaufte und ihm ein einigermassen florierendes Geschäft ermöglichte inhaftiert. Obwohl ich nie genau begriffen habe, wie zwischen den Okkasionspreisen in der Schweiz, Transport und Steuern und schliesslich dem Verkaufspreis hier überhaupt noch gross ein Gewinn zu erwirtschaften war. Majids Vater erzählt, dass er Dämonen in die Schweiz geschickt habe, um seinem Sohn zu helfen, schliesslich lebt eine ganze grosse Familie hier von diesem Geschäft. Ali ist entsetzt ob solchem Aberglauben. Findet, vielleicht sei das ja auch gut so für den Majid. Schliesslich lebe der in der Schweiz in einem Lügengebilde und ein solches Leben sei für einen gläubigen Muslim unmöglich. Es sei gut für Majid, wenn er gezwungen werde, diesen Zustand aufzugeben, da dürfe man sich nicht dagegen auflehnen.
Sonntagnachmittag. Wir fahren mit dem Motorrad aufs Land, weil ich endlich einmal „Durians“ essen will, diese unangenehm riechenden, grossen stachelig-grünen Früchte, die es überall in den Tropen zu kaufen gibt. Vielerorts werden am Strassenrand unterschiedlichste Früchte verkauft, wir halten an und lassen uns eine Durian öffnen. Unangenehm weisslich-schleimig, wie riesige Maden aussehende fleischige Samen finden sich darin, die sehr scharf riechen. Ich riskiere es. Der Geschmack ist viel schlimmer als erwartet, extrem stinkender Käse ist da nur ein Vorwort. Das salzig sehr ungewohnt würzig riechende Fleisch erinnert in nichts an eine Frucht, nach dem ersten Samen gebe ich es auf. Da müsse man sich eben daran gewöhnen, meint Ali. Als er als Kind von Pemba nach Sansibar – Unguja eigentlich, den Sansibar ist der Name für das ganze Archipel – gekommen sei, da habe er diese Frucht zum ersten Mal gesehen. Und beim ersten Mal essen auch überhaupt nicht genossen. Das sei eben eher wie Käse, als wie eine Frucht. Nun möge er die Durians. Und die Inder hier, die seien ganz verrückt danach. - Ich glaube nicht, dass mir dies jemals passieren wird.
Schön wäre es, auch im Landesinneren spazieren gehen zu können. Doch dies ist schwierig, weder ausgeschilderte Wanderwege, noch aufschlussreiche Karten, die dabei helfen könnten. Einzig schmale Pfade, die sich im Gebüsch verlieren und sicherlich zu irgendwelchen Häusern führen, doch als nicht Ortsansässiger nützen die einem nichts. So bleiben einem eigentlich nur die langen Strände. Schade eigentlich, ich bin sicher, viele Touristen würden Spaziergänge durch die von Bäumen beschattete Landschaft geniessen.
Überall fahren wir auch an angefangenen Häusern vorbei. Meist wächst nun Gebüsch, gar Bäume zwischen den Grundmauern, man hat das Gefühl, dass diese Bauvorhaben aufgegeben worden seien. Doch dem ist nicht so. Manchmal dauert es eben 20 Jahre, bis ein Haus dann einmal fertig ist. Man baut wieder ein wenig, wenn man gerade genug Geld hat um das Material für eine neue Mauer zu kaufen. Meistens sind die Grundrisse der Gemäuer sehr grosszügig. Häuser mit bis zu zehn Zimmern sollen entstehen. Statt dass man erst einmal ein kleines Haus fertig bauen würde, in dem man dann auch wohnen kann und das man - sobald finanzierbar - auch erweitern kann. Aber das ist eben die afrikanische Denkweise. Man träumt von einem grossen Haus, also beginnt man auch damit, ein grosses Haus zu bauen. Und denkt nicht daran, dass dieses Gebäude wahrscheinlich erst nach Jahren einmal bewohnbar sein wird.
Bei Sonnenuntergang kehren wir in die Stadt zurück, noch bevor es finster ist. Trotzdem schliesse ich jetzt die Fenster, mich fröstelt etwas, der kühle Wind ist mir unangenehm.
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