Beim Joggen am Fischerstrand begegne ich immer Frauen, die den Fang der Nacht abholen kommen. Sie tragen nun alle orange Schwimmwesten. Obwohl ich noch nie eine Frau im Wasser oder auf einem Boot gesehen habe, sie sitzen wartend im Sand, bis die Fischer auftauchen. Fischer hingegen, die solche Schwimmwesten effektiv gebrauchen könnten, da nicht wenige des Schwimmens unkundig sind, die habe ich noch nie mit Schwimmwesten angetroffen. Wohl irgendeines, dieser gut gemeinten, doch sinnlosen Hilfsprojekte für Afrika.
Ich habe ein paar Tage im Ferienhaus eines Schweizer Paares in Jambiani verbracht. Wundervoll erholsam der Strand, hier gibt es glücklicherweise noch keine Disco mit hämmernden Bassschlägen bis in den Morgen hinein. Nur das Rauschen der Blätter im Wind und entfernt das Meer. Einmal in der Nacht als ich erwache, ist das Wasser ganz nah, Flut. Ein beklemmendes Gefühl im Finsteren, der Tsunami kommt mir in den Sinn. Überhaupt kämpft die Küste hier – wie an vielen Stellen im Osten und oben in Nungwi an der Nordspitze, mit starker Erosion. Das Meer hat sich in den letzten 20 Jahren weit ins Landesinnere hinein gefressen, die Häuser müssen durch Mauern geschützt werden. Trotzdem sieht man ab und zu von einer unheimlichen Kraft zerschmetterte Mauern, eine Springflut. Weshalb ausgerechnet an dieser Stelle das Meer besonders stark gewütet hat, wissen die Götter.
Das erinnert mich an eine Stelle im Buch eines bekannten peruanischen Autors. Dass keine Wissenschaft berechnen könne, an welcher Stelle genau ein Wellenbrecher gebaut werden müsse, an manchen Stellen werde der stärkste Wellenbrecher immer wieder zerstört. Im Buch kommt ein merkwürdiger Alter vor, der die Gabe hat, die günstigen Stellen voraussagen zu können. Literarische Fantasie oder Wissenschaft?
Themen, von denen ich in der Stone Town nichts gehört habe. Die Fischer sind wütend, weil man ihnen verboten hat, mit engmaschigen Netzten zu fischen. Zu ihrem eigenen Schutz, werden so doch die Jungfische vor der Geschlechtsreife herausgefischt, der Fischbestand ständig dezimiert. Doch die Fischer wollen das nicht einsehen. Kurzfristig gesehen bringt das weniger Fisch. Und überhaupt: Man hat immer mit diesen Netzen gefischt, was soll jetzt daran schlecht sein? – Nein, findet Ali, in der Stone Town merke man auf dem Fischmarkt nichts von dieser neuen Regelung. Diese kleinen Fische, die seien sowieso für den Eigenbedarf der Fischerfamilien gewesen und nie hier verkauft worden.
9 Fischer von Jambiani wurden mit den verbotenen Netzen erwischt und müssen sich vor Gericht verantworten. Das halbe Dorf geht zu den Verhandlungen nach Makunduchi. Allerdings werden die dann auf Januar vertagt. Ein Nachbar berichtet dann noch über den folgenden Prozess, der ihn beschäftigt. Ein Prozess gegen drei Massai, die sich mit Einheimischen gestritten haben und handgreiflich geworden sind. Kürzlich sollen Massai sogar einem Einheimischen mit einem Messer die Kehle aufgeschlitzt haben. Massai sind ein Kriegervolk aus dem Landesinneren und hüten normalerweise Rinderherden. Häufig werden sie jetzt auch in Hotels und Lodges als Wachmänner angestellt. Nun hat es eine ganze Gruppe dieses Volkes aus dem Norden Tansanias aufs Meer hinaus geschwemmt. In Sansibar gestrandet beglücken sie unwissende Touristen mit Folklore und Souvenirs. Die gut gewachsenen hohen Krieger laufen immer in ihrer traditionellen Kleidung herum. Und in der wird eben auch ein grosses Messer versteckt. – Ab nächstem Jahr soll das verboten werden, nur noch Massai in normaler Kleidung. Ali findet das gut. Sowieso sei das lächerlich, wenn Massai hier die Kultur der Gegend repräsentieren wollten. Da hat er natürlich recht, doch zu beschimpfen sind eben auch die Touristen, die überhaupt nicht an der Kultur ihres Ferienortes interessiert sind und dann quasi in der Deutschschweiz Tessiner Zoggeli kaufen.
Ja, ein Riesenproblem, diese Küste, meint Muhammad, der Planer und Architekt zu meinem Anliegen, er möge doch dafür schauen, dass pro Dorf wenigstens eine Landparzelle am Strand offen bleibe und nicht bebaut werde. Damit die Einheimischen noch Zugang zum Meer hätten. Auch die Erosion natürlich. - An und für sich habe Sansibar bereits Gesetze, die es verbieten würden, näher als 30m vom Strand weg zu bauen, meint Muhammad. Etwas spät wohl, diese Gesetze nun noch durchsetzen zu wollen. Und: Wie wird das gemessen? 30 Meter von der Wasserlinie bei Springflut? Wohl kaum, denn sonst wären so ziemlich alle Gebäude an der Küste unrechtmässig errichtet worden.
Gesetze und ihre Durchführung in Sansibar. Da man nicht damit rechnen kann, dass die Leute, die hier etwas Unrechtmässiges gemacht haben auch wirklich bestraft werden - mit Geld kann man hier alles - greifen die Leute eben selber zu Racheakten.
Zum Beispiel das Niederbrennen von Liegenschaften, mit deren Besitzern man eine Rechnung offen hat. Etwa die Bar in einem Innenhof mitten in der Stone Town, ein Ort, an dem ich zwar bereits gewesen bin, den jedoch kein Tourist ohne einen Führer findet. Die sei kürzlich einfach niedergebrannt worden berichtet mir Zack empört. Sein Vater ist Christ, die Mutter Muslimin. Extremisten meint Zack, religiöse Fanatiker, auch Läden von Leuten aus dem Mainland hätten sie bereits angezündet und im Radio will er gehört haben, dass in Sansibar auch zwei Kirchen gebrannt hätten. – Ali weiss nichts von diesen Geschichten. Mir gefallen sie trotzdem nicht. Und erinnern mich an den glühenden Diskurs, den Muhammad kürzlich hielt. Die Araber, die Inder, die Christen, die Mainländer, die Leute aus Pemba. Überall Gruppen nun, die sich gegeneinander aufhetzten würden. Ihm gefalle diese Tendenz gar nicht. Als er noch jung gewesen sei, da habe man in Sansibar zwar materiell sehr schlecht gelebt. Doch alle zusammen. In die gleichen Schulen sei man gegangen, habe Freunde aus allen Gruppen gehabt. Jetzt Privatschulen für Inder, für Araber, für Europäer, alle sonderten sich ab. Eine gefährliche Tendenz, meint er. Und die Regierung unternehme überhaupt nichts dagegen.
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