Sonntag, 6. Juli 2008

29. Juni 2008


Anmerkung: Schwierig zu lesender Text. Könnte auch Versuch genannt werden.
Ein Tag, der zerfliesst. In surreales gleissendes Licht getaucht, der Himmel strahlend blau wie selten in dieser Jahreszeit, ein heftiger Wind zaubert Schaumkrönchen auf das Meer, in wunderbarsten Türkis- und Tiefblautönen, irisierend, keine Foto, kein Film, kein Bild kann dieses Leuchten wiedergeben. Der Wellenschlag, das Krächzen der Raben, der Tag erwacht langsamer als während der Woche, nur wenige Leute, es ist Sonntag, ich will alles gleichzeitig, ein Stau in meinem Gehirn, doch äusserlich bleibe ich gelassen, lasse mich treiben, in den Tag hinein. Wissend, dass mein Körper, meine Hände dem Kopf dauernd um Stunden hinterher jagen oder auf eigenen Wegen spazieren gehen - doch merkwürdigerweise stört mich das jetzt nicht, ich muss nichts oder sehr vieles, ich fühle mich etwas verladen und geniesse dieses seltsame mich Treibenlassen auf der wellenden Tagesoberfläche, dieses Nichtsynchronsein von Körper und Geist.
Beobachte beim Joggen am Strand einen jungen Vater mit seinen 5- bis 6-jährigen Kindern, ein Sohn und eine Tochter. Gemeinsam machen sie Gymnastik oder mindestens der Vater macht, dann rennen sie dem Strand entlang und schliesslich ins Wasser. An meine Kindheit erinnert mich dies. Der Sonntagmorgen war auch bei uns der Moment, wo wir stolz mit dem Vater alleine unterwegs waren. Auf der Strasse fährt ein Vespafahrer vorbei, seinen kleinen Sohn vor sich auf dem Sitz haltend. Sonntag ist in Sansibar ebenfalls der Tag der Väter. Danach die Pflanzenpflege, es gedeiht fast alles gut im Moment, doch keine Blüten, der gelbe kleine Schmetterling, der sich in unseren Innenhof verirrt, wird enttäuscht. Nur die Papayapflanze hat seit zwei Tagen einen punktförmigen Ausschlag auf den Blättern, der sich rasant ausbreitet. Ob die Pflanze wohl fühlt, dass sie mir weniger wichtig, seit ich bemerkt habe, dass es männliche und weibliche Papayapflanzen gibt? Die Chance, eine fruchtende Pflanze heranzuziehen also nur 50 Prozent ist. – Vor zwei Tagen waren wir auf der Suche nach geeigneten Pflanzen für die neuen riesigen pyramidenförmigen Töpfe, die wir für den Eingang des Lukmaans haben machen lassen. Mehr als einen Meter hoch, denn sonst überleben es die armen Pflanzen hier nicht, Velos werden an die Töpfe gestellt, Blätter, die in den Weg kommen einfach abgerissen, Abfall hineingeworfen, überhaupt scheinen die Leute hier nicht zu bemerken, dass Pflanzen etwas Lebendiges sind. Genauso wenig bemerken sie dies bei den Eseln und hier wenigstens ist es in der Schweiz etwas besser. Auf der Pflanzensuche, die Gärtnereien stellen hier oft auch Blumentöpfe her und sind entlang der grossen Ausfallstrassen zwischen den Bäumen versteckt, treffen wir auf einen liebevollen Garten mit kleinem Häuschen, eben wurde die Wäsche gemacht, sie hängt und trocknet, auch ein schattiges Regenwassersammelbecken gibt es, die Pflanzen sehen gesund und kräftig aus. Wie jeder richtige Gärtner ist mir auch der Mann hier sofort sympathisch. Er kennt die Pflanzen bei ihren Namen und weiss, ob sie Schatten oder Sonne lieben. Wir kaufen sechs purpurrotblättrige Pflanzen mit langen ovalen Blättern die nach oben streben. Nur nichts Überhängendes, denn das könnte ja wieder jemanden stören und zur Zerstörung anregen. Ich beginne die Handwäsche einzulegen und entschliesse mich darauf, nochmals zum Strand zu gehen, um endlich den Teller mit Sand, den ich für meine Kerzennotleuchten verwendet habe, als Balast, zur Stabilisierung quasi, doch leider war der nicht frei von Insekten, den Sand also will ich zurück zum Meer bringen. Dort kann ich es nicht lassen, etwas im Strandgut herum zu suchen und finde eine schön bedruckte Dose Kilimanjaro Bier. Im Garten vor dem Afrikahaus dann noch zwei Hibiskusblüten, die jemand abgerissen und achtlos weggeworfen hat. Als ich dann wieder vor unserer Haustüre stehe, stelle ich fest, dass ich keinen Hausschlüssel mehr habe. Ist er mir aus der Blusentasche gefallen, beim Bücken vielleicht, oder habe ich ihn drinnen vergessen? Nochmals suche ich den Strand und den Garten ab, das Meer ist bereits angestiegen, die Flut kommt rasch herein. Kein Schlüssel. Für hiesige Verhältnisse halb angezogen gehe ich durch die Altstadt zum Lukmaan, trinke einen Passionsfruchtsaft, frage mich, was mit der immer verschleierten jungen Weissen, die normalerweise mit einem arabisch aussehenden Mann unterwegs ist, wohl geschehen ist. Seit einer Weile treffe ich sie alleine an. Hat sie sich wegen ihrer Liebe zum Islam bekehrt? Junge Frauen scheinen da viel flexibler zu sein, laufen sehr rasch mit Schleier herum - ich getraue mich nicht zu fragen. Ali bringt mich mit dem Motorrad nach Hause, doch auch hier sind die Schlüssel nicht, müssen wohl doch vom Meer verschluckt worden sein, ich will nochmals in den Gärten suchen gehen. Und hier bereits und endgültig entgleitet mir der Tag, die Realität. Ich kann nicht mehr hinaus, denn hinein kann ich ja nicht mehr ohne Schlüssel und hier kann man eine Haustüre nicht offen stehen lassen um fünfzig Meter weiter hinter der nächsten Hausecke nach etwas suchen zu gehen. Zu riskant. Bei Nachbarn wurde des nachts die Wasserpumpe gestohlen, sie war in einem Gehäuse versteckt in der Gasse untergebracht.
Ali wiederum ist mit heissem Tee und Frühstück unterwegs ins Spital. Die Verwandte, ich habe es längstens aufgegeben genau zu verstehen in welchem Verwandtschaftsgrad, hat Aids, ist bereits krank, er hat mir schon früher von ihr erzählt. Und lebe mit Freunden, Alkoholikern wohl ebenfalls, in den Vororten. Und dass er da nicht mehr helfen wolle, jedes Mal kehre sie dorthin zurück, sobald wieder gesund. Trotzdem, und das sind sie nun eben, die afrikanischen Familien, kümmert sich die ganze Verwandtschaft um sie, sobald sie wieder mit einem Krankheitsschub im Spital liegt und Pflege braucht. Ich bin erstaunt, dass hier offensichtlich die Angehörigen auch für die Nahrung der Patienten sorgen müssen. Wie ich mir das denn so vorstelle, meint Ali, zwei Krankenschwestern für 50 Patienten? Bisher habe ich mich davor gedrückt, dieses öffentliche Spital zu betreten, doch vielleicht sollte ich das doch einmal tun.
Gestern hat ein Mann bei mir angeklopft. Mit einem plastifizierten Blatt in der Hand, einem Chequebüchlein und zwei 500 Shilling-Noten herumwedelnd. Ich stelle mich dumm, sage, ich verstehe nicht genau, was da geschrieben stehe. Watoto, für die Kinder, das habe ich schon verstanden und skuli natürlich auch, für die Koranschule frage ich? Ja für diese. Ich erwidere, das sei schon wichtig, Schule, aber gute Schule, nicht nur einfach Auswendiglernen und Autoritäten respektieren, das reiche nicht aus. Eine gute Schule lerne die Kinder selber denken, kreativ sein, das alles sage ich in Swahili, kaum in einem guten, doch meistens verstehen die Leute mich, wenn sie das wollen. Der Mann hat unverändert sein Lächeln auf dem Gesicht, die Zähne offen legend, ein verbreitetes Lächeln hier, das mir nichts sagt, keine Ahnung ob er verstanden hat, keine Ahnung, ob er mit mir einverstanden ist oder mir am liebsten das Gesicht zerkratzen würde. Ich hole 1000 Shilling und gebe sie ihm. Jetzt ist er plötzlich pressiert, will davon, ich rufe ihn zurück, die Quittung, die wolle ich - denn sonst verschwindet das Geld sowieso in seinem eigenen Sack. Auch jetzt noch, immer noch dieses starre, nichts sagende und alles verbergende Lächeln. Gleich wie Alis Bruder. Auch bei dem habe ich nie eine Ahnung, was er denkt.
Die Türe muss also zu bleiben, ich kann jetzt nicht hinaus gehen, entschliesse mich, die Kochwäsche zu machen, doch die Maschine will nicht starten und ich werde zunehmend verwirrter, man will etwas gegen mich heute, das Schicksal - doch merkwürdigerweise auch jetzt nicht schlecht gelaunt. Nach langer Zeit finde ich heraus, dass zu wenig Wasser im Tank auf dem Dach oben ist, der Druck zu gering und unsere Waschmaschine, die kluge, die startet nicht ohne genügend Wasser. Ich behebe das Problem, die Hähnen müssen dann immer auch noch entlüftet werden, zuerst derjenige im Hof, dann der in der Küche und schliesslich fliesst das Wasser auch in die Maschine hinein. Nur oben im Badezimmer, da fliesst das Wasser auch jetzt gänzlich kraftlos und ohne Druck. Obwohl der Tank doch auf dem Dach steht. Weshalb diese gut drei Meter Höhendifferenz nicht ausreichen ist mir schleierhaft. Das Dampfbügeleisen müsste entkalkt werden, finde ich danach, das ist wohl der Grund, weshalb es nicht mehr funktioniert und mache ihm einen Essigumschlag. Inzwischen weiss ich, dass da irgendwo etwas verbrannt, Ali hat das Eisen geöffnet, schwarz und geschmolzen die Kabel, das sieht nach einem Kurzschluss aus. Herumgehend, in Gedanken auch nur, das Ziel bereits vergessen auf dem Weg zum Gegenstand, sei es dem Realen oder auch nur dem Anstoss des Gedankens. Mich treiben lassen, mit Umwegen, ankommen ist jetzt nicht wichtig, der Zustand, leicht fiebrig, trotzdem ein Genuss. Eigentlich will ich ja schreiben. Aber erst noch meine Übungen machen. So denke ich bei den Gesangsübungen bereits an den Text über Gewächshäuser nach, den ich für das Gartenheft am Erarbeiten bin, bei der Gymnastik daran, was ich alles einpacken muss für den Ausflug Morgen nach Dar es Salaam, wo wir günstige und gute neue Gasbrenner zu finden hoffen für das Restaurant. Auch brauche ich Ölfarben, hier findet man wenig und dies zu teuer, auch sonst könnte man ja noch etwas für den Haushalt finden, die längstens zu ersetzende WC-Brille vielleicht und Ali will nicht alleine nach Dar es Salaam reisen. Den Pass brauche ich, meine Aufenthaltsbewilligung, die wollen das bei der Rückkehr auf die Insel immer sehen. Als ob man im Ausland gewesen wäre. Die Haare waschen im Hof, das Wasser in dem schwarzen Becken ist von der Sonne fast heiss geworden, körperwarm mindestens, angenehm. Die Wäsche hängen, zwischendurch wieder der Gedanke an die Schlüssel, es hat mich kaum jemand gesehen, niemand wird diese Schlüssel, falls nicht vom Meer verschluckt, mit mir in Verbindung bringen, denn heute Morgen, heute Sonntag waren erst ganz wenige Menschen am Strand.

Sind Körper und Kopf lange Zeit asynchron gelaufen ohne sich dabei zu belästigen, so führt dies zu einer Störung, sobald ich in den Lukmaan gehe und mit Leuten zusammen bin. Ali ist mit Mohammad dort. Und Mohammad wieder einmal gänzlich aufgekratzt und spritzend vor Energie. Der ist so, entweder aufgekratzt oder deprimiert negativ. Und erzählt sehr viel, seine Pläne, der Umbau, ich solle ihm bei der Auswahl der Pflanzen für den kleinen Innenhof helfen und stellt mir seine Nachbarin, die er von der Strasse holt und auf einen Passionsfruchtsaft einlädt, vor. Sie und ihr Projekt, einmal ein Museum in Wete, auf dem Land aufzubauen. Ich spüre, dass ich da nicht mithalten kann, all diese Informationen, wo doch bereits mein Kopf nicht mit meinem Körper zusammen und nun vollends abdriftet, sitzt noch am Tisch der Körper, und plötzlich fängt dies an zu nerven, Eindringlinge, ich hätte heute mit mir alleine zusammenbleiben sollen und kriege eine schlechte Laune.

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