Samstag, 17. November 2007
15. November 2007
Heute Morgen, als ich erwache, scheint die Sonne. Nach zwei Tagen Regenfällen, gestern goss es den ganzen Tag über wie aus Kübeln, macht mich dies optimistisch, blaue Himmelsflecken zwischen immer noch schwer hängenden Wolken. Doch jetzt, gegen Mittag bereits wieder erste Regenfälle. Das konnte ja nicht alles sein, was die Frühlingsregenzeit zu bieten hatte.
Gestern bin ich einen deutschen Nachbarn besuchen gegangen, der seit zwanzig Jahren hier in Sansibar lebt. Mit einer Sansibari Frau verheiratet, arbeitete er seit 1968 als Architekt in Afrika. In Nairobi und Daresaalam war er als Professor tätig. Zuletzt hat er hier in Sansibar noch das Amt des Honorarkonsuls von Deutschland bekleidet. Seit 2002 ist er pensioniert und schreibt über Sansibar. Geschichte und Geschichtchen. Irgendwie müsse man ja seine Zeit hier ausfüllen, meint er. Sein Haus, eines der am besten renovierten Inderhäuser in der Haupt-Touristenstrasse, der Kenyatta Road, ist mir schon immer aufgefallen. Vor allem wegen der vielen Kübelpflanzen rings um das Gebäude; viele Kletterpflanzen ebenfalls, die das mit Schnitzereien verzierte Haus mit einem grünen Kleid überziehen. Als Besitzerin habe ich diese westlich gekleidete Sansibarfrau erkannt, die manchmal vor dem Gebäude sitzt. Als dann plötzlich an den Fensterläden ein Plakat angeschlagen war, mit Werbung für einen „Heute-auf-Morgen Verlag“, der eben hier beheimatet sei, hat mich dies natürlich neugierig gemacht. Ja doch, das sei ihr Mann, der schreibe, auch historische Texte über Sansibar verlege, und die Bücher gleich selbst drucke, binde und vertreibe. – Wo ich doch immer geglaubt habe, dass die Frau ganz alleine in dem riesigen Gebäude wohne, ihr Mann, ein Botschafter, wie man gerüchtehalber hörte, nicht mehr am Leben sei.
Ich besuche also diesen grossen, weisshaarigen Deutschen. Frage ihn, wie denn sein leben hier in Sansibar sei, er scheint ja sehr zurückgezogen zu leben. Häufig höre ich am Abend aus dem Haus klassische Musik klingen, etwas, das hier auffällt. Erich Meffert, wie er heisst, schreibt Historisches über die Insel. In seinem Stone Town Führer, den ich nun am Lesen bin, vermischt er dieses mit Gerüchten und Querelen aus der Gegenwart. All den Regierungsskandalen, auch er hat sich offensichtlich um die Errettung der Altstadt bemüht. Ob er denn nicht frustriert sei, frage ich den zurückhaltenden Herrn und erhalte als Antwort ein Lächeln. Wohl bereits zu lange in Afrika. Obwohl er dann doch meint, wenn er zuerst nach Sansibar gekommen wäre, damals vor rund vierzig Jahren, und seine ersten Projekte nicht in Ghana gemacht hätte, er denke nicht, dass er so lange in Afrika geblieben wäre. Mit spitzer Feder schreibt er in seinem Buch über die Skandale. Alles Geld - scheint mir - das hier zur Errettung der Insel investiert wurde, stammt von auswärts. Die europäische Union wollte den Hafen bereits vor 15 Jahren instand setzen, der Auftrag wurde den Italienern, unter Bauleitung von Griechen, übergeben. Zehn Jahre später ist der Hafen aber bereits wieder komplett sanierungsbedürftig, Italienische Mafiosi haben sich wohl bestens mit der korrupten Regierung geeinigt und Geld für ihren eigenen Bedarf abgezweigt. Erich Meffert kritisiert vergangene Regierungen scharf. Von Amani Karume, dem jetzigen Präsidenten, schreibt er vorsichtig: er sei dabei, sich zu beweisen. Diese Vorsicht verstehe ich besser, nachdem mich der ehemalige deutsche Honorarkonsul darüber aufklärt, dass die DDR Sansibar nicht nur mit den weit herum sichtbaren hässlichen Wohnblocks beglückt, sondern auch noch einen Geheimdienst nach DDR-Vorbild hier aufgebaut habe. Es passiere ihm immer noch, dass er Briefe erhalte, die zwar an ihn adressiert seien, der Inhalt hingegen, sei dann für jemand anderen bestimmt. Da würden sich eben Fehler einschleichen, die Spitzel hier, einer auf 500 Einwohner sei das einmal gewesen, seien halt nicht ganz perfekt. Das ganze nun wohl weniger wichtig geworden, aber diese Beamten wollten eben irgendwie beschäftigt sein. – Obwohl er der Meinung sei, dass ein Beamter in Sansibar sein Gehalt dafür kriege, dass er an seinem Arbeitsplatz sitze. Alles weitere koste extra (beispielsweise verlangen Beamte für Dienstleistungen Geld, das in die eigenen Taschen fliesst).
Ein Beispiel aus seinem Buch muss ich hier unbedingt wiedergeben:
Wie sagte doch kürzlich der Erste Minister im Parlament, als man den Erziehungsminister für die Millionen an Geistergehältern, ausgezahlt an nicht vorhandene Lehrer, verantwortlich machen wollte: „Es ist nicht in der Tradition Sansibars begründet, dass jemand bestraft wird, der in einen Skandal verwickelt ist. (The Guardian, 26.07.2007). Und Mefferts Kommentar: Das Prinzip von Schuld und Sühne hat sich auf der paradiesischen Insel halt noch nicht herumgesprochen. Sansibar, noch heute ein Ort der Seligen vor dem Sündenfall!
Nach dem Mittagsregen klart es wieder auf und ich entschliesse mich, den im Führer beschriebenen Rundgang zu machen: Vom Hafen rund um die Altstadt, am Markt vorbei, auf der breiten Ringstrasse, der Creek Road, die auf dem jetzt aufgeschütteten Arm der Lagune, der die Altstadt von den Aussenquartieren trennte, angelegt wurde, bis in den Süden hinunter. Unterwegs mache ich bei der anglikanischen Kirche halt und gehe sie besichtigen, denn Meffert beschreibt dieses Bauwerk als eine gelungene Mischung zwischen orientalischem und europäischem Baustil. Mir persönlich gefällt es nicht besonders. Erwähnenswert finde ich einzig die in den Putz eingelagerten kleinen weissen Korallensteinstücke, die den Mauern auf dem schwarz gewordenen Putz eine witzige feine Tüpfelung geben. Und erinnere mich daran, dass der ehemalige Honorarkonsul gestern meinte, die Vorstellung einer sauberen weissen Medina, wie sie in arabischen Ländern existiert habe, sei hier vollkommen falsch. Die arabischen Bauwerke hätten sich im hiesigen feuchten Klima nie bewährt, seien rasch zerfallen und auch schlecht unterhalten worden. Das schwarze Aussehen, von den vielen eingetrockneten Algen herstammend, habe immer bestanden; wenn nicht gerade Regenzeit gewesen sei und das ganze grün geleuchtet habe. Die Stone Town sei immer eine Baustelle gewesen. Einzig vielleicht während der englischen Herrschaft etwas besser herausgeputzt. Im Inneren der Kirche beeindrucken mich vor allem die Sitzkissen, die Anglikaner scheinen offensichtlich keinem spartanischen Glauben zu frönen.
An verschiedenen Schulen, alle im 20 Jahrhundert gebaut, vorbei, treffe ich auf mehrere Regierungsgebäude, worunter das Karume Haus, die heutige TV-Station wohl das stattlichste ist. Nach dem Spital biege ich wieder nordwärts Richtung Altstadt ein und setzte mich vis-a-vis von einem mit einer hohen Mauer umgebenen Grundstück auf einen Stein und beginne in meinem Führer nachzulesen, denn hinter den Mauern soll sich laut Meffert ja der Geheimdienst eingenistet habe. Nach kurzer Zeit kommt ein Mann in kakifarbiger Zivilkleidung vorbei. Ich dürfe hier nicht sitzen bleiben, das sei verboten. Ich spiele die dumme Touristin und frage warum. Das dürfe man hier nicht. Auch meinen Einwand, dies sei eine öffentliche Strasse und viele Leute würden ja vorbei laufen, lässt er nicht gelten. Ich erkenne den Typen als Mitglied der Geheimpolizei und dies macht mich erst recht wütend. Als aber dann ein zweiter Mann vorbeikommt, uniformiert und bewaffnet diesmal, halte ich es für besser, meinen Platz zu räumen. Herrn Mefferts Geschichten über den Geheimdienst hier und die Spitzel stimmt ganz offensichtlich.
Gestern habe ich in der Autobiografie der Prinzessin Salme gelesen, der Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland gestrandeten Sultanstochter. Merkwürdigerweise muss sie sehr ähnliche Eindrücke von Europa gehabt haben, wie ich sie jetzt hier von Sansibar. Sie fühlt sich unfrei, klagt über die vielen Vorschriften, die ihren persönlichen Spielraum auf unerträgliche Weise einschränkten. Sie findet das Europäische Leben kompliziert und unverständlich. Ist es wohl einfach die Fremdheit in der anderen Kultur, die uns so kritisch gegenüber der neuen Heimat macht?
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