Mittwoch, 28. November 2007

19. November 2007


Drei junge Europäerinnen, oder besser Weisse - ich halte die Frauen für Amerikanerinnen mit einem kaum verständlichen Slang, Ali hingegen findet, das sei überhaupt kein Englisch - kommen praktisch jeden Mittag in den Lukmaan essen und unterhalten sich angeregt. Das Besondere an ihnen: Eine der Frauen trägt wie die Einheimischen einen schwarzen, grässlich mit Goldstickerei verzierten Mantel, einen „Buibui“, dazu Kopftuch und Hennamalereien an den Armen und Händen. Eine andere immerhin Kopftuch und Hennazeichnungen. Die drei sind jung, so um die zwanzig. Und fordern mich dazu heraus, sie eines Tages zu fragen, ob sie denn hier mit Muslimen verheiratet seien, denn Henna wird nur von verheirateten Frauen verwendet und die Tatsache, dass sie sich derartig den hiesigen Kleidungsbräuchen anpassen, scheint mir ebenfalls ein Indiz. Frauen sind ja hier häufig in Gruppen und ohne ihre Männer unterwegs, das ist nichts besonderes, Männer umgekehrt ebenfalls. - Nein, nein, meinen sie verwirrt. Es müssen Studentinnen sein, die hier einmal den Islam selbst ausprobieren wollen.
Eine weitere verschleierte Weisse betritt den Lukmaan, Anissa, die Australierin. Von Ali für mich auserwähltes Vorbild, denn sie hat sich von sich aus zum Islam bekehrt. - Doch ich will je länger desto weniger bekehrt werden, langsam macht mich alles, was mit dieser Religion zu tun hat, aggressiv.

Vor Sonnenuntergang gehe ich wie meistens zum Strand hinunter, versuche eine Skizze zu machen. Nicht sehr erfolgreich, eine Mücke belästigt mich, ich habe vergessen, Mückengift einzustreichen. Dann kommt ein kleiner Junge zu mir, redet in Swahili auf mich ein. Er brauche Geld zum Essen. Ob er denn keine Eltern habe? Nein, das habe er nicht, er habe Hunger. Da meine Zeichnung sowieso nicht gelingen will und ich gerne mit dem Jungen schwatze, biete ich ihm an, mit mir in die Forodhani Gardens zu kommen, ich würde ihm dort etwas kaufen. Doch das will er nicht, er will Geld. Und ich will Kindern kein Geld geben.
So mache ich mich alleine auf den Weg, doch schon wieder werde ich in ein Gespräch verwickelt. Diesmal ist es der Sheik, der uns getraut hat, ein mir sympathischer Mann. Und stelle fest, dass auch er mich nie verstehen wird, der Islam ist eben eine andere Welt. Er meint, ich solle das doch versuchen mit dem Schleier. Und beten fünfmal am Tag. Und Ramadan machen. Jetzt sei ich doch bereits ein Jahr verheiratet. Ganz langsam einfach versuchen. Das sei wichtig für Allah. Obwohl wir sprachliche Schwierigkeiten haben, er spricht schlecht Englisch und mein Swahili ist für solch komplizierte Gespräche nicht genügend, ist nicht die Sprache das Problem. Auch er versteht einfach nicht, dass ich keine gute Muslimin sein kann und will. Versteht nicht, dass ich finde, das wichtigste sei doch, ehrlich zu bleiben. Und ich könne das ganze einfach nicht mit gutem Gewissen behaupten zu glauben. Auch die Auferstehung, Himmel und Hölle......., doch dies versuche ich erst gar nicht mehr zu erklären. - Beim Abschied frägt mich der Sheik dann, ob ich etwas Geld hätte, er wolle sich Chipsi kaufen. Wieviel? Das sei gleich, irgendetwas. Und scheint mit 1000 Shilling zufrieden zu sein.

Ich erzähle Ali, dass selbst der Sheik mich um Geld gebeten habe. Dass ich überhaupt erstaunt sei, wie einfach das den Leuten hier falle, wie gering doch ihr Stolz. Ali ist nicht zufrieden mit meiner Kritik. Vor 10 Jahren, da sei das hier auch anders gewesen. Diese Betelei jetzt, praktisch von allen Bevölkerungsschichten; wenn ein Weisser vorbei gehe, da hielten selbst ehrbare Leute ihre Hand hin. Man wisse ja nie, die Mzungus hätten überhaupt kein Verhältnis zu Geld, da sei es immer möglich, dass jemand einen Betrag gebe, der selbst für wohlhabendere Leute ein erfreulicher Zustupf in die Haushaltskasse sei. Der Fehler, der sei eben beiderseits. Auch Geben sei eine Verantwortung, das müsse man mit Vernunft tun. - Ich muss Ali recht geben. Doch für mich ist es schwierig, in einer Gesellschaft zu leben, in der ich nie sicher sein kann, wer den nun wirklich Hilfe benötigt und wer nicht.

Montag, 19. November 2007

17. November 2007



Zum ersten Mal seit dem Ramadan mache ich am frühen Morgen wieder einen Spaziergang. Mein Weg führt an den nahen Strand, denn ich hoffe, jetzt bei Ebbe den Spaziergang um die Shangani Landspitze herum machen zu können und die Häuser, die Meffert beschreiben hat, auch von der Meerseite her betrachten zu können. Doch ist der Wasserstand nicht tief genug, gibt den Weg nicht frei. Nie werde ich dieses Gezeitenspiel richtig begreifen, zu kompliziert sein Wirken. So gehe ich gegen Süden über die dort hervorschauenden algenbezogenen Felsplatten und schaue den Fischern in ihren winzigen Einbäumen zu, die nahe dem Ufer im Wasser dümpeln. Wie viele Arten des Fischfanges es doch eigentlich gibt. Gestern zeigte mir ein Mann hier stolz seine Beute, vom Land aus mit einer Schnur gefangen. Das könne auch noch viel mehr sein, meint er. Und ich müsse aufpassen, von hier aus südlich sei es gefährlich, Militärgebiet. Ich verspreche ihm, nicht mehr weiter zu gehen. Eine weitere Fangtechnik benötigt eine ganze Gruppe von Leuten, meist sind das Frauen. Sie waten bis zur Brust - natürlich samt Kleidern und Schleiern - ins Wasser hinaus und ziehen zwischen sich ein Netz wie eine Barriere mit. Ob dies grossen Erfolg verspricht, bezweifle ich. Dann in tiefer Nacht mit Fische anlockenden hellen Lampen, aus alten Segelbooten oder heute auch Booten mit Motor. Die Fischer mit Auslegerbooten wiederum, erweisen sich als wahre Meister der Segelkunst. Und schliesslich der industrielle Fischfang. - Ein Wunder, dass ob all diesem eifrigen Nachstellen doch noch ein paar Fische überleben können.

Heute sind es vor allem die ersten Sonnenstrahlen, die ich mit meiner Kamera in Bildern einzufangen versuche. Im Park, zwischen dem Laub der Baumkronen gebündelt herab schiessend, kreieren sie ganz eigene Bildkompositionen. - Ich bewundere die hier oft ringförmig angelegten, fast geschlossenen Kreise der gemauerten Parkbänke. Eigentlich eine sehr intelligente Form, die zu geselligem Zusammensitzen einlädt. Viel besser als gerade gezogene Bänke.

„Peace Memorial Museum“. Sogar Öffnungszeiten hat es hier angeschlagen. Der einer Moschee ähnelnde Bau wurde von einem englischen Architekten anfangs des Jahrhunderts inmitten eines kleinen Parks erbaut. Europäisch-arabisierender Baustil, wie er hier im Süden der Altstadt häufig vorkommt. Ich frage mich, was die vielen, gegen den Parkrand ausgerichteten Kanonen wohl bei diesem „Friedensmuseum“ zu suchen haben, doch habe ich mir noch nie die Mühe genommen, dies mit einem Besuch des Museums abzuklären.
Gegenüber und viel kleiner, ein anderer weisser Bau. Das Naturhistorische Museum, entnehme ich meinem Stadtplan. Angeschrieben steht aber nirgendwo etwas, auch keine Öffnungszeiten und ich kann mich auch nicht daran erinnern, die Eingangstüre jemals offen gesehen zu haben. Einzig der grosse schwarze Elefant mit seinen schneeweissen Stosszähnen, eine Skulptur neben der Eingangstüre, lässt mich an die angekündigte Bestimmung des Gebäudes glauben. Die verlotterten Volieren im Garten ebenfalls - einen Vogel habe ich dort noch nie gesehen. - Doch ein Besuch erübriget sich; wie ich Herrn Mefferts Führer entnehme, sind sowohl das Naturhistorische Museum, wie auch das Peace Memorial Museum nicht mehr in Betrieb.

Mein Spaziergang geht weiter, quer durch die Altstadt hinunter zum Hafen mit seiner kunterbunten Mischung von Boote. Ein grosses Containerschiff verlässt eben den Hafen. Dazwischen verankert, sehe ich die alten, jetzt nicht mehr funktionstüchtigen verrosteten Fracht- und Passagierschiffe des Staates neben den modernen Schnellbooten, die nun die Insel mit dem Festland verbinden. Dazwischen dümpeln die mit orangem Plastikdach beschatteten Holzboote für Touristen, die Fischerboote, mit Kisten und Netzen und meist auch Kleidern, die bunt an allen möglichen Orten zum Trocknen ausgelegt sind. Diese Farben- und Formenvielfalt. Noch nie habe ich bisher einen Hafen gesehen, in dem vom Riesenschiff bis zum kleinen Holzboot alles friedlich zusammen ankert.

Gedanken zu der Vergänglichkeit der Dinge. Bestens informiert, dank dem neuen Stone Town Führer, weiss ich nun ob der Pracht, des Reichtums dieser Stadt noch vor gut 50 Jahren. Wie rasch doch alles dem Zerfall anheim gestellt ist. Ganz besonders hier in Sansibar. Geschäfte, die neu öffnen und ein halbes Jahr später wieder schliessen, Bauruinen, die gar nie fertig gebaut werden. Soviel Geld, dass einfach vernichtet wird, weil fehl investiert. Es muss wohl sehr viel Geld vorhanden sein, wenn solches von einer Volkswirtschaft getragen werden kann. Doch kann es das hier wirklich?

Gerade neben den Forodhani Gardens bewundere ich den kleinen Gemüsegarten, der vor kurzem noch eine öffentliche Rasenfläche war. Jemand hat den einfach umgegraben und jetzt wachsen hier Spinat und weitere Gemüse. Mir gefällt der kleine Garten. Das Prinzip, öffentliches Land einfach zu beschlagnahmen hingegen weniger, den meist wird dies auf weniger sanfte Weise getan. Da kann durchaus eine öffentliche Freifläche einfach überbaut werden oder Händler bauen um ihren fahrbaren Markstand Bretterbuden, schliesslich auch festere Installationen. Meist ohne Folgen. Ein grosser Teil der Vororte ist auf ebendiese Weise entstanden, ohne Planung, ohne rechtlichen Besitz. Othman beispielsweise erklärt mir, dass das Haus seiner Mutter nicht ganz einfach zu verkaufen sei, denn das Land hätten sie nie gekauft. Das drücke natürlich auf den Verkaufspreis.

Sonntagabend scheint der Abend der Frauen zu sein. In den kleinen Gärten vor dem Afrika House lagert eine Gruppe von Frauen auf einer Bodenmatte im Rasen. Vor sich verschiedene Gefässe mit Speisen, daneben brennt ein kleiner Kohlegrill. Ein üppiges Picknick ganz ohne Männer. Auch in den Forodhani Gardens treffe ich einige auf Matten lagernde Frauengruppen an, kleine Kinder, die herumrennen. Erfreut stelle ich fest, dass die Spielzeuggewehre, mit dem Geld, das den Kindern am Ende des Ramadans gegeben wird gekauft, wohl langsam alle zerbrochen sind. Erleichtert kann ich meine Spaziergänge wieder machen ohne dauernd zuschauen zu müssen, wie Knaben Krieg spielen, sich gegenseitig diese Plastikschusswaffen an die Schläfe halten. - Speziell unangenehm hier in Afrika, wo häufig Bilder von tötenden Kindersoldaten publik werden. Und wo Phantasie und Realität sehr nahe beieinander stehen.

Samstag, 17. November 2007

16. November 2007



16. November 2007

In den Forodhani Gardens treffe ich vier ältere Frauen die deutsch sprechen. Drei Österreicherinnen und eine Schweizerin aus Solothurn, wie ich erfahre. Sie haben vor 40 Jahren in Ifakara, auf dem Festland, einen längeren Einsatz als Krankenschwestern gemacht. Und sind nun - jetzt wo das noch gehe, wie sie meinen - noch einmal nach Tansania zurückgekehrt, um ihre alten Bekannten, meist Leute von Missionsstationen, wieder zu sehen. Was sich denn in dieser Zeit verändert habe, frage ich. Viel und auch wieder nicht viel, meint die eine. Die Armut, da habe nicht viel geändert. Eine andere meint, ja aber vor 20 Jahren, da sei es noch viel schlimmer gewesen, da habe überhaupt nichts mehr funktioniert, weder Telefon noch Transportmittel. Dies hingegen, das habe sich schon verbessert. Trotzdem sind die Frauen glücklich über ihre Reise. Vielleicht müsse man gar nicht soviel wollen, die Leute hier seien ja zufrieden.

Heute bin ich etwas später am Strand, habe den Sonnenuntergang verpasst. Letzte Farben sind im Himmel verglommen, nur dunkle Wolkenbänke zeichnen sich noch vor einem etwas helleren Himmel ab. Der auf dem Rücken liegende Neumond bringt trotz seiner extremen Schlankheit das Meer gerade darunter zum Leuchten, ein silbernes Band zieht durchs Wasser bis zum kaum mehr sichtbaren Horizont. Heute schient der Schwarm der Sardinen weiter südwärts zu liegen, mindestens deuten die vielen Lichtpunkte der Fischerboote in der Nähe der Chumbwe Island darauf hin. Doch auch gerade vor der Stone Town versuchen sich ein paar Boote, man scheint sich diesmal nicht ganz einig zu sein über den Aufenthalt der Fische. Unheimlich langsam verglimmt die letzte Helligkeit am Horizont, die Finsternis verschluckt die Wolkenränder und taucht alles in ein gleichmässiges Schwarz. Einzig über den Fischerbooten im Süden scheinen die Wolken von unten angestrahlt zu werden. Am Horizont sehe ich ein schwaches Glimmen. Das muss der Widerschein der Lichter von Daresaalam sein. - Lange bleibe ich hier sitzen und schaue. Wieder diese Ruhe, die wohl zum Schönsten gehört, was ich hier in Sansibar erlebe. Einfach zuschauen. Mich irgendwie eins fühlen mit dem Universum. Obwohl das furchtbar kitschig klingt - ich finde keine anderen Worte. Und überlege mir. Ob man wohl Sonnenuntergänge und Dämmerungszustände mit Worten genügend umreissen kann, ob es möglich ist, beim Leser ein plastisches Bild davon zu erwecken? – Mit Fotografien geht das ja schwer, das wirkt sehr rasch kitschig, beim Malen sowieso. Einzig mit schwarz-weiss Skizzen fühle ich mich frei von diesem Risiko. Obwohl ja diese Sonnenuntergänge gerade durch ihre farblichen Nuancierungen so interessant sind. Aber dann kommt ja noch etwas anderes hinzu, dass man nicht mit den Augen erfassen kann. Vielleicht eben doch besser mit Worten.
Ich vergleiche meine Arbeit als Illustratorin und Malerin mit dem Akt des Schreibens. Die Tatsache, einmal wissenschaftliches Zeichnen gelernt zu haben erlaubt es mir zwar, sehr genau und in ausgefeilten Techniken die Realität abzuzeichnen. Sehr lange Zeit jedoch benötigte ich anschliessend, um zu einer freieren Malerei zu gelangen, denn irgendeinmal begriff ich, dass nicht reines Wiedergeben der Realität der Sinn von Kunst sein kann. Mindestens nicht mehr im Zeitalter der Fotografie. – Bin ich nun ein illustratorischer Schreiber, zu stark darauf erpicht, dem Leser ein vollständiges Bild von dem auszumalen, was ich sehe? Obwohl ja das Sehen immer auch mit Fühlen verbunden ist.
Auch habe ich mich nie wirklich in der Kunst des Schreibens geübt, keine ähnliche Ausbildung gehabt wie beim Zeichnen, eine Verbildung ist deshalb nicht zu befürchten. Es wäre interessant zu wissen, wie das die Leser wahrnehmen. Ob ich es schaffe, etwas von der Magie, die mich beim Betrachten ergreift, hinüber zu bringen. Oder ob ich sie langweile mit meinen langfädigen Beschreibungen.

15. November 2007


Heute Morgen, als ich erwache, scheint die Sonne. Nach zwei Tagen Regenfällen, gestern goss es den ganzen Tag über wie aus Kübeln, macht mich dies optimistisch, blaue Himmelsflecken zwischen immer noch schwer hängenden Wolken. Doch jetzt, gegen Mittag bereits wieder erste Regenfälle. Das konnte ja nicht alles sein, was die Frühlingsregenzeit zu bieten hatte.

Gestern bin ich einen deutschen Nachbarn besuchen gegangen, der seit zwanzig Jahren hier in Sansibar lebt. Mit einer Sansibari Frau verheiratet, arbeitete er seit 1968 als Architekt in Afrika. In Nairobi und Daresaalam war er als Professor tätig. Zuletzt hat er hier in Sansibar noch das Amt des Honorarkonsuls von Deutschland bekleidet. Seit 2002 ist er pensioniert und schreibt über Sansibar. Geschichte und Geschichtchen. Irgendwie müsse man ja seine Zeit hier ausfüllen, meint er. Sein Haus, eines der am besten renovierten Inderhäuser in der Haupt-Touristenstrasse, der Kenyatta Road, ist mir schon immer aufgefallen. Vor allem wegen der vielen Kübelpflanzen rings um das Gebäude; viele Kletterpflanzen ebenfalls, die das mit Schnitzereien verzierte Haus mit einem grünen Kleid überziehen. Als Besitzerin habe ich diese westlich gekleidete Sansibarfrau erkannt, die manchmal vor dem Gebäude sitzt. Als dann plötzlich an den Fensterläden ein Plakat angeschlagen war, mit Werbung für einen „Heute-auf-Morgen Verlag“, der eben hier beheimatet sei, hat mich dies natürlich neugierig gemacht. Ja doch, das sei ihr Mann, der schreibe, auch historische Texte über Sansibar verlege, und die Bücher gleich selbst drucke, binde und vertreibe. – Wo ich doch immer geglaubt habe, dass die Frau ganz alleine in dem riesigen Gebäude wohne, ihr Mann, ein Botschafter, wie man gerüchtehalber hörte, nicht mehr am Leben sei.
Ich besuche also diesen grossen, weisshaarigen Deutschen. Frage ihn, wie denn sein leben hier in Sansibar sei, er scheint ja sehr zurückgezogen zu leben. Häufig höre ich am Abend aus dem Haus klassische Musik klingen, etwas, das hier auffällt. Erich Meffert, wie er heisst, schreibt Historisches über die Insel. In seinem Stone Town Führer, den ich nun am Lesen bin, vermischt er dieses mit Gerüchten und Querelen aus der Gegenwart. All den Regierungsskandalen, auch er hat sich offensichtlich um die Errettung der Altstadt bemüht. Ob er denn nicht frustriert sei, frage ich den zurückhaltenden Herrn und erhalte als Antwort ein Lächeln. Wohl bereits zu lange in Afrika. Obwohl er dann doch meint, wenn er zuerst nach Sansibar gekommen wäre, damals vor rund vierzig Jahren, und seine ersten Projekte nicht in Ghana gemacht hätte, er denke nicht, dass er so lange in Afrika geblieben wäre. Mit spitzer Feder schreibt er in seinem Buch über die Skandale. Alles Geld - scheint mir - das hier zur Errettung der Insel investiert wurde, stammt von auswärts. Die europäische Union wollte den Hafen bereits vor 15 Jahren instand setzen, der Auftrag wurde den Italienern, unter Bauleitung von Griechen, übergeben. Zehn Jahre später ist der Hafen aber bereits wieder komplett sanierungsbedürftig, Italienische Mafiosi haben sich wohl bestens mit der korrupten Regierung geeinigt und Geld für ihren eigenen Bedarf abgezweigt. Erich Meffert kritisiert vergangene Regierungen scharf. Von Amani Karume, dem jetzigen Präsidenten, schreibt er vorsichtig: er sei dabei, sich zu beweisen. Diese Vorsicht verstehe ich besser, nachdem mich der ehemalige deutsche Honorarkonsul darüber aufklärt, dass die DDR Sansibar nicht nur mit den weit herum sichtbaren hässlichen Wohnblocks beglückt, sondern auch noch einen Geheimdienst nach DDR-Vorbild hier aufgebaut habe. Es passiere ihm immer noch, dass er Briefe erhalte, die zwar an ihn adressiert seien, der Inhalt hingegen, sei dann für jemand anderen bestimmt. Da würden sich eben Fehler einschleichen, die Spitzel hier, einer auf 500 Einwohner sei das einmal gewesen, seien halt nicht ganz perfekt. Das ganze nun wohl weniger wichtig geworden, aber diese Beamten wollten eben irgendwie beschäftigt sein. – Obwohl er der Meinung sei, dass ein Beamter in Sansibar sein Gehalt dafür kriege, dass er an seinem Arbeitsplatz sitze. Alles weitere koste extra (beispielsweise verlangen Beamte für Dienstleistungen Geld, das in die eigenen Taschen fliesst).
Ein Beispiel aus seinem Buch muss ich hier unbedingt wiedergeben:
Wie sagte doch kürzlich der Erste Minister im Parlament, als man den Erziehungsminister für die Millionen an Geistergehältern, ausgezahlt an nicht vorhandene Lehrer, verantwortlich machen wollte: „Es ist nicht in der Tradition Sansibars begründet, dass jemand bestraft wird, der in einen Skandal verwickelt ist. (The Guardian, 26.07.2007). Und Mefferts Kommentar: Das Prinzip von Schuld und Sühne hat sich auf der paradiesischen Insel halt noch nicht herumgesprochen. Sansibar, noch heute ein Ort der Seligen vor dem Sündenfall!

Nach dem Mittagsregen klart es wieder auf und ich entschliesse mich, den im Führer beschriebenen Rundgang zu machen: Vom Hafen rund um die Altstadt, am Markt vorbei, auf der breiten Ringstrasse, der Creek Road, die auf dem jetzt aufgeschütteten Arm der Lagune, der die Altstadt von den Aussenquartieren trennte, angelegt wurde, bis in den Süden hinunter. Unterwegs mache ich bei der anglikanischen Kirche halt und gehe sie besichtigen, denn Meffert beschreibt dieses Bauwerk als eine gelungene Mischung zwischen orientalischem und europäischem Baustil. Mir persönlich gefällt es nicht besonders. Erwähnenswert finde ich einzig die in den Putz eingelagerten kleinen weissen Korallensteinstücke, die den Mauern auf dem schwarz gewordenen Putz eine witzige feine Tüpfelung geben. Und erinnere mich daran, dass der ehemalige Honorarkonsul gestern meinte, die Vorstellung einer sauberen weissen Medina, wie sie in arabischen Ländern existiert habe, sei hier vollkommen falsch. Die arabischen Bauwerke hätten sich im hiesigen feuchten Klima nie bewährt, seien rasch zerfallen und auch schlecht unterhalten worden. Das schwarze Aussehen, von den vielen eingetrockneten Algen herstammend, habe immer bestanden; wenn nicht gerade Regenzeit gewesen sei und das ganze grün geleuchtet habe. Die Stone Town sei immer eine Baustelle gewesen. Einzig vielleicht während der englischen Herrschaft etwas besser herausgeputzt. Im Inneren der Kirche beeindrucken mich vor allem die Sitzkissen, die Anglikaner scheinen offensichtlich keinem spartanischen Glauben zu frönen.
An verschiedenen Schulen, alle im 20 Jahrhundert gebaut, vorbei, treffe ich auf mehrere Regierungsgebäude, worunter das Karume Haus, die heutige TV-Station wohl das stattlichste ist. Nach dem Spital biege ich wieder nordwärts Richtung Altstadt ein und setzte mich vis-a-vis von einem mit einer hohen Mauer umgebenen Grundstück auf einen Stein und beginne in meinem Führer nachzulesen, denn hinter den Mauern soll sich laut Meffert ja der Geheimdienst eingenistet habe. Nach kurzer Zeit kommt ein Mann in kakifarbiger Zivilkleidung vorbei. Ich dürfe hier nicht sitzen bleiben, das sei verboten. Ich spiele die dumme Touristin und frage warum. Das dürfe man hier nicht. Auch meinen Einwand, dies sei eine öffentliche Strasse und viele Leute würden ja vorbei laufen, lässt er nicht gelten. Ich erkenne den Typen als Mitglied der Geheimpolizei und dies macht mich erst recht wütend. Als aber dann ein zweiter Mann vorbeikommt, uniformiert und bewaffnet diesmal, halte ich es für besser, meinen Platz zu räumen. Herrn Mefferts Geschichten über den Geheimdienst hier und die Spitzel stimmt ganz offensichtlich.

Gestern habe ich in der Autobiografie der Prinzessin Salme gelesen, der Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland gestrandeten Sultanstochter. Merkwürdigerweise muss sie sehr ähnliche Eindrücke von Europa gehabt haben, wie ich sie jetzt hier von Sansibar. Sie fühlt sich unfrei, klagt über die vielen Vorschriften, die ihren persönlichen Spielraum auf unerträgliche Weise einschränkten. Sie findet das Europäische Leben kompliziert und unverständlich. Ist es wohl einfach die Fremdheit in der anderen Kultur, die uns so kritisch gegenüber der neuen Heimat macht?

Dienstag, 13. November 2007

7. November 2007



Ein Besitzer eines Touristenshops hat mich heute Morgen freudig angequatscht wie eine alte Bekannte. Ich habe ihn korrigiert und gemeint, er meine wohl meine Schwester. Darauf hat er mich nach meinem Namen gefragt und gemeint „Hawa“, dann bete ich sicherlich fünf Mal pro Tag mit meinem Manne. Ich meinte, leider nicht, das würde den sicherlich sehr freuen. Mein Gegenüber erwiderte dann ganz ernsthaft, mit einem fanatischen Glitzern in seinen Augen, aber das sei sehr wichtig, diese spirituelle Vereinigung. Er sei zwar Christ, aber das komme nicht darauf an, auch er bete. Es seien eben zwei Welten in einer: Die Sichtbare und die unsichtbare Spirituelle (fast genau gleich würde das der Ali sagen). Sie hier in Afrika hätten eben beide Welten in sich. Das sei gar nicht so schwierig, richtig angeleitet, werde auch ich zu sehen lernen. Während der ganzen Zeit hielt er meine Hand innig umklammert und zusammen mit dem intensiven Blick, den er mir zuwarf, war ich dann gar nicht mehr so sicher, ob da nicht irgend ein Geist oder etwas zu mir hinüber springen sollte. Mir blieb dann nur noch einzuwenden, dass wir Europäer eben die Eigenschaft, in diese andere Welt zu sehen, an sie zu glauben, verloren hätten, da könne man nichts machen, auch ich sähe diesen Unterschied zwischen den Kulturen. Worauf er meinte, das sei halt vielleicht eine Sache der Entwicklung. Wir Mzungus (Weisse) seien technologisch und überhaupt viel weiter – womit er sich gleichzeitig als rückständig bezeichnete, sich aber dessen wohl nicht bewusst war. Dass ich mich fragen musste, warum er denn meine, seine Sicht der Dinge sei die Anzustrebende. Auch meinen Einwand, dass man mit fünfzig Jahren sein Leben nicht einfach umkrempeln könne, den liess er nicht gelten. Das habe nichts mit dem Alter zu tun Mungu (das kann Gott oder Allah sein), der warte immer auf uns.

Superpower, ein Araber, der glaubt vom Sultan abzustammen, der Quartieralkoholiker hier, hat heute seine gesamte Hab und Gut auf die Strasse hinaus gezügelt. Seine zerschlissene Matratze, nur mehr ein mehrfach zerbrochenes ausgefranstes, schmutziges Schaumstoffstück, und seine ebenso schäbig zerfleckt und zerrissene Bodenmatte bei uns auf der Rampe zum Auslüften und Sonnen ausgelegt. Am Abend blieben ein paar Stofffetzen, Papier und Plastik in der Strasse liegen. Etwas Besonderes ist nicht die Armseligkeit seiner Ware, so leben hier sehr viele Leute, besonders ist einzig die Zurschaustellung der schmutzigen Einrichtung auf der Strasse. Das würde sonst niemand machen, meint Ali. Schmutzige Matratzen sieht man normalerweise nur auf den Blechdächern auslüften. Und wieder wird mir bewusst, dass – so einfach wir auch hier leben – mein Dasein doch gänzlich anders ist als das der Einheimischen.

Gestern bin ich mit Ali sein Haus in den Vororten anschauen gegangen. Den neu gebauten, auf einem Turm stehenden Wassertank; die Leitungen, die einmal die noch zu bauende Küche und das Badezimmer speisen werden, sind bereits gelegt. Auch eine Haustüre für den zweiten Hausteil hat es gegeben, die war bisher nur mit Brettern zugenagelt. Doch immer noch gibt es viel zu tun, bis dieser Teil des Gebäudes bewohnbar sein wird. Die Bewohner des Hauses sind alles Familienmitglieder Alis, genauer verstehe ich das ganze auch nicht. Heute sind nur zwei junge Frauen hier, Alis Mutter ist zurück zu ihrem fünften Mann nach Mangwapani gegangen, sein Bruder und dessen Frau sind für zwei Wochen auf der Insel unterwegs, um den Islam zu predigen. Die Frauen klagen darüber, dass seit drei Tagen kein Wasser mehr durch die kommunalen Leitungen geflossen sei, der grosse Tank leer und nicht aufgefüllt werden könne. Hier schläft man auf Bodenmatten, nicht einmal fleckig zerrissene Schaumstoffstücke gibt es, doch das Haus ist sauber.
Auf der Rückreise im Dalla Dalla steigen wir bald einmal aus, denn ich habe beim Kommen bemerkt, dass ein Mann dort genau die fellbezogenen Stühle herstellt, die meine Schwester unbedingt haben wollte. Ali meint, 7000 Shilling, rund 8 Franken wolle er pro Stuhl. Ich kann das kaum glauben. Obwohl ich Ali recht geben muss, dass diese Rinderfelle wohl nicht allzu lang stabil bleiben werden, bald einmal zerrissen, zögere ich für diesen Preis nicht, zwei grau-weiss gefleckte Stühle auszulesen. Ali organisiert einen PickUp, der gerade vorbeifährt und bereit ist, uns samt Stühlen für 6000 Shilling nach Hause zu bringen. Nun stehen sie im Hof unten, diese Stühle, und wir stellen fest, dass sie wirklich ausserordentlich bequem sind. Dass deren Preis offensichtlich von den Vororten, vom Produzenten, bis ins Zentrum von 7000 auf 55'000 Shilling steigt, finde ich skandalös.

Doch auch schlechte News gibt es zu berichten. Ali stellte gestern gegen Abend fest, dass etwas mit Laila passiert sein müsse. Etwas Schlimmes, meint er, er habe die Katze den ganzen Tag nicht gesehen - erst jetzt fällt mir dies ebenfalls auf. Ali ist sehr besorgt, meint dann aber auch, dass ein Kater, wenn er einem Weibchen begegne, halt auch mal ein paar Tage verschwinden könne. Doch irgendwie fühlen wir beide, dass das nicht stimmen kann. Laila war viel zu ängstlich, ging nach verschiedenen Kämpfen mit anderen Katern kaum mehr aus dem Hause. Einzig auf den Dächern fühlte sie sich sicher. Heute Morgen dann finde ich, er solle doch bei den Nachbarn herumfragen, doch Ali meint, er gehe auf die Dächer. Stellt die Leiter an, steigt auf das unterste Dach, das billige Wellblech knackt, er verschwindet aus meinem Gesichtsfeld und irgendeinmal verliert sich auch das Geräusch. Nach einer Weile kommt mir eine merkwürdige Vorstellung: Ali steigt höher und höher, verschwindet einfach. Vielleicht im Himmel? - Doch nach langer Zeit höre ich das Knacken wieder, Ali erscheint oben an einem Dachrand und meint, er habe schlechte Nachrichten. Laila liege tot unter einem der Blechdächer des übernächsten Hauses. Diese Dächer, die nachträglich über die ursprünglichen, leider oft nicht dichten Flachdächer gebaut wurden, sind untereinander verbunden, ein ganzes Labyrinth, das für uns kriechend oder gebückt begangen werden kann, für eine Katze jedoch ein Paradies ist. Ali verlangt einen Plastiksack, damit er Laila holen könne, denn nach einem Tag unter dem brütend heissen Wellblechdach ist der Kater bereits stark verwest. Wir rätseln beide über die Todesursache. Ali meint, der habe keine äusseren Verletzungen. Wurde Laila vergiftet? Sie zeigte ja keine Anzeichen von Krankheit. Ali ist untröstlich, er hatte eine schon fast unheimlich starke Bindung zu diesem Tier. Schien auch zu fühlen, was passiert ist. Erzählt mir, er sei einfach immer weiter gegangen unter den Dächern. Weshalb gerade in diese Richtung, das könne er nicht sagen. Das habe ihn wie gerufen. Katzen sind eben manchmal hier nicht nur Katzen. Ein Taxifahrer erklärt uns, dass es besser sei, falls man eine Katze überfahre, gleich wieder nach Hause zu gehen, denn dieser Tag werde Unheil bringen. Von anderen Leuten erfahre ich, dass Katzen zwar sehr wohl einfach Katzen sein können, aber ebenso gut auch Dämonen. Das wisse man nie.

13. November 2007


Vuli, die Frühlingsregenzeit hat begonnen. Nach einem heftigen viertelstündigen Regenguss gestern, dem Sonnenschein folgt, giesst es seit heute Morgen mindestens sechsmal kurz heftigstens. Dazwischen verklingt der Regen etwas, doch es bleibt die ganze Zeit dämmerungstrüb. Ich entschliesse mich gegen Mittag, auf einen Spaziergang hinaus zu gehen und werde in den Forodhani Gardens von einem heftigen Guss überrascht und flüchte in das Palast Museum. Museen halten hier im allgemeinen nicht, was wir von ihnen erwarten, doch bei Regen scheint mir dies eine brauchbare Lösung. Der Palast des letzten Sultans wurde erst in diesem Jahrhundert wieder aufgebaut, nachdem er von den Engländern im kürzesten Krieg der Welt, ganze 45 Minuten soll er gedauert haben, zusammengeschossen worden war. Doch die Macht der letzten Sultane war eingeschränkt. Der Palast scheint mir überhaupt nicht so stattlich, wie ich mir das vorgestellt habe. Zwei Frauen habe der Sultan gehabt, eine mit konservativem, die andere mit modernerem Geschmack. So finden wir düstere, reich geschnitzte Möbel aus Indien und China neben nicht ganz meinem Geschmack entsprechenden Fauteuils europäischen Stils - was damals offensichtlich als modern galt. Die Säle haben weder die Dimensionen, die man von einem Sultanspalast erwarten könnte, noch die Einrichtung deren Raffinesse. Ein Sammelsurium von Möbeln, zum Teil billig wirkende Sachen aus den 30iger Jahren, steht herum. Auch das Badezimmer existiert noch, obwohl ich mich frage, ob das wirklich noch aus der Sultanszeit stammt, mir scheint das jüngeren Datums. Das Schlafzimmer des Sultans beherbergt ein riesiges Himmelbett, durch die herunter gebrochenen Dielen dieses Raumes rauscht der Regen, der eben gerade wieder losgelegt hat. Pfützen überall. Der Palast hat bessere Zeiten gesehen. Im Zimmer der Salome, der legendären und gebildeten Sultanstochter, die sich gegen den Willen ihrer Familie mit einem Deutschen verheiratet hat und sich damit die Gunst ihrer Familie verscherzte, spricht mich eine Aufseherin an. Mit einem Einheimischen verheiratet sei ich. Da hätten aber dessen Eltern sicher keine Freude. Sie selbst sei Uganderin und seit fast zwanzig Jahren hier verheiratet, habe neun Kinder. Erst habe sie zum Islam konvertiert, doch nun sei sie wieder Christin. Ihr Mann akzeptiere das, denn er leibe sie. Nicht jedoch seine Familie hier, bereits zum dritten mal nun müsse ihr Mann eine zweite Frau heiraten, weil sie nicht willkommen sei. Doch diese Ehen würden jeweils nur ein paar Monate dauern. - Ob sie denn das toleriere, frage ich sie. Was sie denn machen könne, sie sei allein und die anderen eine ganze Sippe. Aber sie vertraue auf Gott. Der sehe alles und helfe ihr. - Die Frau scheint mir gebildet, spricht gut englisch und will mir dann die Biografie der Sultanstochter Salome verkaufen. Denn diese sei zwischen den Kulturen auch nicht glücklich geworden. Bereits nach drei Jahren in Deutschland sei der Ehemann verstorben, sie habe sich in der Fremde mit ihren drei Kindern sehr einsam gefühlt. Sei nach ein paar Jahren zurück nach Sansibar gegangen, doch ihre Familie habe ihr nicht verziehen - und sei dann irgendeinmal in Deutschland gestorben.

11. November 2007


Ein passendes Bild kreieren Ali und ich heute Morgen gemeinsam. Ich bemerke, dass es mir nicht möglich sei, ein Haus aufzubauen, wo keine Fundamente vorhanden sind. Deshalb sei ein weiteres Studium des Islam zwar möglich, ein Eintauchen in diese Religion aber unvorstellbar. Das Fundament des Islam ist die Tatsache, dass der Koran als etwas Heiliges, etwas nicht Diskutierbares, von Gott selbst Geschriebenes sei. Auf diesem Fundament, der bedingungslosen Unterwerfung unter die im Koran gestellten Prinzipien, ist das Haus der Muslime gebaut. Das Fundament meines Hauses jedoch ist in meinen mehr als fünfzig Lebensjahren ebenfalls sehr stark geworden und beruht auf den Kenntnissen der Aufklärung. Jeder Mensch ist ein selbständig denkendes Wesen und muss tolerant sein gegenüber anders denkenden, anders funktionierenden Menschen. Die Grenzen unseres Tuns sind einzig dort eingeschränkt, wo wir auf das Territorium unserer Mitmenschen geraten und dieses beschneiden. – Als ich Ali nach Sansibar folgte, habe ich gewusst, dass wir in zwei verschiedenen Häusern wohnen. Von der Religion her, aber natürlich auch von der Kultur: Afrika und Europa. Ich fand es möglich, dass - selbst wenn in verschiedenen Gebäuden wohnend – wir eine interessante und erfüllende Beziehung leben könnten. Doch während mein Haus offen ist für alle, steht um Alis Haus ein Zaun. Während in meinem Haus die Regeln von den Bewohnern gemeinsam ausgehandelt werden, gelten in Alis Haus die Prinzipien des Korans. Und die werden nicht diskutiert. Hereingelassen werden nur solche, welche dies akzeptieren, für die übrigen bleibt der Eingang verschlossen. – Ein sehr schönes Bild eigentlich für unsere Beziehung. Es zeigt die Unmöglichkeit eines Zusammenlebens auf, denn Ali verlangt - kann wohl nicht anders in seinem Glauben - dass ich in sein Haus zügle, während ich mich selbst dort nur als Besucherin sehe.

6. November 2007


Erst drei Tage ist es her, seit Babs und ihre Familie von hier abgereist sind und bereits ist das fern. Komisch eigentlich, einerseits vergeht die Zeit immer wahnsinnig rasch – andererseits aber habe ich das Gefühl, als sei erst kürzlich Vergangenes bereits weit weg. Zeit hat wohl gegensätzliche Qualitäten, obwohl sehr rasch zerrinnend, schafft sie riesige Distanzen.
Gerade nach der Abreise meiner Gäste fühlte ich mich etwas verloren, unwillig, hier in meinen Alltag zurückzukehren. Doch dann ging es sehr rasch, meine Sachen wieder einräumen, auch wieder anfangen mit meinen täglichen Übungen, Gesang, Gymnastik und Swahili lernen, schreiben, skizzieren manchmal. Und plötzlich bemerkte ich, was mir während meiner Touristenzeit eigentlich gefehlt hat: Die Gelassenheit, die für mich hier so typisch ist. Immer waren Pläne, man will ja in den drei Ferienwochen etwas erleben. Nun jedoch, wieder alleine, geniesse ich plötzlich erstaunt diese eine, mir wichtige Qualität Sansibars. Diese Atmosphäre, die es mir sehr einfach erlaubt, Zuschauer zu werden, aufzusaugen. Ohne Hast, ohne schlechtes Gewissen nichts Produktives zu tun.

Die Ruhe haben, einem Sonnenuntergang zuzuschauen. Heute sehe ich eine ringförmig verschmierte feuerrote Wolke, die sich vor dem grauen Dunst über der Meereskante abhebt. Dass dies ein Überbleibsel der untergehenden Sonne gewesen sein muss, wird mir erst jetzt bewusst. Ein eigenes, eigenwilliges Wesen, dieser Feuerring. Ich setzte mich auf eine Bank neben dem „Afrika House“ und schaue zu. Der Himmel: Von der grauen Dunstschicht gleich über dem Horizont ein Übergang zu Blutrot, dann zu Gelb. Wie das Gelb schliesslich zu Hellblau wird kann ich nicht ganz beschreiben. Nach der Farbenlehre müsste da ein grüner Streifen sein, ist es jedoch nicht. Ich entscheide mich, dass die Farbe zwischen dem Gelb und dem Blau wohl am ersten noch als Weiss bezeichnet werden kann. Ein Schwarm von „Dahus“, einheimischen Segelbooten, die zum Fischen eingesetzt werden, zieht träge hinaus. In Gruppen werden des nachts bei Neumond vor der Stone Town Sardinen gefischt, die Boote bringen sich in Position. Im Finsteren werden Ihre hellen Lampen die Fischschwärme anziehen und unwissende Touristen als gegenseitiges Ufer narren - doch das Festland ist in Wirklichkeit viel weiter entfernt. Langsam erlöscht die rote Wolke, aus dem Feuerring schält sich eine runde graue Wolke heraus, die als dunkler Fleck vor dem helleren Dunstgrau noch lange stehen bleibt. Ich kann mich nicht von dem Bild abwenden. Unheimlich schön scheint mir diese Dämmerung. Wie gescheckt das Meer; vom Wind gestreifte dunkel aufgewühlte Flecken zeichnen sich immer kontrastreicher von den spiegelglatten, hell glänzenden Stellen ab. Der rote und der gelbe Streifen zwischen Dunstgrau und Himmelsblau werden langsam von den sie umgebenden Flächen verschluckt. Bis auf die Stelle, wo die Sonne direkt versunken ist, zeichnet sich nun eine harte Grenze zwischen Grau und dem viel helleren Himmelsblau ab. An der Sonnenstelle selbst passiert merkwürdigerweise genau das Gegenteil, alle vier Farben vermischen sich, die Grenzen verschwimmen, der Kontrast wird gänzlich aufgeweicht. – Dies die Beschreibung eines einzigen Sonnenunterganges. Doch jeder einzelne Abend ist einmalig und wäre eine Erwähnung wert. Merkwürdig ruhig werde ich bei meinen Betrachtungen.

3. November 2007







Nach meinen beschaulichen zehn Rhamadan-Tagen war ich für drei Wochen mit meiner Schwester Babs, dem Alex und Moritz hier in Sansibar einfach Touristin und habe ihnen die wunderschön verlotterte Altstadt gezeigt. Babs ist von den alten Häusern, dem bunten Leben hier, aber auch den vielen Läden extrem angetan und wird nicht satt vom Andenken einkaufen. Afrikanische Tücher, Mörser, Hornbesteck, Schmuck, Kleider und weiteres haben sich auf den Weg in die Schweiz gemacht. - Ein unangenehmes Überbleibsel von Babsens Shoppingtouren: Ich werde nun häufig wie eine alte Bekannte vor den Läden abgefangen und begrüsst und muss erst wieder allen erklären, dass ich hier wohne, mich shoppen nicht interessiert und sich das ganze um eine Verwechslung mit meiner recht ähnlich aussehenden Schwester handeln muss.
Ausgiebig ebenfalls haben wir die Touristenrestaurants getestet, auch dazu komme ich normalerweise kaum. Unser Urteil: Den besten Food gibt es beim Chinesen in der „Pagoda“. Allerdings muss man in Kauf nehmen, dass man in einem kitschigen vollklimatisierten Raum sitzt ohne Aussicht auf das Meer oder die Altstadt. Die vielen schwarzen und indischen Gäste hier bestätigen aber unsere Überzeugung, dass das Preis-Leistungsverhältnis stimmen muss. Überhaupt lässt sich als Gleichung wohl sagen, je touristisch-romantischer der Ort - etwa eine schöne Terrasse über dem Meer - desto teurer und weniger schmackhaft, europäischer Standart eben, ist das Essen. - Daneben haben Alex und Moritz ganz alleine die billigste Bierquelle vor Ort gefunden, das „Starehe“. Auch eine Terrasse am Meer, aber für ein anderes Publikum. Immerhin ist zu bemerken, dass der dortige Sonnenuntergang zu den besten gehört. Fussballspiel auf der Sandfläche zum Meer hin und Segelschiffe, die in der Dämmerung majestätisch aufs Meer hinaus gleiten. Im Publikum hat es Prostituierte, die auf weisse Freier warten, aber auch Weisse Frauen, die sich hier einen Lover suchen kommen. Daneben viele Schwarze, die sich gerne einmal ein Bier bezahlen lassen und auch ein paar ganz normale Travelers. Niemand stört sich daran, dass die Örtlichkeit doch etwas heruntergekommen ist.

Für fünf Tage reisen wir auf die Nachbarinsel Pemba, die weit weniger arm ist, als ich mir dies nach den Beschreibungen der ausgewanderten, hier in Sansibar lebenden, Pembanern so vorgestellt habe. Das Strassennetz ist erstaunlich gut ausgebaut, mindestens die Hauptachse, und überall werden neue Häuser gebaut, also keine Zeichen des Zerfalles. Das seien eben die vielen erfolgreichen Auswanderer, auch in Daresaalam und Tanga, ja selbst in Europa finde man solche. Irgendeinmal hätten diese dann das Bedürfnis, für sich oder auch die zurückgebliebene Verwandtschaft ein neues Haus in Pemba aufzustellen. All die Fotos dieses Berichtes habe ich auf Pemba gemacht. Die Landschaft ist sehr grün, etwas hügeliger als Sansibar - eigentlich Unguja, denn Sansibar ist die Bezeichnung für beide Inseln zusammen - aber auch wieder nicht so gebirgig, wie ich mir das vorgestellt habe. Sehr fruchtbares Land, neben Nelken werden Gemüse und Früchte angebaut und auf die viel touristischere Schwesterninsel exportiert, die ihren Nahrungsbedarf schon lange nicht mehr selbst decken kann.
Unser Fährschiff „Sepideh“ landet im Süden der Insel in Mkoani und hier finden wir auch ein einfaches, aber schön auf einem Hügel über dem Meer gelegenes kleines Hotel, zu dem uns der Besitzer, Ali Jondeni nennt er sich, geschickt von der Fähre weg hinschleust. Doch wir bereuen das nicht. Der Ort ist gemütlich, günstig und Alis Frau ist eine ganz ausgezeichnete Köchin. Zweimal fahren wir mit einem Schiff hinaus zum Schnorcheln. Die eine Tour ist vor allem bemerkenswert, weil wir dabei Hunderte von spielenden Delphinen kreuzen und uns schliesslich sogar einem Walfisch auf bis fast Angst erregende Distanz nähern. Wie riesig muss dieses Tier sein, dessen Flosse und Rückenlinie neben uns aus dem Wasser auftauchen! An diesem Tag sind zwar die Korallen nicht die besten, dafür das Wasser unheimlich klar, was beim Schnorcheln ebenfalls etwas Magisches hat.
Nach drei Tagen fahren wir vom Süden, über den Hauptort Chake Chake bis ganz in den Norden, wo eine „Manta Reef Lodge“ in den Führern angepriesen wird. Eine grosse Auswahl an Beach-Ressorts gibt es nicht in Pemba. Einzig im Süden noch die sehr luxuriöse „Fumba Lodge“, die uns aber wirklich zu teuer ist. Und die Ortschaften auf Pemba, in denen man kleine Hotels finden kann, sind nie in Badebuchten gelegen.
In der „Manta Reef Lodge“ wohnen wir in einem hübschen, auf Stelzen gebauten luftigen Holzhaus, das geschmackvoll eingerichtet ist. Leider scheint jedoch ein grösserer Teil der Kundschaft mehr Luxus zu wünschen. Bungalows mit verglasten Scheiben und Klimaanlagen sind im Bau. Auch das viel gerühmte Reef hier oben erschnorcheln wir nicht, weil wir den Preis, 80$ pro Person und Tag, überrissen finden und es so vorziehen, mit gemieteten Velos auf holprigen Wegen zum nahe gelegenen letzten Stück Urwald der Insel zu fahren. In den zerstreuten Siedlungen rennen freudig Kinder aus den Häusern und schreien uns „bye bye“ entgegen. Das letzte Stück Urwald der Insel ist klein, doch sieht es noch ursprünglich aus und kann auf einem Pfad begangen werden. Enttäuscht bin ich – wie bei all meinen bisherigen Exkursionen in tropische Wälder – davon, dass man kaum Tiere sieht. Wenigstens Vögel dürfte man doch erwarten. Doch auch Pemba, gleich wie Unguja scheint mir ganz merkwürdig arm an Vögeln zu sein. Einzig Krähen und Spatzen und häufig auch noch Reiher sieht man häufig.

Zurück in Sansibar sind wir mit dem Mody vor der Stone Town Schnorcheln gegangen. Auch hier ist das Reef immer noch sehr schön. Mich dünkt sogar, dass es jetzt weniger von diesen gefrässigen, Korallen-zerstörenden grossen Seesternen gibt. Auf Chumbwe Island, einer unter Naturschutz stehenden Insel mit den besten Korallen überhaupt, waren wir ebenfalls. Ich stelle fest, dass jetzt das ganze viel professioneller organisiert ist. Ein empfehlenswerter Ausflug. Auch die Nordspitze Sansibars, Nungwi, besuchen wir, denn mir gefällt die Atmosphäre in diesem Ort ganz besonders. Keine riesigen isolierten Ressorts mit europäischem Luxus, kleinere Hotels, auch günstige und eine freakige Atmosphäre. Allerdings bin ich erschrocken, wie viel gebaut worden ist seit meinem ersten Besuch hier vor zweieinhalb Jahren. Selbst ein italienischer Beachclub hat es bis hierher geschafft, bisher waren ja diese Etablissements auf die Ostküste beschränkt und passen sich dort mit ihren höchst freizügig herumlaufenden Gästen sehr schlecht zwischen die kleinen Fischerdörfer ein, in denen die Frauen noch tief verschleiert herumlaufen.
Auch schlechte Erfahrungen bringt das Touristenleben. Meine Schwester und ich gingen in der Bucht südlich der Stone Town am Strand spazieren. Wohl wurde ich in letzter Zeit verschiedentlich gewarnt, dass dies gefährlich sei, es dort Raubüberfälle gebe, einmal wollen uns die Fischer dort partout nicht vorbei lassen. Eigentlich hätten wir es ja wissen müssen, doch mitten am helllichten Tag. Auch waren wir nicht alleine am Strand, viele Jugendliche, wer geht hier schon einer regelmässigen Arbeit nach, hängten am Strand herum. Plötzlich werden Babs und ich von hinten angerempelt und heftig am Arm gepackt und bis ich begreife, was sich ereignet, sehe ich zwei Typen bereits mit unseren Taschen davon rennen und im Gebüsch verschwinden. Für uns beide ein Schock, für Babs zusätzlich der Verlust ihrer gesamten Ferienbilder, denn Kamera und Telefon hatte sie auch dabei. Und die Jugendlichen, die vorher auch am Strand waren und Babs zum Fotografieren verleiteten, waren dann ganz plötzlich ebenfalls verschwunden. Wollten wohl nichts mit dem ganzen zu tun haben.