Samstag, 28. März 2009

unterwegs, den 17. März 2009


Ein synthetisch ockergrünes Haus zieht am Zugfenster vorbei, irgendwo im Aargau, links der Jura, ein Atommeiler mit dampfendem Schlot nun. Ich lese ein Interview mit Jean Ziegler, er hat einen Preis der Stadt Thun erhalten. Und scheint mir langsam senil und weltfremd. Er war vermutlich noch nie mit offenen Augen in Afrika. Auch Kuba kennt er nur einäugig, besser gesagt, aus seinem Blickwinkel. Der Tag ist nun gänzlich erwacht, sonnig, doch etwas grauer Dunst.

Am Flughafen schreiben ist gefährlich, ich verpasse fast den Abflug. Trotzdem ist das Flugzeug noch fast leer als ich einsteige, obwohl das der letzte Aufruf war nach Nairobi. Swiss klagt. Andere Fluggesellschaften ebenfalls. Dafür kann ich mir meinen Platz aussuchen wo ich will. Abheben nun, schnell und steil, denn das Flugzeug ist leicht. Mehr Dunst in der Luft, als dass ich dies am Morgen erwartet habe, doch über den Alpen wird es klarer. Schon schmerzt die Helle der gleissenden Schneegipfel meine Augen. Winter noch, in den Bergtälern liegt Schnee. Wie schnell man doch vergisst nach ein paar Frühlingstagen und den ersten Krokussen und Helleborussen.
Mir scheint, ich sei immer die einzige, die beim Reisen hinausschaut und die mehr oder weniger schnell vorbeiziehende Landschaft bewundert – je nachdem, ob im Flugzeug oder im Zug. Die meisten verkriechen sich sofort hinter ein Buch oder einen Labtop oder gucken im Flugzeug Videos. Unter uns Locarno mit der Schwemmebene, die Alpen bereits überflogen, diesmal scheint die Route über Italien zu gehen, der Luganersee im Dunst, Lugano dann, der Bre und die Tina, der Damm von Melide, da bin ich mir ganz sicher. Der Gadhafi scheint sich wieder beruhigt zu haben, es geht Richtung Lybien. Viel Dunst oder Smog über der Poebene, Genua nun, entnehme ich der Fluginfo.
Die Stewardess schenkt mir einen Gin Tonic ein – meinen Henkersdrink, ich werde in Sansibar wieder abstinent leben – und fragt mich, ob ich gerne noch Weisswein dazu hätte. Um zehn Uhr morgens. Eine welsche Stewardess, werde ich später feststellen. Danke, meine ich, das reiche fürs erste. Nach dem Apéro werden die Einreisepapiere verteilt. Visa, das habe ich natürlich, ich sei „resident“ meine ich, ein gewisser Stolz ist dabei. Woher wohl? Woher diese Freude? Doch, irgendwie komme ich auch etwas nach Hause. Es ist schön, zwischen den Welten zu leben. Und riecht furchtbar nach Furz, ich starre meinem Nachbarn vorne misstrauisch in den Nacken, momentan scheint die Luft durch die Klimaanlage nicht parfümiert zu werden. Bereits spüre ich den Gin Tonic am Morgen.
Wundersame Stadt unter mir, geometrisch verwoben, Innenhöfe, ein Fluss, eine historische Stadt oder modern und geplant? Auf den Bergkreten schmale Schneestreifen. Ich liebe das Reisen. Und die übrigen schauen nicht hinaus. Dunstig unscharfe Wolkenschwaden, neben scharf gezeichneten winzigen Schäfchenwolken über der dunkelverwaschenen waldigen Gebirgslandschaft. Eine Ebene nun, wir müssen in der Nähe von Rom sein, ein See. Montepulcciano vielleicht? Drei Inseln im See, dieser schmutzigblau, Halbinseln, das Grün der Felder blass, viel gepflügtes Braun. - Interessiert das überhaupt jemanden, dieses Schreiben, Beschreiben, in Worte fassen, was flüchtig wahrgenommen? Aufbewahren, versuchen zumindest, die Bilder, nichts verlieren. Mäandrierende Flüsse. Ich fühle mich stark, meinen Wortschwall gewaltig. Von Alkohol verfärbte Illusionen?
Auch in Italien muss es dieses Jahr viel Schnee gegeben haben. Im Osten noch breit verschneite Gipfel, wir sind auf der Höhe von Rom. Dunststreifen folgen dem Flugzeugflügel, doch sehe ich keine Motoren. Unten ein Stausee, drei Sperrstufen, das Wasser wird jedes Mal blasser, in ein steiles Tal eingezwängt. Eine Strasse auf Stelzen, einem Tausendfüssler gleich windet sie sich elegant durch die Landschaft. Immer noch Schnee auf den Gipfeln. Weit hinten eine Ebene mit grafisch strukturierten Feldern. eingebettet in eine wild wuchernde Berglandschaft.
Diese freie Zeit, all die Zeit, die mich erwartet. Genug Zeit zum beobachten, überlegen, kombinieren, vergleichen, einordnen und malen auch. Wunderbar. Ockergelbe Steinbrüche sind aus den Bergflanken heraus gemeisselt, wo sind wir wohl? Ich glaube einen historischen Vulkankrater zu erkennen, grün überwachsen, doch das charakteristische Relief. Dazwischen schieben sich Bilder vom Swiss Garden Hotel, wo ich heute Abend übernachten werde. 26 Grad in Nairobi, vernehme ich. Mückengift einstreichen nicht vergessen. Der Fluss der Gedanken, mäandrierende Flussläufe und eine winzige Flugpiste am Boden. Kontraste. Hellweisse Felder neben einer Stadt, plastikbedeckte Frühbeete wohl. Und nun das Meer. Tiefblau, eine grosse Hafenstadt am Ufer, mit Docks und Dämmen und Schiffen, die wundersame Zeichen schreiben ins Meer. Das Flugzeug zittert leise und das Mittagessen wird serviert. Neapel, finde ich zusammen mit der Stewardess heraus. Pouletgeschnetzeltes, nicht genial diesmal, das leise Ruckeln des Flugzeuges wird sofort stärker. Einer Kinderwiege gleich, angenehm scheint es mir. Un petit rouge, s’il vous plaît? Messina nun, der Fuss des Stiefels. Gerade Flüsse mit breiten Schotterbetten ziehen von den Gebirgen direkt an die südöstliche Küste.
Vor mir sitzt ein älteres schwarzes Ehepaar. Elegant westlich gekleidet sind sie, doch in der Economy Class können das höchstens Intellektuelle sein. Die Frau legt sich rasch nach dem Abflug auf die mittlere Sitzreihe - alles ist ja frei - zum Schlafen und verpasst auch die Mahlzeiten. Der graumelierte Ehemann trinkt Apfelsaft. Ein Muslim wohl, doch kein konservativer, seine Frau ist in ein braves braunes Kostüm nach westlicher Manier gekleidet. Schäfchenwolken lachen nun über tiefblauen Meer. Ich packe die Schokoladecrème für den Ali ein. Etwas zögernd zwar, das letzte Mal ist mir die offerierte Schokolade in der Handtasche geschmolzen. Eiskristalle, feinste, am Fenster nun, merkwürdig dies fast über Afrika. Auf dem Rückweg von der Toilette stelle ich fest, dass die Leute gleichzeitig in den Videoschirm am Vordersitz lachen. Sie schauen denselben Film an. - Im Zug von Bern nach Zürich war das Lachen wenigstens nicht simultan. Ich las den „Bund“, mein Gegenüber „20 Minuten“. Ich lachte häufiger - aber das liegt wohl kaum an den Zeitungen. Zeit für einen Mittagsschlaf finde ich, ich habe sehr wenig geschlafen die letzten Tage.
„Sale or rent“ liest mein ergrauter Nachbar vorne. Es sind Inserate zu Immobilien in Grindelwald. Vielleicht unterschätze ich ihn, wegen seiner Wahl eines Fluges der Economy Class. Ein Wolkenteppich über Libyen. Hallo Marco, Kühlschrank ist abgestellt. Türe bitte offen lassen. Sonst graut es und mir. Lee-Terra-Tour nur - wenn überhaupt. Der Ping-Pong Schläger trifft nicht immer auf einen Ball. Sahara Desert, Tibesti Mountains auf dem Bildschirm der Fluginfo, ich erwache langsam aus meinem Dösen. Irgendetwas scheint heute nicht zu klappen damit. Weder Flughöhe, -geschwindigkeit, Zeit, noch Zoom auf die Landschaft. Wohl immer noch Libyen, Ägypten ist das nicht und Sudan noch nicht. Und unten in der Wüste grosse dunkle Kreise im hellen Sand. Regelmässig verteilt wie in ein Löchersieb. Dazwischen ist eine Strasse erkennbar. Was ist das wohl? Plötzlich – kaum 100m tiefer scheint mir – kreuzt uns ein anderes Linienflugzeug, sehr schnell geht das. Ist das normal, so nah, auf den Luftfahrtsstrassen quer über die Welt? Ich bemerke so was zum ersten Mal. Ost-West verlaufende Sandbänke später. Die scharf verlaufenden Schatten nordseits der Dünen lassen das ganze erst wie Einsenkungen wirken, das muss eine optische Täuschung sein. Später Strukturen in nord-südlicher Richtung. Beim näher kommen entpuppen sie sich als helle Wolkenstreifen, die sich farblich kaum vom Wüstenboden abheben. Das eigentlich Sichtbare sind die finsteren Schatten, die sie werfen. Ein langer dunklen Riss links vom Flugzeug später. Ein ausgetrockneter Fluss? Darfur Mountains lese ich, menschenleer sieht das aus und ist doch Krieg hier. Um was? Weiss verkrustet der Boden, Salzseen? Und wunderbar rötlich daneben schimmernd der Sand.

Bei der Landung in Nairobi durchstechen wir eine Wolkenschicht. Die Masse der Wolken fühlt sich hart wie Beton an. Unheimlich das Reissen und Stossen im Nebel und ohne Sicht, der Film „Darwin’s nightmare“ kommt mir in den Sinn. Und dass hier noch lange nicht überall der Radar funktioniert.

2 Kommentare:

therese paris hat gesagt…

toll, Eva, dass du wieder schreibst. es beginnt mich zu packen, wie eine gute Serie: man will mehr wissen und ich werde deine Reise von Weitem verfolgen.
Sonnoge Grüsse aus Paris

Unknown hat gesagt…

Du bist ja überaus fleissig. Die Hitze scheint jedenfalls Deinen Erzählfluss nicht zu bremsen.
Guter Stil eine Freude, das Lesen

Noch eine Frage zur Solarenergie?
Ist das für die Leute auch zu teuer. In Kamerun sind Solarenergienutzungen fast inexistent.
Weiterhin eine gute Zeit

fredi