Samstag, 28. März 2009


Sansibar, den 24. März 2009

Beim Einnachten ein Blitzgewitter über dem Meer im Südwesten, Richtung Daresalaam. Im Sekundentakt werden die Wolken, die bereits fast gänzlich mit der Finsternis verschmolzen sind, gespenstisch angeleuchtet und zeigen ihre wuchtige Form. Doch nicht einmal ein leises Grollen ist bis hierher zu hören, zu weit weg noch die Gewitterfront. Kältere Luft muss von Süden herein drängen, denn hier in den Tropen, sind Blitz und Donner sehr selten, normalerweise kreuzen sich nur Luftmassen von geringfügig unterschiedlicher Temperatur. Endlich scheint die Abkühlung zu nahen. Ein frischer Wind vom Süden und tagsüber hat es auch kurz zweimal geregnet. Für einen Schweizer ist das schwer vorstellbar, doch hier freut man sich wirklich auf den Regen, der den Staub aus der Luft und von den Pflanzen herunterwischt und wieder einmal die Strassen reinigt und – wenn auch nur für kurze Zeit jetzt noch – die Luft etwas abkühlt. Frisch gewaschen und knackig grün ist alles.

Ich skizziere heute den Sonnenuntergang in den „Africa House Gardens“ gleich um die Ecke. Die werden von den Einheimischen plötzlich „Forodhani“ genannt. Forodhani bedeutet Zoll - es war auch früher die Anlege- und Zollabgabestelle der ankommenden Schiffe - heissen eigentlich die Gärten weiter nördlich, die seit mehr als einem Jahr geschlossen sind wegen Renovation. Und damit verschwand auch das bunte Treiben mit den Essensständen aus diesen Gärten, etwas, das zwar auch Touristen erfreut hat, jedoch vor allem eine Attraktion für die Einheimischen war, die gerne hier am Abend einen Zuckerrohrsaft genossen oder eine Sansibar Pizza oder „mskaki“, gegrillte Spiesschen mit Fleisch oder Fisch. Ein Jahr lang musste nun die Bevölkerung darauf verzichten. Jetzt entschloss man sich, das ganze in den südlicheren und viel kleineren Africa House Garden zu verlegen. Als Übung für die Wiedereröffnung der neuen Gärten, heisst es, denn auch neue Verhaltensregeln wurden für die Verkäufer aufgestellt. So müssen sie unter anderem jetzt den Platz sauber zurück lassen. - Was jedoch hauptsächlich funktioniert bisher, ist die Neuerung, dass die Köche und Essensverkäufer nun weiss und sauber gekleidet sein müssen. Viele tragen sogar echte Kochmützen. Überhaupt scheinen sie diese Weisung gerne und mit grossem Stolz zu befolgen.
Nebenbei interessant ist, dass ganz offensichtlich Forodhani zum Synonym für Strassengarküchen geworden ist, so dass dies nun ganz leicht auf den neuen Ort übertragen werden kann, bzw. dieser kurzerhand umgetauft wurde.

Beim Zeichnen bemerke ich, dass ein Mann, der etwas weiter weg auf dem gleichen Mäuerchen sitzt, von einem Verkäufer von Bambusblattbildern hartnäckig bedrängt wird. Nach rund einer viertel Stunde sage ich deshalb laut: Die Leute hier seien manchmal ärgerlicher und hartnäckiger als die Moskitos. Was der Verkäufer mit einem bösen Blick in meine Richtung quittiert - er kennt mich natürlich - und der Fremde mit einem Schmunzeln beantwortet. Immerhin, wir haben Ruhe nun, das hat also gewirkt. Als ich mit dem Zeichnen fertig bin, komme ich mit dem Mann ins Gespräch. Nein, Tourist sei er nicht wirklich, er arbeite in Daresalaam auf der Libyschen Botschaft. Und wenn die Zeit es ihm erlaube, dann komme er gerne nach Sansibar hinaus um sich etwas von Stress und Lärm der Grossstadt zu erholen und für sein Masterstudium zu arbeiten. Aus Libyen sei er, meine ich. Dann seien wir Feinde, denn unsere Länder hätten ja Streit. Wir lachen beide, es ist offensichtlich, dass ich es nicht ernst meine. Trotzdem meint er, wir müssten eben verstehen, die Familie, die Ehre, das sei etwas ganz anderes in arabischen Ländern. Eine solche Beleidigung, das könne man sich einfach nicht gefallen lassen. Doch, ich verstehe das schon, meine ich, finde es aber trotzdem richtig, dass der Sohn des libyschen Regierungschefs gleich behandelt werde wie alle, da sei ich sogar stolz auf die Schweiz. Aber das Polizeiaufgebot, ganze 25 Leute, das wäre doch nicht notwendig gewesen. Ich entschuldige mich, über Details, da wisse ich wenig, da könne ich nicht mitreden. Wie auch immer, wir sprechen in einem freundschaftlichen Ton miteinander. Und er meint auch, der Zwist sei ja nun in etwa zu Ende. Was auch ich vermute, fliegt doch die Swiss wieder die direkte Route über Libyen nach Nairobi.

Ein kleines Nachspiel zu dieser Story. Ich meine beim Abschied, dass wir uns wohl im Lukmaan wieder sehen würden, denn ich stelle fest, dass er einen der Kellner zu kennen scheint. Das sei das Restaurant meines Mannes. Am nächsten Tag, als ich zum Mittagessen in den Lukamaan gehe, sitzt er auch wirklich dort. Ich begrüsse ihn und Ali, dem ich die Geschichte mit dem Libyer erzählt habe, kombiniert rasch und wirft ihm einen Blick zu. Wie auch immer der war, kaum habe ich mein Essen ausgewählt und gehe an meinen Tisch, sehe ich, dass der Libyer bezahlt und rasch verschwindet. Sein Essen hat er nur halb angerührt. Merkwürdig, dieser fluchtartige Abgang. Wahrscheinlich hat er unter meinem Mann einen Europäer erwartet und nun Angst - mindestens ein ungutes Gefühl - weil er gestern lange mit der Frau eines Muslimen gesprochen hatte. Wie schlecht kennt er doch die Afrikaner! Das Ehrgefühl der Araber, das gibt es hier nicht.

Sansibar, den 23. März 2009




Alis Freund Juma, der mit seiner Familie - auch sie eine Frau aus Sansibar - in Kanada lebt, ist wieder einmal hier. Er hat ein Grundstück in Mwera gekauft, etwa eine halbe Stunde von der Stone Town, wenn man ein Fahrzeug besitzt. DalaDala fahren zwar auch dort hinaus, doch das Grundstück ist dann noch recht weit von der Hauptstrasse entfernt. Mwera liegt etwas in der Höhe – soweit man in Sansibar von so etwas reden kann, 200m über Meer vielleicht – gleich nach einer Senke mit sumpfigem Fluss und Reisfeldern. Fruchtbar und grün ist es. Dort steht nun der Rohbau von Jumas Traum: Wände, Fenster, hier nicht aus Glas, sondern Holzrahmen mit Gitterstangen, sind bereits gebaut, das Wellblechdach ebenfalls aufgesetzt, die Elektrizität ist gelegt und auch die rund zwei Meter hohe Mauer mit imposantem Eingangstor steht bereits. Obwohl das in dieser Gegend eigentlich gar nicht Brauch ist. Da leben Bauern, die einfachen Häuser zerstreut zwischen den Bäumen, Ziegen, Rinder und Gemüse. Keine Mauer soweit das Auge reicht. Juma, obwohl er erklärt, er sei einmal Bauer gewesen (das sind hier fast alle irgendeinmal, will heissen, sie sind auf dem Land aufgewachsen und die Eltern haben überlebt, indem sie sich ihr Haus selber zwischen die Bäume gestellt haben und gegessen, was es dort gab. Etwas Maniok angepflanzt, ein paar Ananas, Bananen natürlich. Brotfrüchte, Mangos und Weiteres pflückt man direkt von den Bäumen). Juma also, ist nun ein Städter, deshalb braucht er eine Mauer um seinen Besitz. Und gestern, bei unserem Besuch dort, schlägt er die unreifen Orangen von den Bäumen herunter und nimmt sie mit in die Stadt. Reifen lassen, das könne man die Früchte hier nicht, meint er, denn sonst würden sie sowieso gestohlen. Trotz hoher Mauer fühlt er sich offensichtlich dort nicht sicher. Zu recht? Und: Will man so leben? -
Ich werde von den Mädchen des Weilers hilfreich unterstützt, als ich beim Brunnen Wasser heraufziehen will, um die Pflanzen zu giessen, die wir eben eingesetzt haben. Die jungen Frauen sind sehr nett, etwas erstaunt, dass ich es auch schaffe, einen Eimer hoch zu ziehen, und zeigen mir später, wo ich Kuhmist finde, denn ich frage sie darum, für meine Blumen in der Stadt. Mir wird geholfen, ich packe den Mist in einen Plastiksack und bin meinerseits erstaunt, wie gut die Mädchen Englisch sprechen, denn hier draussen gibt es kaum Touristen. Aus der Schule in Mwera, meint die Anführerin. Vor dem Haus ein uraltes Auto, ein Junge liegt auf der Kühlerhaube und döst, im Auto läuft laut und scheppernd ein Radio, auch mein Mädchen summt mit und tänzelt etwas zu dem englischen Popsong. Discostimmung am Sonntagnachmittag im Busch. Das sieht alles andere als gefährlich aus.

Juma, der seit einigen Jahren in Kanada lebt und als Lastwagenchauffeur arbeitet, hat seinen Job verloren. Seit einem Jahr nur Gelegenheitsjobs. Die Krise eben, ihm sei das verleidet. Und dieses kalte Klima. Doch nun eben kein Geld um an seinem Haus weiter zu bauen, denn bewohnbar ist das noch lange nicht. Nicht einmal die Böden sind zementiert, das braucht noch viel Geld. Doch, so Ende April werde er wieder nach Kanada gehen. Und natürlich, seine Frau wäre gerne auch gekommen, aber die habe keine Wahl, die sei mit den Kindern in Kanada geblieben, zu teuer.

Hier oben also habe ich gestern meinen Avocadobaum eingepflanzt, der aus einem Stein einer besonders guten Frucht gewachsen ist. In gut einem Jahr ist der so hoch geworden, dass er in einem Topf nur noch schlecht Platz fand. Ist schon extrem, wie rasch hier die Pflanzen wachsen, da bin ich immer wieder verblüfft. Der Hof ist nun bereits sehr schön zugewachsen und jedes Mal, wenn ich komme, muss ich zurückschneiden, roden auch. Wahnsinnig, wie gross der Oleander bereits ist, den ich vor fünf Monaten als Steckling aus Daresalaam mitgebracht habe. Der kriegt nun den Topf der Avocado, die wir in die Freiheit entlassen haben. – Was sich hier ebenfalls unheimlich schnell ausbreitet, das sind die Parasiten. Weisse Wolläuse, die von den Ameisen in die Triebspitzen getragen werden, auch Schildläuse, die an den Stängeln harte Beläge bilden, so dicht stehen sie. Alles Leben ist hier viel grosszügiger, viel üppiger, etwas beängstigend.

Ein eigenes Haus, davon träume eben jeder Sansibari, meint Ali. Statt sich zuerst eine Existenz aufzubauen. Denn was wolle der Juma einmal da draussen in Mwera, wenn er kein Einkommen habe? Viel Geld werde in die Häuser gesteckt, alle, die im Ausland arbeiteten, würden erst einmal beginnen, sich ein Haus zu bauen. Von was sie dann einmal leben wollten, das überlegten sie sich kaum. Ich frage mich zusätzlich, wie einfach es für diese Leute dann jeweils ist, heimzukommen. Das dauert doch Jahre, bis solch ein Haus, denn die werden ja nicht bescheiden geplant, das sind kleinere einstöckige Villen mit komplizierten Wellblechgiebeln, dann einmal fertig wird. Ich frage mich also, ob Juma, seine Frau und die Kinder sich wohl hier überhaupt einmal wohl fühlen werden. – Immerhin, falls sie wirklich noch hierher kommen sollten, dann werden sie einen Garten vorfinden, in dem bereits grosse Bäume stehen. Orangen, Avocados, Zitronen und Rambutan. Die Bananen und Ananas, und der Maniok, die im Moment dort wachsen, die werden bis dann längstens aufgegessen sein und durch neue Pflanzen ersetzt.

Noch immer lächelt mich Barak Obama von unzähligen „Kangas“, den Sansibarischen Frauentüchern, in den diversen Läden ausgehängt an. Ein ausgesprochen hässliches Foto wurde da verwendet, finde ich. Sein Mund entblösst weisse Haifischzähne und auf diesem grob gerasterten Druck wirkt er alles andere als anziehend oder sympathisch. Doch auch da scheinen sich unsere Geschmäcker zu scheiden. Wer diese Kangas kaufen soll, das ist mir schleierhaft. Nicht dass es etwas Besonderes wäre, das Kangas mit dem Portrait eines Politikers bedruckt würden, auch die Präsidenten hier tun das vor den Wahlen und geben die Tücher gratis ab. Aktualitäten fliessen oft ein, so gab es auch ein Kanga zu der Fussballweltmeisterschaft. Doch auch dieses sah ich sehr selten von Frauen getragen. Vielleicht werden diese „Sonderausgaben“ in den Stuben aufgehängt.

Apropos Lachen: Da sind sie ja gut, die Afrikaner. Nicht nur, dass ihre weissen Zähne besser aus der dunklen Haut hervorstechen, nein, Afrikaner lachen gerne und häufiger als wir. Und etwas erstaunt stelle ich fest, dass mich hier auch Touristen beim vorbeigehen häufig anlächeln. Das ist wohl ansteckend und überträgt sich auch auf Mzugus. - Doch manchmal frage ich mich dann auch, ob an mir etwas Besonderes sei, vielleicht eben auch etwas nicht mehr Weisses, das macht, dass ich von Touristen beachtet werde. Und häufig auch um Auskunft gefragt. Das ist mir bereits in Paris aufgefallen. Wie man irgendeinmal klammheimlich vom Touristen zum Einheimischen mutiert. Sich offensichtlich anders, selbstsicherer, sicherer wohl auch, bewegt, und so sowohl von Einheimischen wie auch von Touristen als Bewohner taxiert wird.

Dieses Einheimischsein, auch Einheimischsichfühlen hat auch Nachteile. Der Reiz des Neuen entfällt bereits etwas. Wohl bin ich noch Zuschauer, beobachte gerne Leute und Dinge, auch den Sonnenuntergang täglich mit gleicher Begeisterung. Und doch, ich bin eben nicht mehr unterwegs, es ist hier Alltag geworden. Was ich einerseits schön, aber auch etwas traurig finde. Ich mag eben das Aussergewöhnliche, das Gewohnheiten brechende. Ich mag es, dauernd und täglich überrascht zu werden.

Sansibar, den 21. März 2009


Heute Morgen, beim Aufstehen, sind meine Waden ganz furchtbar verkatert. Nicht dass ich viel mehr herumlaufe als in der Schweiz. Es ist das Gehen im Sand. Das Einsinken der Füsse - ähnlich wie im Schnee - bringt eine ganz andere Bewegung mit sich.
Der Sand. Der Strand. Das hat geändert. Noch nie habe ich hier soviel Sand gesehen. Jetzt ist der Strand praktisch den ganzen Tag über passierbar, immer liegt ein Streifen vor den verrotteten Mauern oder auch Felsabsätzchen trocken für ein Durchkommen. Mindestens bin ich die drei Tage noch nie an den Strand gegangen und musste umkehren, weil die Mauern vom Meer umspült waren. Das ist schon gewaltig, dieses ewige Umschichten des Sandes. Wie beim Wasser, scheint mir, hat man es hier immer wieder mit neuen Sandkörnern zu tun – obwohl das ganze immer gleich oder eben ähnlich aussieht. Etwas, das eine Binnenlandbewohnerin wie mich faszinieren muss. Diese Gestaltungskraft des Meeres. Viel schneller geht dies als bei den Flüssen im Gebirge.
Der breite Strandsteifen im Moment – ich weiss nun, dass das nichts Bleibendes ist - deckt momentan alle Abwasserleitungen, die ins Meer hinausführen, gnädig zu, selbst die schwarzen flachen und algenbewachsenen Felsplatten südlich der Landspitze. Und aus dem Sand heraus ragt der Rest eines Holzschiffes, Rückgrat und Rippen, jeden Tag ist etwas weniger davon da, wird wohl als Brennholz verwendet oder vom Meer fort getragen.

Neu sind auch die zwei Frauengruppen am Strand vor dem „Serena Hotel“, bisher habe ich Frauen nur weiter südlich, am Fischerstrand gesehen. Frühmorgens, dann, wenn alle Männer hier Fitness besessen, scheint mir, am Strand ihre Übungen machen, kommen nun auch ein bis zwei Frauengruppen und machen Gymnastik. Und Baden anschliessend, beziehungsweise sitzen palavernd ins Wasser. Oder versuchen sich gegenseitig das Schwimmen beizubringen. Natürlich in Kleidern, doch immerhin ohne Schleier, das ist schon etwas, ein kleiner subversiver Fortschritt, das darf man nicht übersehen. Und macht die Tatsache wett, dass man eigentlich hier in der Altstadt trotz Sandstränden nicht baden sollte, denn die Wasserqualität ist, wegen der dauernd verstopften und sowieso ihren Inhalt nur weiter ins Meer hinaus entleerenden Kanalisation, nicht mehr empfehlenswert. Was soll’s, all die kleinen Knaben, die jugendlichen Fussballer und ein Teil der frühmorgendlichen Fitnesser tun es ja auch. Und überleben. Ich persönlich begnüge mich damit, im Wasser herumzuwaten, nicht höher als bis zu den Knien.
Eine kleine Anmerkung dazu: eines frühen Morgens beobachte ich zwei ältere Nonnen, mit durch die Hauben verdeckten Haaren natürlich auch sie, am Strand die Frauen beobachtend und mit dem Fotoapparat knipsend. Erfreut oder entsetzt? Ich frage sie nicht.

Wenig Glück habe ich mit den „Forodhani Gardens“, hoffte ich doch, nach gut einem Jahr Bauzeit seien die wieder eröffnet. Ich klettere deshalb kühn vom Strand her auf die Mauern hinauf und betrete den immer noch von Bauzäunen umgebenen Garten und schaue mich etwas um. Schön bepflanzt ist er bereits und die Pflanzen stehen in erhöht gemauerten Beeten, sollten also jetzt besser vor Vandalismus, hier besser Achtlosigkeit, was ist das schon eine Pflanze, da ist kein böser Wille dabei, geschützt sein. Viel Kinderspielzeug aus Holz ebenfalls, Rutschen, Schaukeln und ein Pferd sehe ich. Wo ich doch vorige Woche am Naturgartentag gerade erfahren habe, dass Kinder eigentlich kaum etwas brauchten. Altholz, Baumstämme, Dreck und Wasser, Pflanzen auch, das sei das beste. Das rege zu Kreativität an und verleide am wenigsten rasch. - Doch seien wir zufrieden, die erste Welt kümmert sich offensichtlich um die armen Kinder in Afrika. Und ich bin neugierig zu sehen, was mit diesem Ort passieren wird. Wie und ob der von Kindern in Besitz genommen wird. Denn einen kleinen Platz mit Spielzeug gibt es bereits ganz in der Nähe. Allerdings nicht sehr einladend, von Mauern umgeben, kein Grün. Sicherlich auch von irgendeiner Hilfsorganisation gestiftet. Ich habe dort noch nie ein Kind spielen sehen.

Apropos Hilfsorganisationen. Ali erzählt mir empört, dass sich die Regierung eben gerade wieder 80 schwarze Offroader gekauft habe, mit getönten Scheiben versteht sich. Denn hier braucht natürlich jeder Minister – und achtzig Minister hat die halbautonome Region Zanzibar bestimmt – seinen Wagen. Obwohl bereits recht viele Offroader im Umlauf sind, da kann man offensichtlich nie genug davon bekommen. Und die Steuern auf den Fahrzeugen, meint Ali, seien ganz unverschämt teuer geworden. Unklar bleibt, ob Regierungsangestellte die auch bezahlen müssen. Immerhin, die Freude der einflussreichen Leute an Autos hat dazu geführt, dass das Strassennetz in den letzten Jahren doch erstaunlich gut ausgebaut worden ist. - Und selbst für die Flugpassagiere wurde etwas getan, das bemerke ich ganz zuerst, bei meiner Ankunft auf der Insel. Dem viel zu kleinen Flughafen wurde nun ein grosses neues Aluminiumdach vorgelagert, so dass die Fluggäste nicht mehr unter heissester Sonne oder einem Platzregen einchecken müssen. Immerhin, finde ich.

Und was hat das ganze mit Hilfsorganisationen zu tun? Gestern sprachen wir im Lukmaan mit einem Mann. Aus Mombassa komme er, Psychologieprofessor nennt er sich, er arbeite mit deutschen Studenten und versuche hier eine Station für Drogensüchtige aufzubauen. Eine lobenswerte Aufgabe und leider auch hier notwendig. Süchtige Kinder würden von den Familien verstossen und die Stasse, das sei keine Lösung. Der Professor regt sich darüber auf, dass die Regierung schlecht kooperiere beim Aufbau dieses Zentrums. Denn selbst privat gespendet, braucht solches natürlich eine Bewilligung der Regierung. Doch die erhält man nur, wenn man dem dafür zuständigen Beamten etwas bezahlt. – Deshalb also mein Gedanke an die 80 schwarzen Autos. So oder ähnlich - wahrscheinlich mit einem viel grösseren Fall - wurden die bestimmt finanziert.
Auch Ali denkt daran, für eine Hilfsorganisation zu arbeiten. Ein Schulkollege von ihm hat Kontakt zu Leuten, die in Daresalaam etwas aufbauen wollen und einen Ableger in Sansibar gründen möchten. Das Ziel der NGO ist noch völlig unklar. Sansibaris, die in Amerika lebten, hätten das ganze initiiert. Und natürlich geht es um Geld. Auch Ali hofft auf eine Anstellung. Und meint auch, die Versuchung sei natürlich riesig, wenn dann das Geld fliesse, da könnten viele nicht widerstehen und zögen es eben vor, sich ein schönes Auto zu kaufen statt das Geld für Bedürftige einzusetzen.

Zum Abschluss ein kleines Alltagsproblem. Ich will dem Ali ein paar Hosen kürzen, denn er mag sie knielang. Die Hosen sind grau und ich kenne genau zwei Orte hinter dem Markt, wo Nähfaden verkauft wird. Bei der Frau, in der Hauptgasse und mit grösserem Angebot, ist um vier Uhr Nachmittags geschlossen. Zweimal durchquere ich die Gasse, die Hälfte der Rollläden sind zu, da muss auch der Gesuchte darunter sein. In der Seitengasse verkauft ein Mann in einem winzigen Laden ebenfalls Faden. Der hat zwar offen, aber leider nur himmelblauen Faden. Das heisst, natürlich auch noch ein paar andere Farben, doch Himmelblau kommt meinem Grau am nächsten, weshalb er mir diese Spule anbietet. - So werde ich eben Morgen nochmals hierher pilgern in der Hoffnung, dass die Frau diesmal offen hat. Und vielleicht sogar den passenen Faden.

Daresalaam, domestic airport, 18. März 2009

Auch hier kein gratis Netzwerk mehr. Das letzte Mal hatte ich im Flughafen noch die Wahl zwischen fünf ungeschützten Netzwerken und nun verlangen hier alle ein Passwort. Schade. Dann eben keine mails.
Gestern Abend um neun Uhr Ortszeit Landung in Daresalaam. Ich friere etwas, auf der Strecke von Nairobi nach Dar ist es kühl geworden in der Kabine. Wahrscheinlich werden die Flugzeuge eben auch bei einer Aussentemperatur von minus 50 Grad von der Sonne aufgeheizt und nun ist es Nacht. Die schwüle Hitze, die mir entgegenschlägt, als ich aus dem Flugzeug steige, kommt deshalb völlig unerwartet. Obwohl ich das eigentlich langsam erwarten müsste. Doch irgendwie kann man sich das gar nicht vorstellen, nach drei Monaten Kälte in der Schweiz. Nach drei Monaten mit Wohnungstemperaturen um die 20 Grad. Nun sind es 29 Grad und erst noch völlig feuchte. Ich schwitze sofort.

Das stört meine zwei Tischgenossinnen heute Morgen beim Frühstück im Swiss Garden Hotel, das gerne von Entwicklungshelfern besucht wird. Da gewöhne man sich nie daran. Ich finde, das sei umgekehrt, nach einer Eingewöhnungszeit von ein paar Tagen achte man nicht mehr darauf. Nicht Entwicklungshelferin sei sie, meint die eine, eine Deutsche. Ihr Sohn leiste auf Sansibar Zivildienst, statt in Deutschland in die Armee zu gehen. Seit einem Jahr arbeite er dort an einem ökologischen Projekt mit erneuerbarer Energie und so. Aus hundert Bewerbern sei er ausgewählt worden. Auf Nachfrage, was konkret er denn mache, wird die Sache diffus. Die Frau kennt den Lukmaan, den kennen die Leute der NGO’s offensichtlich. Und sagt dann später noch, dass sie in Tanga arbeite. Nein, nicht in der Entwicklungshilfe. Ihr Mann und sie hätten einen Betrieb, der für andere Entwicklungsarbeit ausführe. Im Moment hätten sie ein Spital in Tanga erneuert, mit Geld des deutschen Staates. Ich werde hellhörig. Nein, die Sybille, die deutsche Gründerin von Chumbe Island, dem privaten Marinen Schutzpark in Sansibar, die auch dort wohnt, die halte sie nicht lange aus. Solch negativen Leuten weiche sie aus. Ich wende ein, dass in Sansibar, vielleicht in ganz Tansania, der grösste Teil der Sanierungsmassnahmen an der Infrastruktur, an Spitälern, Schulen und Strassen, von irgend einem europäischen, amerikanischen oder arabischen Staat bezahlt würden. Oder von China oder Russland oder Kuba. Und selbst für die Unterhaltsarbeiten habe der Staat hier kein Geld, denn das Geld, das durch Steuern eingenommen werde oder von Hilfsprojekten abgezweigt, dass brauche die Regierung eben um neue Autos zu kaufen, Villen aufzustellen,.......und verabschiede mich ziemlich brüsk.

Gestern im Swissflug habe ich lange mit der Chefstewardess gesprochen, denn auch die hatte ausnahmsweise bei der schwach belegten Maschine viel Zeit. Nein, nicht alle Flüge seien derartig schwach besetzt. Die Krise spüre man schon, aber hier nach Tansania flögen eben immer sehr viele Entwicklungshelfer. Und nach Nairobi Leute der UNO.

unterwegs, den 17. März 2009


Ein synthetisch ockergrünes Haus zieht am Zugfenster vorbei, irgendwo im Aargau, links der Jura, ein Atommeiler mit dampfendem Schlot nun. Ich lese ein Interview mit Jean Ziegler, er hat einen Preis der Stadt Thun erhalten. Und scheint mir langsam senil und weltfremd. Er war vermutlich noch nie mit offenen Augen in Afrika. Auch Kuba kennt er nur einäugig, besser gesagt, aus seinem Blickwinkel. Der Tag ist nun gänzlich erwacht, sonnig, doch etwas grauer Dunst.

Am Flughafen schreiben ist gefährlich, ich verpasse fast den Abflug. Trotzdem ist das Flugzeug noch fast leer als ich einsteige, obwohl das der letzte Aufruf war nach Nairobi. Swiss klagt. Andere Fluggesellschaften ebenfalls. Dafür kann ich mir meinen Platz aussuchen wo ich will. Abheben nun, schnell und steil, denn das Flugzeug ist leicht. Mehr Dunst in der Luft, als dass ich dies am Morgen erwartet habe, doch über den Alpen wird es klarer. Schon schmerzt die Helle der gleissenden Schneegipfel meine Augen. Winter noch, in den Bergtälern liegt Schnee. Wie schnell man doch vergisst nach ein paar Frühlingstagen und den ersten Krokussen und Helleborussen.
Mir scheint, ich sei immer die einzige, die beim Reisen hinausschaut und die mehr oder weniger schnell vorbeiziehende Landschaft bewundert – je nachdem, ob im Flugzeug oder im Zug. Die meisten verkriechen sich sofort hinter ein Buch oder einen Labtop oder gucken im Flugzeug Videos. Unter uns Locarno mit der Schwemmebene, die Alpen bereits überflogen, diesmal scheint die Route über Italien zu gehen, der Luganersee im Dunst, Lugano dann, der Bre und die Tina, der Damm von Melide, da bin ich mir ganz sicher. Der Gadhafi scheint sich wieder beruhigt zu haben, es geht Richtung Lybien. Viel Dunst oder Smog über der Poebene, Genua nun, entnehme ich der Fluginfo.
Die Stewardess schenkt mir einen Gin Tonic ein – meinen Henkersdrink, ich werde in Sansibar wieder abstinent leben – und fragt mich, ob ich gerne noch Weisswein dazu hätte. Um zehn Uhr morgens. Eine welsche Stewardess, werde ich später feststellen. Danke, meine ich, das reiche fürs erste. Nach dem Apéro werden die Einreisepapiere verteilt. Visa, das habe ich natürlich, ich sei „resident“ meine ich, ein gewisser Stolz ist dabei. Woher wohl? Woher diese Freude? Doch, irgendwie komme ich auch etwas nach Hause. Es ist schön, zwischen den Welten zu leben. Und riecht furchtbar nach Furz, ich starre meinem Nachbarn vorne misstrauisch in den Nacken, momentan scheint die Luft durch die Klimaanlage nicht parfümiert zu werden. Bereits spüre ich den Gin Tonic am Morgen.
Wundersame Stadt unter mir, geometrisch verwoben, Innenhöfe, ein Fluss, eine historische Stadt oder modern und geplant? Auf den Bergkreten schmale Schneestreifen. Ich liebe das Reisen. Und die übrigen schauen nicht hinaus. Dunstig unscharfe Wolkenschwaden, neben scharf gezeichneten winzigen Schäfchenwolken über der dunkelverwaschenen waldigen Gebirgslandschaft. Eine Ebene nun, wir müssen in der Nähe von Rom sein, ein See. Montepulcciano vielleicht? Drei Inseln im See, dieser schmutzigblau, Halbinseln, das Grün der Felder blass, viel gepflügtes Braun. - Interessiert das überhaupt jemanden, dieses Schreiben, Beschreiben, in Worte fassen, was flüchtig wahrgenommen? Aufbewahren, versuchen zumindest, die Bilder, nichts verlieren. Mäandrierende Flüsse. Ich fühle mich stark, meinen Wortschwall gewaltig. Von Alkohol verfärbte Illusionen?
Auch in Italien muss es dieses Jahr viel Schnee gegeben haben. Im Osten noch breit verschneite Gipfel, wir sind auf der Höhe von Rom. Dunststreifen folgen dem Flugzeugflügel, doch sehe ich keine Motoren. Unten ein Stausee, drei Sperrstufen, das Wasser wird jedes Mal blasser, in ein steiles Tal eingezwängt. Eine Strasse auf Stelzen, einem Tausendfüssler gleich windet sie sich elegant durch die Landschaft. Immer noch Schnee auf den Gipfeln. Weit hinten eine Ebene mit grafisch strukturierten Feldern. eingebettet in eine wild wuchernde Berglandschaft.
Diese freie Zeit, all die Zeit, die mich erwartet. Genug Zeit zum beobachten, überlegen, kombinieren, vergleichen, einordnen und malen auch. Wunderbar. Ockergelbe Steinbrüche sind aus den Bergflanken heraus gemeisselt, wo sind wir wohl? Ich glaube einen historischen Vulkankrater zu erkennen, grün überwachsen, doch das charakteristische Relief. Dazwischen schieben sich Bilder vom Swiss Garden Hotel, wo ich heute Abend übernachten werde. 26 Grad in Nairobi, vernehme ich. Mückengift einstreichen nicht vergessen. Der Fluss der Gedanken, mäandrierende Flussläufe und eine winzige Flugpiste am Boden. Kontraste. Hellweisse Felder neben einer Stadt, plastikbedeckte Frühbeete wohl. Und nun das Meer. Tiefblau, eine grosse Hafenstadt am Ufer, mit Docks und Dämmen und Schiffen, die wundersame Zeichen schreiben ins Meer. Das Flugzeug zittert leise und das Mittagessen wird serviert. Neapel, finde ich zusammen mit der Stewardess heraus. Pouletgeschnetzeltes, nicht genial diesmal, das leise Ruckeln des Flugzeuges wird sofort stärker. Einer Kinderwiege gleich, angenehm scheint es mir. Un petit rouge, s’il vous plaît? Messina nun, der Fuss des Stiefels. Gerade Flüsse mit breiten Schotterbetten ziehen von den Gebirgen direkt an die südöstliche Küste.
Vor mir sitzt ein älteres schwarzes Ehepaar. Elegant westlich gekleidet sind sie, doch in der Economy Class können das höchstens Intellektuelle sein. Die Frau legt sich rasch nach dem Abflug auf die mittlere Sitzreihe - alles ist ja frei - zum Schlafen und verpasst auch die Mahlzeiten. Der graumelierte Ehemann trinkt Apfelsaft. Ein Muslim wohl, doch kein konservativer, seine Frau ist in ein braves braunes Kostüm nach westlicher Manier gekleidet. Schäfchenwolken lachen nun über tiefblauen Meer. Ich packe die Schokoladecrème für den Ali ein. Etwas zögernd zwar, das letzte Mal ist mir die offerierte Schokolade in der Handtasche geschmolzen. Eiskristalle, feinste, am Fenster nun, merkwürdig dies fast über Afrika. Auf dem Rückweg von der Toilette stelle ich fest, dass die Leute gleichzeitig in den Videoschirm am Vordersitz lachen. Sie schauen denselben Film an. - Im Zug von Bern nach Zürich war das Lachen wenigstens nicht simultan. Ich las den „Bund“, mein Gegenüber „20 Minuten“. Ich lachte häufiger - aber das liegt wohl kaum an den Zeitungen. Zeit für einen Mittagsschlaf finde ich, ich habe sehr wenig geschlafen die letzten Tage.
„Sale or rent“ liest mein ergrauter Nachbar vorne. Es sind Inserate zu Immobilien in Grindelwald. Vielleicht unterschätze ich ihn, wegen seiner Wahl eines Fluges der Economy Class. Ein Wolkenteppich über Libyen. Hallo Marco, Kühlschrank ist abgestellt. Türe bitte offen lassen. Sonst graut es und mir. Lee-Terra-Tour nur - wenn überhaupt. Der Ping-Pong Schläger trifft nicht immer auf einen Ball. Sahara Desert, Tibesti Mountains auf dem Bildschirm der Fluginfo, ich erwache langsam aus meinem Dösen. Irgendetwas scheint heute nicht zu klappen damit. Weder Flughöhe, -geschwindigkeit, Zeit, noch Zoom auf die Landschaft. Wohl immer noch Libyen, Ägypten ist das nicht und Sudan noch nicht. Und unten in der Wüste grosse dunkle Kreise im hellen Sand. Regelmässig verteilt wie in ein Löchersieb. Dazwischen ist eine Strasse erkennbar. Was ist das wohl? Plötzlich – kaum 100m tiefer scheint mir – kreuzt uns ein anderes Linienflugzeug, sehr schnell geht das. Ist das normal, so nah, auf den Luftfahrtsstrassen quer über die Welt? Ich bemerke so was zum ersten Mal. Ost-West verlaufende Sandbänke später. Die scharf verlaufenden Schatten nordseits der Dünen lassen das ganze erst wie Einsenkungen wirken, das muss eine optische Täuschung sein. Später Strukturen in nord-südlicher Richtung. Beim näher kommen entpuppen sie sich als helle Wolkenstreifen, die sich farblich kaum vom Wüstenboden abheben. Das eigentlich Sichtbare sind die finsteren Schatten, die sie werfen. Ein langer dunklen Riss links vom Flugzeug später. Ein ausgetrockneter Fluss? Darfur Mountains lese ich, menschenleer sieht das aus und ist doch Krieg hier. Um was? Weiss verkrustet der Boden, Salzseen? Und wunderbar rötlich daneben schimmernd der Sand.

Bei der Landung in Nairobi durchstechen wir eine Wolkenschicht. Die Masse der Wolken fühlt sich hart wie Beton an. Unheimlich das Reissen und Stossen im Nebel und ohne Sicht, der Film „Darwin’s nightmare“ kommt mir in den Sinn. Und dass hier noch lange nicht überall der Radar funktioniert.